Zwei magere Jahre sind vorbei – nach Renovierung spielt das Theater Dortmund endlich wieder im angestammten Haus

Das Leben kehrt zurück. Nach fast zweijähriger Umbaupause wird im Dortmunder Theater endlich wieder Theater gespielt, auf großer und auf kleiner Bühne, und einen leichten Anflug von Freude darüber kann der Verfasser dieser Zeilen nicht verhehlen. Der Mensch braucht eben sein Stadttheater, das auch deshalb so heißt, weil es in der Stadt ist (und nicht im Gewerbegebiet).

Ansicht des Dortmunder Schauspielhauses - Aufnahme von 2009. (Foto: Bernd Berke)

Ansicht des Dortmunder Schauspielhauses – Aufnahme von 2009. (Foto: Bernd Berke)

Trotzdem darf natürlich auch an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, daß sich das Theater in seiner Ausweichspielstätte „Megastore“ wacker behauptet hat und daß dem Intendanten Kay Voges dort mit der „Borderline Prozession“, die Inszenierung ebenso wie Rauminstallation und Video-Arbeit war, definitiv Außergewöhnliches gelungen ist.

Doch im „eigenen Haus“ mit aufgefrischter Technik und optimiertem Brandschutz kann man einfach mehr machen. Und im übrigen auch mehr Publikum bespielen. Eine bange Frage für den Rest der Spielzeit wird daher sicherlich sein, ob das Publikum jetzt wieder in so reicher Zahl wie vordem strömen wird, oder ob es sich möglicherweise anderswo hin, nach Bochum beispielsweise, orientiert hat. Das hängt natürlich auch von dem ab, was geboten wird.

Warten auf den „Theatermacher“

Als erste Produktion gelangte am Samstag „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch zur Aufführung, sinnfällig kombiniert mit Ray Bradburys düsterer Zukunftsvision „Fahrenheit 451“, wo es ebenfalls um Feuer und Verbrennen (von Büchern) geht. Regie führte Gordon Kämmerer.

Kurz vor Jahresende steht das nächste Premierenwochenende in Dortmund an. Tschechows „Kirschgarten“ kommt als Studio-Produktion in der Regie von Sascha Hawemann am 29. Dezember heraus. Und erst am 30. Dezember wird der Chef selbst Regie im frisch renovierten Schauspielhaus führen. Der Theatermacher inszeniert den „Theatermacher“: In der Regie von Kay Voges gelangt Thomas Bernhards bittere Komödie zur Aufführung, mit Andreas Beck (wem sonst!) als Theatermacher Bruscon und Uwe Rohbeck als Wirt. Auch am Silvesterabend läuft die Produktion, und sie ist fast schon ausverkauft.

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Pressemitteilung des Dortmunder Schauspiels vom 27.12.2017:
Premiere „Der Theatermacher“ wird verschoben
„Das Schauspiel Dortmund muss die für den 30. Dezember geplante Premiere von „Der Theatermacher“ aufgrund von Erkrankungen im Ensemble verschieben. Der neue Premierentermin wird noch bekannt gegeben. Die Silvester-Vorstellung muss leider ersatzlos entfallen. Aufgrund des späten Spielzeitbeginns nach dem Rückzug aus dem Megastore kann das Schauspiel keine Ersatzvorstellung anbieten. Bereits gekaufte Karten können an der jeweiligen Vorverkaufskasse zurückgegeben oder umgetauscht werden. Das Schauspiel Dortmund bedauert den kurzfristigen Ausfall und die Unannehmlichkeiten für das Publikum sehr.”
Nachtrag:
Neuer Premierentermin ist Samstag, 3. März 2018 (Schauspielhaus, 19.30 Uhr).




Liebe versinkt im Bühnengeschrei – „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“ im Dortmunder Schauspiel

Frank Genser, Friederike Tiefenbacher (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Würde man die Machart des Stücks beschreiben wollen wie das Cuvée eines französischen Rotweins, könnte man vielleicht sagen: 40 Prozent 70er-Jahre-Botho-Strauß, 40 Prozent Yasmina Reza, 20 Prozent Loriot.

Kurze, kleine Beziehungsszenen reihen sich aneinander, denen eigen ist, daß die Protagonisten stets auf die eine oder andere Weise scheitern. Dargeboten werden sie als munteres Gesellschaftstheater, was an die eingangs aufgezählten prominenten Autoren denken läßt, ohne indes deren dramatische Produktionstiefe jemals auch nur annähernd zu erreichen. „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“ heißt das Stück von Joël Pommerat, das nicht mehr ganz neu auf dem Markt ist und jetzt auch, unter der Regie von Paolo Magelli, im Dortmunder Theater eingeübt wurde, aufgeführt in der Ausweichspielstätte „Megastore“.

Stetes Scheitern

Der Titel des Stücks, keine Rezension kommt um diese Erläuterung herum, hat mit den politischen Verhältnissen in Fernost nichts zu tun, sondern beschreibt (in einer Szene, in den Worten eines Liebenden) metaphorisch die ungeheure Wucht einer vergangenen Liebe, so unvorstellbar wie das bezeichnete politische Ereignis. Diese Szene ist noch eine der glücklicheren, wenngleich auch sie ihr Glück in der Erinnerung findet, während die Gegenwart Langeweile prägt.

Von links: Marlena Keil, Caroline Hanke, Ekkehard Freye, Merle Wasmuth, Sebastian Kuschmann, Julia Schubert (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Andere Geschichtchen drehen sich um das lange geplante Ende der Beziehung, nachdem die Kinder aus dem Haus sind (nebst Suizid); um eine Psychiatriepatientin, die nicht schon wieder abtreiben will, weil sie den Vater des Kindes (ebenfalls Patient) liebt; um die Beziehung eines Mannes zu einer Prostituierten, die glaubt, daß es um Liebe ginge, bis der Mann Schluß machen und finanziell abrechnen will; um eine Hochzeit, die eine Rivalin der Braut verhindern will; um einen Mann, der mit seiner dementen Frau (Heim, Rollstuhl) schläft, was diese am nächsten Tag aber nicht mehr weiß, und so fort, und so fort.

