Wundersam fröhlich: Milan Kundera feiert „Das Fest der Bedeutungslosigkeit“

Es schien, als sei Milan Kundera literarisch verstummt, hatte doch der Autor, der 1975 seine tschechische Heimat verließ und seitdem in Paris lebt, viele Jahre keinen Roman mehr veröffentlicht. Doch jetzt, mit 85 Jahren, meldet er sich zurück. Mit einem Roman, der mit melancholischer Heiterkeit und humorvoller Eleganz ein ironisches „Fest der Bedeutungslosigkeit“ zelebriert.

Milan Kundera zählt zu jenen Autoren, die schon deshalb zeitlos allgegenwärtig sind, weil die Titel ihrer Romane – „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ – einen philosophischen Fantasieraum aufschließen und geradezu sprichwörtlich wurden. Und weil sie beim Schreiben immer auch über die Bedingungen und Absichten des Schreibens nachdenken.

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Und so ist es auch jetzt wieder, als schaue sich Kundera beim Formulieren zu und habe unendlichen Spaß daran, mit seiner Rolle als Erzähler zu jonglieren. So lässt er einen gewissen Ramon (eine literarische Figur, die seinem Erfinder sehr ähnlich ist) die von Kundera in seinen Werken schon mehrfach variierte existenzielle Philosophie der Negation auf den Punkt bringen: „Die Bedeutungslosigkeit“, sagt Ramon, „ist die Essenz der Existenz. Sie ist überall und immer bei uns. Sie ist sogar dort gegenwärtig, wo niemand sie sehen will: in den Greueln, in den blutigen Kämpfen, im schlimmsten Unglück.“

Die List der Dialektik weiß natürlich, dass – wenn nichts wirklich von Bedeutung ist – auch der Roman, an dem Kundera mit Hilfe von Ramon gerade feilt, nichts bedeutet, nur ein Zeitvertreib ist, ein Spiel, eine Illusion. Dies zu verstehen, macht aber auch frei und fröhlich. Und so wird ihm die Bedeutungslosigkeit zugleich auch zum „Schlüssel zur Weisheit“ und zum „Schlüssel zur guten Laune.“

Ja, Kundera ist wahrhaftig gut gelaunt, lässt Hegel und Stalin, Schopenhauer und Chruschtschow aufmarschieren, um sie zu karikieren und zu unfreiwilligen Zeugen der Bedeutungslosigkeit zu machen. Ob Krieg und Katastrophen, Literatur und Kunst, alles nur trostloser Tand.

Um noch einen letzten Erzähl-Walzer zu tanzen, lässt Kundera einige Herren durch Paris flanieren: Alain beobachtet junge Frauen und sinniert über die Erotik des Bauchnabels. Ramon würde sich gern eine Chagall-Ausstellung anschauen, kapituliert aber vor der langen Museumsschlange. Charles reißt politische Witze und organisiert Cocktailpartys, auf denen Caliban, ein Schauspieler ohne Engagement, als Aushilfskellner jobbt. Schließlich D´Ardelo, der sich eine erfundene Krebserkrankung zulegt und sich über seine eigenen Lügen amüsiert.

Ach ja, ein paar Frauen huschen auch noch kurz durchs Bilder-Gestöber: Eine junge Portugiesin, die, weil sie kein Französisch beherrscht, nur nonverbal kommuniziert. Oder eine schwangere Frau, die beim Versuch, sich zu ertränken, ihren vermeintlichen Lebensretter tötet und nun mit der Schuld weiterleben muss, aber ihrem verpfuschten Leben eine ganz neue Bedeutung geben kann.

Kundera umkreist seine Figuren, begegnet ihnen kurz und entlässt sie dann wieder in das Straßenlabyrinth von Paris, in die Freiheit und zum Fest der Bedeutungslosigkeit.

