Mal woanders hingucken: Das Fremde und das Eigene als „museum global“ im Düsseldorfer K20

Der alte Chef interessierte sich nicht für die politische Korrektheit von Kunstgeschichte. Werner Schmalenbach (1920-2010), bis 1990 amtierender Gründungsdirektor der Kunstsammlung NRW, hatte nur einen Antrieb: „Die Lust auf das Bild“. So nannte er ein Buch über sein leidenschaftliches Leben mit der Kunst.

Lasar Segall: „Encontro", um 1924, Öl auf Leinwand (Acervo Museu Segall - IBRAM/MinC - Foto: © Kunstsammlung NRW)

Plakatmotiv, das die Welten verbindet: Lasar Segall „Encontro“, um 1924, Öl auf Leinwand (Acervo Museu Segall – IBRAM/MinC – Foto: © Kunstsammlung NRW)

Und so, mit den Augen und dem Herzen eines Liebhabers, trug er eine der schönsten Sammlungen der klassischen Moderne zusammen: Picasso, Matisse, Miró, Max Ernst und die anderen Großen. Alles nur westliche Ansichten, findet Schmalenbachs heutige Nachfolgerin Susanne Gaensheimer. Sie hat das Haus umräumen lassen und präsentiert nun mit einem Team von Kuratorinnen im Düsseldorfer K20 ihr „museum global – Mikrogeschichten einer ex-zentrischen Moderne“.

„Postkolonialer Diskurs“

Ex-zentrisch (mit Bindestrich) ist in diesem Fall wörtlich gemeint – weg vom zentralen Gedanken. Viele internationale Institute würden derzeit, erklärt Gaensheimer, ihre „Haltung hinterfragen“. Sie wollten wissen: „Was gab es noch?“ Praktischerweise hat die Professorin schon am Frankfurter Museum für Moderne Kunst, ehe sie ins K20 wechselte, mit Geld und Segen der Kulturstiftung des Bundes eine erste Station des Programms „Museum Global“ vorbereitet. Nach Berlin („Hello World“) ist nun Düsseldorf an der Reihe und beteiligt sich an dem, was Julia Hagenberg, die Leiterin der Abteilung Bildung, den „postkolonialen Diskurs“ nennt.

1965 bis 1985: Bilder von Paul Klee auf Weltreise

Da geht es nicht um die traditionelle Volkskunst Afrikas, die im 20. Jahrhundert von Meistern der Moderne geschätzt, von westlichen Galeristen vermarktet und von Bildungsbürgern gesammelt wurde. Zu heikel. Es geht vielmehr um neue Kunstformen, nach denen auswärtige Maler strebten – zeitgleich mit der europäischen Avantgarde. Die „Mikrogeschichten“ zeigen beispielhaft zwischen 1910 und 1960 entstandene Werke aus Japan, Russland, Brasilien, Mexiko, Indien, dem Libanon und Nigeria. Das Ergebnis sei, findet Gaensheimer, „absolut umwerfend“. Nun ja.

Paul Klee: „Omphalo-centrischer Vortrag", 1939, Kreide und Kleisterfarbe auf Seide und Jute (© Kunstsammlung NRW)

Paul Klee: „Omphalo-centrischer Vortrag“, 1939, Kreide und Kleisterfarbe auf Seide und Jute (© Kunstsammlung NRW)

Der innerste Schatz der Kunstsammlung NRW, ein 1960 von der Landesregierung erworbenes Konvolut von 88 Werken Paul Klees, wird zum „Prolog“ des Unternehmens. Schmalenbach liebte die kleinformatigen Kostbarkeiten wie das „Kamel in rhythmischer Baumlandschaft“ (1920/42) oder den „Schwarzen Fürsten“ (1927). Man kann die poetische Melancholie und Heiterkeit des frühen Bauhausmeisters Klee (1879-1940), der 1933 von den Nazis aus seinem Amt an der Düsseldorfer Kunstakademie vertrieben wurde, durchaus aufspüren. Doch die Werke werden im grau gestrichenen Erdgeschoss recht lieblos präsentiert. Dominant sind Texte, Kataloge, Fotografien, Audiodateien zu Ausstellungen zwischen Jerusalem und Rio de Janeiro, bei denen die Düsseldorfer Klee-Bilder zwischen 1965 und 1985 zu sehen waren: „Eine Sammlung auf Reisen“ mit Weltkarte. Erster Teil der Fleißarbeit.

