Feilschen und flackern – Doppelpremiere in Bochum: „Minna von Barnhelm“ und „Electronic City“

Von Bernd Berke

Bochum. Doppelter Premieren-Hieb zum Saisonstart am Samstag in Bochum: Karin Beier setzte Lessings Lustspiel „Minna von Barnhelm“ in Szene. Intendant Matthias Hartmann servierte die Uraufführung von Falk Richters Globalisierungs-Stück „Electronic City“. Ein Kontrastprogramm, fürwahr.

Wollte man denn einen kleinsten gemeinsamen Nenner finden, so wär’s wohl dieser: Ökonomischer Druck lastet auf den Menschen mitsamt ihren Liebesregungen (oder dem, was davon bleibt).

Lessing zuerst: Jener Major von Tellheim, schnöde aus dem Militärdienst entlassen, daher zutiefst gekränkt und obendrein verschuldet, weist seine große Liebe Minna von Barnhelm nun von sich. Sein schroffes Ehrgefühl lässt die Verbindung nicht zu. Manche List muss Minna anwenden, um wieder anzubandeln. Geld erweist sich als treibende Kraft.

Den Touch der Kostümierung könnte man mit „mühsam verborgene Verwahrlosung“ umschreiben. Das Dekor (Bühnenbild: Thomas Dreißigacker) wird beherrscht von einer Wand mit grässlicher Nussbaum-Anmutung und einem schäbig ausgeflockten Bodenbelag. Auch eine tückische Klappcouch und piefige Lampen deuten auf frühe 1960er Jahre hin, deren Mobiliar derzeit wieder als todschick gilt. Sonderlichen Sinn für die Inszenierung gibt dieses Ambiente nicht her, es schmeichelt eher unserem schrägen Zeitgeist.

Altjüngferlicher „letzter Versuch“

Fisch oder Fleisch vermisst man gelegentlich auch in der Darstellung, die sich nur phasenweise zum Lust-Spiel bekennt, aber auch nicht ohne Scherzen ins Land gehen mag. Dem Text bleibt man recht treu, doch wird mit der hie und da gehudelt. Die Bemühungen Minnas (Johanna Gastdorf), den verstockten Tellheim (Michael Wittenborn) zurückzuerobern, wirken wie ein altjüngferlicher „letzter Versuch“.

Von Erotik spüret man kaum einen Hauch: Hier laufen eher zähe Verhandlungen zwecks Interessen-Abgleich. Am Ende wollen die beiden einander in entgegengesetzte Richtungen ziehen – landläufiges Gezerre zwischen den Geschlechtern.

Immerhin werden Tellheims Abgründe erahnbar: Der Kerl will lieber noch tiefer sinken, als sich in der Schuld anderer zu fühlen. Ein hölzerner deutscher Charakter, den es in dunkle Tiefen zieht. Gut, dass es die Nebenstränge gibt: Felix Vörtler als Wachtmeister und Angelika Richter als Minnas Zofe Franziska geben ein köstliches Komödien-Duo ab, Franz Xaver Zach als schmieriger – Hotelwirt trägt zum Vergnügen bei.

Zahlen-Codes und Onanie zum Pornokanal

Harscher Szenenwechsel in die Kammerspiele, wo Matthias Hartmann sattsam elektronisches Gerät aufgebaut hat, das freilich (wie er erläuterte) zuweilen nicht funktioniert. Die „hilfreiche“ Hotline habe man am Samstag auch nicht erreichen können. Dennoch: Man sieht ausgeklügelte Video-Sequenzen und Bilder von Live-Kameras, die leibliche Präsenz der Schauspieler (vorwiegend junge, gut gemixte Truppe) wird fast zur Nebensache. Technisch und logistisch ist’s meisterlich, darstellerisch geht die Sache auch in Ordnung.