Von links: Merle Wasmuth, Sebastian Kuschmann, Marlena Keil, Friederike Tiefenbacher (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Keine Entwicklung

Nett herausgespielt, würden diese Szenen trotz düsterer Grundierung doch muntere Unterhaltung erhoffen lassen. Doch kranken Vorlage wie Dortmunder Umsetzung daran, daß den Szenen kaum Entwicklung innewohnt. In den ersten beiden Sätzen eines Dialogs ist eigentlich jedes Mal schon alles gesagt, dann gibt es eine Weile Action, und die nächste Nummer folgt.

Zur Ödnis nicht vorhandener Handlungsgänge gesellt sich der Verzicht auf dramatische Durcharbeitung des Geschehens. Darstellerisches Crescendo ist Regisseur Magelli offensichtlich fremd, Intensität wird als Schreitheater gegeben. Da aber (zumal dieses) Theater eigentlich immer intensiv ist, es ja geradezu zu den unverzichtbaren Eigenheiten des Theaters gehört, intensiv zu sein, wird folgerichtig fast immerzu geschrieen. Man schreit sich an, man schreit ins Publikum und manchmal auch in die Kulisse – ein inkompetenter Regiestil, der das Stück endgültig hinrichtet.

Ensemble (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Wie die Jünger

Warum die 10 Männer und Frauen im Bühnenbild von Christoph Ernst manchmal ähnlich der Jüngerschar an einem langen Tisch sitzen, mag interpretieren wer will. Irgendeinen Sinn wird es schon haben, vielleicht ein Symbol für Gesellschaft. Oft bleiben die Plätze am Tisch leer, denn gespielt, gelaufen, gerungen und natürlich geschrieen wird vor dem langen Tisch und an etlichen weiteren Orten in und über dem Bühnenraum.

Mangelnden Einsatz kann man der Darstellerriege bei alledem nicht vorwerfen, einmal mehr beeindruckt ihrer aller Sportlichkeit. Doch könnten sie auch ein viel schöneres, vielschichtiges, tragisches, psychologisches Sprechtheater geben, wenn man sie denn nur ließe. Das Potential ist in diesem Ensemble, das wir nun auch schon seit Jahren kennen, fraglos vorhanden. Und es wurmt, daß die (überwiegend) jungen Leute in dieser Produktion so unter ihren Möglichkeiten bleiben müssen.

  • Termine: 4., 28. Mai – 4., 14., 23. Juni – 1., 9. Juli
  • Karten 10,00 bis 19,00 Euro
  • Informationen und Karten Tel. 0231 5027 222
  • www.theaterdo.de



Das Elend hat ein Ende: Ab 16. Dezember 2017 spielt das Dortmunder Theater wieder im Schauspielhaus

Kein sehr einladender Ort: Der „Megastore“, bevor die Theaterleute kamen. (Foto: Theater Dortmund)

Am 16. Dezember 2017, einem Samstag, spielt das Theater Dortmund nach fast zweijähriger Umbauzeit erstmalig wieder im Schauspielhaus.

Der Umzug aus der Ausweichspielstätte „Megastore“ in Dortmund-Hörde beginnt am 1. August 2017.

Im „Megastore“ spielt das Theater am 22. Oktober 2017 zum letzten Mal. Das Gebäude bleibt bis 18. Februar 2018 angemietet, damit ein zeitlicher Puffer nach hinten bleibt und der Auszug ohne zusätzlichen Streß erfolgen kann.

Dortmunds Schauspiel-Intendant Kay Voges kann jetzt planen. (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Büro- und Funktionsräume im Theater werden aufgehübscht und instand gesetzt, so daß die geschundene Schauspieltruppe um Intendant Kay Voges in ein wirklich voll funktionsfähiges Schauspielhaus einziehen kann.

So weit die wichtigsten Fakten, die Kulturdezernent Jörg Stüdemann heute (Freitag) Nachmittag in einem kleinen Konferenzraum des „Megastore“ der zahlreich erschienenen Fachöffentlichkeit mitteilte.

Es tat schon ziemlich weh

Mit diesem Zeitplan ist sozusagen das Damoklesschwert verschwunden, das in den letzten Tagen über dem Dortmunder Theater drohend hing: Wegen diverser Verzögerungen bei Renovierung bzw. Neubau des Werkstattkomplexes war, wie im Lokalteil einer Dortmunder Zeitung zu lesen stand, erwogen worden, die gesamte kommende Spielzeit im „Megastore“ zu bleiben.

Dann wären aus dem ursprünglich geplanten halben Jahr Bauzeit zweieinhalb Jahre geworden, was die Theaterleute zu Recht als Zumutung empfanden. „Als es anderthalb Jahre wurden, fing es an, weh zu tun“, sagt Kay Voges. „Improvisieren ist für kurze Zeit ja ganz schön, aber als Dauerzustand…“

Zwei Millionen für ein Provisorium

Gleichwohl hat das Theater, als die Verlängerungsdrohung im Raum stand, mal nachgerechnet und die erforderlichen „Megastore“-Investitionen in Heizung, Magazin, Sanitäranlagen und Technik auf mindestens zwei Millionen Euro beziffert. Zwei Millionen für wenige Monate in einem auch dann noch schlechten Provisorium? Die Rechnung aber war wohl nicht ganz falsch, und sie mag ihren Anteil daran gehabt haben, daß sich das Verwaltungshandeln aufs Erfreulichste beschleunigte und schließlich der von Stüdemann vorgetragene Zeitplan stand. Zudem hatten die Besitzer des „Megastore“-Gebäudekomplexes in Verhandlungen keine Bereitschaft signalisiert, baulichen Veränderungen zuzustimmen. Sie haben für das Gebäude andere Pläne.