Expressionismus made in Japan

Im zweiten Stock des Hauses sind zum Glück nicht alle grandiosen Bilder durch Unbekanntes ersetzt worden. Vertraute Prachtstücke werden vielmehr den zum Teil recht beliebigen Leihgaben gegenübergestellt. Kandinskys abstrakte „Komposition IV“ von 1911 zum Beispiel bildet einen sonderbaren Kontrast zu einer naiven Festszene des georgischen Autodidakten Niko Pirosmani (1862-1918).

Yorozu Tetsugoro: „Nude Beauty", 1912, Öl auf Leinwand (Important Cultural Property, The National Museum of Modern Art, Tokyo - Foto: © Kunstsammlung NRW)

Yorozu Tetsugoro: „Nude Beauty (Nackte Schönheit)“, 1912, Öl auf Leinwand (Important Cultural Property, The National Museum of Modern Art, Tokyo – Foto: © Kunstsammlung NRW)

Andere Kombinationen zeigen kuriose Verwandtschaften. Die Ähnlichkeit der 1912 gemalten „Nackten Schönheit“ des an Westkunst stark interessierten Japaners Yorozu Tetsugoro mit Bildern deutscher Expressionisten kann kein Zufall sein. Sein in Japan hochgeschätztes Selbstbildnis übt sich im Stil französischer Impressionisten. Da wirkt Ernst Ludwig Kirchners „Mädchen unterm Japanschirm“ (1909) wie ein stummer ironischer Kommentar.

Westliche Impulse zur Befreiung von Folklore

Wer sich von der eigenen Folklore frei machen wollte, ließ sich vom Westen beeinflussen, das zeigt die Ausstellung deutlich – ob sie es will oder nicht. Nicht nur die Libanesin Saloua Raouda Choucair (1916-2017), die nach dem Zweiten Weltkrieg in der Pariser Akademie-Klasse von Fernand Léger studiert hatte, reagierte direkt auf die Vorbilder. Ihre kleinen stilisierten Figuren korrespondieren fast rührend mit Légers dominantem Paar „Adam und Eva“. Später wandte sie sich der Abstraktion zu. Die in Ungarn geborene Inderin Amrita Sher-Gil (1913-1941) malte sich selbst 1934 mit nacktem Busen „als Tahitianerin“ – in Anlehnung an Paul Gauguins exotische Schönheiten.

Anlehnung an Gauguin: Amrita Sher-Gil „Self-Portrait as a Tahitian", 1934, Öl auf Leinwand (Collection of Navina and Vivan Sundaram - Foto: © Kunstsammlung NRW)

Anlehnung an Gauguin: Amrita Sher-Gil „Self-Portrait as a Tahitian“, 1934, Öl auf Leinwand (Collection of Navina and Vivan Sundaram – Foto: © Kunstsammlung NRW)

Der Mexikaner Diego Rivera hingegen behielt, wie seine berühmte Gefährtin Frida Kahlo, seinen eigenen, volkstümlichen Stil. Ein Wallpaper mit der Reproduktion eines seiner bäuerlichen Fresken weist darauf hin. Das dunkle, verschmitzte Porträt, das der Italiener Amedeo Modigliani 1914 in Paris von Rivera malte, hat ein anderes, subtileres Niveau.

Verbunden werden die Welten durch das Plakatmotiv: ein kleines neu-sachliches Bild des jüdischen Malers Lasar Segall (1891-1957), der in Berlin und Dresden studiert hatte und 1919 einer der Gründer der avantgardistischen Dresdner Sezession war. „Encontro“ heißt es, Treffen, und zeigt ihn selbst mit dunklem Teint neben seiner sehr weißen Frau Margarete. Sie blicken starr aneinander vorbei. Im Jahr der Entstehung, 1924, trennten sie sich, und Segall emigrierte nach Brasilien, wo er zu großen Ehren kam. Sein monumentales, etwas pathetisches Bild „Emigrantenschiff“ erzählt von den Nöten seiner Zeit und erreicht uns mitten in der neuen Flüchtlingskrise.

