Uneitle Spielfreude: Mitsuko Uchida und das Mahler Chamber Orchestra begeistern im Konzerthaus Dortmund mit Mozart

Die Pianistin Mitsuko Uchida, Trägerin der „Goldenen Mozart-Medaille“ und des „Praemium Imperiale“, ist seit 2016 Artistic Partner des Mahler Chamber Orchestra (Foto: Justin Pumfrey)

Was hat dieser Wolfgang Amadeus Mozart nicht alles in seine Klavierkonzerte gesteckt! Verschiedenste Welten sind darin enthalten, Biotope eigener Natur, über deren Vielfalt sich nur fassungslos staunen lässt.

In ihnen begegnet uns der Opernkomponist, der Kammermusiker, der Lebemann und der Tragiker, der Konzertpianist und der Sinfoniker. Mit leichter Hand zieht Mozart einen überraschenden Joker nach dem anderen aus dem Ärmel.

Wie schwer das scheinbar Mühelose zu erreichen ist, lassen die Pianistin Mitsuko Uchida und das Mahler Chamber Orchestra im Konzerthaus Dortmund völlig vergessen. Die britische Pianistin japanischer Herkunft, die an diesem Abend zwei Mozart-Konzerte vom Flügel aus dirigiert, steckt alle im Saal mit ihrer überströmenden, gänzlich uneitlen Spielfreude an. Sie befeuert das Orchester, das ihr hellwach folgt: mit schlankem Klang, wenig Vibrato und beredter Agogik. Sie spürt Mozarts Partituren bis in die feinsten Verästelungen nach, meist quirlig vital, in den langsamen Sätzen aber auch mit stiller Wahrhaftigkeit.

Das mit zahllosen Charakteren jonglierende Konzert Nr. 17 G-Dur (KV 453) im Innersten zusammen zu halten ist ein Kunststück, das Uchida mit Leichtigkeit gelingt. Von der entwaffnenden Klarheit und Natürlichkeit ihres Spiels fordert die Position des dirigierenden Solisten aber doch einen kleinen Preis. Der Klang des Flügels, mittig und ohne Deckel im Orchester aufgestellt, büßt etwas an Kontur ein und hat im Dialog mit dem Orchester ein paar Probleme mit der Balance zur Folge.

Am hohen Niveau der Interpretationen kommt gleichwohl kein Zweifel auf. Das Konzert Nr. 22 Es-Dur (KV 482) entzückt mit dem imperialen Ton von Pauke und Trompeten, mit wunderbar empfindsamen Dialogen der Holzbläser und mit der trüb gefärbten, milden Klage im Andante. Uchida steigert sich immer weiter in Mozarts virtuose Läufe hinein: Hier brilliert eine Künstlerin, der es völlig fern liegt, glänzen zu wollen.

Die Deutsche Erstaufführung von Jörg Widmanns Choralquartett in der Fassung für Kammerorchester wirkt zwischen den beiden Klavierkonzerten keinesfalls wie ein Einschnitt. Widmann bezieht sich ausdrücklich auf alte musikalische Traditionen, hier insbesondere auf die „Sieben letzten Worte“ von Joseph Haydn. Das Werk beginnt stockend, mit leisen Einzeltönen und vielen Pausen. Das Mahler Chamber Orchestra zaubert auf der nun dämmrig abgedunkelten Bühne eine dichte, wie vom Nebel umflorte Atmosphäre, die von gelegentlich aufzuckenden Klangeruptionen nicht durchbrochen wird. Flöte, Oboe und Fagott steuern vom ersten Rang herab wunderbare Klangfarben bei.

Vermutlich hat Mitsuko Uchida hinter der Bühne interessiert gelauscht. Mit einem kurzen Stück von Arnold Schönberg zeigt sie in einer Zugabe, dass ihre Sympathien nicht nur Mozart, Beethoven und Schubert, sondern auch der musikalischen Moderne gelten.

(Der Text ist in ähnlicher Form zuerst im Westfälischen Anzeiger erschienen.)