Dem Dortmunder Schauspiel sind im „Megastore“ immer wieder eindrucksvolle Produktionen gelungen; Szene aus „Disgraced“ mit (von links) Merle Wasmuth, Merlin Sandmeyer, Carlos Lobo, Bettina Lieder und Frank Genser (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

„Differente Auffassungen“

Doch wie kam es zu dieser wundersamen Beschleunigung des Verwaltungshandelns? „Imponderabilien haben sich aufgelöst. Wir konnten konkret planen“, sagt Theater-Verwaltungschefin Bettina Pesch, und wenn man fragt, was da gemeint sei, wird es schnell sehr kleinteilig. Jedoch so viel: Es gab „differente Auffassungen zur Standstatik“, so Stüdemann. „Diese Sorge hat sich aufgelöst.“ Gute Nachrichten gab es auch hinsichtlich des rechtzeitigen Einbaus der Aufzüge, das Brandschutzprogramm wurde planmäßig abgearbeitet, und neue Probleme sind jetzt einfach nicht mehr vorgesehen.

Voges hat Pläne, verrät aber noch nichts

Wenngleich, Frau Pesch ist Realistin genug, dies anzumerken, man eben im Bestand arbeite, da gebe es immer das Risiko des Unvorhergesehenen. Sehr groß ist es aber nun, da man die Rohbauphase hinter sich hat, wohl nicht mehr. Zur Erinnerung: Die Bauarbeiten gerieten in heftigen Verzug, weil man bei der Gründung des neuen Bauwerks auf nirgendwo verzeichnete Fundamentreste im zweiten Kelleruntergschoß stieß, außerdem auf unbekannte Rohre, die überdies noch asbestisoliert waren.

„Heute ist ein guter Tag“, sagt Kay Voges, „Ab heute kann wieder zuverlässig geplant werden.“ Und hat er schon Pläne für den Eröffnungstag, den 16. Dezember? „Ja“, sagt er, „aber die verrate ich nicht.“

Hals- und Beinbruch! Und nicht pfeifen.




Schrilles Styling, graue Würste – „Kasimir und Karoline“ im Dortmunder Megastore

Ekkehard Freye Christoph Jšde Bettina Lieder

Schrilles Outfit, graue Würste (von links): Ekkehard Freye, Christoph Jšöde, Bettina Lieder (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Die Bühne groß, die Musik laut, das Licht grell und die Figuren so unwirklich bunt und künstlich, als seien sie einem Videospiel entsprungen. Gordon Kämmerer inszeniert im Megastore „Kasimir und Karoline“ von Ödön von Horváth – oder das, was er noch davon übrigläßt. Doch das ist gar nicht wenig, man lasse sich durch den furiosen Anfang nicht täuschen, in dem die brave Exposition, wer mit wem und warum und so weiter ersetzt worden ist durch wütend in Richtung Publikum geschleuderte Statements.

Diese Jugend, die älter aussieht als sie ist, ist hart, weil man hart sein muß in schweren Zeiten. Und der Rummelplatz ist das Vergnügen über dem Abgrund, ganz nahe am wirtschaftlichen Absturz in die Arbeitslosigkeit. Der große inszenatorische Aufschlag, den Kämmerer hier macht und den er eindreiviertel Stunden durchhält, ist also durchaus schlüssig, weil sich so die Aktualität des Stoffs einem jüngeren Publikum auf Augenhöhe unverkrampft vermittelt.

Julia Schubert Ekkehard Freye

Julia Schubert und Ekkehard Freye sind Karoline und Kasimir (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Damals im Opernhaus

Mit leichtem Grausen denkt man an die Düsseldorfer „Kasimir und Karoline“-Einrichtung Nurkan Erpulats, die 2013 bei den NRW-Theatertagen in Dortmund zu sehen war, übrigens wegen umfänglicher Kulisse und Drehbühnenerfordernis im Opernhaus. Ein ziemlich unerquickliches Moraltheater war das damals, das darin gipfelte, daß die Darsteller durch die Zuschauerreihen gingen und Menschen im Publikum provozierende Fragen stellten, die sich, so jedenfalls meine Erinnerung (aber was auch sonst?) um Recht und Gerechtigkeit in der Welt drehten.

Um wie vieles angenehmer ist da Kämmerers Ansatz, bei dem die trübe Moral von der Geschicht’ doch fraglos auch rüberkommt. Es wundert einen sowieso, wie wenig Denkfähigkeit viele Regisseure ihrem Publikum zutrauen, um dann finale Botschaften mit dem Bühnenholzhammer herauszuhauen. Hier gilt dies – wie gesagt – ausdrücklich nicht. Aber ich schweife ab.

Ekkehard Freye BŸhnentechniker Fanfaren-Corps 1974 Dortmund-Wickede

Ekkehard Freye – er hat wohl wirklich was am Fuß und geht an Krücken -, BüŸhnentechniker (links), Mitglieder des Fanfaren-Corps 1974 Dortmund-Wickede und das aufblasbare Festzelt (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Groteske Figuren

Figuren also in Plastik-Outfits und mit grotesken Frisuren, die dem Theater-Kosmos eines Robert Wilson entstammen könnten (Kostüme: Josa Marx), zeigen uns die Geschichte vom arbeitslosen Chauffeur Kasimir (Ekkehard Freye) und seiner Freundin Karoline (Julia Schubert), deren zarte Beziehung den drohenden wirtschaftlichen Absturz nicht überleben wird; vom Zuschneider Schürzinger (Frank Genser), der seinem ehemaligen Chef Karoline als „leichtes Mädchen“ zuführt, um seinen Job wiederzubekommen; vom gewalttätigen Kleinkriminellen Merkl Franz (Christoph Jöde), der bei einem Einbruch geschnappt wird und von „Dem Merkl Franz seine Erna“ (Bettina Lieder), die illusionslos feststellt, daß diese Verhaftung das Ende ihrer Beziehung darstellt. Denn als Wiederholungstäter bekommt der Franz bestimmt fünf Jahre, eine Ewigkeit.