Didaktik im offenen Raum

In der Abteilung Nigeria geht es hauptsächlich um die innere Loslösung von der britischen Kolonialherrschaft nach der Unabhängigkeit 1960. Ein Künstlerclub wurde gegründet, Schwarzweiß-Filme schildern ausbeuterische Verhältnisse, ein rotes Ölbild von Ueche Okeke mit abstrahierten Figuren trägt den Titel „Land der Toten“. Bilanz: Große künstlerische Entdeckungen sind im Museum Global nicht zu machen. Es ist eher ein historisch-politisches Interesse, das der Besucher braucht, um das mit wissenschaftlichem Eifer erarbeitete, mit viel Information befrachtete, aber nicht gerade betörende Projekt zu goutieren.

Saloua Raouda Choucair „Paris - Beirut", 1948, Gouache (ç Saloua Raouda Choucair Foundation - Foto: © Kunstsammlung NRW)

Von Fernand Léger beeinflusst: Saloua Raouda Choucair „Paris – Beirut“, 1948, Gouache (© Saloua Raouda Choucair Foundation – Foto: © Kunstsammlung NRW)

Das braucht didaktisches Bemühen. Ein zum Grabbe-Platz hin offener „Open Space“ soll auch museumsferne Gäste ins Haus locken. Es gibt da eine aus ökologisch einwandfreien Hölzern erbaute Arena, Tische, Stühle, Monitore, eine kleine Bibliothek mit Büchern und Spielen, freies WLAN und einen Kiosk für den schnellen Cappuccino. Auf diesem von der Kulturstiftung der Commerzbank finanzierten Spielplatz sollen sich Geist und Körper entfalten, bei afrikanischem Tanz und indischer Philosophie. So entsteht, hofft Stiftungsvorstand Astrid Kießling-Taskin, ein „Dialog mit der Stadtgesellschaft“. Hoffen wir mal.

„museum global: Mikrogeschichten einer ex-zentrischen Moderne“: Bis 10. März 2019 im K20, Düsseldorf, Grabbeplatz. Di.-Fr. 10 bis 18 Uhr, Mi. bis 19 Uhr, Sa./So. 11 bis 18 Uhr. Eintritt: 12 Euro. Zwei deutsch-englische Kataloge sind in Vorbereitung. Ein „Open Space“ mit Café und Rahmenprogramm ist von außen frei zugänglich. www.kunstsammlung.de




Ein Traum wird wahr – Dortmunder U zeigt Meisterwerke aus den Magazinen

Andreas Achenbach: „Nordisches Gebirge im Winter“ (Foto: Madeleine Annette Albrecht/Dortmunder U)

Weiße Wände, freie Durchgänge und sinnhafte Sichtachsen; gut diffundiertes Oberlicht für die Gemälde und schummerige Kabinette für empfindliche Papierarbeiten – besser läßt sich Kunst kaum präsentieren, zumal dann, wenn es sich ausschließlich um flache Bilder und wohnraumkompatible Skulpturen handelt.

Die Räume haben Themen und Nummern, das Publikum wandert gleichsam von den magisch-mystischen Sehnsuchtsmotiven eines Caspar David Friedrich durch insgesamt 18 Abteilungen bis zum harten, illusionslosen Spätexpressionismus eines Max Beckmann. Und da eine „Zwangsführung“ nicht installiert wurde, sind Abweichungen in alle anderen Richtungen jederzeit möglich. Eine, warum sollte man es nicht jetzt schon sagen, schöne, kluge Präsentation.

