Was rund um den Turm von Babylon geschah – Münsteraner Ausstellung über die biblisch berüchtigte Stadt

Von Bernd Berke

Münster. Wer gelegentlich Reggae-Songs hört, kennt die Formel: Viele politisch bewußte Schwarze verwenden heute das Wort „Babylon“ als Schlüsselbegriff, der die Verderbnis der ganzen westlich-weißen Kultur meint. Das Stadt-Bild aus der Bibel wirkt mächtig bis in unsere Tage weiter. Jetzt rankt sich die archäologische Ausstellung „Wiedererstehendes Babylon“ in Münster um Legende und Wirklichkeit des berühmten Turmbaus zu Babel.

Die Wissenschaft weiß heute ziemlich genau Bescheid über den Turm, mit dem laut Bibel (Buch „Genesis“) überhebliche Menschen so hoch hinaus wollten, daß sich zur Strafe ihre Sprache verwirrte. Der historische Bau aus der Zeit Nebukadnezars (604-562 v. Chr.) hatte eine Grundfläche von etwa 90 mal 90 Metern. Man kann die Kantenlänge einer Seite sogar zentimetergenau mit 92,13 m angeben. Die Höhe dürfte rund 90 Meter betragen haben. Ein Modell in der Münsteraner Ausstellung gibt den neuesten Stand der Forschung wieder. Aber auch einige künstlerische Phantasien über den Turmbau sind zu sehen.

Der Koloß ist von Fronarbeitern errichtet worden, darunter auch Juden. Später wurde er mehrfach geschleift und überbaut. Im obersten Geschoß des frühen Wolkenkratzers befanden sich Kulträume, u. a. ausgestattet mit einem goldenen Bett, in dem der König an hohen Feiertagen der obersten Priesterin beiwohnte — eine religiöse Zeremonie der Fruchtbarkeit…

Doch nicht nur über den Turm gibt die Ausstellung Auskunft, sondern auch über einige Aspekte babylonischen  Alltags. Leitlinie der in Berlin entwickelten, aber mit rund 80 Exponaten aus westfälischen Sammlungen angereicherten Schau, sind die 1898 begonnenen Ausgrabungen der deutsehen Orient-Gesellschaft. Damaliger Zeithorizont: Die Deutsehen wollten, wie leider auch auf anderen Gebieten, „Weltgeltung“ erlangen, indem sie mit dem Louvre und dem British Museum gleichzogen.

Zur Münsteraner Schau mit ihren 235 Original-Exponaten gehören z. B. Schminktöpfe, Münzen, mühsam zusammengesetzte Scherben (Löwen-und Drachen-Darstellungen für einen Prozessionsweg) oder Keilschrift-Tafeln. Kurios: ein Täfelchen mit ganz verschlungenen Strichen. Die scheinbar nur ornamentalen Schlangenlinien sind in Wahrheit Lehrbeispiele für Gedärme-Lagen, nach denen man per Eingeweideschau die Zukunft prophezeite.

Zurück in die Gegenwart: Babylon liegt auf dem Gebiet des heutigen Irak. Bis 1978 ließen die Irakis auch internationale Grabungsteams zu, seither machen sie allein weiter. Die Sache gilt als nationale Aufgabe im Sinne Saddam Husseins, der sich gern als Erbe  einer Weltkultur sähe. Im Golfkrieg von 1991 sei, so Münsters Museumsleiter Dr. Harald Polenz, die Gegend von Babylon nicht betroffen gewesen.

„Wiedererstehendes Babylon“. Westfälisches Museum für Archäologie, Münster, Rothenburg 30 (Nähe Domplatz). 16. Mai bis 22. August. Tägl. außer Mo. 10-18 Uhr. Begleitheft 15 DM.




Die Freiheit der Kunst kann zur Ratlosigkeit führen – Ausstellung „Das offene Bild“ in Münster

Von Bernd Berke

Münster. „Sobald man darüber redet, wird die Sache richtig kompliziert“, befürchtet Erich Franz. Doch unbefangen und mit wortlosem Wohlgefallen kann man die Schau, die er für das Münsteraner Landesmuseum zusammengestellt hat, eben auch nicht betrachten. „Das offene Bild“ heißt sie, und sie soll mit rund 200 Beispielen von 80 europäischen Künstlern zeigen, wie man sich nach dem Zweiten Weltkrieg immer mehr von fixen und fertigen Bild-Aussagen verabschiedet hat.

Genau das macht die Deutung neuerer Kunst so schwierig, denn auch sie ist ja seither ins Offene – und häufig genug wohl auch ins gänzliche Belieben des Betrachters gestellt. Weniger eine Schau zum Schwelgen also, eher eine zum Kopfzerbrechen, sattsam mit theoretischer Fracht beladen.

Viele Wege führen zum offeneu Bild. Ein paar Beispiele nur: Bei Gerhard Hoehme schlängeln sich zaghaft kleine Tentakeln aus der geschlossenen Bildfläche heraus. Wolf Vostell öffnet Plakatbilder, indem er ihre Außenhaut verletzt. Patrick Saytours aufgehängte Tücher werden erst durch ihre Gegenwart im Museum zur Kunst ernannt. Ihr regelmäßiges, ja eintöniges Muster könnte sich unendlich, also weit über das eigentliche Bild hinaus fortsetzen.

Und weiter: Bei Blinky Palermo sind die Teile eines Bildes gleichsam explodiert – und finden sich als Einzelstücke wieder, über die Wand verstreut und in ein neues Spannungsverhältnis zueinander gebracht. Daniel Spoerri wiederum bannt mit Klebstoff ein ganzes Heimwerker-Stilleben samt Bohrer auf eine Platte – das Bild als Wirklichkeit, die Wirklichkeit als Bild.

Pures Material oder Entmaterialisierung

Zwei Grundstrategien zeichnen sich ab: Manche Künstler (wie etwa Jean Dubuffet) lassen das Bild als pures Material zur Geltung kommen, sie häufen beispielsweise die Farbe zu fingerdicken, ertastbaren Landschaften auf oder stellen gleich vollends unbehandelte Leinwände aus. Andere (wie Günther Uecker oder Lucio Fontana) erproben umgekehrt die Ent-Materialisierung, indem sie flüchtige Vorgänge wie Schatten- und Lichtreflexe oder den Prozeß des Herstellens und Betrachtens (Fluxus-Kunst) einbeziehen. Sie alle sprengen den Rahmen, vormals ein Gütezeichen der (Ab-)Geschlossenheit. Wenn in Münster dennoch einige Bilder gerahmt oder hinter Glas gezeigt werden, so hat das ausschließlich konservatorische Gründe.

Planvolle Kompositionen, souverän gestaltete Beziehungen zwischen Figur und Grund – solche akademischen Erlesenheiten gehören der Vergangenheit an. Statt dessen begegnen wir hier entgrenzten Phänomenen wie Struktur und Materie. Das Bild wird zu einer Art Körper, es will im Grunde gar nichts mehr aussagen und darstellen, sondern ist einfach da, um sich selbst zu zeigen: Hier hänge ich und kann nicht anders. Vertrackt genug! Katalog-Erwerb und/oder Teilnahme an einer Führung sind denn bei dieser Ausstellung auch ratsam, eine Video-Einführung hilft ebenfalls weiter.

Doch vielleicht entspricht eine gewisse Ratlosigkeit dieser Schau sogar am besten, denn auch die Kunst scheint ja vor lauter Freiheiten selbst immer unsicherer geworden zu sein.

„Das offene Bild“. Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster. Bis 7. Februar 1993. Tägl. außer Mo. 10-18 Uhr. Katalog 48 DM.




Boshaftes aus dem Sauerland – Bildsatiren von Jochen Geilen in Münster

Von Bernd Berke

Münster. Manchmal, so sagt er, schnüre sie ihm schon morgens beim Aufstehen den Hals zu – diese „Unser-Dorf-soll-schöner-werden“-Mentalität im Sauerland. Dabei ist der Künstler Jochen Geilen ein Kind dieses Landstrichs. Geboren in Olsberg, lebt er seit langem in Winterberg. Es scheint, als habe er auch aus Haßliebe zur Region einen Hang zu Spott und Satire entwickelt. Jetzt widmet ihm das Westfälische Landesmuseum in Münster eine Ausstellung mit rund 230 Arbeiten.

Größtenteils arbeitet Geilen in geradezu altmeisterlicher Manier als Kupferstecher. Er brauche diesen beinahe erotischen Widerstand der Kupferplatte, in die er „sich“ und seine Ideen kraftvoll eingraben könne. Doch dann liebe er auch wieder jene Ausbrüche, die er im Medium der Zeichnung ausleben könne.

Ein Mann mit gemischtem Temperament also. Mal diszipliniert und gediegen, mal spontan und beinahe wild. Und ein Mann mit Qualitätsschwankungen: Bewegt sich Geilen unmittelbar auf politischen Pfaden, so sind sie oft schon etwas ausgetreten. Seine Politikerportrats übertreffen wohl technisch, aber kaum inhaltlich die Standards der Tageskarikatur: Graf Lambsdorff erscheint da als Herrenreiter, Friedrich Zimmermann hebt die berüchtigte „Schwurhand“, Helmut Kohl wird gekrallt und fortgetragen von einem Adler namens Adenauer, Theo Waigel bleckt als Löwe mit buschigen Augenbrauen die Zähne. Nun ja. Man hat schon Boshafteres gesehen.