Noble Gemessenheit: Mitsuko Uchida und das Mahler Chamber Orchestra in Dortmund

Ein Leben lang mit Mozart vertraut: Mitsuko Uchida. Foto: Richard Avedon

Ein Leben lang mit Mozart vertraut: Mitsuko Uchida. Foto: Richard Avedon

Mitsuko Uchida in Deutschland zu erleben, ist ein exklusives Vergnügen: Eben von einer Tournee aus Japan zurück, konzertierte die Wiener Pianistin mit japanischer Herkunft und Londoner Wohnsitz mit dem Mahler Chamber Orchestra zwei Mal – in Berlin und im Konzerthaus Dortmund.

Im Januar 2017 gibt es Auftritte in Hamburg, München, Frankfurt, im Februar in der neuen Elbphilharmonie – und im Frühsommer im Ruhrgebiet, wenn Mitsuko Uchida ihr Versprechen einlöst, das wegen Krankheit ausgefallene Konzert beim Klavier-Festival Ruhr 2016 im kommenden Jahr nachzuholen.

In Dortmund präsentierte sich die Pianistin mit einem Komponisten, der wie kaum ein anderer die 35 Jahre ihrer internationalen Karriere prägt: Sie dirigierte und spielte die beiden Klavierkonzerte KV 453 und KV 503 von Wolfgang Amadeus Mozart, die sie jüngst mit dem Cleveland Orchestra auch für die CD aufgenommen hat. Ein Programm, das zeigt, wie intensiv sich die Künstlerin ein Leben lang mit Mozart auseinandergesetzt hat – nicht nur mit dem Werk für Klavier, sondern zum Beispiel auch mit den Opern, die sie sich studierend angeeignet hat. So ist ihr das „Sprechende“ in Mozarts absoluter Musik ebenso vertraut, wie sie das „Absolute“ in seiner Bühnenmusik wiedergefunden haben dürfte.

In ihrem aktuellen Mozart-Spiel bleibt Mitsuko Uchida, betrachtet man es im Spannungsfeld zwischen diesen Polen, eher auf der Seite des „Absoluten“. Rhetorische Überraschungsmomente, humorvolle Zuspitzungen, der Aufbau drängender Spannung sind ihre Sache nicht. Auch flottes Tempo und energischer Drive, mit denen ein Modedirigent wie Teodor Currentzis gerade seine Gemeinde entzückt, fallen bei ihr nicht ins Gewicht. Uchidas Mozart ist einer der noblen Gemessenheit, der lichtvollen Balance, der Vertiefung ins Detail wie in den großen Atem.

Der Weg zur Verinnerlichung öffnet sich

Dabei gäbe ein Konzert wie das in G-Dur die Gelegenheit, opernhafte Rhetorik auszuspielen, mit Chromatik, Moll-Trübungen, arios ausschweifenden und rhythmisch strikten Momenten zu jonglieren. Im ersten Satz lässt Uchida das Orchester den starren Marschrhythmus betonen, dem sich das Soloinstrument erst einmal unterwirft, bis es sich in aparten Verzierungen und melodischer Selbständigkeit emanzipiert. Frisch und offen bleibt der Ton, kein Grübeln verschattet diesen Einstieg.

Erst das ausdrucksvolle Andante öffnet den Weg zur Verinnerlichung: Sehr weit geatmet, elegisch in der Haltung, von ätherischen Holzbläsern flankiert, vertieft sich Mitsuko Uchida in die Kantilenen, spielt so selbstvergessen, als stünde ein Romantiker wie John Field neben ihr. Das Mahler Chamber Orchestra wirkt hin und wieder unentschieden, als seien sich die Musiker über das Tempo nicht sicher; entsprechend vorsichtig klingt die Phrasierung. Hat sich die Pianistin da in Träumerei verloren? Der Finalsatz baut zunächst keinen Kontrast auf, wirkt wie ein gemüthaftes Tänzchen für ältere Herrschaften, ohne das „Feuer“ des dreißigjährigen Mozart. Uchida scheint Empfindung zu fordern, erreicht erst im Presto eine durch Noblesse gedämpfte Energie.