Zu sehen ist die Ausstellungen mit dem Titel „Meisterwerke im Dortmunder U“ vom 14. Mai bis zum 9. Oktober allda in der 6. Etage, auf der so genannten Sonderausstellungsfläche. Die Werke, und das ist schon etwas Besonderes, stammen überwiegend aus den Beständen der beiden Dortmunder Kunstmuseen, also des Museums für Kunst und Kulturgeschichte (MuKuK) an der Hansastraße und des Ostwall-Museums (MO), das seit längerem leider nicht mehr am Ostwall residiert, sondern in der vierten und fünften Etage des Dortmunder U.

Anselm Feuerbach_Bildnis der Nanna_1862_Foto Albrecht

Bildnis der Nanna (1862) von Anselm Feuerbach (Foto: Madeleine Annette Albrecht/Dortmunder U)

Traditionelle Werke im MuKuK, klassische Moderne im Ostwallmuseum: „Die Trennung der Sammlungen um 1900 herum ist wenig sinnvoll“, urteilt Gerhard Langemeyer, der diese Ausstellung als „Gastkurator“ zu verantworten hat und von dem natürlich jeder weiß, daß er in Dortmund auch Museumsdirektor, Kulturdezernent und Oberbürgermeister war.

Jetzt ist Langemeyer Pensionär, mehr oder weniger, und hat sich sozusagen endlich den Traum erfüllt, die Ausstellung zu machen, die er immer schon machen wollte. Beziehungsweise: In einer Ausstellung exemplarisch vorzuführen, wie es aussehen könnte, wenn der Museumsentwicklungsplan der Stadt Wirklichkeit geworden wäre, der seit 2002 existiert und unter anderem die Zusammenführung der beiden städtischen Sammlungen vorsieht.

Warum also nur ausnahmsweise zusammen hängt, was (nicht nur aus kunsthistorischer Sicht) durchaus zusammengehört – das hat auch mit der etwas schmerzhaften Entstehungsgeschichte des Dortmunder U zu tun, die ja noch immer nicht beendet ist. Wir erinnern uns: Rechtzeitig zum Kulturhauptstadtjahr 2010 mußte das ehemalige Sudhaus der Union-Brauerei mit seinem das Stadtbild prägenden leuchtenden U auf der Spitze in seiner neuen Funktion als Kultur- und Ausstellungsgebäude fertig werden – als Attraktion und Wahrzeichen ebenso wie als förderungswürdiges Kulturhauptstadtprojekt.

Die Förderung mit Landesmitteln jedoch war an Auflagen gebunden wie die, hier nicht ausschließlich ein größeres Kunstmuseum entstehen zu lassen sondern ein Kulturzentrum mit vielfältigen Aktivitäten. So zogen unter anderem die Hochschulen der Stadt auf „ihren“ Etagen ein, ohne indes in der Folge durch bemerkenswerte Aktivitäten zu glänzen. Das Ostwall-Museum wurde auf zwei Etagen gequetscht, die Sonderfläche muß Sonderfläche bleiben (und wurde in den vergangenen Jahren mit einigen Themenausstellungen bespielt).

Max Beckmann_Sebstbildnis mit Zigarette_1947_Foto Spiler

Max Beckmann Sebstbildnis mit Zigarette entstand 1947 (Foto: Jürgen Spiler/Dortmunder U)

Für eine Dauerpräsentation der Dortmunder Kunstschätze bedeuteten diese Planungen auf absehbare Zeit das Aus. Zwar war in den Folgejahren das eine oder andere Magazin-Werk im MuKuK zu sehen, werden bedeutende Werke immer wieder einmal an andere Häuser ausgeliehen, doch eine Dauerpräsentation von rund 150 Werken, die jetzt in der Sonderschau zu sehen sind, muß in der Regel Wunschtraum bleiben. Wenigstens jedoch kann Gerhard Langemeyer nun vorführen, wie er sich das damals dachte; und hoffen, daß der künftige, noch unbekannte Intendant des U die Idee der Bestände-Ausstellung in irgendeiner Form aufgreifen wird. (Und selbstverständlich kann der neue Intendant auch weiblichen Geschlechts sein.)