Auch zur Stadt Münster fällt Geilen in einer weiteren Bildserie nur Nächstliegendes ein. Da zwingt er etwa Fahrradfahrer und Nonne auf einem Bild zueinander. Wenn das kein Klischee ist. Aber es soll ja Klischees geben, in denen Wahrheit liegt. Doch dies sind Ausrutscher. Geilens Schaffen ist vielfältiger und hat durchaus beachtliche Qualitäten. Eine Serie mit Todesbildern zeigt eine allmähliche, gleichsam organisch wachsende „Politisierung“. Zunächst scheinen diese Blätter allgemein auf Vergänglichkeit abzuzielen, doch plötzlich ist da der totenköpfige „Meister aus D.“, jener NS-Folterknecht nach Paul Celans Gedicht „Todesfuge“ („Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“).

Bemerkenswert auch Geilens Beobachtungen an Haltestellen und Plätzen, wo die Leute beziehungslos herumstehen und achtlos einander verfehlen. In derlei vermeintlich banalen Alltagsszenen lauert bitterer Hintersinn. Schließlich seine Tier-Bilder: Katzen, Mäuse und Maulwürfe in allzu menschlichen Situationen. Da zeigt sich Geilen als inspirierter Fabeldichter mit dem Stichel.

Jochen Geilen – Bildsatiren (Zeichnungen und Druckgraphik). Westfälisches Landesmuseum, Münster (Domplatz). Ab Sonntag, 30. August. Bis 25. Oktober. Di-So 10-18 Uhr. Katalog 20 DM.




Geldnot bei den Kunstvereinen: Die Wirtschaft knausert immer mehr

Von Bernd Berke

Im Westen. Deutschlands Kunstvereine geraten finanziell zusehends in die Klemme. Nach Alarm-Meldungen aus Dortmund, wo das Spendenaufkommen bis zur Jahresmitte praktisch „gleich Null“ war, wollte die WR wissen: Wie sieht es bei anderen Kunstvereinen aus?

Offenbar steht es bundesweit nicht zum besten. Beim Dachverband, der „Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine“, heißt es, die Bereitschaft zu Spenden sei „eindeutig geringer“ als bis vor ein paar Jahren. Verbandsvorsitzender Andreas Vowinckel, zugleich Chef des Badischen Kunstvereins in Karlsruhe: „Die Wirtschaft verhält sich jetzt sehr, sehr zögernd.“

Nicht nur in Dortmund ist die Lage heikel

Kein Einzelfall: Man verschickt mehrere hundert Bittbriefe, bekommt dann nur eine Spende – und die Portokosten übersteigen den Ertrag. Fast alle Firmen machen die allgemeine Konjunkturflaute oder dringende Investitionen in Ostdeutschland geltend. Selbst in Baden-Württemberg und in Rheinland, bislang favorisierte Regionen für Kunst-Sponsoring, sei das Auftreiben von Spenden nun „ein hartes Brot“ (Vowinckel). Doch auch die öffentlichen Mittel, weiß Vowinckel, „fließen nicht mehr so recht“. Finanzprobleme durch die deutsche Vereinigung hätten auch hier eine traurige Trendwende bewirkt.

Der Düsseldorfer „Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen“ gehört mit rund 6000 Mitgliedern zu den größten der Republik. Man ist – im Gegensatz zu Vereinen im Revier – alteingesessen, und es gibt rundum kunstsinniges Publikum zuhauf. Doch selbst hier heißt es, man müsse „unheimlich ackern“ (Mitarbeiterin Doris Rother), bis man an Sponsoren herankomme. Zudem falle neuerdings ein wichtiger Sponsor aus, nämlich die Lufthansa, die sich auf rigidem Sparkurs befindet. Den ganz harten Einschnitt merkt man in Düsseldorf noch nicht, doch hat man bereits arge Schwierigkeiten, die Jahresgaben an Mitglieder zu verkaufen.

Man muß sich sehr abstrampeln

Etabliert ist auch der Westfälische Kunstverein zu Münster, der seit 1831 existiert und heute 1250 Mitglieder hat. Aus dem letzten Jahrhundert datiert denn auch ein Glücksfall, dessen Folgen den Verein noch heute über Wasser halten. Die Altvorderen konnten Kirchenschätze wie mittelalterliche Tafelbilder und Altäre günstig erwerben. Vor sechs Jahren veräußerte man ein einziges dieser Bilder, gab den Erlös in eine Stiftung – und kann sich nun aus den Zinsen bedienen. Hildegard Feldmann, zuständig für die Buchführung: „Ansonsten muß man sich aber sehr abstrampeln. Bargeld von einzelnen Sponsoren kommt praktisch nie.“ Sowohl die Stadt Münster als auch der Landschaftsverband hätten seit vielen Jahren ihre Zuschüsse nicht mehr erhöht — angesichts von Preissteigerungen ein herber Verlust. Verwundert zeigt man sich in Münster über die Dortmunder Situation: „In Dortmund gibt es doch viel mehr Großfirmen als in Münster“.

Im Revier nur Geld für den Sport übrig?

Und wie sieht es aktuell in Dortmund (540 Kunstvereins-Mitglieder) aus? Nun, immerhin hat der Notruf drei örtliche Firmen zu Spenden bewegt, eine Hypothekenbank will gar Mitglied werden. Die Geschäftsführerin des Kunstvereins, Annette Reker, findet trotzdem: „So dramatisch wie bei uns ist es fast nirgendwo“. Zu allem Überfluß habe man gerade die Mitgliedsbeiträge erhöhen müssen, was vielleicht manchen Kunstfreund abschrecke. Zuweilen fühle man sich in Dortmund wie in einer künstlerischen Diaspora.

Diesen Eindruck bestätigt Hugo Koch, Zweiter Vorsitzender des Kunstvereins im nahen Bochum (680 Mitglieder). Wenn es überhaupt Spenden gebe, seien sie meist „beschämend gering“. Koch: „Im Revier hat man wohl nur Geld für Sport übrig.“ Ein Jahresbeitrag von 60 DM für den Kunstverein könne kaum erhöht werden, sonst drohe eine Austrittswelle. Koch: „Für ihren Tennisclub zahlen die Leute das Mehrfache im Monat…“

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Kommentar

Anschluß verpaßt

Kunstvereine bieten selten leichte Kost. Die meisten Firmen aber wollen, wenn sie für Kultur spenden, große Besucherzahlen sehen. Das bereitet den Vereinen schon längst Probleme. Jetzt, da die Finanzen allenthalben knapper werden, bekommen sie das noch deutlicher zu spüren.

Unsere Kunstvereine sind als Ausdruck bürgerlichen Selbstbewußtseins entstanden. Bis dahin hatten praktisch nur der Adel und die Kirehe Kunst gehörtet. Das ist lange her. Fast könnte man sich jetzt in die Zeit des alten Bildungsbürgertums zurücksehnen. Doch damals hat man Kunst nicht nur aus edlem Sinn gefördert, sondern sich damit auch über politische Realitäten hinweggelogen. Wünschen wir uns das lieber nicht zurück.

Betrüblich ist, daß sich die Lage im Ruhrgebiet besonders schlimm darstellt. An der Bevölkerungsstruktur, die sich der von anderen Zentren angleicht, kann es nur zum Teil liegen. Man muß wohl von kulturpolitischen Versäumnissen sprechen, die auch sinnfällig werden: Man schaue sich nur die öde „Kunst am Bau“ in unseren Städten an.

                                                                                                                   Bernd Berke

 




Kunst und Moral passen nicht immer zusammen – Münster präsentiert als „entartet“ verfemte Bildhauer

Von Bernd Berke

Münster. Diese Debatte flammt immer mal wieder auf: Gehen große Kunst und Moral unbedingt zusammen, oder können etwa auch ideologisch verblendete Menschen gültige Werke schaffen? Die Antwort ist keinesfalls simpel. Dies zeigt sich einmal mehr bei der Kunstschau „Deutsche Bildhauer 1900-1945 – „entartet'“ im Westfälischen Landesmuseum.

Im Gegensatz zu Berlin, wo derzeit die vielbeachtete Ausstellung über die von den Nazis als „entartet“ verfemten Maler läuft, hat man in Münster erst gar keine Rekonstruktion der bewußt chaotischen NS-Auswahl versucht. Die rund 100 Skulpturen von 41 Künstlern hätten zwar, was Urheber und Machart angeht, 1937 in München präsent sein können, waren es aber zum größten Teil nicht.

Die NS-Machthaber hatten 1937 eine Doppelschau veranstaltet – eine zeigte die erwünschte, die andere die unerwünschte Kunst. Und da beginnen schon die Widersprüche, denn es gab Künstler wie Georg Kolbe und Rudolf Belling, die in beiden Ausstellungen vertreten waren. Kolbes „Stürzender“ mißfiel den Nazis, sein „Streiter“ kam ihnen hingegen zupaß. Zudem war lange Zeit gar nicht ausgemacht, wohin der NS-Kunstgeschmack sich wenden würde. Nicht nur Goebbels favorisierte lange Zeit den später gebrandmarkten Expressionismus.

Derlei Widersprüche will man auch in Münster dokumentieren. Man hat daher nicht nur hehre Widerstandskämpfer der Kunst ausgewählt, sondern auch einige halb oder ganz „Angepaßte“ mit aufgenommen — und siehe da: Man wüßte nicht immer auf Anhieb und beim bloßen Anblick der Werke zu sagen, ob sie nun von integren Künstlern stammen.

