Operetten-Passagen (9): Paul Abrahams „Märchen im Grand Hotel“ wirft leise satirische Blicke auf das mondäne Leben

Hotels, die großen, mondänen, waren und sind bis heute Traumorte: Hier verkehren Menschen, die Geschichten mit sich tragen; hier gibt es Skandale und Geheimnisse; hier tummeln sich Verliebtheit und Verbrechen. Heute ist kaum mehr zu ermessen, was die Hotels der Vorkriegszeit bedeuteten: Man schlief und speiste nicht nur im Hotel, man vergnügte oder verbarg sich, man tanzte und träumte.

Tanzt erstklassig: Sarah Bowden in Paul Abrahams "Märchen im Grand Hotel" an der Komischen Oper Berlin. Foto: Robert-Recker.de

Tanzt erstklassig: Sarah Bowden in Paul Abrahams „Märchen im Grand Hotel“ an der Komischen Oper Berlin. Foto: Robert-Recker.de

Das Hotel war der magische Brennpunkt des luxuriösen Lebens, das der eine aus dem Vollen schöpfte, der andere wenigstens für ein paar Stunden erhaschte. Kein Wunder, dass es Menschen gab, die quasi im Hotel existierten. Ein letzter Spross dieser Hotelkultur war wohl der legendäre Opern-Erklärer Marcel Prawy, der hinter der Wiener Staatsoper im Hotel Sacher seine letzten Jahre verbrachte.

„Märchen im Grand Hotel“ – der Titel der kaum mehr bekannten Operette von Paul Abraham, die an der Komischen Oper Berlin wiederentdeckt wurde, ließ also zur Zeit ihrer Uraufführung 1934 eine ganze Lichterkette von Assoziationen aufgehen. Man wusste, wovon sie erzählt, oder man konnte es sich nach Vicki Baums 1929 erschienenem Roman „Menschen im Hotel“ – bereits drei Jahre später Thema eines mit dem Oscar geschmückten Films – irgendwie vorstellen. Und Abraham selbst, der Jahre seines Lebens in Hotels verbrachte, hatte wohl aus eigener Erfahrung einen sehr konkreten Begriff von Glanz und Elend der Nobelherbergen.

Paul Abraham freilich schildert nicht das vereinsamte, depressive Luxus-Treibgut, das sich in Baums Roman sammelt. Er überhöht das Etablissement – wie viele andere Operettenschreiber – zur Traumkulisse. Seine Hotelbewohner sind entweder fröhliche Angestellte wie der stets alerte Zimmerkellner Albert, oder sie sind exotisch-exzentrische Reizfiguren wie eine spanische Infantin im Exil nebst Zofe, ein mit jener verlobter Prinz und der Geldadel der neuen Welt, die Herrscher über die damals neuen Medien: ein Filmproduzent und seine selbstbewusst sorgenfreie Tochter. Figuren, die sich als Projektionsfläche für Wünsche, Träume und Begehrnisse bestens qualifizieren.

Träumen und Staunen mit Ironie

Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda, die anerkannten Operettenroutiniers, verknüpfen diese Typen nicht ohne satirischen Blick zu einer augenzwinkernd vorhersagbaren Story: Am Ende der unglücklichen Liebe zwischen Niedrig und Hoch findet sich ein toller Zufall, der alles gut werden lässt – und die neue mediale Illusionsfabrik, der Film, tut einen Teil dazu.

Dass solche Geschichten nicht in peinliche Banalität abrutschen, ist dem Talent der Macher zu verdanken, sich immer wieder mit Ironie zu distanzieren; leise genug, um ein vergnügungssüchtiges Publikum nicht beim Träumen und Staunen zu stören, aber ausreichend vernehmbar, um den Geist nicht mit dem erstbesten Groschenroman-Sujet zu betäuben.

Henning Hagedorn (links) und Markus Grimminger haben - wie bei anderen Abraham-Operetten auch - die noch auffindbaren Quellen ausgewertet und eine bühnenpraktische Fassung erarbeitet. Foto: Werner Häußner

Henning Hagedorn (links) und Markus Grimminger haben – wie bei anderen Abraham-Operetten auch – die noch auffindbaren Quellen ausgewertet und eine bühnenpraktische Fassung erarbeitet. Foto: Werner Häußner

Wortwitz ist eine Methode, musikalische Raffinesse die andere: Abraham zeigt sich in dieser nach seiner Vertreibung aus dem hakenkreuzdurchseuchten Berlin entstandenen Operette nicht ganz auf der Höhe seiner melodischen Erfindungsgabe, aber im Drive der Nummern, im Nervenreiz der Rhythmen, in der Eleganz und sprühenden Farbigkeit der auch bei diesem Werk wieder von Henning Hagedorn und Matthias Grimminger eingerichteten Instrumentation ist er ganz der Alte, wie wir ihn aus „Viktoria und ihr Husar“ oder „Ball im Savoy“ kennen.