So gilt’s, das vorerst endliche Vergnügen zu preisen. 150 Gemälde, Skulpturen und Grafiken sind, wie gesagt, insgesamt in der Ausstellung zu sehen. 16 Gemälde stammen aus Dortmunder Privatbesitz, zudem eine Druckgraphik-Mappe der Künstlervereinigung „Die Brücke“ mit 16 Blättern. Allein 47 Arbeiten, um auch diese Zahl noch zu nennen, stammen aus dem Depot des Ostwall-Museums.

Caspar David Friedrichs „Junotempel von Agrigent“ – man erinnert sich dunkel an einen Streit vor etlichen Jahren, ob dieser Tempel denn nun er echte sei – ist fraglos eins der kostbarsten Bilder aus dem Dortmunder Bestand und empfängt das Publikum.

In den ersten Abteilungen geht es noch heftig romantisch zu, träumen sich die Künstlerseelen in Gegenden, wo man auch heute noch gern Urlaub machen würde. Junge Männer singen zur Laute, junge Damen lauschen hingebungsvoll; doch steht auch die Portraitkunst in Blüte. Begüterte Bürger lassen sich malen, die Perfektion der Ausführung ist viele Male frappierend, beispielhaft in Friedrich Wilhelm von Schadows „Bildnis einer Dame“ von 1815.

Lovis Corinth_Ostsee_1902_Foto Albrecht

Lovis Corinth malte die Ostsee 1902 (Foto: Madeleine Annette Albrecht/Dortmunder U)

Der Portraitist Theobald von Oer, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts wirkte, erhält breiten Raum; das thematische Spektrum erfährt Weitungen durch Genrebilder (wie Franz Kels’ „Westfälische Bauernhochzeit“, 1856) und herzige Allegorien, Andreas Achenbach als herausragender Vertreter der Düsseldorfer Schule zieht furchtlos hinaus in winterliche nordische Gebirge (1838). Und so fort. Keineswegs ist die vormoderne Malerei langweilig.

Gleichwohl fasziniert die Wandlung in die Moderne, wie sie im Oeuvre des Wahl-Hageners Christian Rohlfs besonders deutlich wird. Mit Hilfe einiger Leihgaben des Hagener Osthaus-Museums kann man ihn in Dortmund prominent präsentieren. Wir sehen einen fast noch klassisch zu nennenden Rückenakt (1879), erfahren von pointillistischen Versuchen im Bild „Das Ruhrtal bei Herdecke“ (um 1902), begegnen dem wütenden Expressionisten (Clownsgespräch, 1912 u.a.) und meinen Vorstufen des Informellen wahrzunehmen, wenn Christian Rohlfs 1937 eine „Glühende Gewitterwolke“ malt.

Caspar David Friedrich_Junotempel von Agrigent_nach 1826_Foto Albrecht

Caspar David Friedrichs „Junotempel von Agrigent“ (entstanden nach 1826) zählt zu den prominentesten Dortmunder Bildern. (Foto: Madeleine Annette Albrecht/Dortmunder U)

Und schwuppdiwupp sind wir schon bei den Modernen, bei Emil Nolde, Paula Modersohn-Becker, Macke, Jawlensky, Kirchner, Mueller, Schmidt-Rottluff und all den anderen. Brücke und Blauer Reiter, Liebermann und Berliner Sezessionisten, Lehmbrucks kantige junge Männer und schließlich auch, fast ist man ein wenig dankbar dafür, Ernst Barlachs tief entspannter, selbstvergessener Singender von 1928.

Natürlich hängt und steht hier noch viel mehr Kunst, als hier Erwähnung finden kann. Die Dortmunder Meisterwerke-Schau fühlt sich an wie die Versammlung vieler guter Bekannter, die zwar alle einzeln begrüßt sein wollen, deren Anwesenheit jedoch an sich schon eine Freude ist.

Die zu preisende Ausstellungsarchitektur, die dem von der letzten Ausstellung her noch als eng und verwinkelt erinnerten Räumlichkeiten Luft und Transparenz verleiht, mußte übrigens aufwendig hergestellt werden. Alte Wände wurden eingerissen, neue erstellt, U-Architekt Eckhardt Gerber selbst plante diesen Umbau. Von all den Mühen sieht man nichts, es ist hier oben jetzt gerade so, wie es auch sein müßte. Schade, daß Anfang August schon wieder alles vorbei sein soll.