Die erwähnte Berliner Schau wurde in Los Angeles vorbereitet. Auch die Münsteraner Veranstaltung ist keine deutsche Produktion, sondern späte Frucht einer Seminarreihe im holländischen Nijmegen. „Keimzelle“ war übrigens die Beschäftigung mit dem Dortmunder Künstler Bernhard Hoetger, bei dessen Biographie den Niederländern manches Licht aufging: Hoetgers Werke galten den Nazis als „entartet““; dennoch war er von 1934 bis zum Parteiausschluß 1938 Mitglied der NSDAP.

Keine generellen Weihen und keine fraglosen „Helden“ also; aber Kunst, die in Münster ganz bewußt auf Sockeln und hinter Glas präsentiert wird — im Gegensatz zur NS-Präsentation, bei der die Skulpturen extra lieblos und diffamierend plaziert wurden.

Die Ausstellung führt durch eine Vielfalt von Stilrichtungen — von ungebrochener Figuration über Expressionismus bis hin zur Abstraktion. Auch wenn man in Münster durch räumliche Zuordnungen und Gegensätze die Ausstellung zu strukturieren sucht, wirkt das ganze doch etwas zusammenhanglos, so als habe man Belege für Seminarthesen gesucht und nicht immer gefunden. Die meisten Einzelwerke aber (darunter Arbeiten von Lehmbruck, Schlemmer, Mataré, Kirchner, Marcks, Barlach, Arp und Kollwitz) sind durchaus sehenswert.

Westfälisches Landesmuseum, Münster (Domplatz). 12. April bis 31. Mai. Katalog 38 DM.




Der Kultur-Hochstapler und sein „Feenpalast“ – Wedekind-Uraufführung „Ein gefallener Teufel“ in Münster

Von Bernd Berke

Münster. Das hat man nicht alle Tage: die Uraufführung eines Stückes von Frank Wedekind. Für diesen Klassiker der Moderne haben einige Feuilletons jüngst eine „Renaissance“ ausgerufen. Jedenfalls erscheinen nun endlich Werkausgaben, und zwar gleich mehrere.

Im verstreuten Wedekind-Nachlaß fand man denn auch den halbwegs ausgefeilten Stückentwurf „Ein gefallener Teufel“, den direkten Vorläufer des „Marquis von Keith“, jener 1901 uraufgeführten Hochstapler-Komödie. Also ist’s bestenfalls eine halbe Uraufführung, denn den Stoff kennt man schon, wobei das Thema im „Teufel“ noch etwas klarer und simpler wirkt, noch nicht so überwuchert, aber auch noch nicht so umfassend.

Eine interessante Fallstudie für Germanisten und Dramaturgen – aber fürs Theater? „Der Marquis von Keith“ bleibt das stärkere Stück. Wedekind hat schließlich den Entwurf nicht grundlos umgearbeitet.

Die Geschichte bleibt so ziemlich gleich. Es geht hier wie dort um jenen windigen Herrn Marquis von Keith. Wenn zu Hause kein Geld für Brot da ist, dann will er halt im Spitzenhotel speisen. So einer ist das. Mit einem Luxus-Kulturprojekt namens „Feenpalast“ (sollte es da etwa Ähnliches in unserer Region und Gegenwart geben?) erleidet er Schiffbruch, wahrend sich die große Geschäftswelt souverän der Idee bemächtigt.

Zudem geht’s um Konflikte zwischen Moral und schrankenlosem Lebensgenuß. Das ist in die Farce getriebener Ibsen mit einigen Prisen Nietzsche und zynischen Aphorismen. Zum packenden Ereignis wird diese Mixtur in Münster nicht. Es ist eine redliche, bemühte Theater-Arbeit mit Betonung auf Arbeit.

Gespielt wird Dietrich W. Hübschs Inszenierung – zweieinviertel Stunden lang ohne Pause – auf einer kreisrunden, von Neonröhren eingefaßten Scheibe, die schräg zum Zuschauerraum geneigt ist, passend zum Schlußsatz: „Das Leben ist eine Rutschbahn“. Grelle Auf- und Abblendungen des Lichts stellen fast alle Szenen niveaugleich nebeneinander. Widersprüche werden so eingeebnet, wirkliche Zerrissenheit sieht man kaum.

Für Teile des Ensembles gilt das Sportlermotto: Was an Spieltechnik fehlt, will man durch Kampfgeist wettmachen. Wenn hier jemand Schmerz verspürt, tobt er gelegentlich über Tische und Stühle oder wirft sich theatralisch hin. Überhaupt geht man häufig zu Boden. Viele Szenen sind eine ständige Abfolge von Treten und Getretenwerden; Man könnte Herrschaftsverhältnisse auch subtiler und damit desto schärfer zeigen:

Komik wird auch aus dem Text entwickelt, mehr aber noch den Figuren aufgesetzt, Schrille Kleidung, groteske Körperhaltungen und sprachliche Absonderlichkeiten tun Wirkung, bleiben aber etwas an der Oberfläche. Münsters Kaufmannsgilde wird es schließlich gern sehen, daß der steinreiche Konsul Casimir Kramer-Gassmann (Friedhardt Kazubko) als seelenruhiger Vernunftmensch auftritt und kaum Spott abbekommt. Man ist hier am Ende ganz konservativ froh, daß er sich den „Feenpalast“ unter den Nagel reißt und nicht der unseriöse Keith (Michael Holm). Die stärksten Eindrücke hinterlassen eine schön chaotische Festivitäts-Szene im Mittelteil und der Schauspieler Michael Marwitz als „Ernst Scholz“, der eine herrlich stocksteife Absurdität ins Spiel bringt. .

Der Beifall war freundlich, aber rasch verrauscht.




Augenblicke plötzlicher Leichtigkeit – Graphik von Georges Braque in Münster

Von Bernd Berke

Kann aus ganz wenigen Objekten eine eigene Welt entstehen? Ja, in der Kunst geht das. Wie aus einer äußerst reduzierten Anzahl von Motiven eine im Prinzip endlose Reihe von Variationen hervorgeht, führt jetzt eine Ausstellung in Münster vor Augen: „Georges Braque. Graphisches Werk“.

Die rund 160 Exponate (Radierungen, Holzschnitte, Kupferstiche, Lithographien) stammen – bis auf vier Ausnahmen – aus einer deutsehen Privatsammlung. Der Sammler „C. L.“, der anonym bleiben möchte, hatte die Stücke teilweise schon vor 30 Jahren erworben. Heute sind manche Blätter gut das hundertfache wert. Besonders rare Stücke konnte der Mann kaufen, als er Kontakt zu Braques Drucker bekam. Der rückte auch schon mal Zustandsdrucke (also Dokumente von Zwischenstadien des Werkprozesses) heraus. So kann man nun gleichsam die Ursprünge und allmählichen Fortschritte der Braque-Graphik neben den End-Produkten besichtigen. Obwohl: „Fertig“ sind Braques Arbeiten im Grunde nie, sie bleiben immer offen für weitere Metamorphosen.

Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf den nach-kubistischen Phasen (bis 1963). Die Figuren sind also nicht mehr analytisch behandelt, nicht mehr blockhaft zerteilt und wieder zusammengefügt, sondern sie lösen sich zu sehr viel freieren Formen auf; zu verschlungenen Lineaturen, die an eine eigentümliche „Schrift“ erinnern, sich also am Rande der Abstraktion bewegen.

Interessant auch die Flächen um die eigentlichen Motive herum. Beispiel: Braque hat die Einfassungen seiner Bilder zu Hesiods „Theogonie“ (in Versen geschriebene Schöpfungsgeschichte des frühgriechischen Dichters) gleichsam als Ur-Chaos gestaltet, aus dem sich dann die Götter erheben.

Häufigstes Motiv aber ist der Vogel in konsequent vereinfachter Gestalt. Die besten Vogelbilder sind herrliche Studien über Freiheit (Flug) und ihre Begrenzung (Rahmen); es sind – so paradox das klingen mag – streng komponierte Augenblicke der Leichtigkeit.

„Georges Braque. Graphisches Werk“. Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte. Münster, Domplatz (bis 27. Oktober). Di-Fr 10-18 Uhr. Katalog 70 DM.




Suzanne Vega: Eine gewisse Melancholie

Von Bernd Berke

Münster. „Don’t be shy! Express yourself!“ – Seid nicht schüchtern, geht aus euch heraus! Die New Yorker Rocksängerin Suzanne Vega wollte ihr Publikum verbal anstacheln. Doch wie, bitteschön, hätten die Leute ihre Musikbegeisterung in dieser kreuzbraven Halle Münsterland mit ihrer aufgereihten Bestuhlung Ausdruck verleihen sollen?

Außerdem ist Suzanne Vega selbst keine Frau von extrovertierter Art. Wenn sie beim Singen mal die Knie bewegt, ist das schon viel. Nur manchmal glaubt man bei ihr eine kleine, fast diebische Freude an der eigenen Musik zu verspüren. Ihre Intensität liegt woanders: in einer leicht neurotisch angehauchten Innerlichkeit. Angetan mit einer Kluft zwischen Uniform und Schulmädchenkleid (weiße Söckchen) steht sie auf der Bühne. Blaß, zerbrechlich, aber irgendwie standhaft und tapfer.

