Aus dem Vorrat der Idyllen – „Kleine Nationalgalerie“: Bilder des 19. Jahrhunderts auf lange Zeit in Dortmund

Dortmund. Sehen wir es mal s0 herum: „Dies ist eine Kunst, die nicht quält“, sagt Brigitte Buberl vom Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte („MuKuKu“). Gewiss, auch sie habe vor einigen Bildern spontan gedacht: „Oh Gott, was für ein Schinken!“ Ja, man zeige hier in der Tat auch „verlogene Idyllen“, immerhin Balsam fürs Gemüt.

Sie spricht von jenen 120 Bildern und Skulpturen, die sie selbst aus dem überquellenden Depot-Fundus der Alten Nationalgalerie in Berlin ausgewählt hat – für Dortmund, wo dieser Querschnitt durch die Kunst des 19. Jahrhunderts ab jetzt drei Jahre lang (!) zu sehen ist. Die Kollektion, die in etwa den Sammlergeschmack der Gründerzeit in den 1870er Jahren widerspiegelt, firmiert unter „Kleine Nationalgalerie“. Sie könnte eines Tages im „Dortmunder U“, einem ehemaligen Brauereiturm, ihren Platz finden. Zukunftsmusik.

Berlin steht bei dem „Handel“ nicht schlecht da: Man konnte Depot-Bestände entstauben und restaurieren (Dortmunder Kostenbeitrag: 80 000 Euro). Dortmund wiederum begegnet den Schöpfungen einer Zeit, die zum Eigenbesitz des MuKuKu passt und sonst in Westfalen nicht so reichlich vertreten ist.

Von der Frühromantik bis zum Impressionismus

Ein Jahrhundert wird besichtigt: Der Epochenrahmen reicht von der Goethezeit bis zum Ersten Weltkrieg, die stilistische Palette von Frühromantik über Biedermeier und Realismus bis hin zu Impressionismus und Jugendstil. Man erlebt hier viel akademische Feinmalerei, etliches Historien-Pathos und Genre-Süßlichkeit: Herzig schmelzendes Beispiel hierfür sind Eduard Steinbrücks „Badende Kinder“. Kunst, die (sich und uns) nicht quält…

Spitzenstücke und bekanntere Künstlernamen sind rar: Arnold Böcklin, Lovis Corinth, Max Slevogt, Wilhelm von Kaulbach, Adolph Menzel, Otto Modersohn, Franz von Stuck, Moritz von Schwind, Hans Thoma, Johann Gottfried Schadow. Das wär’s eigentlich schon.

Allerlei mythologische Gestalten

Der große Rest muss der Vergessenheit entrissen werden. In Einzelfällen könnte es‘ sich lohnen. Bernhard Maaz, Leiter der Alten Nationalgalerie, hat aber eine „Revision des 19. Jahrhunderts“, eine umfassende Neubewertung im Sinn. Kaum zu erwarten, dass die Dortmunder Auswahl diesen hohen Anspruch erfüllt. Am besten wappnet man sich wohl mit freundlicher Ironie – ganz im Sinne einer Postmoderne, die in konservativer werdenden Zeiten so manches wieder lächelnd gelten lässt, was längst abgehandelt schien. Dann kann man an allem sein stilles Vergnügen haben. Hie und da geht einem gar das Herz auf.

Ein Segen übrigens, dass die Exponate erläuternd beschriftet sind, denn über den mythologischen Bildungsvorrat der damaligen Künstler gebietet heute niemand mehr.

Schwebende Engel, heroische Ritter, orientalische Gewänder, Huldigungen an königlich-kaiserliche Hoheiten: Tatsächlich trifft man hier das wesentliche Bilderinventar des 19. Jahrhunderts an. In diesem hehren Umfeld wirkt schon Oskar Zwintschers zartsinniges Frauen-„Bildnis in Blumen“ (1904) wie ein Gruß nach vorn – und Otto Modersohns leuchtender „Birkendamm“ (1901) wie eine mittlere Offenbarung.

• „Kleine Nationalgalerie“. Dortmund, Museum für Kunst und Kulturgeschichte (Hansastraße). Für ca. drei Jahre (Austausch von Exponaten mittelfristig geplant). Di-So 10-18, Do 10-20 Uhr. Eintritt 6 Euro. Katalog im Oktober.




