Lebensgefährliche Liebe zum Tier – Monika Marons Erzählung „Die Katze“

Ein Leben ohne ein Tier scheint Monika Maron zwar möglich, aber völlig sinnlos. Bei Spaziergängen mit dem Hund durch ihr schick saniertes Berliner Altbauviertel oder über versteppte Brandenburger Felder sinniert sie über den Wahnsinn der Welt und die Absurditäten des Zeitgeistes.

Aus dem aufgeregten „Krähengekrächz“ hört sie die uralten Mythen und Märchen heraus, mit denen sich die Menschen die unlösbaren Geheimnisse des Daseins erklären. „Die stumme Verständigung zwischen Menschen und Tieren macht mich immer glücklich“, schreibt sie in ihrer neuen Erzählung. Sie heißt „Die Katze“ und handelt vom genauen Gegenteil: Denn fast hätte die Fürsorge für eine fast verhungerte Katze sie das Leben oder doch wenigsten die linke Hand gekostet.

Auszeit in der Landkommune

Zuletzt hatte Monika Maron (in „Das Haus“) geschildert, wie ausgerechnet sie, die notorische Einzelgängerin und überzeugte Großstadt-Pflanze, hinaus aufs Land und in eine Alten-WG zieht, wo sie mit anderen Weltflüchtlingen eine Auszeit in einer altengerechten Landkommune nimmt.

Bei einem ihre Gänge durch den Ort, berichtet sie nun in einer schlanken, die eigene Naivität mit Selbst-Ironie einkreisenden Erzählung, findet sie eine zottelige Katze, die dem Tod näher scheint als dem Leben. Sie erbarmt sich des hilfsbedürftigen Wesens, füttert es und will der Katze im Garten der Landkommune eine provisorische Unterkunft bauen. Doch sie hat nicht mit dem Zorn und der Wut ihres Hundes gerechnet, der sein Revier bedroht, sich zurückgesetzt fühlt und der Katze den Kampf ansagt.

Keine Ahnung, was ein Biss bedeuten kann

Als Monika Maron sich heldenhaft zwischen die Streithammel wirft und schlichten will, wird sie von der Katze gekratzt und gebissen. Weil sie die Gefahr unterschätzt und ihre Gedanken schon bei ihrer Reise nach Budapest sind (in der ungarischen Hauptstadt, einst Sehnsuchtsort aller DDR-Bürger, die dem grauen Einerlei ihres sozialistischen Miefs für ein paar Tage entfliehen wollten, soll sie an einer Diskussion über „Das Postheroische“ teilnehmen und aus ihren Büchern lesen), nimmt das Unglück seinen Lauf: „Ich hatte einfach keine Ahnung, was so ein Katzenbiss bedeuten kann.“

Kaum in Budapest angekommen, ist ihre linke Hand nur noch ein aufgequollener Fladen, voller Eiter und tödlicher Bakterien. Mit einer bizarren  Mischung aus „preußischem Pflichtbewusstsein“ und pervertiertem „Komsomolzenbewusstsein“ absolviert sie ihre Termine, schafft es grad noch im allerletzten Moment, wieder in Berlin einzutreffen, sich sofort in notärztliche Behandlung und unters Messer zu begeben, um eine Amputation zu verhindern und ihr Leben zu retten.

Eine aristokratische Lebensregel

Erst nach Wochen findet die von Schmerzen und Medikamenten betäubte Autorin wieder in ihren normalen Alltag. Gegen die Katze hegt sie keinen Groll, ihren Biss interpretiert sie „als eine Mahnung und eine Vorbereitung auf meine mögliche Zukunft.“ Einer Freundin, die meint, die Krankheit habe sie „friedlicher“ gemacht, davor sei sie „streitlustiger“ gewesen, sagt sie, sie irre sich, „ich streite mich schon länger nicht mehr. Über die üblichen Streitthemen Migration, Corona, Gender, die ganze Links-und-rechts-Front eben, ist alles gesagt.“ Sie halte sich jetzt lieber an eine alte „aristokratische Lebensregel“, die besagt: „Nur wenige sind es wert, dass man ihnen widerspricht.“ Mag sein, klingt aber doch ein wenig überheblich und verbittert.