Milan Kundera: „Das Fest der Bedeutungslosigkeit“. Roman. Aus dem Französischen von Uli Aumüller. Hanser Verlag, München. 140 Seiten, 16,90 Euro.




Schwierige Heimkehr nach dem Exil – Milan Kunderas Roman „Die Unwissenheit“

Von Bernd Berke

Prägnante Thesen stellt der tschechische Schriftsteller Milan Kundera, der seit 1975 in Paris lebt, seit jeher gern auf: Die (Alp)-Träume aller Menschen im Exil gleichen sich aufs Haar, behauptet er im Roman „Die Unwissenheit“.

Im Zentrum seiner streckenweise aufregenden Geschichte steht Irena, die nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten 1968 in Prag ihre Heimat verließ und just nach Paris übersiedelte. Nach der europäischen Wende des Jahres 1989 könnte sie den „Rausch der Großen Rückkehr“ (Kundera) auskosten und an ihr damals abgerissenes Leben anknüpfen. Kann sie es wirklich?

Das erste Wiedersehen mit ihren tschechischen Jugend-Freundinnen verläuft kläglich. Französischen Wein hat sie ihnen mitgebracht, doch die etwas gealterten Mädels trinken allesamt Bier, um ihre Prager Identität zu betonen. Ein Zeichen der Entfremdung.

Ähnlich ernüchternde Erfahrungen beim Versuch einer „Heimkehr“ macht Josef, der einst ins dänische Exil ging und nun ebenfalls Mühe hat, das Jetzt mit dem Damals zu verknüpfen. Dieser Riss in den beiden Lebensgeschichten kann offenbar nicht verheilen.

Diese große Leere um die Inseln des Gedächtnisses

Geradezu schattenhaft hat sich die einst so heiß gelebte und durchliebte Vergangenheit verflüchtigt. An diesen Befund knüpft Kundera lebensphilosophische Überlegungen. Zwar verankert er die Erzähl-Passagen in den historischen Zeitläuften, doch greift die Reflexion ins allgemein Menschliche aus, als hätten wir auf Erden letztlich alle eine Art Exil-Erfahrung gemacht: Woran erinnern wir uns überhaupt? Gibt es nicht eine große Leere rund um die kleinen Inseln des Gedächtnisses? Wie findet man in solchen Partikeln, in solcher „Unwissenheit“, sich selbst und den Zusammenhang wieder? Spannende Fragen, fürwahr.

Ohne erotische Beweisführung geht’s bei Kundera kaum: Wie im Experiment führt er Irena und Josef zusammen; zwei Menschen mit parallelen Biographien, die einander vielleicht die so arg vermisste Heimat werden könnten. Ihr Treffen beginnt verheißungsvoll: Schon ein paar tschechische Wörter wecken die lang entbehrte Geilheit. Sprache als Aphrodisiakum…

Prägeform jeglicher Nostalgie (sprich: Sehnsucht nach Rückkehr) ist für Kundera das Schicksal des Odysseus, der nach langer Irrfahrt zu Penelope heimkam. Doch hat er dort dauerhaft Halt gefunden?

Milan Kundera: „Die Unwissenheit“. Hanser-Verlag. 180 S.. 35 DM.

Das Buch wird heute (ZDF, 22.15 Uhr) im „Literarischen Quartett“ besprochen.




Die Notwendigkeit des anderen Menschen – Milan Kunderas neuer Roman „Die Identität“

Von Bernd Berke

In Buchtiteln von Milan Kundera mischen sich oft Gelächter und gelinde Verzweiflung. Sprichwörtlich wurde „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“.

Der Tscheche, der seit 1975 in Frankreich lebt und 1987 den Dortmunder NellySachs-Preis erhielt, schrieb auch „Der Scherz“, „Das Buch der lächerlichen Liebe“ und „Das Buch vom Lachen und Vergessen“. Heute kommt sein neuer Roman „Die Identität“ in unsere Buchhandlungen. Jenseits des Rheins war’s der Bestseller Nummer eins.