  •  „Meisterwerke im Dortmunder U – Caspar David Friedrich bis Max Beckmann“
  • 14. Mai bis 9. August 2015
  • www.dortmunder-u.de
  • Ein empfehlenswerter Katalog entstand in Zusammenarbeit mit der Dortmunder Galerie Utermann und kostet 19,90 Euro.

 




Die Farbe Rot ist den Russen heilig – Belegstücke von der Ikone bis zum Stalin-Bildnis in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Wenn die vulgärpsychologische Vermutung stimmt, daß Rot Aggressionen hervorruft – dann aber Vorsicht: Wuppertals Von der Heydt-Museum bestreitet jetzt eine ganze Ausstellung mit der wohl wirksamsten Farbe. Untersucht wird das „Rot in der russischen Kunst“.

Die Belegstücke stammen sämtlich aus dem Russischen Museum zu St. Petersburg, das zumindest aus westlicher Sicht ein Schattendasein neben der weltberühmten Eremitage führt. Doch den Russen selbst liegt das traditionsreiche Haus mit den 400 000 (!) Kunstwerken sehr am Herzen.

Aus einem solch riesigen Fundus 63 Bilder auszuwählen, in denen das Rot vorherrscht, dürfte nicht schwerfallen, zumal man den zeitlichen Rahmen (13. bis 20. Jahrhundert) großzügig steckt.

Außerdem hat gerade in Rußland das Rot von jeher besonders viel besagt. Das Wort „krasnyj“ bezeichnet nicht nur diese Farbe, sein weiteres Bedeutungsfeld umfaßt auch Begriffe wie „gut“, „wichtig“ und „schön“. Wenn man weiß, daß früher mehrere tausend Purpurschnecken herhalten mußten, um ein paar Gramm roter Farbe zu erzeugen, wird man gewiß das Attribut „kostbar“ hinzufügen.

Der Vorrang gilt nicht nur in der russischen Hochkunst bis hin zur Moderne (präsentiert werden Arbeiten von Chagall, Kandinsky, Tatlin und vor allem Malewitsch), er leitet sich aus der frommen Ikonenmalerei und der Gebrauchskunst her, ist also tief verankert. An derlei Gefühle konnten auch die Sowjetkommunisten mit roten Fahnen und Emblemen appellieren.

Manchmal reicht schon ein Tupfer

Aus allen erwähnten Bereichen finden sich in der kompakten Schau exemplarische Stücke. Rot erweist sich dabei meist als Farbton des entschiedenen „Hervortretens“. Werden ein Haus oder eine Figur so markiert, dann scheinen sie aus dem Bild gesondert herauszukommen – mal würdevoll (Fürstinnenporträt, 1772), mal erotisch (F. A. Maljawin „Tanzende Frau“, 1910) oder auch blutig (W. S. Smirnow „Neros Tod“, 1888). In Kasimir Malewitschs „Rotes Quadrat“ (1915) spricht dann die Farbe mit sich selbst.

Doch nicht auf allen Bildern drängt sich das Rot dermaßen auf, manchmal ist es nur ein diskreter Tupfer („Auf der Schaukel“, 1888), der aber auffällt. Auch blasses Rot besitzt noch ungeahnte Kräfte.

Manche freilich mochten sich nicht auf unterschwellige Wirkung verlassen, sie trugen furchtbar dick auf. Nikolaj Christoforowitsch Rutkowski hatte „Stalin am Sarg von… Kirow“ (1934) zu malen. Kirow war bei einem Attentat ums Leben gekommen, vermutlich war Stalin der Drahtzieher. Hier aber läßt er sich als Trauernder darstellen. Die Heuchelei ist ganz in Rot getaucht. Sie borgt sich die Würdeformel von den Ikonen. Verlogener geht’s kaum.

Bis 14. März im Von der Heydt-Museum, Wuppertal (Elberfeld, Turmhof 8). Di-So 11-18, Do 11-20 Uhr. Katalog 38 DM.