Der Weg zur Beethoven zeichnet sich ab

Auch das C-Dur Konzert (KV 503) kommt in der Haltung eher bedächtig daher. Unverkennbar soll die pompöse Eröffnung auf Beethoven vorausweisen; Die Pianistin bildet mit ihrem gebremsten, fast schon trocken-brillantem Spiel einen reizvollen Kontrast zu dem ausdrucksgeladenen, symphonisch gedachten Orchester. Aber Mitsuko Uchida wäre nicht die intime Kennerin Mozarts, verfolgte sie nicht einen subtilen Plan. Der offenbart sich spätestens im Andante, wenn sie die expressive Orchestersprache auf den Flügel überträgt, in einer atemberaubend vielschichtigen Phrasierung und mit der Nuancierung einzelner Töne jeden Takt mit Ausdruck gewichtet. Das Finale ist mit vollsaftigen Bläserfarben und dem auftrumpfenden Solopart wieder ein deutlicher Fingerzeig auf den Bonner, der zehn Jahre nach Mozarts Tod zu seiner einzigartigen Wiener Karriere durchbricht.

Was für ein vorzügliches Ensemble das Mahler Chamber Orchestra ist, war in der Region schon häufig zu erfahren. Mit Béla Bartóks Divertimento für Streichorchester bestätigen die Musiker ihren Ruf voll und ganz. Eine innere Übereinstimmung, eine auserlesene Spielkultur, ein souveräner Wille zum Ausdruck – hörbar in jedem Moment einer fabelhaft konzentrierten Interpretation, die das untergründig Lauernde, die verstörenden Verschattungen in dieser scheinbar so unbeschwerten Musik ebenso freilegt wie ihre kraftvolle Dynamik, ihre rhythmische Lebenslust und ihre spritzige Freude an der Farbe. Grandios!




Revolution und Esprit: Mitsuko Uchida spielt und erklärt Beethovens Diabelli-Variationen

Uchida2_Decca_Justin_Pumfrey_sml„Ach, ich könnte Ihnen stundenlang etwas erzählen“! Ja, die japanische Pianistin Mitsuko Uchida, die in Wien aufwuchs, dort ihre Karriere begann und inzwischen längst eine Meistersolistin ist, hat den Kopf voller Worte. Die ihr nur so heraussprudeln, ganz unbändig, sodass sie immer wieder die Ordnung der Gedanken nahezu erzwingen muss. Ihre so lustvoll bewältigte Last ist aber zugleich des Publikums Freude. Das lauscht in Essens Philharmonie so amüsiert wie konzentriert den Ausführungen Uchidas zu Beethovens Diabelli-Variationen.

„Piano Lecture“ nennen die Veranstalter dieses Format. Berühmte Solisten spielen nicht nur ihr Programm, sondern erläutern es auch. Dabei bleibt es den Klavier-Künstlern selbst überlassen, wie sie diesen Abend zwischen musikalischer und verbaler Interpretation gestalten. Uchida wählt, wohl aus Gründen der besseren Konzentration, den Weg, das klingende Werk vor die Erläuterungen zu stellen.

Ludwig van Beethoven vollendete die 33 Variationen über ein Thema Anton Diabellis 1823, da waren die letzten drei großen Sonaten bereits komponiert. Skizzen reichen indes auf das Jahr 1819 zurück. Der Dirigent und Pianist Hans von Bülow nannte die Variationen einen Mikrokosmos des Beethovenschen Genius. Tatsächlich findet sich in diesem gut 50 Minuten langen Werk des Meisters revolutionärer Geist, zarteste Empfindsamkeit und ironisches Augenzwinkern aufs Schönste gespiegelt. Verbunden mit klingenden Verbeugungen vor Johann Sebastian Bach und Mozart.

Uchidas Zugang konzentriert sich entsprechend darauf, die Variationen in ihrem jeweiligen Charakter zu erfassen, mit variablem Anschlag, Leidenschaft und Kraft, mit Sinn für die Reflexion des Poetischen. Das gelingt ihr zunächst nur bedingt, die Pianistin wirkt ein wenig verkrampft, wenn sie auf Beethovens Unerbittlichkeit pocht und Spannungsverläufe hervorheben will. Doch mehr und mehr reichert Uchida ihre Deutung mit Klangnuancen, variabler Gestaltung oder quirliger Virtuosität (ganz ohne Attitüde) an. Sie dringt in Tiefen vor, im Stile einer philosophische Reflexion.