Monika Maron: „Die Katze“. Erzählung. Hoffmann und Campe, Hamburg 2024, 56 Seiten, 16 Euro.




Wie die Politik das Privatleben verdunkelt – Monika Marons bewegendes Erinnerungsbuch „Pawels Briefe“

Von Bernd Berke

Ein Lebenslauf besteht „aus Wendepunkten, an denen etwas geschehen ist, das nicht hätte geschehen müssen. Das beginnt mit der Geburt“. So zitiert die Schriftstellerin Monika Maron den großen Vordenker Niklas Luhmann. Das Zitat dient ihr als Leitlinie zur Erforschung der eigenen Familiengeschichte. „Pawels Briefe“ heißt ihr bewegender Erinnerungs-„Roman“.

Pawel Iglarz war ihr Großvater; ein polnischer Jude, der sich von hergebrachten Glaubensbindungen löste und Baptist wurde. Es bewahrte ihn in der NS-Zeit nicht vor Verfolgung. 1939 wurden er und seine Frau Josefa aus Berlin nach Kurow vertrieben, später wurden sie getrennt. Er kam ins Ghetto Belchatow, das 1942 „liquidiert“ wurde. Vielleicht wurde er dort ermordet, vielleicht in Kulmhof. Man wird es nie genau erfahren. Etwas ist geschehen, was nicht hätte geschehen müssen, nicht hätte geschehen dürfen.

Die eigene Herkunft fixieren

Ausgehend von den besorgten, erschütternd selbstlosen Briefen, die Pawel aus der schrecklichen Verbannung an seine Angehörigen schrieb, versucht Monika Maron („Flugasche“, „Stille Zeile 6″, „Animal triste“) die Familienhistorie zeitgeschichtlich zu verankern und auch ihre eigene Herkunft zu fixieren. Doch schon bald geraten vermeintliche Gewißheiten ins Wanken, und sie muß sich fragen, was man aus solcher Distanz überhaupt noch herausfinden kann. Eine Reise nach Polen zeigt vor allem, wie viele Spuren inzwischen verwischt sind. An jüdische Bewohner können sich selbst die Älteren nicht mehr erinnern. Furchtbare Löschung aus dem kollektiven Gedächtnis…

Mit-Diskretion und Scheu nähert sich die Autorin der Vergangenheit. Man spürt (und darf es nach der Walser-Bubis-Debatte doppelt bedenken): Erinnerung ist notwendig, doch sie läßt sich nicht in bestimmter Weise erzwingen. Mehr als fürs vielfach beschriebene „große Ganze“ interessiert sich Monika Maron für Einzelschicksale, die eben niemals in politischer Betrachtung aufgehen. Und sie stellt auch prekäre Fragen: Wie schuldig war ein junges Mädchen, das einen SA-Mann liebte und deswegen in seiner Horde mitlief?

Die DDR-Zeitschicht wird gleichfalls behutsam freigelegt, als könne da etwas zerbrechen. Stärker in den Blickpunkt rückt nun auch Monika Marons Mutter Hella, klug und lebenslustig, jedoch verführbar. Sie war einst mit dem damaligen Innenminister Karl Maron verheiratet und blieb über die DDR-Ära hinaus überzeugte Kommunistin.

Die Autorin will sich über eine solche Biographie kein Urteil anmaßen, der Mutter selbst stehe die „Deutungshoheit“ zu. Doch sie verübelt Hella die Nibelungentreue zur SED. Die Tochter selbst konnte ab 1981 nur noch im Westen publizieren und übersiedelte 1988 nach Hamburg.

Monika Maron schreibt einen klaren Stil, verlangt dem Leser aber etwas ab: Er muß sich auch auf Einzelheiten des Lebens ihrer Vorfahren einlassen. Eingefügte Fotografien aus dem Familienalbum halten Moment-Ansichten der „Wendepunkte“ fest. Oft verknüpfen sich, zuweilen exemplarisch, die privaten Geschehnisse mit Grundlinien deutscher Geschichte. An den oft schmerzhaften Schnittstellen wird es spannend.