Mit „Märchen im Grand Hotel“ hat die Komische Oper Berlin eine Reihe begonnen, die in den nächsten Jahren fünf Operetten von Paul Abraham vorstellen soll. Zu denken wäre an seine frühen Werke wie „Zenebona“ oder „Der Gatte des Fräuleins“ oder an seine ungarischen Operetten wie „Julia“, „Dschainah, das Mädchen aus dem Tanzhaus“, oder gar an „Tambourin“, jenes Schmerzenskind, an dem er im Exil in den USA arbeitete und das bisher nie aufgeführt wurde.

Punktgenau aufs Tempo der Operette eingeschworen

Leider sind vollständige Inszenierungen der unbekannten Trouvaillen nicht geplant, aber Hausherr Barrie Kosky weiß nur zu gut, dass eine „konzertante“ Aufführung einer Operette ein Unding ist. So richtet er auf der Vorderbühne – das Orchester sitzt dahinter – einen Spiel-Raum ein, den die von Kathrin Kath herrlich schrill kostümierten Darsteller mit flott choreographiertem Spiel ausfüllen. Den Chor ersetzt das Lindenquintett mit Arrangements á la Comedian Harmonists. Und weil Kosky einem seiner Operettenstars, Max Hopp, neben der Rolle des Albert auch die eines Conférenciers überlässt und sich die meisten Sprechtexte spart, haben die 90 Minuten auch ohne ausgebaute Szenerie das atemlose Tempo, bei dem keine Sekunde die Spannung verloren geht.

Dafür sorgen die Darsteller, allesamt hochprofessionell auf die Kunstform der Operette eingeschworen: flink, punktgenau, pointensicher, selbstironisch, aber dennoch voll in der Rolle drin. Das Manko ist nur: Das Singen ist ihre am wenigsten entwickelte Kunst. Ungeachtet der Frage, ob man in der Operette wirklich Microports verwenden sollte: Ohne Technik kämen wohl weder Max Hopp noch Sarah Bowden, die „Stars“ der Produktion, mit ihrer Stimme über die Rampe. Wie war das denn anno 1934? Vergessen wir die Frage schnell …

Nun hat es durchaus Qualitäten, wie Max Hopp, ein gescheiter Conférencier, eine wunderbar zugespitzte Sprache führt, aber für die „schönste Rose und ein Herz voller Liebe“ hätte man sich doch einen stimmbeherrschenden Operettentenor statt ein heiseres Falsettsäuseln gewünscht. Man sollte nicht jedes Unvermögen zum künstlerischen Mittel hochstilisieren.

Sarah Bowden (Marylou) ist ein anderer Fall: Sie tritt als Tanzsoubrette par excellence auf, hat Esprit und Glamour im Auftritt, kann sprechen, aber singt mit dem flach-nasalen Ton und dem aufgesetzten Vibrato, wie es im kommerziellen Musical heute üblich ist. Talya Lieberman bringt als Infantin Isabella dagegen eine sauber gestützte Stimme, ein angenehmes, vom Vibrato nicht zerschlagenes, sondern geadeltes Timbre und eine technisch abgesicherte Flexibilität mit – genau richtig für die sentimentalen Lieder, mit denen Abraham ihre Partie geschmückt hat.

Üppiger Schaum und ein wenig Pfeffer

Johannes Dunz, adrett im Auftritt, müsste sich wohl nicht elektronisch stützen lassen; sein frischer Tenor verspricht hinter dem technisch aufgepeppten Sound einen attraktiven „Natur“-Klang. Philipp Meierhöfer als Filmproduzent Sam Makintosh ein quirliger Lieferant eines musikalischen Running Gags und Tom Erik Lie als soignierter Hotelbesitzer und en travestie als überdrehte spanische Gräfin in ebenso herrlich überdrehter Robe pfeffern die Handlung mit genau dem richtigen Zuviel, das vor der Überwürze des Klamauks gerade noch gefeit ist.

Mit Adam Benzwi steht ein operettenversierter Dirigent am Pult des Orchesters der Komischen Oper, der weiß, wie die Rhythmen der damaligen Modetänze flexibel zu halten, wie instrumentale Details zu beleuchten, wie Tempo in Schmiss zu verwandeln ist. Da geht es oft um agogische Detailarbeit, um Präzision im Laissez-faire, um den treffsicheren Geschmack in der Phrasierung.

