Höchst vergnügliche Spracherziehung – Überzeugende Inszenierung des Musicals „My Fair Lady“ in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Gewiss: Von Risikofreude zeugt es nicht, die Theatersaison mit dem Musical-Klassiker „My Fair Lady“ zu eröffnen. Doch warum sollte man das Publikum auch gleich verprellen? Es wäre fahrlässig. Drum gab’s am Samstag keine schwere Kost, sondern eine leckere Lockspeise, mehr noch: einen Schmaus im Dortmunder Opernhaus.

„Chefkoch“ beim reichlichen Mahl ist Regisseur Michael Jurgons. Er hat alle Zutaten beisammen, die nun einmal zu einem solchen Stück gehören. Die allzeit frisch grünende Musik (Leitung: Ralf Lange/ Chöre: Granville Walker) wird mit dem nötigen Schwung und Schmiss dargeboten, die Dortmunder Philharmoniker reißen nicht nur das Publikum, sondern spürbar auch die Darsteller mit.

Dazu gibt es ein animierendes Wechselspiel aus opulenten, eleganten und eher melancholisch verhaltenen Bildern (Bühne: Vinzenz Gertler/ Kostüme: Mascha Braun). Der Szenenaufbau drängt sich nie vor, sondern lässt viel Raum für Gewimmel und Gewusel. Wenn alle Beteiligten gleichzeitig über die Bühne wirbeln (Choreographie: Baris Karademir), dann weiß man gar nicht, wohin man zuerst schauen soll. Es ist ein wohlgeordnetes Chaos, selbstironische Momente Inbegriffen.

Vor allem aber ist von einer eminent starken Hauptdarstellerin zu berichten. Die junge Sopranistin Martina Schilling (Eliza Doolittle) ist ganz neu im Dortmunder Ensemble. Anfangs, wenn sie als Blumenmädchen und „Rinnsteinpflanze“ breitmäulig berlinert (so dass Professor Higgins irgendwann auf die Idee mit dem Sprachunterricht kommt), erschließen sich ihre besonderen Fähigkeiten noch nicht so deutlich.

Doch kaum, dass sie ihr erstes Lied anstimmt, wird strahlend klar: Das ist eine! Herrlich entspannt, charmant und scheinbar mühelos bewegt sie sich durch jede Tonlage bis in feine Verästelungen, meistert auch schwierige Passagen mit sternenklarer Artikulation. .Durch allen Schönklang spürt man dennoch freche Widerborstigkeit hindurch. Und es ist, als belebe sich von nun an auch ihr Spiel in den reinen Sprechpassagen. Bravo!

Mixtur aus Sprachliebe und Menschenverachtung: Professor Higgins hat mit dem Dialektforscher-Kollegen Oberst Pickering (Thomas Hölzl) gewettet, dass er Eliza einzig durch rigiden Sprach-Drill zur feinen Dame ummodeln dein kann. Ihre arrangierten Auftritte beim piekfeinen Pferderennen in Ascot und beim Diplomatenball sollen Proben aufs Exempel werden.

Für die Rolle dieses eingefleischten Junggesellen Higgins, der mit Frauen (und Dienstpersonal) ruppig und selbstherrlich umgeht, kehrt ein altgedienter Dortmunder Publikumsliebling als Gast aus Hamburg zurück: Jürgen Uter ist zwar kein begnadeter Sangeskünstler, er hat eben seine Stärken im Schauspiel. Doch wie er sich hier mit zumeist lässigem Sprechgesang nicht nur aus der Affäre zieht, sondern seinen Part differenziert gestaltet, das ist schlichtweg souverän.

Als ein weiteres Kraftzentrum der Aufführung erweist sich Andreas Becker, der Elizas Vater breitbeinig und lebensprall auf die Bühne stellt. Wollte man der Inszenierung vorwerfen, sie „aktualisiere“ die sanft sozialkritischen Anteile des Stoffes nicht genügend, so hätte man hier zumindest einen Gegenbeweis. Dieser Doolittle wirkt fast wie eine Brechtsche Figur, so ungefähr zwischen „Dreigroschenoper“ und „Puntila“.

Verdienter Publikumsjubel für diesen beachtlichen Saisonauftakt.

Termine: 7., 16., 22. Sept. / 7., 12., 19. und 31. Okt. Karten: 0231/50 27 222.

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HINTERGRUND

Klassiker des Genres

  • „My Fair Lady“ stammt von Frederick Loewe (Musik) und Alan Jay Lerner (Texte).
  • Das Musical wurde am 15. März 1957 in New York uraufgeführt und war entscheidend für den weltweiten Erfolg der ganzen Gattung.
  • Deutsche Erstaufführung: 1961 im Berliner „Theater des Westens“.
  • Berühmt wurde die Verfilmung(1963) mit Audrey Hepburn als Eliza Dooljttle.
  • Der Stoff geht auf George Bernard Shaws Theaterstück „Pygmalion“ zurück, das wiederum einen antiken Mythos aus den „Metamorphosen“ des Ovid aufgreift.