Später sagt sie: „Beethoven wollte mit jeder Note die Welt ändern“, oder „Die letzte Variation, Tempo di minuetto moderato, ist die Weisheit selbst“. So pendelt diese „Piano Lecture“ zwischen dem Ernst des Musizierens und dem Überschwang des Erklärens. Erhabenes dort, Esprit hier – das Publikum applaudiert begeistert.

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Die nächste „Piano Lecture“ in der Essener Philharmonie gestaltet die französische Pianistin Lise de la Salle am 16. Februar 2014 (Sonntag, 11 Uhr). Thema sind die 24 Préludes von Frédéric Chopin.

www.philharmonie-essen.de




Über dem Abgrund

Obwohl sie oft nur wenige Straßen voneinander entfernt wohnten, sind Franz Schubert und Ludwig van Beethoven sich wohl nur flüchtig begegnet. Zur Verehrung des 27 Jahre jüngeren Schubert für den großen Meister, der auf dem Höhepunkt seines Ruhmes stand, gesellten sich Respekt und Scheu bis hin zur Verzagtheit („Wer vermag nach Beethoven etwas zu machen?“).

Wie sehr er gleichwohl über Beethoven hinaus wollte, hinaus musste, klingt in seinen drei letzten Klaviersonaten an, geschrieben in den zwei Monaten vor seinem frühen Tod im November 1828. Schmerzlich schwanken diese Sonaten zwischen Dur und Moll, zwischen zarter Anmut und donnerndem Ausbruch. Ihre Melodien stocken, reißen oft gänzlich ab, lauschen ins Nichts hinein.

Die japanische Pianistin Mitsuko Uchida interpretiert Schuberts letzte Klaviersonaten im Konzerthaus Dortmund als Resümee einer lebenslangen Auseinandersetzung. Mit Schwung geht die Künstlerin die Sonate c-Moll D 958 an, verleiht ihr eine prasselnde Prägnanz, die Mozarts kristalline Klarheit mit Beethoven’schem Ingrimm vereint. Das entbehrt nicht einer gewissen Aggressivität, rückt den modernen Steinway-Klang indes auch an den des historischen Hammerklaviers. Uchidas Spiel klingt zupackend, aber auch nach Übungsfleiß und Exerzitien. Dass sie sich dabei überhastet, zieht leichte Fehlgriffe nach sich.

Im Kopfsatz der Sonate A-Dur D 959 wirkt diese Unruhe nach. Einigen duftig eingestreuten Skalen zum Trotz bleibt Uchidas Fingerfertigkeit überpräsent. Das Andantino bringt stille Melancholie ohne Weltschmerz. Aber im Schlusssatz gönnt die Pianistin uns eine jener Schubert-Melodien, die scheinbar leicht daher geschlendert kommen und sich doch ins Unendliche verströmen. Im Fluss dieses Legato-Spiels leuchtet das Genie des Komponisten auf, der einer ganzen Epoche mit kindlicher Unschuld den Todesstoß versetzt.

Von hier aus greift die Pianistin nach dem Höchsten. Schuberts Schwanengesang, die Sonate B-Dur D 960, breitet unter ihrem nun samtig unterfütterten Anschlag die Flügel aus. Uchida ist jetzt keine Pianistin mehr: Sie ist ein Mensch, der von Wehmut und Verzicht erzählt, von den Schmerzen unerreichten Glücks. Im Andante sostenuto öffnet sie mit jeder harmonischen Wendung neue Welten. Uchida erzählt vom Schweben über dem Abgrund, vom letzten, wehmütigen Blick zurück. Das Finale ist bei ihr die tastende Suche nach einem ungewissen Neubeginn. Das weist weit über das Klavier, weit über Schuberts Zeit, weit auch über diesen Konzertabend hinaus.

Programm des Konzerthauses: http://www.konzerthaus-dortmund.de