Suzanne und ihre erprobte Band (klassische Gitarrenrock-Besetzung) bringen einen soliden Querschnitt durch die bisherigen drei LPs/CDs: „Suzanne Vega“, „Solitude Standing“, „Days of Open Hand“; Hits wie „Luka“ und „Book of Dreams“ inklusive. In der vielleicht besten Passage des Abends singt Suzanne Vega aber ohne Band, unter anderem einen kleinen Folksong aus ihrer Schulzeit.

Nicht jeder ihrer eigenen Songs ist eine kreative Öffenbarung, manche Elemente wiederholen sich. Doch jede Nummer stammt unverwechselbar von ihr, jede trifft traumwandlerisch einen gewissen melancholischen Ton, jede für sich ist anhörenswert – und manch eine schlicht und ergreifend schön.

Eineinhalb Stunden dauerte das Konzert. Für ausschweifende Zugaben reicht das Songmaterial noch nicht aus. Nicht nur die Dauer, auch die Art der Präsentation wirkt ein bißchen abgezirkelt. Alles klingt live genau wie auf Platte. Manche mögen das, sie wiederhören. Aber die Spontanität bleibt etwas auf der Strecke.

Trotz solcher Einwände: Suzanne Vega gehört zum Originellsten und Echtesten, was die Rockszene Anfang der 90er zu bieten hat.




Kongreß über Kunst und Psychiatrie erkundet die „Heilkräfte“ der Kultur

Von Bernd Berke

Münster. Die Vergangenheit ist nicht vorbei: Wenn vom 1. bis zum 5. Oktober rund 500 Experten in Münster ihren Kongreß „Kunst und Psychiatrie“ abhalten, wollen die deutsehen Teilnehmer immer noch Schäden aus der NS-Zeit beheben.

Nirgendwo sonst hätten sich seit jenen Jahren Vorurteile gegen psychisch Kranke so hartnäckig festgesetzt wie in Deutschland, ließen die Kongreß-Organisatoren gestern wissen. Da treffe es sich gut, daß man vom Nachbarn mehr Toleranz und Offenheit lernen könne. Denn die Niederlande seien weltweit führend im gezielten therapeutischen Einsatz der Künste. Während in unseren Kliniken bildende Kunst, Tanz oder Theaterspiel oft nur als „Beschäftigungstherapie“ verabreicht würden, gelte kulturelle Betätigung in den Niederlanden als unverzichtbarer Behandlungsfaktor.

Veranstalter des Wissenschaftler-Treffens ist denn auch der 1975 gegründete „Niederländisch-deutsche Verein für seelische und geistige Gesundheit“, dem namhafte Psychiater, aber auch Forscher anderer Fachrichtungen aus beiden Ländern angehören. Der Kongreß soll nicht abgeschottet tagen, sondern sich möglichst stadtweit bemerkbar machen. Mitorganisator Dr. Wolfgang Pittrich vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe: „Die Bevölkerung soll sozusagen ständig über Kunst und Psychiatrie stolpern“. Zu diesem Zweck wird vor allem auch die örtliche Kulturszene mobilisiert, die z.B. Theateraufführungen und Filmprogramme zum Kongreßthema vorbereitet. Neben Profis und freien Kulturschaffenden betritt auch eine Gruppe. ehemaliger Drogenabhängiger aus Hamm im kulturellen Rahmenprogramm die Bühne. Außerdem laufen zeitgleich mehrere Ausstellungen mit Bildern von psychisch Kranken. Bei Vorträgen, Workshops und Exkursionen (in psychiatrische Anstalten) wollen die Teilnehmer allerdings auch mal unter sich bleiben.

Das Themenspektrum ist denkbar breit. Da geht es u. a. um „Kunst und Krankheit“ am Beispiel solcher Genies wie Vincent van Gogh oder Friedrich Hölderlin. Andere Vortrage tragen Titel wie „Patienten schaffen Kunst am Bau“, „Selbsterfahrung durch Farben“ oder „Therapeutische Arbeit mit Mitteln des Tanztheaters“.

Die Referenten kommen aus den Niederlanden und der ganzen Bundesrepublik, auch Fachleute aus Dortmund, Witten und Siegen sind dabei. Besonderheit: Der Referent fürs Hölderlin-Thema heißt Helmut F. Späte und kommt aus Halle/DDR; er ist einer der wenigen Spezialisten in seinem Land. Auch dort herrscht ansonsten jede Menge Nachholbedarf, was moderne Psychiatrie-Konzepte angeht.

Die Schirmherrschaft über den Kongreß hat Bundesbildungsminister Möllemann übernommen. In einem bereits formulierten Grußwort erinnert er an die lange Tradition heilkräftiger „Kunsttherapie“, auch wenn sie früher noch nicht so hieß: „Ich denke hier nur an den Isenheimer Altar von Mathias Grünewald, der Anfang des 16. Jahrhunderts zur Heilung und Tröstung von Kranken in Auftrag gegeben wurde.“

(Nähere Auskünfte und Kongreß-Prospekt beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Abt. Gesundheitswesen, Warendorfer Straße 24, 44 Münster. Tel. 0251/591-3260 oder 591/3840).




Die Industrie drängt sich ins Bild – Münster zeigt sozialgeschichtlich bedeutsame Privatsammlung

Von Bernd Berke

Münster. Wer kennt schon Leonhard Sandrock, Johan Coenders oder Gottlob Gottfried Klemm? Hauptsächlich Werke wenig bekannter Künstler (rare Ausnahme: Conrad Felixmüller) gehören zu einer dennoch interessanten Sammlung, die lange im Verborgen wuchs und jetzt erstmals öffentlich wird. Es geht um Industrie-Bilder von 1850 bis 1950.

Manche Künstler waren einfach vom Thema fasziniert und haben auf eigene Faust gemalt, andere – formal meist weniger ehrgeizig – illustrierten im Unternehmer-Auftrag. Dabei kam es mitunter zu einer fast „fabrikmäßigen“ Bilderproduktion.

Im Westfälischen Landesmuseum zu Münster wurde jetzt, erst kurz vor Ausstellungs-Eröffnung, das „Geheimnis“ um den Namen des Sammlers gelüftet. Es ist Dr. Ernst Schmacke, heute in Hamburg, früher im Ruhrgebiet (u. a. als Pressesprecher der Firma Demag) tätig. Seit rund 20 Jahren trägt er speziell Industrie-Bilder zusammen.

Sozialkritik allenfalls in harmloser Dosierung

Dieses Genre kommt selten auf Auktionen. Kaufchancen ergeben sich eher durch Beziehungen und Mundpropaganda. Den Beständen sieht man jedenfalls an, daß der Sammler die Unternehmersicht doch einigermaßen verinneriicht hat. Sozialkritik kommt auf den Bildern ganz selten und höchstens in harmlosen Zwischentönen vor. Zudem gibt es hier kaum Spitzenwerke, das allermeiste ist künstlerischer Durchschnitt.

Trotzdem befinden sich unter den 65 Exponaten, die noch um zwölf thematisch verwandte Bilder aus Münsteraner Museumsbesitz ergänzt werden, sozialgeschichtliche Fundstücke erster Güte. Beispiel dafür sind Arbeiten des Niederländers Herman Heijenbrock, von dem die meisten Bilder der Schau stammen (und der zur Zeit auch im Dortmunder Hoesch-Museum vorgestellt wird). Der Mann, der auf der Suche nach Industrie-Motiven durch halb Europa reiste, malte um 1908 den „Zug der Kohlenhauer“, der als Reproduktion aus vielen Geschichtsbüchern bekannt ist. Das jetzt gezeigte Originalbild galt indes als verschollen, bis Schmacke seine Kollektion zugänglich machte.

Direktorenvilla, mit Palmzweigen bekränzt

Bemerkenswert auch, wie die Industrie in den frühen Bildern zunächst an den Rändem der noch weitgehend unversehrten Landschaft auftaucht und erst später zunehmend ins Bildzentrum drängt. Auch erkennt man, wie die Unternehmer der Jahrhundertwende versuchen, das Image ihres Gewerbes durch Kunst veredeln zu lassen, etwa indem die religiös vorgeprägte, dreiteilige Altarform des Triptychons bemüht wird, um ein profanes Hamburger Fischtran-Lager darzustellen oder indem eine Direktorenvilla unter einer Art Bethlehem-Stern steht und mit Palmzweigen sowie Blümchen bekränzt wird. Gleich nebenan machen Bilder mit wüst rauchenden Schloten klar, daß es an der Quelle des Reichtums weniger blitzblank und schon gar nicht sakral zuging.

Nicht nur Zechen und Stahlwerke wurden gemalt, sondern u. a. auch Glasbläsereien, Steinbrüche, Eisenbahnen und Bahnhöfe, letztere als besonders dynamische Zeichen der Industrialisierung. Wenn man gezielt Bilder des Ruhrgebiets sucht, kommt man ebenfalls auf seine Kosten. Eugen Brachts Blick auf die „Hochofenanlage des Stahlwerks Hoesch in Dortmund“ (1905), eine Ansicht der Hattinger Henrichshütte oder Heinrich Arnold Tillmanns fabrikdurchsetzte Flußlandandschaft von Hohenlimburg (1887) vermitteln ein Stück Regionalgeschichte. Eine ungefähre Ahnung vom oft düsteren und beengten Alltag der Arbeiter im Revier zeigen derweil Bilder wie Fritz Uphoffs „Trunkene Kumpels“ von 1925.

„Industrie im Bild“. Westfälisches Landesmuseum Münster, Domplatz. 10. Juni bis 19. August, di-so 10-18 Uhr. Katalog 20 DM.