In 51 kurzen Kapiteln wirft Kundera Schlaglichter auf die Liebesbeziehung zwischen Chantal und Jean-Marc. Sie ist ein wenig älter als er, hat eine Ehe und den Tod ihres Kindes erlitten und arbeitet nun gut dotiert in einer Werbeagentur. Er vagabundiert hingegen etwas ziellos im Alltag umher.

Auch dieser Roman hat etwas Vagabundierendes, er sammelt Impressionen ein, fast wie im zufälligen Vorübergehen. Kundera will den Momenten der Liebe nicht gleich einen Zusammenhang aufpfropfen, sondern das Vage und Unsichere einer solchen Verbindung aufleuchten lassen. Der Flüchtigkeit kommt er mit flüchtigen Mitteln bei.

Zurück zur Liebe. Wie sollen es die zwei ohne einander aushalten? Um ihre Gefühle zu prüfen, stellt sich die Frau den Verlust des Mannes vor, der Mann gar den Tod der Frau, „denn Chantals Tod begleitete ihn, seit er begonnen hat, sie zu lieben“. Angst erregende Vorboten des endgültigen Abschieds sind jene Augenblicke, in denen die Liebenden einander mißverstehen, weil sie just die Identität des anderen nicht mehr erkennen.

Es fragt sich, worin die Liebe noch gründet

Diese plötzliche Entfernung voneinander gipfelt in gänzlich verwirrender Verwechslung: Jean-Marc spricht eine fremde Frau an, die er irrtümlich für Chantal hält. Wie also sollen sie es unter solchen Vorzeichen noch miteinander aushalten?

Auf den Konflikt steuern die Geschichten-Splitter zu, als Chantal von einem Unbekannten reihenweise Liebesbriefe erhält. Sie, die neuerdings fürchtet, die Männer könnten sich bald nicht mehr nach ihr umdrehen, genießt die postalischen Huldigungen und verbirgt sie (im Kleiderschrank unter den BHs) vor Jean-Marc. Sie rätselt, wer wohl die zärtlichen Episteln geschrieben hat, wer sie da tagtäglich heimlich beobachtet. War’s der Bettler an der Straßenecke? Oder war es gar Jean-Marc selbst? Dann ahnte er ja, daß sie die Blätter versteckt. Identität wird zum Ratespiel, Vertrauen schwindet…

Fragt sich also, worin sich die Liebe noch gründet – nur in der Angst vor dem Verlust? Solchen Existenz-Fragen spürt das Buch anhand vieler kleiner Beobachtungen nach. Die Szenenfolge mündet schließlich doch im Plädoyer für dauerhafte Liebe. Gegen alle Unbill, gegen alle Gier nach Freiheit und erotischem Wechsel.

Kundera ist niemand, der geradewegs drauflos erzählt, pralle Epik ist seine Sache nicht. Lebensstoff wird mit Reflexion durchdrungen, die oftmals in aphoristischer Verdichtung daherkommt. So benennt Kundera z. B. die „drei Arten der Langeweile“, die der Mensch tagtäglich zu bekämpfen suche, oder er ermißt jenes Phänomen der Freundschaft, das letztlich auch einen Kern der Liebe ausmacht: Jeder Mensch bedarf zumindest eines anderen, der seine Taten und sein Fühlen über die Jahre hinweg bezeugt. Denn sonst verlöre man seine Identität. Und dann wäre das Sein unerträglich leicht…

Milan Kundera: „Die Identität“. Roman. Hanser Verlag. 163 Seiten. 42 DM.




Die schnelle Gegenwart ist wie ein Spuk – Milan Kunderas Roman „Die Langsamkeit“

Von Bernd Berke

„Weshalb ist das Vergnügen an der Langsamkeit verschwunden? Ach, wo sind sie, die Flaneure von einst?“ So klagt Milan Kundera in seinem neuen Roman. Weiß er auch Rat und Hilfe?