Carlos Lobo Christoph Jšde Julia Schubert Frank Genser

Spaßgesellschaft (von links): Carlos Lobo, Christoph Jöšde, Julia Schubert und Frank Genser (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Extrem sportlich

Die fünf jungen Leute spielen extrem sportlich, tanzen, vergnügen sich im Planschbecken, sind überhaupt fast immer in Bewegung. Spaßige Elektro-Carts, mit denen sie auf der sparsam möblierten Bühne (Jana Wassong) ihre Achterbahnfahrt vorspielen (wo gibt es die eigentlich zu kaufen?), sorgen außerdem für putzige Bewegung.

Einzige größere Ausstattungsstücke sind eine Art Festzelt, das auf aufgeblasenen Beinen steht und, was man erwarten konnte, irgendwann in sich zusammenfällt, sowie etliche gleichermaßen aufgeblasene graue Riesenwürste, die im Laufe der Handlung als Spielobjekte, Liebesbetten, Verstecke und so weiter herhalten müssen und überdies natürlich an sich schon eine Art Rummelplatzsymbol sind, was in diesem Stück dann sozusagen die Würstchenbude ersetzt.

Ebenso dick aufgeblasen wie die Würste treten der Kommerzienrat Rauch (Carlos Lobo) und der Landgerichtsdirektor Speer (Max Thommes) auf, Charakterlumpen alle beide, aber durch Amt und Reichtum vor den schlechten Zeiten gut geschützt. Vielleicht sind sie ein wenig zu einseitig als Slapstick-Typen in Slapstick-Nummern abgebildet, doch haftet typischen Vertretern des Establishments ja wirklich oft etwas Groteskes an, das ist nicht zuletzt eine Frage der Perspektive.

Gute Klänge

Max Thommes zeichnet übrigens auch verantwortlich für „Komposition und Live-Musik“, und man muß sagen, daß die Verbindung von Theater, Sound und Musik recht gut gelungen ist. Wenn beispielsweise Bettina Lieder – einer der Höhepunkte des Abends – ihren wütenden Monolog über die „Wiesenbraut“ hält, dann grollt darunter ein elektronisches, waberndes Crescendo, das, wie man heute gern und meistens gedankenlos sagt, Gänsehaut erzeugt.

Bettina Lieder Frank Genser Julia Schubert Christoph Jšde Max Thommes

Es geht um die Wurst, wie man vielleicht sagen könnte. Von links: Bettina Lieder, Frank Genser, Julia Schubert, Christoph Jšöde, Max Thommes (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Nicht unerwähnt bleiben darf natürlich das Fanfaren-Corps 1974 Dortmund-Wickede, das seinen vergnüglichen Rummelplatzauftritt hat und mit Tschingderassabum auf die Bühne marschiert. Sie dürfen sogar ein bißchen mitspielen, jedenfalls einige von ihnen. Der Auftritt des Corps wurde mit Fingerspitzengefühl implementiert, er ist heiter und stimmig, ohne peinlich zu sein (was schnell passieren kann). Und vielleicht hat das Dortmunder Theater zukünftig noch mehr Besucher aus Wickede, wäre doch schön.

Ehrgeiz entwickeln

Übrigens, kleine Randbemerkung, scheinen nicht nur Hausherr Kay Voges, sondern eben auch Regisseure wie Gordon Kämmerer immer besser mit der Raumsituation des Megastore zurechtzukommen und Ehrgeiz zu entwickeln, etwas Besonderes daraus zu machen. Nachher wollen die da gar nicht mehr weg!

Gewiß hat der sehr laute, plakative Zugriff auf den Stoff einige Schwächen dort, wo für Gespräche und Vertrautheiten Kammerspielton vorgesehen ist. Doch sei’s drum; der stringente, zupackende Stil dieser Inszenierung sorgt auch an einstmals leisen Stellen für das nötige Verständnis. Schrill und respektvoll ist dieser Horváth geraten. So etwas läßt sich nicht oft über Theaterproduktionen sagen.

  • Termine, 1., 15., 26. Oktober, 3., 11., 18. November, 26. Dezember 2016
  • Januar, 26. Februar, 5. Mai 2017
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Mit einem Fest im „Megastore“ startet das Dortmunder Theater in die neue Spielzeit

Sie geht zu Ende, die theaterlose Zeit. In den Häusern regt sich wieder künstlerisches Leben. Überall kündigen sich die Spielzeiteröffnungsfeste an, mit denen die Schauspielhäuser sich und ihr buntes Schaffen in Erinnerung bringen wollen. Dortmund ist ziemlich weit vorne mit dabei, jedenfalls kalendarisch. Am Samstag, 3. September, wird das Fest gefeiert, rund um den „Megastore“, die Ausweichspielstätte an der Nortkirchenstraße.

Julia Schubert Frank Genser

„Die Show“ hat Chancen auf einen Publikumspreis und ist weiter im Programm. Szene mit Julia Schubert und Frank Genser. (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Das Grillo-Theater Essen, zum Vergleich, feiert am 10. September, das Bochumer Schauspielhaus am 22. September.