Die Bühne ist allerdings nicht der optimale Spielort für das üppig besetzte Orchester: Der Klang bleibt oft unbestimmt, Details sind im Raum nicht durchgezeichnet, die verstärken Stimmen übertönen die Finessen. Dennoch: Paul Abrahams mitreißend gemachte Musik garantiert schäumendes Vergnügen, das man gerne an anderer Stelle – und dann szenisch voll durchgearbeitet – noch einmal serviert bekommen würde.




Entdeckung in Berlin: „Eine Frau, die weiß, was sie will“ – Operette, zur Farce zugespitzt

Vielleicht waren es nicht nur Zwänge der Disposition, die Barrie Kosky veranlassten, die Premiere von „Eine Frau, die weiß, was sie will“ auf den 30. Januar zu legen. An dem Tag, an dem vor 82 Jahren Hitlers Gefolgsleute mit Fackeln durchs Brandenburger Tor zogen, um die „Machtübernahme“ zu feiern, fegte die Operette von Oscar Straus über die Bühne der Komischen Oper – des einstigen Metropol-Theaters, wo das Zugstück für die damalige Diva Fritzi Massary 1932 seine Uraufführung feierte.

Straus und Massary waren Opfer der Hetze der Nazis: Die eine verließ schon Ende 1932 Deutschland, der andere hatte im neuen Reich keine Chance und musste schließlich Europa verlassen: Die Lust auf scharfzüngige Satire und kabarettistischen Witz haben sich die Deutschen gründlich ausgetrieben.

Barrie Kosky hat die Komische Oper Berlin, das ehemalige Metropol-Theater, wieder zu einer Hochburg der Operette gemacht. Foto: Werner Häußner

Barrie Kosky hat die Komische Oper Berlin, das ehemalige Metropol-Theater, wieder zu einer Hochburg der Operette gemacht. Foto: Werner Häußner

Kosky setzt mit „Eine Frau, die weiß, was sie will“ seine verdienstvolle Reihe kaum mehr gespielter, aber exemplarischer Operetten aus der Zeit vor der Naziherrschaft fort. Und er richtet den Blick auf das, was aus dem Genre auch hätte werden können: Straus, mit seiner Erfahrung mit dem „Überbrettl“, dem ersten musikalischen Kabarett Deutschlands, orientierte sich weniger an der klassischen Form der Operette, sondern an den früher beliebten Vaudevilles – typisierenden Singspielen –, an leichtfüßig-flinken Boulevardkomödien à la Georges Feydeau und natürlich am Kabarett und der Revue mit ihren frechen Songs, ihren politischen und erotischen Zweideutigkeiten. Konsequent nannte er das Stück auch „musikalische Komödie“.

Der Intendant der Komischen Oper schärft als Bearbeiter die Sinnspitze dieser Operette noch einmal so, dass sie wirklich zustechen kann: Er verweigert sich der Bühnen- und Ausstattungs-Opulenz, dampft die 30 Rollen ein und lässt sie von zwei Darstellern spielen: Dagmar Manzel darf sich in sieben wiederfinden; Max Hopp wirbelt durch mehr als ein Dutzend Figuren. Die Bühne ist reduziert auf den dunkelroten Vorhang, der nur einen Ausschnitt freigibt: Eine Wand, eine Tür, zwei Lüster. Minimalistischer, aber auch konzentrierter geht es wohl nicht.

In diesem Mini-Raum wird agiert – aber wie! Klar, dass Kosky das Spiel mit Rollen- und Geschlechteridentitäten wieder lustvoll ausnutzt: Wer Mann ist, wer Frau, spielt keine Rolle. Auch damit spitzt er ein Kennzeichen der Operette zu.

Ein anderes Merkmal ist das Balancieren mit Sein und Schein. Dagmar Manzel ist die Diva, die eine Diva spielt – in diesem Fall die Operettenprimadonna Manon Cavallini. Die ist gleichzeitig Mutter einer unehelichen Tochter. Beide Damen kommen sich ins amouröse Gehege: Die Jüngere projiziert auf genau den Mann ihre pubertäre Glut, in dem die Ältere ihren „Frühling“ erkennen will. Das hat turbulente Folgen, aber es gibt ja noch Tugenden wie Verzicht und Mutterliebe: Am Schluss hört die Mutter den „Schrei der Natur“, es richtet sich alles und der Wertekanon des braven Publikums bleibt, zumindest vordergründig, unerschüttert.

Straus treibt mit dem Genre ein raffiniertes Spiel – und Kosky hat das analytisch durchleuchtet und dennoch nicht in ein erdrückendes Konzept, sondern in eine rasante Farce gefasst. Schon diese „Diva“ ist es wert, genauer besehen zu werden: Sie ist die „Frau, die weiß, was sie will“ und ihr Bekenntnis – der Ohrwurm der Operette – fasst alles zusammen, was eine selbstbewusste, emanzipierte Großstädterin von damals kennzeichnet.