Malerei als immerwährendes Experiment – Werkschau zu Christian Rohlfs in Münster

Von Bernd Berke

Münster. Vor genau zwei Jahren stellte das Dortmunder Ostwall-Museum die Druckgraphik von Christian Rohlfs (1849—1938) aus. Da zeigte sich, daß Rohlfs auch im Graphischen „malerisch“ verfuhr, indem er allzu harte Linienführungen oft nachträglich mit dem Pinsel milderte. Jetzt ergibt sich im Westfälischen Landesmuseum zu Münster, wo mit über 90 Rohlfs-Gemälden die bislang größte Retrospektive dieses Künstlers zu sehen ist, gleichsam ein umgekehrter Effekt: Viele Ölbilder sind auf beinahe graphische Weise behandelt, indem Rohlfs pastose Farbschichten mit dem Spachtel aufriß, somit jede gefällige Glätte vermeidend. Rohlfs — ein stets unzufriedener Künstler, dem keine Technik genügte, der unablässig „nachbesserte“?

Tatsächlich hat Rohlfs nie den bequemen Weg gewählt.. Zunächst hätte er durchaus als Salonmaler auf dem Markt reüssieren können. Das wies er weit von sich. Und: Erst um 1890 lernte er Bilder französischer Impressionisten kennen. In den Jahren zuvor hatte er sich auf eigene Faust eine dem Impressionismus verwandte Farb- und Licht-.Sprache“ langwierig errungen, ja erkämpft — obwohl die Grundlagen im Nachbarland längst „entdeckt“ waren.

Rohlfs, später sozusagen ein Expressiver ohne das Pathos der Expressionisten, hat zeitlebens nur ein einziges Selbstporträt gemalt. Er war ein zurückhaltender „Eigenbrötler“, der sich nie in den Hauptstrom äußerer Einflüsse begab. In Münster kann man nun seine ganze Entwicklung nachvollziehen. Das war nur in engem Kontakt mit DDR-Museen möglich, da dort die prägnantesten Beispiele für das Frühwerk (bis 1890) vorhanden sind, während das mittlere und späte Werk fast nur bei uns verfügbar sind. Was lag da näher, als sich zusammenzutun? Besonders die Kunstsammlungen in Weimar, wo die Münsteraner Ausstellung von März bis Mai 1990 Station macht, haben aufschlußreiche Exponate beigetragen. Aber auch die Museen in Dortmund und Hagen zeigten sich großzügig.

Es beginnt mit einem „akademischen Schinken“. Titel: „Der Schutzflehende“ (1880). Eine Auftragsarbeit, ersichtlich ohne Passion gemalt. Daß Rohlfs schon zu jener Zeit „ganz anders konnte“, läßt das Bild „Römische Bauleute“ (1879) ahnen: bewußt „banales“ Thema, gewagter Anschnitt der Figuren, eigenwillige Farbgebung. Da zeigt sich bereits der Mann, der konsequent seinen Sonderweg gehen wird, der unermüdlich experimentiert, dabei zu „Abstürzen“ ebenso fähig wie zu großartigen Aufschwüngen.

Rohlfs, gebürtiger Holsteiner, war innig mit Westfalen verbunden. In Soest hat er wichtige Zyklen gemalt, vor allem aber seit 1901 in Hagen gelebt. Hier war es Karl-Ernst Osthaus, der den späteren Hagener Ehrenbürger Rohlfs mit internationalen Tendenzen bekannt machte — mit Manet, Cézanne, van Gogh. Um 1903/04 erprobt Rohlfs, etwa in den Bildern „Sonnenblumen“ und „Weiden“, Ausdrucksformeln à la van Gogh. Die Farbe wird zunehmend autonom, befreit vom Gegenstand. Aber auch im nachahmenden Versuch behält Rohlfs Kunst eigenes Gepräge. Lag es an dieser ständigen Offenheit fürs Experiment, daß Rohlfs — im Gegensatz zu den meisten Expressionisten — auch ein beachtliches Alterswerk vorweisen konnte?

Sodann einige Akte und das Bild „Getreidefeld“ (1911): Rohlfs „verletzt“ die Malfläche, wahre Farbhügel und Gräben ergeben eine rissige Oberflächenstruktur. Fast scheint es, als wolle die Farbe stellenweise aus dem Bild heraus spritzen.

1914 dann der Schock des Krieges: düstere Bilder („Sklavenhalter“, „Der Gehetzte“, 1918) und biblische Motive, Themen wie Sünde und Erlösung. Großartiges Beispiel aus dem Spätwerk Rohlfs‘, der von den Nazis als „entartet“ verfemt wurde: „Alter Turm“ (1935), aquarellhaft-ätherisches Blau, fast meditativ.

Christian Rohlfs – Gemälde. Westfälisches Landesmuseum Münster, Domplatz. Bis 11.2.1990. Tägl. (außer mo) 10-18 Uhr. Katalog 35 DM.




„Skulptur-Projekte“ in Münster: Klaus Barbie an der Haltestelle, riesige Kirschen über dem Parkplatz

Von Bernd Berke

Münster. Zwei überdimensionale Kirschen schweben über einem Parkplatz; an der Bushaltestelle leuchten abends Fotos des NS-Verbrechers Klaus Barbie auf; hoch oben an der Lamberti-Kirche flackern drei Irrlichter in den historischen Wiedertäufer-Käfigen – drei von rund fünfzig Objekt-Situationen, die, als großes Freiluft-Ereignis namens „Skulptur-Projekte“, Gänge und Fahrten durch Münster jetzt zum – mal verstörenden, mal erhellenden – Abenteuer machen.

Intensiver als gewohnt, tritt hier Kunst mit städtischem Raum, Baugeschichte und Rest-Natur in spannende Dialoge. 64 Künstler, darunter zahlreiche hochrenommierte, sind beteiligt! Allein 19 von ihnen sind auch bei der morgen beginnenden documenta 8 in Kassel dabei, was auf hohe Qualität hindeutet.

Die Liste der 64 Künstler reicht von Carl Andre über Per Kirkeby und Mario Merz bis zu Ulrich Rückriem und Richard Tuttle. Die internationale Crème der Skulpturen- und Objektemacher kam nach Münster, weil ein Skulpturenprojekt anno 1977 einschlägige Reklame für die Stadt gemacht hatte. Schließlich konnte man mit Prof. Kasper König („von hier aus“) einen AusstelIungs-Manager von anerkanntem Format gewinnen, der das Projekt gemeinsam mit dem Direktor des Westfälischen Landesmuseums, Prof. Klaus Bußmann, leitet.

Zwei Tendenzen zeichnen sich in der Kunstaktion, deren jetziger Zustand quasi nur die Zwischenbilanz eines offenen Prozesses darstellt, ab: Zum einen versteckt man sich nicht mehr im Kunstbetrieb, sondern geht selbstbewußt in den „öffentlichen Raum“, zum zweiten begnügen sich die Künstler längst nicht mehr mit der leidigen „Kunst am Bau“, die eh nur für belanglose Schnörkel an betonierten Sünden stand, und auch nicht mit einer ästhetischen „Möblierung der Stadt“. Vielmehr lassen sie sich auf die Stadt ein, nehmen Maß an ihr und machen sie auf unterschiedlichste Weise zum Untersuchungsgegenstand.

Und tatsächlich: Im Widerspiel mit den Kunstobjekten werden bauliche und planerische Details sinnfällig, die man sonst übersehen würde. Paradefall ist Ulrich Rückriems Skulptur „Dolomit zugeschnitten“, die auf subtile Weise die Formsprache der Petrichkirche aufnimmt, ja eigentlich erst verdeutlicht. Der Reiz des Konkreten, die Herausforderung durch eine bestimmte Umgebung, veranlaßte manchen Künstler, sich intensiv mit der Geschichte des jeweiligen Standortes zu befassen. Der konkrete Stadtbezug, so Kasper König, sei ein Faktor, der den Zugang erleichtere. Das Münsteraner Projekt werde daher wohl keinen Volkszorn auslösen wie jüngst der Skulpturen-Boulevard auf dem Berliner Ku’damm.

An öffentlichen Mitteln für das Projekt, das – mit Schwerpunkt in der City – das ganze Stadtgebiet umfaßt, standen nur 900.000 DM zur Verfügung. Sponsoren sorgten für eine Aufstockung des Etats. Dennoch bekam jeder Künstler nur 3000 DM Honorar. Über eventuelle Ankäufe einzelner Skulpturen soll 1989 entschieden werden.

Im Fußmarsch ist zwar das Kunstpotential der Innenstadt, kaum aber das ganze Projekt zu bewältigen. Typisch münster’sche Lösung: Es wurde ein Extra-Fahrradverleih eingerichtet. Die Fahrradleidenschaft der Stadt ist auch Thema eines Objekts im Innenhof des Landesmuseums. Reiner Ruthenbeck verhängte einige Dutzend Fahrräder (nicht abgeholte Exemplare aus dem Fundbüro) mit einer Fahne aus Lodenstoff – laut Kasper König eine Anspielung auf Kleidersitten von Möchtegern-Landedelleuten des Münsterlands.

„Skulptur-Projekte“. Offiziell 14. Juni bis 4. Oktober. Katalog (erst in etwa zehn Tagen fertig) 35 DM; Kurzführer 10 DM, erhältlich im Landesmuseum, Domplatz 10. Kostenlose Führungen: 0251/591-32 25.