Gutes Wetter

Das gute Wetter, alter Veranstalterscherz, ist bestellt und war ziemlich teuer. Start des „Kulturprogramms“, wenn man in Unterscheidung zu einigen anderen Belustigungen einmal so sagen darf, ist um 16.15 Uhr mit der Vorführung des Films „Das verlorene Paradies“, später folgen öffentliche Proben zu „La Révolution“ und „Kasimir und Karoline“. Die Ensemblemitglieder Bettina Lieder und Carlos Lobo werden Märchen vorlesen, und selbstverständlich wird der Spielplan für 2016/2017 vorgestellt.

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Ebenfalls beliebt bei den Zuschauern, ebenfalls unter den Wiederaufnahmen: „Die Borderline Prozession“. (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Achtung, sagt Frau Homayoun von der Pressestelle: Für Veranstaltungen, die im Saal stattfinden, muß man sich vorher Eintrittkarten am Infostand abholen. Die kosten zwar nichts, sind aber limitiert, wg. begrenzter Raumkapazitäten. Und ungefragt will ich gerne noch hinzufügen, daß Leuten, die kostenlose Eintrittskarten zusammenraffen, ohne nachher in die Veranstaltungen zu gehen, ausgesprochen unsympathische Zeitgenossen sind, ja, schlechte Menschen geradezu! Aber dies nur am Rande.

Dortmunder Sprechchor

Dritte Nominierung, ebenfalls weiter im Spielplan: „Das Bildnis des Dorian Gray“ mit dem beliebten Dortmunder Sprechchor. (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Drei Bands Open Air

Zweiter Schwerpunkt im Kulturellen sind die Open-Air-Auftritte von drei Bands. Thomas Truax, den Chefdramaturg Michael Eickhoff als „Anti-Folk-Musiker“ bezeichnet, was in der kleinen Presserunde zunächst aber keiner versteht, eröffnet das musikalische Geschehen um 17 Uhr. Für seine eigenen Songs baut sich dieser Musiker die Instrumente selber, die Namen wie „Hornicator“, „Mother Superior“ oder Sister Spinster“ tragen. Ihm folgt um 19 Uhr Hausmusikus von Finckenstein, der in der Ankündigung allerdings bescheiden als „Tommy Finke & Band“ firmiert. Bekanntlich switcht er gerne einmal zwischen lockerer Form und Adelstitel.

Schluß- wie Höhepunkt ist dann ab 21 Uhr Käptn Peng, hinter dem sich Robert Gwisdek verbirgt, welcher der Sohn der doch recht prominenten Schauspieler Michael Gwisdek und Corinna Harfouch ist. Er macht, wie zu hören ist, ganz besonders intelligenten HipHop, hat eine Begleitband dabei und präsentiert überdies noch einen Überraschungsgast.

Bettina Lieder

Bettina Lieder (hier in der Rolle der Kassandra) liest beim Spielzeiteröffnungsfest Märchen vor (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Schnippeldisco

Womit das Kulturelle im Groben abzuhaken wäre. Wenngleich natürlich auch Essen und Trinken kulturelle Taten sind. Oder doch sein könnten. Am Megastore jedenfalls wird am 3. September kulinarische Ambition spürbar, wenn das „Dortmunder Food-Festival Delinale“ ab 16 Uhr zur Schnippeldisco lädt. Geboten wird die Mitgliedschaft in der Eintopf-Community, mitzubringen sind Gemüse von zu Hause (gerne auch „einsames“ Gemüse, das einfach keine Freunde findet und häufig einen stillen, langsamen Tod in der Null-Grad-Zone des Kühlschranks stirbt), Hümmelchen (vulgo: kleines Küchenmesser), Brettchen und Suppenteller.

Zwei große, große Eintöpfe, die Rede ist von fast einem Meter Durchmesser, warten auf Füllung, ein Profikoch wird die Kelle schwingen. Beim Gemüsekleinschneiden kann man gut den Bands lauschen oder dem, was DJ FloMrzdk auflegt. Außerdem und unter anderem sind noch Kettcar-Parcours und Basketballkorb im Kinderprogramm. Und Schminken, unter Beteiligung der Maskenbildnerinnen des Theaters.

Carlos Lobo  Frank Genser Bettina Lieder Merle Wasmuth

Auch Carlos Lobo liest Märchen vor. Hier ist er in „Geächtet“ zu sehen. In Wirklichkeit sieht er entschieden sympathischer aus. (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Preise für die Besten

Publikumspreise werden um 20 Uhr verliehen. Kandidaten sind die Stücke „Die Show“, „Die Borderline Prozession“ und „Das Bildnis des Dorian Gray“. Nominierte der Schauspieler(innen): Dortmunder Sprechchor, Julia Schubert und Merle Wasmuth. Wer in den Abteilungen „Schauspieler/in des Jahres“, „Inszenierung des Jahres“ und „Kritikerpreis“ die mit jeweils 500 Euro dotierten Auszeichnungen einer Kritikerjury erhält, soll erst am Abend bekanntgegeben werden. Der Sonderpreisträger allerdings steht schon fest: Die Theaterpartisanen für ihre Inszenierung „Watch me!“ auf der Studiobühne.

Ja, das alles ist geplant für den 3. September rund um den Megastore. Eickhoff rechnet mit insgesamt rund 2000 Gästen im Tagesverlauf und Besucherspitzen von 500 bis 600 Personen. Wer alles mitbekommen will, sollte beizeiten kommen.

Theater bleibt im Megastore

Es ist dies die erste Spielzeitparty in der Ausweichspielstätte; ob es auch die letzte sein wird, ist aber gar nicht mehr so sicher, denn die Modernisierung des Schauspielhauses und der dazugehörigen Werkstätten in der Innenstadt verzögert sich. Eine Rückkehr im Lauf der Saison 2016/2017, die vor Beginn der Bauarbeiten einmal angeträumt war, erscheint unwahrscheinlich. Die Dramaturgie richtet sich darauf ein, alle geplanten Produktionen werden hier, im Gewerbegebiet mit Hochofenblick, herausgebracht – ohne Drehbühne, Ober- und Untermaschinerie, dafür mit Lagerhallenakustik. Und selbst hier könnte das Theater nicht ewig bleiben (will es ja auch gar nicht), denn die Expansionspläne des Heizungspumpenherstellers Wilo in allernächster Nachbarschaft reichen weit. Nüchtern betrachtet hat man noch nicht mal einen gültigen Mietvertrag für die ganze kommende Spielzeit.