Fritzi Massary, die legendäre Operettenkönigin Berlins zwischen 1910 und 1928, kehrte mit dieser Rolle auf die Musikbühne zurück – bezeichnenderweise für das Geld, das ihr die „Freiheit gibt“. Und Straus schuf mit seinem Librettisten Alfred Grünwald für die Bühne die Frau, als die sich die Massary auch außerhalb des Theaters inszenierte.

Dass diese Diva am Ende sich als treu sorgende Mutter offenbart, ist maliziöse Ironie, Dekonstruktion der unnahbaren Theatergöttin, aber auch Humanisierung einer Rolle, in der ein Mensch kaum sein Leben verbringen möchte: Christoph Marti, die „Clivia“ in Nico Dostals gleichnamiger Operette an der Komischen Oper, beharrte bei einer Podiumsdiskussion strikt auf der Trennung von Bühne und Privatem: „Diva“ sein bedeute eben nicht Glamour und Freiheit, sondern Selbstdisziplin, Arbeit, Verzicht und Befriedigung von Erwartungshaltungen. In Oscar Straus‘ Komödie spiegelt sich so spielerisch wie ernst diese ambivalente Bedeutung der „Diva“.

Dass Manzel diese Aspekte mit einem Tempo und einer Leichtigkeit verkörpert, die anderswo so schnell nicht zu finden sind, muss nicht extra betont werden. Sie freundete sich schon 2002 am Deutschen Theater in der „Großherzogin von Gerolstein“ mit dem musikalischen Lachtheater an und ist seit „Sweeney Todd“ (2004) nicht mehr aus der Komischen Oper wegzudenken. Jetzt schlüpft sie in Sekundenschnelle nicht nur in verschiedene Kostüme (unendlich kreativ: Katrin Kath), sondern in gegensätzliche Charaktere – eine gekonnte Revue der spezialisierten Rollenklischees, von denen Operette lebt, vom komischen Alten über die Dienerfigur bis zum Liebhaber.

Sie kreiert einen eigenen Tonfall: Der Abstand von Massarys raffiniertem Stimmeinsatz ist nicht zu verschleiern – Manzel ist eben mal keine klassisch gebildete Sängerin –, aber er gebiert eben auch eine andere Freiheit: die des Wortes, der Tonfall-Geste, des nuancierten Virtuosität des Sprechens, der angedeuteten Frivolität wie des poetischen Innehaltens. Und Straus hält sich mit Forderungen an Stimmvolumen oder -umfang so zurück, dass Manzel in jedem Moment ungefährdet bleibt.

Noch einen Zahn zulegen muss Max Hopp: Seine Verwandlungen sind schwindelerregend schnell getaktet, vom rosa Flatterkleid von Töchterchen Lucy sind es nur wenige Sekunden zu Frack und Zylinder. Preußisches Geschnarre folgt auf sächsisches Gebrabbel, der affektierte Reigen kunstvoll gedrehter Handgelenke und verzweifelt weggeworfener Arme kontrastiert sofort mit eckig-militärischen Bewegungen oder aufgedrehter Verzweiflung. Und das Tempo steigert sich, wenn Manzel und Hopp zu zweit gleichzeitig in vier Rollen schlüpfen, säuberlich gehälftet und je nach Drehung Frau oder Mann.

Das ist nicht nur höchst präzises Lachtheater, das sind auch Meisterleistungen von Kostüm- und Maskenbildnern: Chapeau für die Unsichtbaren, die in den 90 Minuten hinter der Klapptür keinen Moment die Konzentration verlieren dürfen.

Musikalisch in besten Händen ist die leichte, quirlige, beredte Partitur von Oscar Straus bei Adam Benzwi am Flügel. Das frei Schwingende in der Musik wird nicht sentimental, das Maschinelle nicht steif. Tempo und Timing stimmen, der Stimme wird ihr Recht eifersuchtslos eingeräumt. Das Orchester der Komischen Oper spielt luftig süß, nie schwer oder klebrig. Straus als musikalischer Aquarellist ist in dieser Operette immer fein, transparent, liebevoll zart, schaut eher zurück auf Franz von Suppé als zur Seite, wo Paul Abraham etwa ein grandioses orchestrales Klangfarbenspektakel mit modernen Zügen entfaltet. Das war Operette vom Feinsten, wie sie heute wohl nur an der Komischen Oper zu erleben ist. Riesengroßer Beifall!

Weitere Infos: http://www.komische-oper-berlin.de/spielplan/eine-frau-die-weiss-was-sie-will/