Westfalens Städte anno dazumal – Münster zeigt historische Darstellungen

Von Bernd Berke

Münster. Im Spätmittelalter war Westfalen offenbar tiefste Provinz: Leute aus Nürnberg, die für die „Schedelsche Weltchronik“ auch deutsche Städteansichten sammelten, machten sich im Jahr 1493 gar nicht erst die Mühe der Anreise, sondern zeichneten ein ungefähres Konglomerat aus Kirchen und Burgen, schrieben „Westfalen“ über diesen Allgemeinplatz – und fertig war die Laube.

Wie sich die westfälischen Ortsansichten hingegen bis 1900 zu immer ausgiebigerer Detailfreude entwickelten, zeigt jetzt die Ausstellung „Westfalia Picta“ im Westfälischen Landesmuseum zu Münster (bis 3. Mai). Die Zusammenstellung von rund 180 „Ortsporträts“ zeigt gleichsam nur die Spitze des Eisbergs, ging sie doch aus einem zehnjährigen Projekt gleichen Namens hervor, in dessen Verlauf das kleine Team von Dr. Jochen Luckhardt rund 7500 Illustrationen dokumentieren konnte. Die Ausstellung soll auch „Appetithappen“ für die Buchreihe „Westfalia Picta“ bieten, in der bis 1991 sämtliche vorgefundenen Stadtbilder publiziert werden sollen. Der erste Band liegt seit Dezember 1986 vor.

In erlesenen Beispielen (Gemälde, Graphik, Pläne) aus allen westfälischen Landstrichen zeichnet die Münsteraner Schau die historische Entwicklung nach: Wurden Ortsansichten zunächst vor allem erstellt, um Rechtsunsicherheiten zu klären (Grenzmarkierungen), so dienten sie im Barock eher der selbstbewußten Repräsentation einer mittlerweile gefestigten Adelsherrschaft. Im 18. Jahrhundert stand dann, dem damaligen Zeitgeist entsprechend, oftmals das Naturerlebnis in Form von Stadt-Idyllen im Vordergrund. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden die Darstellungen wirklich verläßlich, was schließlich zu einer fast schon photographischen Genauigkeit führt. Vorher konnte es beispielsweise geschehen, daß Kirchen im religiösen Eifer stark vergrößert dargestellt wurden oder daß man – der ästhetischen Wirkung wegen – ganze Straßenzüge vertauschte.

In den Bereich des Kitsches reichen manche Exponate einer Kuriosa-Abteilung der Ausstellung. Hier findet man zum Beispiel Bilder von Hamm (in einem gläsernen Guckkasten), von der historischen Dortmunder Femlinde (auf einem Becher von 1842) sowie Orts-Silhouetten auf Krügen, Pfeifen und Porzellangeschirr. Nicht all diese Dinge sind ganz harmlos: Eine Tabaksdose mit dem Hermannsdenkmal als Etikett deutet auf den aufkommenden Nationalismus aggressiver Spielart hin.

Dokumentation, Ausstellung und Buchreihe haben auch praktischen Nutzen: Die alten Ortsansichten geben neue Aufschlüsse über die Baugeschichte Westfalens. In Einzelfällen konnten sie auch schon Denkmalschützern bei der Rekonstruktion historischer Häuser und Ensembles weiterhelfen.




Künstler beklagen sich: Die neuen Museen sind zu teuer und verfehlen ihren Zweck – Diskussion mit NRW-Kultusminister Schwier

Von Bernd Berke

Münster. Mit den bejubelten neuen Museumsbauten sind Künstler offenbar gar nicht einverstanden. Ob Mönchengladbach (Abteiberg), Essen (Folkwang), Düsseldorf (Kunstsammlung NRW), Frankfurt oder Stuttgart – wirklich ausstellungstauglich seien diese Kunsttempel mitnichten.

Diese Auffassung vertraten jedenfalls einige handverlesene Künstler aus NRW, die jetzt mit dem Kultusminister des Landes, Hans Schwier (SPD), in Münster über Aspekte der Kunstförderung diskutierten. Preiswertere und gleichwohl zweckmäßigere Museen hätte man errichten sollen, so die vorherrschende Meinung. Ulrich Rückriem, Konrad-von-Soest-Preisträger und wohl bekanntester Diskussionsteilnehmer auf Künstlerseite: „Vier Wände und ein Oberlicht, das würde reichen!“ Die Architekten aber hätten wohl vergessen, daß der Museumsbau der Kunst zu dienen, nicht aber sie zu überwältigen habe.

Ulrich Rückriem: Förderung schwemmt schlechte Kunst nach oben

Rückriem, Bildhauer und Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie, war der vehementeste Diskutant. Gegen seinen Wortschwall kam Minister Schwier kaum an. In Sachen Kunstförderung ließ Rückriem den diskussionswilligen Minister glatt „auflaufen“. Er, Rückriem, wolle für sein Teil gar keine Förderung; ein jeder Kunstler müsse sich auf eigene Faust durchkämpfen, und überhaupt sollten staatliche Stellen die Kunst „in Ruhe lassen“. Schon jetzt könne man 90 Prozent der Kunst vergessen (Rückriem benutzte ein schlimmeres Wort), bei verstärkter Förderung werde immer noch mehr „Mist“ hochgeschwemmt. Mit dieser fast sozialdarwinistischen Position eines international Arrivierten, vertrat Rückriem das Extrem.

Rolf Glasmeier aus Gelsenkirchen hingegen verwies auf das beachtliche Kunst-Potential im Ruhrgebiet, das jenem in Köln oder Düsseldorf durchaus ebenbürtig sei, das aber eben noch nicht ausreichend gefördert werde. Dies habe sich ganz deutlich bei der Revier-Kunstaktion „Grenzüberschreitung“ gezeigt. Glasmeiers Vorstellung: Das von „Horror-Designern“ geprägte Schreckbild unserer Städte könne von Künstlern korrigiert werden. Im übrigen gehöre unbedingt eine Kunst-Akadamie ins Revier.

Den Architekten auf die Finger sehen

Eine Möglichkeit verstärkter Kunstförderung ergibt sich – kurios genug – aus den Umstand, daß die Schülerzahlen im Lande beständig sinken. Alte Schulgebäude werden Verfügbar, die Künstlern kostengünstig als Atelierhäuser überlassen werden könnten; eine Möglichkeit, die Minister Schwier ausdrücklich guthieß.

Bei allem Geldbedarf: Als Sozialhilfeempfänger möchten sich die Künstler nicht abstempeln lassen. Statt dessen halten sie Ausschau nach alternativen Berufsfeldern. So wurde zum Beispiel der Vorschlag laut, „in jedes Architektenbüro“ einen Künstler oder eine Künstlerin als Aufpasser zu setzen, der/die – auf Honorarbasis – schlimme Bausünden verhindern solle.

Architekten, die (historisch gesehen) zuerst Autonomie und Freiheit der Kunst erstritten haben, schienen denn auch für die anwesenden Künstler in vielen Punkten die Haupt-Widersacher zu sein. Jammerschade, daß kein Vertreter der geschmähten Zunft an dem Gesprach teilnahm.

Statt Künstler zu Freizeit-Animateuren oder Sozialtherapeuten zu machen, müsse der Eigenwert der Kunst gewahrt werden. Unter anderem könne man hilfreiche Dienste bei Restaurationen von Gebäuden leisten, indem man das „Umweltverbrechen“ (Rolf Glasmeier) notorischer Stilbrüche vermeidet. Dazu freilich – so Ulrich Rückriem – fehlt es den Künstlern oft an rein handwerklichem Verständnis. Rückriem: „Die sollten beim Steinmetz oder in der Schlosserei anfangen, nicht in einer Akademie“.




Inszenierung der Familie auf Papier und Leinwand

Von Bernd Berke

Münster. „Familie“ – das Thema beschäftigt alle: vom häuslichen Krach und Frieden bis hin zu den zahllosen Clans, die sich im Fernsehen das Leben sauer machen. Breites Interesse dürfte also der Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte sicher sein, die rund 60 „Deutsche Familienbilder des 19. Jahrhunderts“ in Münster versammelt.

„Geborgen und gefangen“, so das Ausstellungsmotto, seien die Menschen im Schoß der Familie, behauptet Angelika Lorenz. Auf der Basis ihrer Doktorarbeit ist die Ausstellung entstanden. Jedoch: Auf den hier gezeigten Gemälden und Graphiken ist von dieser Doppeldeutigkeit der „Familienbande“, ist von Ironie noch wenig zu spüren. Damals galt das innige Zusammenleben der Blutsverwandten eben als naturgemäß und wurde gegen erkünstelte Imponier-Posen des Adels ins Spiel der Geschichte gebracht.

Nein, „gefangen“ wirken sie noch nicht, jene Figuren auf den Kupferstichen Daniel Chodowieckis, die in enger Verschlingung sich dem Privatglück hingeben, während daneben der Junggeselle im trostlos-kahlen Zimmer vor sich hinstiert. Das war damals kaum als Satire gemeint.

Schon im Klassizismus und in der Romantik ist „Natur“ aber nicht mehr selbstverständliches Attribut der Familie, sie muß in immer aufwendigeren Kunst-Kompositionen herbeizitiert werden. Man sieht idealische, wirklichkeitsferne Landschaften, konstruierte Staffagen und darin Menschen, z. B. „Gräfin Fries mit ihren Kindern“ (Josef Abel, 1811), die in ihren familiären Rollenzuweisungen (hier: Mütterlichkeit) heroisiert werden und wie antike Helden wirken.