Aber wir wollen nicht unken. Sondern lieber feiern. Glück auf!

  • Einige Termine im Tagesverlauf – ohne Gewähr der Vollständigkeit und der Richtigkeit:
  • Drinnen
  • 16.15 Uhr Film „Das verlorene Paradies“
  • 18.00 Uhr Öffentliche Probe „La Révolution“
  • 18.20 Uhr Öffentliche Probe „“Kasimir und Karoline“
  • 17.00 Uhr Märchen-Lesungen
  • Noch ohne Zeitangabe: Spielplanvorstellung
  • Draußen
  • Ab 16.00 Uhr Schnippel-Disco, Hüpfburg, Kinder-Schminken, Basketball, Kettcar-Parcours
  • Musik
  • 17.00 Uhr Open Air-Bühne Thomas Truax
  • 19.00 Uhr Open Air-Bühne Tommy Finke & Band
  • 21.00 Uhr Open Air-Bühne Käptn Peng und Überraschungsgast

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Erste Premiere im „Megastore“: Jelineks NSU-Drama „Das schweigende Mädchen“

Frank Genser Bettina Lieder Marlena Keil Friederike Tiefenbacher Uwe Schmieder

Theater für ein stehendes Publikum im „Megastore“ mit (von links) Frank Genser, Bettina Lieder, Marlena Keil, Friederike Tiefenbacher und Uwe Schmieder (Foto: Birgit Hupeld/Theater Dortmund)

Die Ankündigung der Angeklagten Beate Zschäpe, auszusagen, verhalf dem Stück zu ungeahnter Aktualität. Doch eingeplant worden war „Das schweigende Mädchen“ von Elfriede Jelinek schon vor Monaten, als erste Premiere im „Megastore“, der neuen temporären Spielstätte des Dortmunder Schauspiels. So richtig aktuell geriet die Produktion daher letztlich auch nicht.

Trotz einiger kleiner textlicher Anpassungen an jüngste Entwicklungen im sogenannten NSU-Prozeß blieb der nachrichtliche Stand September 2014 (oder noch ein bißchen früher), als das Stück seine Uraufführung in München erlebte. Es ist, wie man hier wieder sieht, das Los aktueller Themen, daß sie sehr schnell verblassen.

Indes: Erledigt ist das Thema ja nicht. Noch immer fragen viele Experten gerade so wie das Stück – wenn auch nicht in dessen auffahrendem, hochmoralisch anklagendem Ton -, wie es zu einem derart desaströsen Versagen der ermittelnden Behörden, in Sonderheit des Verfassungsschutzes, kommen konnte. Und nicht nur die üblichen Verschwörungstheoretiker halten weitere Täter und eine Vernetzung des NSU innerhalb der rechtsradikalen Szene allemal für vorstellbar.

Das Problem eines Prozesses gegen die einzige Überlebende des Terror-Trios ist nur, daß er eben nicht solche Fragen in den Mittelpunkt stellen darf, sondern die Schuld der Angeklagten ermitteln muß, um sie angemessen verurteilen zu können. Und da gibt es nichts Neues. Offenbar auch nicht, nachdem die Angeklagte ihr Schweigen brach.

Wut und Fassungslosigkeit

Elfriede Jelineks Stück wußte vor gut einem Jahr ebenfalls nichts Neues zu erzählen, und auch Michael Simon (Inszenierung/Bühne) kann in seiner Dortmunder Megastore-Einrichtung nichts Neues erzählen, kann das Bekannte nur mit Wut und Fassungslosigkeit deklamieren lassen und die von Jelinek behaupteten Bezüglichkeiten zwischen deutscher Identität und rechtem Terrorismus in Szenen und Bilder einpassen.

Aus einstmals 224 Seiten Jelinek-Text wurden in Dortmund etwa 70 Minuten Theater, die vom Publikum in der ersten Hälfte stehend, in der zweiten sitzend wahrgenommen werden. Es geht da, fast wörtlich zu verstehen, zunächst ziemlich durcheinander, wenn skandalöse Details diverser Tathergänge zornig nachvollführt und nacherzählt werden, wenn beispielsweise von jenem Verfassungsschutzagenten berichtet wird, der einen Mord nicht bemerkt haben will, obwohl er praktisch daneben saß.

Teil zwei, das Publikum sitzt nun auf den neuen, hinlänglich bequemen „Megastore“-Rängen (die sicherlich flexibel eingesetzt werden können), beginnt mit der Gerichtsverhandlung, in der der Schauspieler Uwe Schmieder zunächst den Richter gibt, unwillig, vorurteilsbeladen, und sodann, nachdem er den Prozeßtag schnell beendet hat, in eine Art Alptraum stürzt, in dem Monsterwesen ihm arg zusetzen und in dem er schließlich gar Fäkalien essen muß, die ihm eine Putzfrau verabreicht, die ihren Durst aus der Reinigungsmittelflasche löscht.

Flecken, die nie wieder rausgehen, waren schon in Teil 1, raunend beschworen vom Dortmunder Sprechchor, von zentraler Bedeutung, hier tauchen sie sehr real wieder auf, zumal der arme Alpträumende auch noch bedeutungsschwer mit geschredderten Aktenseiten bestreut und von einem Monsterzwerg bepinkelt wird.

