Das Böse hat Lust auf sich selbst – Michael Köhlmeiers Roman „Die Verdorbenen“

In diesem Roman mag man sich sogleich unheimlich heimisch fühlen, sofern man mit einer ähnlichen Biographie gesegnet (gepeinigt) ist und z. B. in den 1970er Jahren studiert hat.

Der Student Johann, Michael Köhlmeiers Hauptfigur und Ich-Erzähler in „Die Verdorbenen“, verdingt sich zu jenen Zeiten in Marburg nebenher als Tutor, Kneipenhelfer, Songschreiber und Zeitungskolumnist. Aufregend ist sein Leben freilich nicht, zumal in erotischer Hinsicht ist er ein blutiger Anfänger. Überhaupt weiß er nicht, was werden soll.

Allerdings hat der (wie Autor Köhlmeier) aus Österreich stammende Johann schon mit zarten 6 Jahren auf die Zukunftsfrage seines Vaters (Feuilleton-Journalist in der Provinz, glücklich-weltoffen liiert) geantwortet, er wolle einmal im Leben einen Mann töten. Daraus leitet sich der Spannungsbogen des Romans her: Ob er es als Erwachsener tatsächlich vollziehen wird?

Dieser Johann will nun, mit knapp über 20 Jahren, Schriftsteller werden. Er fristet seine banalen, oft langweiligen Tage mit Schreibübungen auf den Spuren Tschechows und Hemingways. Auch Köhlmeier pflanzt mitunter diese knappen, lakonischen Tatsachen-Sätze mit dem „Es-ist-wie-es-ist“-Gestus. Bloß keine Illusionen, bloß keine Ideologie – und das im aufsässig linken Zeitgeist der frühen 70er. Kurzes Textbeispiel: „Das Café hatte geschlossen. Mein Rucksack stand neben der Tür. Ich hängte ihn mir über die gute Schulter. Ich wusste nicht, wie ich aussah…“

Beim Tutorium hat Johann ein scheinbar unzertrennliches Studi-Paar kennen gelernt: Tommi und Christiane, die einander seit Kindertagen zugetan sind. Zwischen den dreien herrschen bald seltsam verschrobene Anziehungs- und Abstoßungs-Kräfte, die anfangs insgeheim, doch zunehmend dringlich etwas Zerstörerisches freisetzen. Ein armseligeres Kerlchen als Tommi, der phasenweise zu Füßen von Christiane und Johann übernachtet und ansonsten emsig putzige Dinge bastelt, ward selten gesehen.

Auf zielloser Flucht vor sich selbst trampt (70er Jahre!) Johann bis Ostende, wo er brutal überfallen wird und sich ebenso brachial wehrt. Zurück in Marburg, findet er den erstochenen Tommi vor. Sollte etwa Christiane…? Bezeichnendes Zitat: „Das Böse hat Lust auf sich selbst, darum kommt es nicht selten zweimal und gleich schnell hintereinander.“ Sage niemand, wir hätten in diesen Zeiten keinen Anlass, über „das Böse an sich“ nachzusinnen.

Gleichsam tonlos, wie Christiane immer zu reden pflegt, klingt der Roman aus. Aus vierzigjähriger Distanz zum vorher geschilderten Geschehen, ein halbes Leben mit Ehen, Kindern und Trennungen später, trifft Johann noch einmal auf Christiane. Wie wichtig ist es denn wohl noch, ob sie in all der Zwischenzeit aneinander gedacht haben?

Michael Köhlmeier: „Die Verdorbenen“. Roman. Hanser. 158 Seiten. 23 Euro.