Stromzufuhr tut not. Schließlich heißt das Stück „Electronic City“. Geschrieben hat’s Falk Richter, Jahrgang 1969. Im Premierenpublikum saß auch „Superminister“ und High-Tech-Fan Wolfgang Clement, der selbst beruflich mit Globalisierung ringt. Hier bekommt man atemlos aufgesagt, was es damit auf sich hat: In allen Metropolen der Erde sieht’s gleich aus, Manager und Hilfskräfte jetten heimatlos um den Globus, sie denken nur noch in Zahlen-Codes. Ansonsten onanieren sie zum Flimmern des Pornokanals im Hotel, um sich dann sofort wieder Laptop und Handy zuzuwenden. Merke: Simulation und medialer Overkill töten die Seele.

Glimmspuren der Zuneigung

Am Ende aber wollen es die Protagonisten Tom und Joy trotz aller Endzeit noch mal mit den Glimmspuren ihrer Zuneigung versuchen. Doch so, wie diese erloschenen Individuen verwechselbar werden, so auch diese Art des simultan tönenden und flackernden Theaters mit seinen überwiegend chorisch gesprochenen Zustands-Behauptungen, etwas Agitprop-Stakkato und Debatten-Geklingel plus Traumspiel-Fasern. Es bleibt kaum ein Rest von Geheimnis.

Hartmann lässt de sterilen Spuk die vielleicht bestmögliche Aufbereitung angedeihen. Mit diesem Text hält die Inszenierung allemal Schritt, mehr steckt kaum drin.




Halbherzig: „Ada und Evald“ von Monika Maron in Wuppertal uraufgeführt

Von Bernd Berke

Wuppertal. Monika Maron DDR-Autorin, Jahrgang 1941, hat ein Prosastück geschrieben, einige Mono- und Dialoge hineinverwoben und das Ganze ..Ada und Evald. Ein Stück“ genannt. Wuppertals Bühnen nahmen das Titelanhängsel „Ein Stück“ wörtlich und brachten „Ada und Evald“ als Uraufführung.

Schon im Vorfeld dieses Ereignisses hatte es Auseinandersetzungen gegeben. Schauspieldirektor Dieter Reible zog, unzufrieden mit erreichten Resultaten, die Regie-und Bühnengestaltung an sich, die Premiere mußte verschoben werden. Man ahnt nun, wo die Probleme gelegen haben könnten. Das „Stück“ ist eher zum Lesen geeignet, es wirkt im Theater deplaziert.

Schriftstellerin Ada (Andrea Witt) liebt den Schriftsteller Evald (Michael Wittenborn), weil der sich ihr entzieht. Evald übertüncht seine innere Leere, indem er Weltschmerz- und Geniephantasien nachhängt. Ada will, „daß etwas passiert“, will Leben und Hoffnung, Evald werden hingegen alle Weltübel zum Anlaß für Texte, die er sich abringt. Beziehungs-Elend also, die Frau vornehmlich Opfer. Zwei (von Schauspielern dargestellte) Wachsfiguren spiegeln als „zweite Ichs“ das Titelpaar wider.

In einer mehrfach aufgegriffenen Kneipen-Szene erscheint ein Herr „X“ (Bernd Kuschmann), der den Humanismus für tot erklärt und düster über „Schuld und Geschichte“ palavert. Angeblich soll DDR-Dramatiker Heiner Müller bei dieser Figur Pate gestanden haben. Er wird’s verwinden. Ferner treten auf: die Figur „Suizi“ (Franz Träger), in Ada verliebter Selbstmordkandidat, ein versoffener Prediger (Johannes Schütz), geschwätzig das Weltende zum Neubeginn erklärend und – Berliner „Pflanze“ – die Malerin Clairchen (Rena Liebenow mit dem meisten Applaus), die in einer naturmagischen Szene mit einem Baum vermählt wird.

Das Stück hat einige lichte Momente, doch vielfach fallen nur sprachlich kraftlose Gedankenbröckchen und ausgelaugte Bilder ab. Unsäglich erscheint mir jene gereizte Szene über geraubte Wörter: „Freiheit, Sehnsucht, Hoffnung, Glück. Wir hol’n die gestohlenen Wörter zurück“, heißt es mehrfach im Chor. Dazu Ringelpiez mit Anfassen. Das provozierte höhnischen Beifall auf offener Szene.