Assoziative Elemente

Das Altarbild einer Kreuzigung im Hintergrund wird von den Figuren (Rollen gibt es auf dem Programmzettel nicht) pantomimisch nachgestellt und scheint Terroristen-Phantasien von bibelgleicher Dreieinigkeit im nationalistischen Martyrium bedeuten zu sollen; es gibt der assoziativen Elemente etliche mehr, doch bleiben sie im wilden Gang des Geschehens häufig zu unscharf, um tiefen Eindruck zu hinterlassen. Schließlich schreien die Darstellerinnen dem Publikum Einzelheiten der Mordtaten voll Wut und Vorwurf in die Gesichter, stellen sich sodann eine nach der anderen unter die Namen der Opfer, die auf die Wand geschrieben sind, und schließlich geht, Lampe für Lampe, langsam das Licht aus.

Dortmunder Sprechchor

Dortmunder Sprechchor (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Nun ja.

Die große Halle ist eine Chance

Wenn ein Theater bespielt werden muß, das eigentlich ein Baukörper aus zwei modernen Industriehallen und einigen Nebenräumen ist, so verlangt dies nach neuen Ideen. Simon und seine Regie-Mitarbeiterin Ariane Andereggen haben, zumal im ersten Teil, mit beweglichen Podestelementen und rollenden Requisiten wie beispielsweise einem geschrotteten Polizeiwagen da durchaus einiges entwickelt, und schön wäre es, wenn auch in weiteren Produktionen diese Räume vor allem als Chance und Herausforderung begriffen würden. Teile des Raumes durch „Abhängen“ mit Stoffbahnen verkleinern, das kann man immer noch machen, als ultima Ratio. Daß aber auch ganz andere Sachen in solchen Hallen möglich sind, beweist ja seit vielen Jahren schon die Ruhrtriennale.

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Mitwirkende: Marlena Keil, Bettina Lieder, Uwe Schmieder, Friederike Tiefenbacher, Merle Wasmuth, Frank Genser.

  • Die nächsten Termine: 17. Dezember, 27. Dezember 2015, 16. Januar 2016.
  • Informationen und Karten Tel. 0231 / 50 27 222
  • http://www.theaterdo.de/detail/event/16586/



Megatheater im Megastore – Schauspiel Dortmund präsentiert Teil II des Spielplans

megastore innen

Gut, da denkt man nicht sofort an prickelnde Theateratmosphäre – doch wenn es im Dezember hier im Megastore losgeht, sieht es  bestimmt schon ganz anders aus. (Foto: Theater Dortmund)

Natürlich haben sie jetzt doch noch was gefunden, und die Angst vor einer spielstättenfreien zweiten Halbzeit in der diesjährigen Dortmunder Theatersaison hat sich als unbegründet erwiesen. Der neue Ort heißt „Megastore“, und der Name ist so stark, daß sie ihn gelassen haben. Was man gut verstehen kann: „Megatheater im Megastore“ klingt doch um Klassen besser als „Vorstellungen in der Ausweichspielstätte“, oder?

Der Megastore befindet sich in Dortmund Hörde im Gewerbegebiet nahe Wilo-Pumpen, an der Felicitasstraße, also quasi eine Straße vor oder hinter dem Recycling-Hof der Stadt, je nach dem, aus welcher Richtung man kommt. Bis vor einiger Zeit wurden hier Fanartikel von Borussia Dortmund verkauft, und einen Schönheitspreis wird der zweckmäßige Baukörper vermutlich nie bekommen. Das Theater spielt ab Dezember – wenn das Große Haus renoviert wird – also quasi am A… der Welt, jedoch mit Bus und Bahn halbwegs passabel erreichbar.

Und was wird hier gespielt?

Nun, man gibt zum Auftakt, was in Dortmund nicht alle Tage passiert, das Stück einer renommierten Dramatikerin. „Das schweigende Mädchen“ von Elfriede Jelinek soll erstmalig am 11. Dezember über die Bühne gehen. Es dreht sich um Beate Zschäpe, die seit Mai 2013 in München vor Gericht steht – und schweigt. Sie ist, wie bekannt, die einzige Überlebende des Mördertrios, das sich „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) nannte und aus rassistischen Motiven zehn Menschen umbrachte. Regie führt Michael Simon, und es wird wohl ein sehr ernster Abend werden.

Ensemble

Szene aus „Eine Familie (August: Osage County)“. Das Stück von Tracy Letts ist die letzte Premiere im Schauspielhaus, bevor dort die Arbeiten beginnen (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Zwei Ehepaare streiten

Richtig spaßig ist auch das nächste Stück nicht, wenngleich das Setting zunächst ein bißchen an Yasmina Rezas Aufstellungen erinnert. In „Geächtet (Disgraced)“ treffen zwei Ehepaare aufeinander. Hier der erfolgreiche Anwalt Amir, Muslim mit pakistanischen Wurzeln und verheiratet mit Emily, weiß und protestantisch; dort der amerikanische Jude Isaac und seine afroamerikanische Gefährtin Jory, die als Anwältin eine Kollegin von Amir ist. Sie machen den Fehler, über Politik zu reden, und spätestens beim Thema „9-11“, dem Terrorangriff auf die New Yorker Twin Towers im Jahr 2001, ist die gute Stimmung dahin. Doch der Streit geht dann erst richtig los, und laut Ankündigung ist nachher nichts mehr so wie vorher.

Angesichts auch der doch recht exemplarischen Biographien ahnt man die anstehenden Konflikte; und wünscht sich, daß es nicht allzu pädagogisch wird, oder moralisch, oder beides. Regie in diesem Stück von Ayad Akhtar führt Hausherr Kay Voges selbst (ab 6. Februar 2016).

„Die Liebe in Zeiten der Glasfaser“ blickt aus verschiedenen Winkeln auf das Skypen. Ed Hauswirth hat das Stück als „ein Stück Skype“ geschrieben und bringt es im Megastore, auch Regie führend, am 12. Februar 2016 zur Uraufführung. Falls jemand das Wort nicht kennt: Statt Skypen hätte man früher vielleicht „Bildtelefon“ gesagt, aber natürlich geht das heutzutage über Computer und Internet. Nun denn, man wird sehen.