Pawels Briefe erweisen sich als Hort fortwirkender Menschlichkeit. Hätte ihr gütiger Großvater nach dem Kriege noch gelebt, so findet Monika Maron, dann hätte allein sein Dasein im Familienkreis einen entschiedenen Einspruch nicht nur gegen den Faschismus, sondern auch gegen die SED-Herrschaft bedeutet. Und so sind die vergilbten Papiere ein Vermächtnis für alle, ein Mahnmal ganz eigener Art.

Monika Maron: „Pawels Briefe“. S. Fischer. 205 S., 38 DM.

Monika Maron liest am Mittwoch, 10. März, um 19.30 Uhr in der Reihe „Kultur im Tortenstück“ (Mitveranstalter: die WR und Bücher Krüger) im Dortmunder Harenberg City-Center aus ihrem Buch. Morgen (ZDF, 22.15 Uhr) wird das Buch auch im „Literarischen Quartett“ besprochen.




Halbherzig: „Ada und Evald“ von Monika Maron in Wuppertal uraufgeführt

Von Bernd Berke

Wuppertal. Monika Maron DDR-Autorin, Jahrgang 1941, hat ein Prosastück geschrieben, einige Mono- und Dialoge hineinverwoben und das Ganze ..Ada und Evald. Ein Stück“ genannt. Wuppertals Bühnen nahmen das Titelanhängsel „Ein Stück“ wörtlich und brachten „Ada und Evald“ als Uraufführung.

Schon im Vorfeld dieses Ereignisses hatte es Auseinandersetzungen gegeben. Schauspieldirektor Dieter Reible zog, unzufrieden mit erreichten Resultaten, die Regie-und Bühnengestaltung an sich, die Premiere mußte verschoben werden. Man ahnt nun, wo die Probleme gelegen haben könnten. Das „Stück“ ist eher zum Lesen geeignet, es wirkt im Theater deplaziert.

Schriftstellerin Ada (Andrea Witt) liebt den Schriftsteller Evald (Michael Wittenborn), weil der sich ihr entzieht. Evald übertüncht seine innere Leere, indem er Weltschmerz- und Geniephantasien nachhängt. Ada will, „daß etwas passiert“, will Leben und Hoffnung, Evald werden hingegen alle Weltübel zum Anlaß für Texte, die er sich abringt. Beziehungs-Elend also, die Frau vornehmlich Opfer. Zwei (von Schauspielern dargestellte) Wachsfiguren spiegeln als „zweite Ichs“ das Titelpaar wider.

In einer mehrfach aufgegriffenen Kneipen-Szene erscheint ein Herr „X“ (Bernd Kuschmann), der den Humanismus für tot erklärt und düster über „Schuld und Geschichte“ palavert. Angeblich soll DDR-Dramatiker Heiner Müller bei dieser Figur Pate gestanden haben. Er wird’s verwinden. Ferner treten auf: die Figur „Suizi“ (Franz Träger), in Ada verliebter Selbstmordkandidat, ein versoffener Prediger (Johannes Schütz), geschwätzig das Weltende zum Neubeginn erklärend und – Berliner „Pflanze“ – die Malerin Clairchen (Rena Liebenow mit dem meisten Applaus), die in einer naturmagischen Szene mit einem Baum vermählt wird.

Das Stück hat einige lichte Momente, doch vielfach fallen nur sprachlich kraftlose Gedankenbröckchen und ausgelaugte Bilder ab. Unsäglich erscheint mir jene gereizte Szene über geraubte Wörter: „Freiheit, Sehnsucht, Hoffnung, Glück. Wir hol’n die gestohlenen Wörter zurück“, heißt es mehrfach im Chor. Dazu Ringelpiez mit Anfassen. Das provozierte höhnischen Beifall auf offener Szene.

Einige starke Einfälle (zu Beginn auf erhöhter, rundum schwarz verhangener Bühne eine Szene „in Breitwandformat“) können den insgesamt halbherzigen Zugriff der Regie nicht verhüllen. Ob dieser Text überhaupt mit Theatermitteln greifbar ist – diese Frage konnte die Uraufführung noch nicht befriedigend beantworten.

Monika Maron, über die das Programmheft sträflicherweise nichts mitteilt, und das Ensemble nahmen einen eher höflich zu nennenden, den schauspielerischen Leistungen angemessenen Durchschnittsbeifall entgegen.