„Heimat ist auch keine Lösung“ – das Schauspielhaus Bochum hat Recht

Karte Schauspielhaus BO Heimat

Theater-Rezension in exakt 150 Wörtern, Teil II:

Schauspielhaus Bochum „Heimat ist auch keine Lösung“, musikalischer Abend, Premiere 21.1.2012

Nebel wabert. Zieht ins Publikum. Fließt um die Schultern und in die Lungen.

Auf der Bühne: ein Vollmond. Ein Mann, der vom Leierkastenmann singt.

Ein Hafen ist das also. Ein Ort des Aufbruchs. Des Verlassens. Der Hoffnung. Der Wehmut. Des Fernwehs. Ein Ort, an dem die alten Lieder von daheim plötzlich wichtig werden.

„Heimat ist auch keine Lösung“, so hat Thomas Anzenhofer den musikalischen Abend genannt. Recht hat er. Die erste Szene zeigt schon, wohin der Abend führt.

In aller Herren Länder. In alle Gefühle. In schwermütigen kubanischen Jazz, in afrikanische Trommelfreude, in dröhnenden New Wave. Zu Nietzsche, Udo Jürgens, Ton Steine Scherben. Zu Idylle, Fremdsein und Schnaps.

Italienische Mandolinen-Sehnsucht trifft auf jiddische Fiddel-Wut, türkisches Wehklagen auf Hans Albers. Und in „Sweet Home Alabama“ wird gejodelt.

karte schauspiel bo heimat rückseite

SOUND Wispernd. Dröhnend. Verständlich. Je nachdem.

BÜHNENBILD Roh. Video-Leinwand, Bühne, Theke.

VIDEO Live. Abwechslungsreich.

KOSTÜME Tramp-inspiriert. Neuzeit-Stereotypen.

SCHAUSPIELER Alle drei grandios.

HUMOR Aber holla!




Harte Zeiten für Kämpfer – Jürgen Bosse inszeniert Brechts „Im Dickicht der Städte“

Von Bernd Berke

Essen. Schaut nach Mafia-Überfall aus, was sich da in Chicago abspielt: Mit Wortsalven wie aus Maschinengewehren dringen der malaiische Holz-Magnat Shlink und seine Leute in die schäbige kleine Leihbibliothek ein und kujonieren den Angestellten Garga. Ein paar Bücher werden auch zertrampelt. Es ist Kampfeszeit, und Bert Brechts frühes Stück „Im Dickicht der Städte“ ergeht sich in Kampfeslust.

Gestritten werden soll ohne Grund und Motiv, es dreht sich alles um taktische Finessen. Brecht war damals ein Anhänger des Boxsports. Doch Jürgen Bosses Inszenierung in Essen kommt uns nicht mit läppischen Anspielungen auf Henry Maske & Co. Sie ähnelt eher einer fernöstlichen Zen-Meditation über Sinn und Sinnlosigkeit des Kämpfens in kapitalistischen Zeiten. Zumal „Shlink“-Darsteller Matthias Kniesbeck, beleibt und kahlköpfig, hier beinahe wie eine Buddha-Figur wirkt.

Die Bühne (Wolf Münzner) ist zumeist in fahles Licht getaucht; dazwischen ein paar Exotika wie jener asiatische Wandschirm, auf dem sich manchmal die Menschen im Schattenspiel abzeichnen. Die Szenen changieren zwischen überscharfen Umrissen und leicht verhuschten Traumgesichten.

Verlöschendes Feuer im Schneegestöber

Das noch glühende, jugendwilde, aber schon erkennbar genialische und oft außerordentlich sprachkräftige Stück setzt einer Inszenierung Widerstände entgegen. Es handelt ja zu allem Überfluß nicht nur vom Kampf, sondern auch von dessen Unmöglichkeit: Denn die Menschen seien einander so entfremdet, daß sie nicht einmal zur Reibungsnähe eines wirklichen Streites sich zusammenfinden können. Der Regisseur läßt Ungereimtheiten gelegentlich einfach stehen und geschehen.

Nicht sonderlich kühn, aber doch einigermaßen beherzt, schlägt Bosse einen großzügig weiten Bogen über den Text. Und er hält einen gewissen Spannungsgrad bis zum Schluß aufrecht.

Achtbare Leistung des Ensembles, das eben nicht kurzerhand „alle Register zieht“, sondern die vielfach aufs absurde Theater vorausweisende Typen-Komödie mit der nötigen Trennschärfe versieht. Sehr plastisch werden vor allem die Wirkungen des listig-bösen Rollentauschs herausgearbeitet: Shlink überschreibt Garga seinen Holzhandel, er will damit dessen Lebenskonzept zerstören, gewohnte Liebes- und Familienbindungen unterhöhlen. Wir sehen nun, wie sich Shlink zum Philosophen der Macht(losigkeit) wandelt und wie andererseits Garga (Michael Schütz) vom fahrigen Underdog zum stolzierenden Hahn wird – einprägsames Körperspiel.

Am Ende ist „das Chaos aufgebraucht“, wie es im Text heißt. Und das letzte Bild wirkt ganz leer und erschöpft: verlöschendes Feuer im Schneegestöber. Der Kampf ist vorbei, der Mensch ganz allein.