Merle Wasmuth Frank Genser

Merle Wasmuth und Frank Genser in „Besessen“ von Jörg Buttgereit. Das Stück hat am 23. Oktober im Studio Premiere. (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Alles gleichzeitig

Statt um eigene originelle Formulierungen zu ringen, folgt jetzt ein längeres Zitat aus dem Pressetext: „Ein Kind wird geboren. Ein Schiff mit Geflüchteten versinkt im Mittelmeer, und du bist zum Abendessen eingeladen. Über Twitter wird vermeldet: Enthauptung in Syrien, in Ungarn ist der Stacheldraht fertig, die Grenzpolizei setzt Wasserwerfer ein gegen den Ansturm der Verzweifelten. Die Steuererklärung ist fertig. Peter will heiraten, Urs zum IS, und aus dem Radio dröhnt das Versprechen von Sonne und Abenteuer: Kreuzfahrt in der Adria. Ein Thalys-Zug wird evakuiert. Terrorgefahr. Radiotalk zur Angst vor Flüchtlingen. Der erlösende Führungstreffer in der Nachspielzeit, ein Sonntagsschuß. Frau Dingsbums von nebenan hat Krebs, in der Ukraine wird geplündert, in Florida schneit es. Meine Freundin hat sich von ihrem Mann getrennt. Facebook präsentiert seine neue Selfie-App für unterwegs. Die Kanzlerin besucht ein Flüchtlingsheim…“

Erkennbar geht es also um die Gleichzeitigkeit der Geschehnisse, der ungeheuerlichen wie der banalen, und das Ensemble wird sich diesem Ansturm der Ereignisse stellen. Methodisch soll „Die Borderline Prozession“ irgendwie den Projekten „Das goldene Zeitalter – 100 Wege dem Schicksal die Show zu stehlen“ (2014) und „Die Show – Ein Millionenspiel um Leben und Tod“ aus diesem Jahr nahestehen, aber was Voges da nun genau vorhat, ist noch nicht so recht erkennbar. Das heißt aber auch, daß man auf die Uraufführung am 8. April 2016 gespannt sein muß. Ko-Autoren des Dortmunder Schauspielchefs sind hier Dirk Baumann und Alexander Kerlin.

Übrigens hat der Schriftsteller Walter Kempowski vor etlichen Jahren in seinem Bücherzyklus „Das Echolot“ mit seiner Methode einer gleichzeitigen Notation sehr eindrucksvoll die Zeit des deutschen Nationalsozialismus beschrieben. Aber dies nur am Rande.

Wenn die Spielzeit fast schon zu Ende ist, kommt noch einmal der Dortmunder Sprechchor zum Einsatz. Mit ihm erarbeiten Thorsten Bihegue und Alexander Kerlin ihre Version von Oscar Wildes Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“, Premiere ist am 18. Juni 2016. Und spätestens dann werden die Freunde des Dortmunder Theaters Bilanz ziehen, wie sie denn war, die erste Spiel(halb)zeit im „Megastore“.

Nicht ohne Buttgereit und Storch

Im (regulären) Großen Haus steht mit dem Drama „Eine Familie“ von Tracy Letts am 24. Oktober noch eine Premiere an, im Kleinen Haus gibt es als Nächstes Neues von, wie man vielleicht sagen könnte, zwei sehr eigenwillige Dortmunder „Hausautoren“ zu sehen. Horror-Experte Jörg Buttgereit stellt, inspiriert vom Film „Der Exorzist“ und unterstützt von Anna-Kathrin Schulz, das Stück Besessen“ auf die Bretter (Uraufführung am 23. Oktober 2015), Wenzel Storch steuert „Das Maschinengewehr Gottes“ bei. Bei diesem am 10. Dezember zur Aufführung gelangenden Bühnenwerk soll es sich um „Eine Kriminal-Burleske aus dem Meßdiener-Milieu“ handeln; ältere Leser werden sich bei dem Titel sicher an den amerikanischen Prediger Billy Graham erinnern, der auch in Deutschland mit Donnerhall missionierte.

König Alkohol

Und schließlich: „Die Reise nach Petuschki“ von Wenedikt Jerofejew in einer Bühnenfassung von Kathrin Lindner (ab 16. Januar). Es ist die Geschichte eines Bahnreisenden, dessen Hauptaugenmerk dem alkoholischen Nachschub gilt, es ist die Beschreibung einer russischen Gesellschaft, in der der Alkohol die Hauptrolle spielt, und es ist sicher auch eine Verbeugung vor einem herzlichen russisches Volk, das den Zumutungen des Lebens immer wieder mit Menschlichkeit zu begegnen weiß. Mit russischer Seele meinetwegen. Ich bin sehr gespannt, was das Dortmunder Theater aus dieser Vorlage macht.

Übrigens gibt es „Moskau – Petuski“ von Venedikt Erofeev (so schreiben sie es hier) auch als grandioses Hörbuch bei „Kein & Aber Records“. Abwechselnd lesen hier Bochums Homeboy Frank Goosen, Harry Rowohlt und Heinz Marecek, und Letzterer, Marecek, hinterläßt mit seinem wienerisch-balkanesischen, kehlig krähenden Zungenschlag den stärksten und irgendwie auch kongenialsten Eindruck. Aber dies nur am Rande.

Daß das Megatheater für den Megastore einen Megaspielplan hat, versteht sich also von selbst. Hoffen wir also, daß Megaintendant Kay Voges und die Seinen uns eine Megazweitspielzeit an der Nortkirchenstraße bieten werden. Hals- und Beinbruch!

Mehr Information: www.theaterdo.de