Wer aus einem schlichten Überhol-Vorgang mit dem Auto einen literarischen und philosophischen Exkurs über „Die Langsamkeit“ (Buchtitel) entwickelt, muß seiner Mittel sehr sicher sein. Bei dem berühmten Tschechen („Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“), der seit vielen Jahren in Frankreich lebt, muß man nicht bangen. Neben dem Schweden Lars Gustafsson ist Kundera derjenige Gegenwartsautor, der hohe Reflexion und pralle Handlung am souveränsten verknüpft. Kein Vergleich mit dem schönen, aber konventionellen Themen-Vorläufer des Deutschen Sten Nadolny, der vor Jahren „Die Entdeckung der Langsamkeit“ betrieb.

Kundera hält die Romanform ungleich durchlässiger, offener. Ein Auslöser ist Vivant Denons Novelle „Nur eine Nacht“ aus dem 18. Jahrhundert über die Ehefrau eines Marquis und ihre erotische Eskapade mit einem Zweit-Liebhaber. Dem sagt sie nicht eilends: „Geh’n wir zu mir oder zu dir?“ Nein, sie betreibt im Vorfeld des Liebesspiels raffinierte Konversation, somit lustvolle Verzögerung. Keine wilde Jagd nach schnellen Multi-Orgasmen, sondern sorgsame Steigerung des Verlangens, selbst bei einer Eintages-Beziehung.

Kundera folgert: Aus solcher Langsamkeit erwächst wohlige Erinnerung, die heutige Rasanz hingegen fördere nur das Vergessen und Verschwinden. Die Essenzen der alten Novelle spielt Kundera auf verschiedenen Gegenwarts-Ebenen durch. Beobachter ist ein Autor, der mit seiner Frau ein abgelegenes Schloß aufsucht, wo sich all seine Gestalten wie im Spuk begegnen: zum Beispiel Vincent, Abgesandter einer hochmütigen Intellektuellen-Clique. Er steht für jene Ungeduld, die stets auf Revolte aus ist. Ein Gegenpol ist Berck, nur noch auf TV-Kameras begieriger Politiker und Eintänzer populärer Meinungen. Er steht für die Hatz nach Ruhm.

Historische Umbrüche nur als Minutendramen

Eile, wohin man auch blickt. Und schließlich ist da ein gleichsam aus der Zeit gefallener – tschechischer Insektenforscher, der ehemals von Kommunisten des Amtes enthoben und auf den Bau geschickt wurde. Nun, beim West-Kongreß nach der „Wende“ wird er zunächst mit Rührung betrachtet, dann aber alsbald wie ein Tölpel verhöhnt. Denn selbst ein epochaler Vorgang wie der Zusammenbruch des Realsozialismus ist im Zeitalter der Geschwindigkeit nur noch ein historisches Minuten-Thema. Und überhaupt: Die Krisengebiete des Erdballs verdrängen einander im löchrigen Gedächtnis der Medien-Konsumenten durch das schiere Tempo der Katastrophen.

Und so geraten auch die Figuren in einen Zustand der Formlosigkeit. Als würden sie allesamt vom Sog oberflächenglatter Schnelligkeit erfaßt, kommen sie in einer Art Geister- und Hexentanz samt erotischer Walpurgisnacht zusammen. Die ganze Historie mit ihren ehemals feinen Unterschieden droht als einziger Klumpen im Orkus der Gegenwart zu verschwinden.

Gegen derlei „postmoderne“ Gefahren setzt Kundera beschwörend (und nur verhalten hoffend) seine Wunschbilder der Langsamkeit. Man möchte ganz genüßlich langsam lesen, um dem Titel zu entsprechen – und tut’s doch schnell, weil Kundera mitreißend schreibt.

Milan Kundera: „Die Langsamkeit“. Roman. Hanser-Verlag. München. 150 Seiten. 34 DM.