Der Blick aufs Meer und auf die Moderne – Portugiesische Malerei in der Frankfurter Schirn

Von Bernd Berke

Frankfurt. Wie finden künstlerischen Strömungen ihren Weg bis zum Rande des Kontinents? Dieser Frage widmet sich in der Frankfurter Schirn-Kunsthalle die Ausstellung „Portugals Moderne – Kunst in der Zeit Fernando Pessoas“.

In Portugal, soeben als Länderschwerpunkt der Frankfurter Buchmesse in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit gerückt, haben sich Literaten wie Künstler wohl immer ein wenig vom übrigen Europa isoliert gefühlt. Der Blick des Landes ging stets vor allem aufs und übers Meer hinaus, nach Südamerika und Afrika.

Derweil entfaltete sich zu Beginn unseres Jahrhunderts in den Zentren Paris und Berlin die vielgestaltige Moderne, Und so bildeten just jene portugiesischen Künstler die Avantgarde, die sich in diesen beiden Metropolen umgetan hatten. Der Weltdichter Fernando Pessoa stand nicht nur literarisch im Zentrum, sondern beflügelte – durch seine Mitarbeit an Kunstzeitschriften – auch die bildnerischen Kräfte. Diese äußerten sich erstmals auf humoristischen und karikaturistischen Blättern entschieden im Geiste der Moderne. Gleichsam eine verspätete Geburt der Avantgarde aus dem filz. Sarkastischer Humor bewirkt Verzerrung und Fragmentierung des Sichtbaren. Daraus ergibt sich manche Zersplitterungs-Perspektive moderner Kunstrichtungen.

Sarkastischer Humor und Elend des Krieges

Aber nicht nur die Groteske, sondern auch der tiefe Schrecken des Jahrhunderts steht am Beginn dieser Entwicklung. Der Erste Weltkrieg: Christiano Cruz‘ Bild „Toter Soldat“ (um 1915) abstrahiert den Gefallenen zum universell gültigen Mahnmal.

Die Ausstellung gleicht einem Rundgang durch die zahllosen „-Ismen“ der ersten Jahrhunderthälfte. Kubismus, Futurismus, Dadaismus, Surrealismus – all das wurde, jeweils mit gewisser Verzögerung, auch in Portugal aufgegriffen.

Bernardo Marques wirft einen bösen Blick auf die halbfeine Gesellschaft in der Theaterloge – als wär’s ein Bild von George Grosz. Bei vielen kubistischen Bildern hat natürlich Picasso Pate gestanden. Immer wieder diese Vergewisserungen, daß man zum geistigen Kreis Europas zählt. Auch die Bilder eines Jorge Barradas aus der eleganten Welt des Luxus und der Moden, die sich am Pariser Chic orientieren, gehören in diesen Zusammenhang.

Der Diktator ließ die Künstler gnädig gewähren

Hier und, da, gewinnt man freilich den Eindruck, daß hier eben doch beflissene Nachzügler am Werke waren. Doch dann nimmt man die Spektren einer anderen Farbpalette wahr. Das Licht des Südens…

Und das Werk einiger Künstler gewinnt denn doch eigenständige Kontur auf gesamteuropäischen Niveau: Mario Eloys geheimnisvolle Szenarien der Nacktheit und der Angst bleiben ebenso im Gedächtnis wie die subtilen Bilder der Maria Helena Vieira da Silva, etwa jenes Selbstporträt (1932) als kleines Mädchen auf einer himmelwärts führenden Strickleiter.

Das diktatorische Regime Antonio Salazars (EinparteienStaat ab 1933) war geschickt genug, eine gebändigte Moderne gleichsam als Staatskunst zuzulassen. Die Künstler durften „modern“ bleiben, aber in Maßen…

„Portugals Moderne – Kunst in der Zeit Fernando Pessoas“. Schirn-Kunsthalle. Frankfurt. Bis 30. November. Tägl. außer Mo 10-19Uhr, Mi/Do10-22Uhr. Eintritt 10 DM, Katalog 48 DM.