Shakespeare als Kind und als Karnevalist – Berliner Theatertreffen: Verdruss mit dem Klassiker, Glück mit Jelinek

Von Bernd Berke

Berlin. „Wow, sterben! Echt?“ So spricht sonst keine Julia von Shakespeare, so quatschen vielleicht Comic-Figuren oder „Szene“-Typen. Doch wenn eine Regisseurin wie Karin Beier sich das alte Liebesdrama in Frank Günthers Übersetzung vorknöpft, wächst Julia der Schnabel anders.

Es stand zu befürchten, daß das Berliner Theatertreffen nach seinem Senkrechtstart (die WR berichtete) ins Trudeln geraten würde. Tatsächlich legte die Düsseldorfer Version von „Romeo und Julia“ keine sonderliche Ehre ein. Der Beifall des kundig-kritischen Berliner Publikums im Schillertheater (als Staatsbühne bekanntlich weggespart) war Pflichtübung, mit Buhrufen für die Regie versetzt.

Karin Beier, die schon in der freien Szene mit Shakespeare umsprang und dann von Volker Canaris ans Düsseldorfer Schauspielhaus geholt wurde, setzt das berühmte Paar (Matthias Leja, Caroline Ebner) in eine Szenerie aus industriellen Fertigteilen. Sieht aus wie unter ’ner Autobahnbrücke. Hier können sich die jungen Leute mal richtig austoben – mit Disco-Tanz und Kung-Fu-Kampf.

Eine ganze Spielzeugkiste wird ausgekippt

Einmal hüpft sogar ein lustiger Aufziehfrosch daher. Eine Mixtur aus schöner neuer Fitness-Welt und Spielplatz. Beiers bunte Bühne spielt „Pelle, Petz und Pingo“. Doch solch allzu grelle Farbigkeit wird auf Dauer grau.

Platz für Liebe gibt’s hier natürlich nicht, nur für einen Zoo von wirren Gefühlen. In der gemeinhin als Balkonszene bekannten Sequenz schweben Romeo und Julia auf zwei Schaukeln und plappern wie Papageien. So etwas färbt ab. Auch ernstere Sätze klingen später kindsköpfig.

Leider sonnenklar, was Karin Beier uns beibiegen wollte: daß heutige Jugendliche die alten dramatischen Gefühle nicht mehr aufbringen können. Doch muß sie dazu ihre ganze Spielzeugkiste vor uns auskippen?

Sonderbar, wie sich die Handlung schließlich ins Hoffnungslose wendet. Vielleicht erklärt sich der schroffe Wandel so: Kind lacht. Kind weint. Und wird auch wieder lachen. Aber warum hat man diese Talentprobe gleich zum Berliner Theatertreffen eingeladen? Man hätte Karin Beiers weitere Entwicklung abwarten sollen.

Weißer Mercedes, schnurlose Telefone

Mit ihrer Auswahl von Shakespeare-Umsetzungen hatte die Jury der Theatertage eh keine glückliche Hand. Das zeigte auch Michael Jurgons‘ Schweriner „Othello“-Inszenierung, vorgeführt im Haus des Berliner Ensembles. Das Stück erstickt unter karnevalistischen Einfällen. Vordergründige Modernismen der kaum noch erträglichen Art kommen hinzu. Der eifersüchtige Othello (Dirk Glodde), im Übermaß geschminkt wie ein „Sarotti-Mohr“ und meist äffisch in seinem Gehabe, fährt schon mal im weißen Mercedes vor, und es wird eifrig mit schnurlosen Telefonen hantiert. Man führt DDR-Uniformen spazieren, ein Transvestit sächselt wie einst der verhaßte Staatschef Walter Ulbricht. Wenn ein Regisseur dermaßen Shakespeare nicht für voll nimmt, fällt es auf ihn selbst zurück. Überzeugend freilich der Intrigant Jago (Thorsten Merten), sympathisch-hemdsärmelig und kumpelhaft. Diesem Keri kann man es kaum übel nehmen, wenn er die Militaristen des Stücks gegeneinander hetzt.

Die Sprachmaschine wirft Deutsches aus

Mit einem ungeheuer schwierigen Text von Elfriede Jelinek plagte sich anderntags im Ballhaus Rixdorf zu Berlin-Neukölln ein sechsköpfiges Frauenensemble des Deutschen Schauspielhauses Hamburg (Regie: Jossi Wider): Jelineks „Wolken. Heim.“ versucht sich an sprachlicher Tiefen-Analyse prekären „Deutschtums“, anhand einer Textcollage von Hölderlin bis zum RAF-Bekennerschreiben. Die Zusammenstellung macht nationale Macken dingfest, sperrt sich aber gegen theatralische Umsetzung.

Desto staunenswerter. was die Hamburger daraus gewinnen. Die im Original nicht dialogisch aufgeteilte Textmasse wird zur Partitur für sechs Frauenstimmen, zur bösen Sprach-Maschine, die mit bedrohlichem Singsang immerzu erschreckend Deutsches auswirft. In Anna Viebrocks Bühnenbild zwischen Führer-Bunker, Kaserne und teutonischer Gemütlichkeit verleihen Darstellerinen wie Ilse Ritter und Marlen Diekhoff dem Stoff große Dringlichkeit. Die anwesende Autorin bekam rauschenden Applaus. Da war es wieder: das Glück des Gelingens im Theater.