In der Zeichnung zeigt sich der wahre Meister – Ausstellung in Münster reicht von Dürer bis Beuys

Von Bernd Berke

Münster. Zeichnungen gelten oft als bloße Vorstufen zu großen Ölgemälden, ja als eigentlich unfertige Kunstwerke. In Münster ist man ganz anderer Meinung. Mit der Ausstellung „Zu Ende gezeichnet“ will das Landesmuseum beweisen, daß ästhetische Abrundung und Perfektion sehr wohl auch mit dem Stift erzielt werden können.

Von Dürer über Picasso bis hin zu Beuys wartet die Schau mit rund 200 Exponaten und etlichen großen Namen auf. Alle Stücke stammen aus dem offensichtlich hervorragend bestückten Kupferstichkabinett zu Basel.

Die historische Spannweite zwischen dem 16. und dem 20. Jahrhundert eröffnet reizvolle Vergleichsfelder. Die Geschichte schnurrt wie im Zeitraffer ab. Um 1500 war auch die Zeichenkunst ganz selbstverständlich in biblischen und mythischen Stoffen verankert, sie stand auf verläßlichem Grund. Somit war auch die Formensprache fest gefügt, denn sie spiegelte ja die weitgehend intakte kosmische Ordnung. Doch ein Bild wie Ludwig Schongauers „Vorbereitung zur Kreuzigung Christi“ muß für damalige Gemüter schockierend gewesen sein. Höchst sachlich werden hier die Instrumente zur biblischen Qual bereitet; fast so, als übe man ein ganz biederes Handwerk aus.

Kühne Ausschnitte kündigen die Moderne an

Über Berühmtheiten wie Albrecht Dürer (Bildnis des Salzburger Kardinals Matthäus Lang, um 1518), Hans Holbein den Älteren, Hans Baldung und Albrecht Altdorfer, gelangt man allmählich in die barocken Gefilde. Hier ragt natürlich ein Peter Paul Rubens (u. a.: „Die Kreuzigung Petri“, um 1638) heraus. Folgt man der chronologischen Hängung, so steht man später vor sanften romantischen Landschaften und dann – vielleicht der interessanteste Teil der Zusammenstellung – im Vorhof der Moderne.

Der Bruch kündigt sich zunächst in ganz leichten, aber schon befremdlichen Perspektiven-Verschiebungen an, in der Wahl kühner Ausschnitte. Wenn etwa der eines übertriebenen Fortschrittswahns eigentlich unverdächtige Adolph von Menzel anno 1880 den „Blick in einen besonnten Hof mit einer Frau an einer Wasserpumpe“ zeigt, so hat er die jahrhundertelang gewohnte Zentralsicht längst hinter sich gelassen. Es geht nicht mehr um Abbildung der Wirklichkeit, sondern um ihre Splitter und Essenzen. Georges Seurats „Spaziergängerin mit Sonnenschirm“ (um 1882) steht für den Übergang des festumrissenen Gegenstandes ins impressionistische Flimmern. Im Gefolge des Kubismus löst sich dann die Form vollends auf.

Spannend ist es nun zu beobachten, wie einfallsreich die Künstler seither auf den Formenschwund „geantwortet“ haben. Vielfältig und manchmal verzweifelt sind die Versuche, diesem Zustand wieder neue tragfähige Konzepte abzugewinnen. Die Skala der Möglichkeiten reicht von hauchzarten Entwürfen am Saum des Verschwindens (Wols, Cy Twombly) bis hin zu ungehobelter Kraftprotzerei („Neue Wilde“).

Die stilistische Vielfalt ist also mindestens ebenso breit wie in der Ölmalerei. Außerdem befindet man sich, indem man Zeichnungen anfertigt oder auch nur betrachtet, meist noch ein Stückchen näher am Ursprung, an der „Geburt“ der bildlichen Idee als bei geduldig ausgeführter Schönmalerei. Und: Wenn ein Künstler nicht auf der Höhe seiner Mittel wäre, so verriete sich das in der Zeichnung mitunter deutlicher, als wenn er mit Ölfarbe gar manche Schwäche überdeckt und vertuscht.

„Zu Ende gezeichnet“. Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster (Domplatz). Bis 5. November, tägl. außer montags 10-18 Uhr. Katalog 35 DM.