Einige starke Einfälle (zu Beginn auf erhöhter, rundum schwarz verhangener Bühne eine Szene „in Breitwandformat“) können den insgesamt halbherzigen Zugriff der Regie nicht verhüllen. Ob dieser Text überhaupt mit Theatermitteln greifbar ist – diese Frage konnte die Uraufführung noch nicht befriedigend beantworten.

Monika Maron, über die das Programmheft sträflicherweise nichts mitteilt, und das Ensemble nahmen einen eher höflich zu nennenden, den schauspielerischen Leistungen angemessenen Durchschnittsbeifall entgegen.




Bühnen-Effekte aus der Trickkiste – Wuppertaler Premiere „Alice im Wunderland“

Von Bernd Berke

Wuppertal. Im Wunderland der Theater-Effekte glaubte man sich zeitweise zu befinden, und das war gar nicht verwunderlich: Auf dem Programm der Wuppertaler Bühnen stand schließlich die Premiere von „Alice im Wunderland“.

John V. Baer und Götz Burger zeichneten für Dramatisierung und Inszenierung der Geschichte verantwortlich. Lewis Carrolls 1864 für ein Kind geschriebene Erzählung ist – wie so vieles, was Kindern in Buchform angedient wird – eigentlich eine hochintellektuelle Spielerei. Da geht es zum Beispiel um Überlappungen von Traum und Wirklichkeit. Mathematik- und Logik-Dozent Carroll konnte sein Metier kaum verleugnen. Sein Welterfolg behandelt – im Gewand des Märchens – Probleme der Wahrnehmung, der Identität und der Erkenntnis, die bisweilen zu aberwitzigem Nonsens vorangetrieben werden.

Sehr zweifelhaft, ob die etwa fünf- bis achtjährigen Kinder, die einen Großteil des Wuppertaler Premierenpublikums ausmachten, sich an solchem philosophischen und psychologischen Stoff laben können. Sie wurden aber durch optische „Zaubereien“, zuweilen an Effekthascherei grenzende Licht- und Kulissenspiele und sehr phantasievolle Kostüme entschädigt. Gerd Rohde (Bühnenbild) und Gralf-Edzard Habben (Kostüme) griffen ganz tief in ihre Trickkiste. Zwisehen stroboskop-zerhackten, unwirklichen Szenen und üppigen Blumenarrangements konnte man sich so richtig sattsehen. Mit der Ausstattung der Szenen hielt man sich eng an die in der Taschenbuchausgabe abgedruckten Illustrationen von John Tenniel.

Die zehnjährige Kirsten Bartholmai in der Titelrolle (sie wird sich im Lauf der Zeit mit Nadine Kettler abwechseln) verband kindliche Spontanität mit erstaunlicher Textsicherheit. Aus dem Ensemble jemanden besonders hervorheben, wäre ungerecht, da die Gruppenszenen mit grotesken Tierfiguren eben auf gemeinsamer Leistung basieren.

Immerhin fiel Michael Wittenborn auf, der als Frosch-Lakai bzw. als Hutmacher sein Talent zur slapstickreifen Darstellung entfaltete. Meist gerieten die Gruppenszenen recht lebendig. Allzu lebendig für manche. Bei einer Tanzeinlage rief ein Junge aus dem Publikum: „Ich dachte, wir wär’n im Theater und nicht in der Disco“.

Lediglich zwei Szenen (die mit dem „ewigen Fünf-UhrTee“ und die mit der „falschen Suppenschildkröte“) zogen sich zäh dahin. Viele Kinder begannen hier unruhig auf ihren Stühlen zu rutschen, manche murrten auch. Die Gesamtspieldauer von zwei Stunden verlangte ihnen eh viel Geduld ab.

Bemerkung am Rande: Das Programmplakat bringt nur reichlich hochgestochene Texte für Erwachsene – vom Essay Christian Enzensbergers bis hin zum Zitat des Surrealisten Breton. Was sollen Kinder, für die diese Aufführung doch gedacht ist, damit anfangen?