Im Biedermeier, der „Hoch-Zeit“ der Familienbilder, nähern sich Landschaft und Requisiten zwar wieder der Wirklichkeit, gezeigt wird aber nur noch der enge Bereich um den heimischen Herd. Mit der Bildauswahl lassen sich Entwicklungsthesen belegen: Zum Beispiel die allmähliche Ausgliederung der Arbeitssphäre aus dem Familienbezirk sowie der gesellschaftliche Prozeß, der von der Groß- zur ideologisch hoffnungslos überfrachteten Kleinfamilie führt.

Die Zusammenstellung hat auch ihre „kulinarischen“ Seiten, so etwa Bilder von Ferdinand Georg Waldmüller, die zwar – aus heutiger Sicht – vor falscher Idylle nur so strotzen, aber schlicht und ergreifend perfekt gemalt sind.

Schließlich löst sich die Gattung der Familienbilder auf. Die Triebkräfte sind dabei wohl nicht nur innerkünstlerischer Art, die Bilder spiegeln auch reale Auflösungstendenzen der Institution Familie. Den Schlußpunkt setzt Lovis Corinths „Weihnachtsbaum“ (1913), nur noch eine – die Ungegenständlichkeit streifende – Rückenansicht zweier vereinzelter Kinder inmitten der festlichen Gaben. Hier ist die starre Inszenierung der bürgerlichen Familie mit ihren Symbolen von Natur, Besitz jung Bildung durchbrochen.

Die Ausstellung dauert vom 27. April bis 29. Juni, das Katalogbuch (Dissertation von Angelika Lorenz) kostet 29 DM.




„Ehrenrettung“ für den Graphiker Marc Chagall – Münster legt Schwerpunkt auf Frühwerk

Von Bernd Berke

Münster. Der im März 1985 verstorbene Marc Chagall hat sich in seinem graphischen Spätwerk oft nur noch spannungslos-süßlich selbst zitiert. Es fällt schwer, dies zu schreiben: Auf seine alten Tage hat Chagall manche Belanglosigkeit zu Papier gebracht. Zudem tauchen immer häufiger „wilde“, nicht autorisierte Nachdrucke auf.

Jetzt präsentiert das Westfälische Landesmuseum in Münster rund 300 graphische Arbeiten Chagalls, und just zu diesem Zeitpunkt steigt ein örtliches Kaufhaus massiv in den Kommerz mit Chagall-Drucken ein.

Chagalls graphisches Spätwerk rangiert im Urteil der Fachwelt niedrig. Gleichviel, ob den Experten vielleicht gerade die außerordentliche Popularität des Chagall’schen Figurenkosmos verdächtig ist – das Landesmuseum versucht sich nun sozusagen an einer „Ehrenrettung“, indem es den Schwerpunkt aufs graphische Frühwerk legt, das noch vor lauter unverbrauchter Fabulierlust sprüht.

Ernst-Gerhard Güse, der die Auswahl für Münster zusammenstellte: „Wir haben viel aussortieren müssen, weil es einfach nicht unseren Qualitätsvorstellungen entsprach.“ Chagall, der Weltkünstler – ein Stümper? Das nun doch nicht! Was für Münster ausgesucht wurde, reicht allemal für einen Platz in der Kunstgeschichte.

Im Mittelpunkt stehen große Graphikzyklen, die zwar nicht vollständig, aber in beachtlichen Anteilen zu sehen sind. Am Beginn: Chagalls Illustrationen zu seiner Autobiographie „Mein Leben“ von 1922, die auf’Anregung des Berliner Galeristen Paul Cassirer entstanden, durch den Chagall überhaupt erst (mit 35 Jahren!) auf die Möglichkeiten der Graphik aufmerksam wurde. Diese Radierungen zeigen noch ganz die dörfliche Welt, in der Chagall aufwuchs. Dichtung und Wahrheit verfließen aufs Herrlichste ineinander. Da sitzt etwa auf dem Blatt „Haus des Großvaters“ selbiger rittlings auf dem Dach – und Chagall behauptete in seiner Biographie, dies sei tatsachlich so vorgefallen.

Der Graphiker Chagall widmete sich vor allem Illustrationen dichterischer Vorlagen, zuerst (1923) zum satirischen Gogol-Roman „Die toten Seelen“. Gogol zeigt sich in diesem Werk als Meister der gekonnten Abschweifung, und Chagall kommt es genau auf jene „Nebensachen“ an, die die Atmosphäre ausmachen. Die Gogol’sche Sozialkritik blendet er allerdings weitgehend aus. Es folgen Illustrationen zu La Fontaines Tierfabeln. Chagall, zuvor mit leichter Linienführung arbeitend, bündelt und schraffiert, findet seinen unverwechselbaren Stil. Zugleich verdeutlicht die La Fontaine-Serie sein Heimischwerden im französischen Kulturkreis. Weiterhin sehenswert: Illustrationen zu „1001 Nacht“(„Arabische Nächte“), Bilder zum Alten Testament und Farblithographien zu Longus‘ klassischem Roman „Daphnis und Chloe“.




Gegenbilder zur Adenauer-Ära – Werke von Ernst Wilhelm Nay in Münster

Von Bernd Berke

Münster. Was den Marktwert anbelangt, könnte man Ernst Wilhelm Nay plakativ als „Joseph Beuys der 50er Jahre“ bezeichnen. Er gehörte seinerzeit zum „festen Stamm“ der Kasseler documenta, auch auf der Kunst-Biennale in Venedig war er vertreten.

Mittlerweile, nachdem einige Dutzend Stile, Moden und -ismen an der Kunstwelt vorübergerollt sind, ist er zwar nicht in Vergessenheit, wohl aber an die Ränder des Erinnerns geraten. Diesem Zustand will jetzt, mit subjektiv-eigenwilligen Akzenten, eine Ausstellung des Kunstvereins Münster abhelfen.

Ausschließlich aus privaten Sammlungen stammen die 48 Bilder, die einen Querschnitt durch alle Werkphasen (1932 bis in Nays Todesjahr 1968) geben. Zu verfolgen ist ein beständiges Ringen um eine quasi „musikalische“ Rhythmisierung und Öffnung der Bildfläche durch einen zunehmend stärkeren Eigenwert der Farb-Komposition.

Bildtitel wie „Schwarze Rhythmen rot zu grau“ (1952), „Tanzende Perlen“ (1953), „Swing“ (1953) und „Rondo“ (1958) deuten in Richtung musikalischer Ausdruckswerte. Welch ein Widerspruch zum glatten Perfektionswillen der damaligen „Wirtschaftswunder-Kapitäne“, welche Gegenbilder zu den Einengungsversuchen der Adenauer-Ara!

Der Vergleich mit der Musik ist natürlich eine Hilfskonstruktion, die dem Ungegenständlichen eine gewisse Faßbarkeit abgewinnen soll. Zeitweise, vor allem nach Mitte der 50er Jahre, löste sich Nay vollkommen von figurativ-gegenständlichen Formen, die hingegen in seinen „Scheiben“- und „Augen-Bildem“ wieder präsent sind.

In einigen Werkphasen werden die Farbwerte zusehends dynamischer, sie übersprühen und überfluten das Bildgefüge. Dann wieder, phasenweise abwechselnd mit diesen eruptiven Bildern, zwingt sich Nay zu strengerem Bildaufbau – dies allerdings nicht immer ohne Gefahr einer bloß noch dekorativen Wirkung. Die Wechselfolge gleicht einem Ein- und Ausatmen, sie gleicht Anspannung und Erleichterung, der Angst und deren Überwindung.

Neue (oder zumindest verdrängte) Erkenntnisse in Münster: Der Weg in die Gegenstandslosigkeit war schon in den 30er Jahren vorgezeichnet (als Nay den Nazis als „entartet“ galt), und die „Scheibenbilder“, mit denen Nay heute am meisten identifiziert wird (in Münster hängt nur eines aus dieser Serie), haben ihren Platz in einem viel breiteren künstlerischen Konzept.

E. W. Nay -Kunstverein Münster (im Westfälischen Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Domplatz 10). Bis 22. September. Di.-So. 10-18 Uhr. Katalog 25 DM.




Zeugnisse aus grauer Vorzeit: Auch Höhlen im Sauerland sind ergiebige Fundorte

Von Bernd Berke

Münster. Das seit 1980 gültige Denkmalschutzgesetz hat enorme Erleichterungen für die Wissenschaftler mit sich gebracht: Nicht nur historische Bauten, sondern auch zahlreiche Zeugnisse pflanzlichen und tierischen Lebens aus der Vorzeit konnten seither besser erhalten und ausgewertet werden. Diese Bilanz zog gestern in Münster der für ganz Westfalen zuständige Paläontologe des Westfälischen Museums für Archäologie, Dr. Jörg Niemeyer.

Seit 1980 gelten wichtige erdgeschichtliche Funde nämlich als „Bodendenkmäler“. So wird beispielsweise Fossilien-Findern eine Anmeldepflicht auferlegt. Wird sie eingehalten, so können sich Dr. Niemeyer und seine Mitarbeiter sofort auf den Weg „vor Ort“ machen. Sie könnten dort in dringenden Fällen sogar die Unterbrechung von Bauarbeiten veranlassen – gegen entsprechende Entschädigung. Zu diesem drastischen Mittel wurde bisher allerdings noch nie gegriffen, denn, so Niemeyer: „Damit würden wir mögliche Informanten abschrecken“.

