Draußen vor der Stadt: Landwehren, Ballspiele und Müllabfuhr im 16. Jahrhundert

Landwehren sind lang gestreckte Erdwälle, die im Mittelalter angelegt wurden, um das Territorium gegen Eindringlinge zu schützen oder um Räuberbanden die schnelle Flucht vor allem mit Fuhrwerken zu vereiteln. Darüber erschien hier vor drei Jahren bereits ein Artikel als „historisches Stichwort“. Jetzt gibt es zu diesem Thema ein sehr informatives neues Buch, dem sich interessante Einzelheiten entnehmen lassen. Das Werk entstand nach einer Fachtagung der Altertumskommission für Westfalen.

Heute wirkt Münster sauber und fröhlich. (Foto: Hans H. Pöpsel)

Heute wirkt Münster sauber und fröhlich. (Foto: Hans H. Pöpsel)

In den Aufsätzen der Wissenschaftler kann man viel erfahren über den Aufbau und die Funktion der Wehren, auch die manchmal dazu gehörenden Türme werden vorgestellt, und man kann an alten Karten und Fotos erkennen, wo solche Landwehren noch heute in der Natur sichtbar sind. Außerdem wird vorgestellt, wie und in welcher Häufigkeit sich das Wort Landwehr in Flur- und Familiennamen erhalten hat.

Solche Bollwerke gab es in Westfalen natürlich nicht nur zwischen den Landesherrschaften, sondern auch zwischen dem bäuerlichen Land und den Städten. Bernd Thier, einer der Autoren, widmet sich ausführlich dem Beispiel Münster. Vor allem über die Nutzung des Geländes außerhalb der Stadtmauer zitiert er interessante Quellen.

Schon für die Mitte des 16. Jahrhunderts sind Flächen für Ballspiele und Sommerhütten der betuchten Bürger belegt, Teiche für die Fischzucht entstanden, und vor allem wurde der Müll der Stadtbürger vor den Mauern entsorgt. Schon im 16. Jahrhundert ließ der Magistrat in Münster den Abfall durch einen öffentlichen Wagen abfahren, um damit die Äcker außerhalb zu düngen. Die Stadtführung stellte dazu ein Pferd und einen „Dreckkarren“ zur Verfügung. Verstorbene Christen wurden in der Stadt rund um die Kirchen und den Dom beigesetzt. Außerhalb der Mauern lag hingegen der jüdische Friedhof, wie im ausgehenden Mittelalter und der frühen Neuzeit üblich.

Dieses sind nur ein paar Details eines Sammelbandes, der für Freunde der Landeskunde und der westfälischen Geschichte weit mehr zu bieten hat und der gar nicht so „dröge“ zu lesen ist, wie man es sonst den Westfalen zu sein unterstellt.

Cornelia Kneppe (Hrsg.): „Landwehren. Zu Funktion, Erscheinungsbild und Verbreitung spätmittelalterlicher Wehranlagen“. Aschendorff Verlag, 350 Seiten, 39 €.




Wenn die Idylle in Gefahr gerät – John Cheevers Roman „Ach, dieses Paradies“

Sind es zwei, drei oder vielleicht sogar vier Geschichten, die John Cheever in seinem knapp 120 Seiten umfassenden Roman „Ach dieses Paradies“ miteinander verknüpft? Diese Frage stellt man sich als Leser unweigerlich, will man doch irgendwie die Handlungsstränge verstehen und ordnen.

Aber vollkommen unabhängig davon, auf welche Zahl man sich verständigt: Das Buch, das 1982 (im Todesjahr des Autors) erstmals im amerikanischen Original erschien, besticht durch eine einmalige Erzählkunst. Ihr ist es letztlich zu verdanken, dass die einzelnen Geschehnisse ein Gesamtbild ergeben, mit dem der Autor wohl auch eine Botschaft vermitteln will.

Cheever

Dabei beginnt der Roman eher lapidar, stellt Cheever doch einen älteren Mann vor, der leidenschaftlich gern Schlittschuh läuft. Doch als der Senior eines Tages feststellen muss, dass der Lieblingsort für seinen Lieblingssport, ein idyllisch gelegener Teich, zu einer Mülldeponie verkommen ist, schaltet er sich in die politische Debatte ein. Er holt einen Umweltexperten herbei, der die Gefahren des Vorhabens für Mensch und Umwelt drastisch vor Augen führt, kämpft selbst an vorderster Front, um die Halde wieder verschwinden zu lassen.

Doch dieser Mann namens Lemuel Sears wird nicht nur in seiner Rolle als Umweltaktivist, wie man ihn heute wohl nennen würde, beschrieben, Cheever breitet auch das durchaus verstörende Liebesleben vor dem Leser aus. Dabei überrascht weniger, dass sich der Witwer zu einer jüngeren Frau hingezogen fühlt, die auch gut ohne ihn leben könnte, wie sie offenherzig zu verstehen gibt. Vielmehr ist es die Episode mit einem Fahrstuhlführer, mit dem sich der Naturfreund mir nichts, dir nichts auf ein homosexuelles Abenteuer einlässt.

Sein eigenes Handeln verwirrt Sears derart, dass er einen Psychiater aufsucht, der ihm auf der Suche nach den Beweggründen aber nur wenig weiterhelfen kann. Sears bleibt mit mehr Fragen als Antworten zurück, was sich zunächst auch auf sein Engagement gegen die Deponie übertragen lässt. Das Vorgehen der Behörden findet er befremdlich und unverständlich. Je mehr er sich jedoch in die Entscheidungsprozesse vertieft, umso deutlicher treten die Machenschaften und Intrigen zu Tage, die den Umweltfrevel überhaupt erst entstehen ließen.

Die ohnehin schon komplexe Erzählung erfährt aber noch mehr überraschende Wendungen: ein Barbier, der aus vermeintlicher Geldnot seinen Hund erschießt, die Ehefrau , die mit der Drohung, Lebensmittel zu vergiften, gegen die zu befürchtende Verseuchung des Teiches zu Feld zieht und schließlich das Baby, das auf einem Parkplatz zurückgelassen wird…

Was mag den Schriftsteller wohl motiviert haben, solche vollkommen unterschiedlichen Erzählstränge miteinander zu verknüpfen? Der Titel des Buches bietet dazu durchaus eine Spur an: Das Paradies, das Sears beispielsweise gefunden zu haben glaubt, ist durch die Müllhalde ebenso verschwunden wie die glückliche Zeit, die der Barbier in wirtschaftlich besseren Phasen genießen konnte.

John Cheever: „Ach, dieses Paradies“. Roman. DuMont Verlag. Aus dem amerikanischen Englisch von Thomas Gunkel. Mit einem Nachwort von Peter Handke. 128 Seiten, 17,99 Euro.