Vor allem die zahlreichen Sand- und Kiesgruben in Westfalen gaben seit Bestehen des Gesetzes mehr her als je zuvor. Gerade Kiesgruben „konservieren“ aufgrund ihrer geologisehen Beschaffenheit prähistorisches Material außerordentlich gut. Schon mancher Grubenarbeiter lieferte wissenschaftlich interessante „Nebenprodukte“ vom Fließband weg an die Experten.

Dr. Niemeyer konnte gestern einige eindrucksvolle Kiesgruben-Funde präsentieren, darunter kapitale Mammutknochen, die Zahnreihe eines prähistorischen Riesenhirschen, das Skelettstück eines Bibers, der sich in grauer Vorzeit im damals noch feucht-sumpfigen Westfalen offenbar sehr wohl gefühlt hat. Auch Überbleibsel eines Fellnashorns kamen ans Tageslicht.

Das Alter dieser Funde schwankt zwischen 20 000 und 100 000 Jahren. Zur groben Orientierung: Vor 10 000 Jahren ging für Mitteleuropa die letzte Eiszeit zu Ende. Weitaus jüngeren Datums, vielleicht sogar erst mittelalterlich, sind jene menschlichen Schädel, die aus zwei benachbarten Kiesgruben bei Minden stammen. Einer weist einen Spalt auf, der vielleicht von einem derben Schwerthieb herrührt. All diese Funde werden demnächst ins Naturkundemuseum zu Münster wandern.

Nicht nur die (meist im Raum Minden gelegenen) Kiesgruben, sondern auch die sauerländischen Höhlen tauchen nicht selten als Fundorte in den Chroniken der Münsteraner Wissenschaftler auf. Kürzlich sind die sauerländischen Höhlen komplett aufgelistet worden. Man kam auf rund 600. Kein Wunder also, daß hier vor allem Reste von Höhlenbären gefunden wurden. Aber auch Menschenknochen, Werkzeuge und Mammut-Skelette wurden gesichert. Großes Problem Im Sauerland: Selbsternannte Höhlenforscher“, die sogar Stahltüren an den Höhleneingängen aufschweißen, um an vorzeitliche Relikte heranzukommen.




Neuer Atlas zeigt Westfalen in allen Einzelheiten – Erste Blätter sind erschienen

Von Bernd Berke

Münster. Wie hoch ist die Bettenkapazität für Touristen in Arnsberg? Wo herrscht im Sauerland „Reizklima“? An welchen Stellen in Westfalen kommen weiße Seerosen vor? l Diese und etliche andere Fragen soll der „Westfalenatlas“ beantworten, dessen erste Lieferung jetzt erschienen ist.

Mit dem „Jahrhundertwerk“, bundesweit als Kartenprojekt beispiellos, geht es langsam, aber stetig voran: Die ersten vier von 100 Blättern sind fertig. Pro Jahr sollen vier weitere hinzukommen. Bei diesem Tempo wird man das Jahr 2009 schreiben, wenn das Konvolut komplett vorliegt. Und aktualisieren will man zwischendurch auch noch.

Keine andere deutsche Gegend freilich wird dann dermaßen detailliert kartographiert sein wie Westfalen. Nahezu alle denkbaren Aspekte natürlicher, historischer und gesellschaftlicher Art sollen erfaßt werden. Das geht von der Mundartentwicklung über Siedlungsformen und Bevölkerungszahlen bis hin zur heimischen Tier- und Pflanzenwelt. Federführend ist die für dieses Mammut-Unternehmen eigens personell aufgestockte Geographische Kommission für Westfalen, die dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe untersteht.

Schon im Gründungsjahr der Kommission (1936) reiften Träume von einem derartigen Kartenwerk. Nach dem Krieg wurde die Idee wieder aufgegriffen. Zielgruppe sind vornehmlich die Schulen des Landes, deren Lehrpläne nun wieder verstärkt Bemühungen um regionalkundliches Wissen vorsehen. Die ersten Atlas-Blätter (je eine Haupt- und vier Nebenkarten, dazu Texthefte) sind von der nächsten Woche an über den Buchhandel zu beziehen. 100 Bestellungen liegen vor, die Startauflage soll 2000 Stück betragen.

Wie schwer es sein wird, wissenschaftliche Daten ganz unterschiedlicher Herkunft und Zuverlässigkeit anschaulich auf Karten darzustellen, schwante den Machern vermutlich schon, als sie versuchten, überhaupt erst einmal den Begriff „Westfalen“ einzugrenzen. Vergangene Jahrhunderte verstanden nämlich darunter ein nördlicher gelegenes Gebiet. Erst die Ausdehnung der Preußen-Provinz „Westfalen“ kommt heutigen Begriffen näher. So reichen denn die Karten auch von Oldenburg bis Marburg, wobei Westfalen als Kerngebiet hervortritt, das mit anderen Regionen eng verflochten ist.

Hier die Preise: Jahreslieferung 58 DM (im Voraus-Abonnement 46,40 DM), Einzelkarten 19,80 DM, Sonderrabatt für Schulklassen.




Spukhafte Schraffuren – Werkschau über Paul Flora in Münster

Von Bernd Berke

Münster. Als Karikaturist der Wochenzeitung „Die Zeit“, auf deren Titelseite er von 1957 bis 1971 präsent war, ist er weithin bekannt geworden. In welchen kunstgeschichtlichen Zusammenhhängen Paul Flora (63) und seine filigranen Federzeichnungen stehen, macht jetzt eine Retrospektive im Westfälischen Landesmuseum Münster mit über 200 Exponaten deutlich (ab Sonntag, bis 18. August, Katalog 18 DM).

Schon die skurrilen Erfindungen der frühen Jahre – gezeigt werden Arbeiten ab 1940 – verdanken sich jener johen Kunst des Weglassens und dem lakonisch-souveränen Spiel mit Form und Linie, über die Flora später fast nach Belieben verfügte. Manche Blätter führen auf die Spur eines gewichtigen künstlerischen Ahnherrn: Paul Klee. Den Blick fürs abseitig-groteske Detail und immerwährende Todedrohung schärfte der Österreicher Flora eingestandenermaßen bei Alfred Kubin.

Aus gespinstartigen Schraffuren, deren mal akkurates, mal mal wirres Geflecht außerordentlich differenzierte Schattierungen ergibt, schichtet Flora ganze Bilder auf. Die hauchfeinen Linienkaskaden verdichten sich zu präzisen Augenblicks- und Zustands-Schilderungen. Auch wenig greifbare Phänomene wie Nebelschwaden nehmen so spukhafte Gestalt an. Und die verhaßten Militärs erscheinen da auch schon mal als pflanzlich-ornamentale Strukturen.

Floras makabre Ader tritt u. a. in seiner „Dracula“-Serie hervor, aber auch in zielsicher hingeworfenen Chaos-Studien wie dem „Eisenbahnattentat“ (1958) oder dem „Unhold als Menschenschlächter“.

Flora schritt nicht den ganzen Themenkreis der Kunst aus, sondern wählte enge Bezirke, deren bildnerische Möglichkeiten er (zuweilen obsessiv) in allen Nebenverästelungen ausschöpfte. Beispiele dafür sind eine subtile Serie über Könige, die in Sänften getragen werden, sowie sein düsteres „Markenzeichen“: der Rabe, der in ungezählten Variationen auftaucht, auch als Schnabelmaske mittelalterlicher „Pestärzte“.

Ein großer Teil der Ausstellung widmet sich natürlich den politischen Karikaturen für „Die Zeit“, deren tagesaktuelle Anlässe zwar verblaßt sind, deren formale Grundlagen und Qualitäten aber hier, im Kontext des Gesamtwerks, erst recht verblüffen.




Im soliden Mittelfeld der Kunst – „Exponata“ in Münster

Von Bernd Berke

Münster. Vom Kunstbetrieb und seinen diversen „Szenen“ fühlen sie sich immer mehr an den Rand gedrängt. Deshalb nehmen die Mitglieder im Berufsverband Bildende Künstler (BBK) Westfalen Süd/Nord ihr Ausstellungsschicksal dann und wann in eigene Hände.

Die größte Präsentation dieser Art bekam den hübsch-häßlichen Namen „Exponata“ (der eher einer Industriemesse anstünde) und hatte 1983 in Münster Premiere. Am Sonntag startet dort – im deutlich erweiterten Rahmen – die „Exponata ’86“.

Hält man sich am Hauptbahnhof schräg rechts und biegt man in die Mauritzstraße ein, so ist man schon auf dem langen „Kunst-Weg“, der sich quer durch die Innenstadt schlängelt und bis zur Orangerie und den Freilandskulpturen im Schloßgarten reicht. Diesmal räumten auch dreizehn Kaufleute am Prinzipalmarkt ihre Schaufenster komplett für Kunst aus Westfalen.

Die mit rund 570 Arbeiten fast aller Genres vertretenen 141 Künstler aus dem Raum zwischen Münsterland und Siegen, Dortmund und Detmold stehen nicht für die international marktgängigen „Spitzen“, sondern für jene achtbare Kunst, die in dieser Region tagtäglich entsteht. Ausgesprochene Stars fehlen, Dilettanten gleichfalls. Vom „soliden Mittelfeld“ der Kunst spricht denn auch der Dortmunder Roland Altmann, Öffentlichkeitsarbeiter des hiesigen BBK.

Offensichtlich wurde diesmal nach strengeren Kriterien ausjuriert als noch beim „Schnellschuß“ 1983. Auch der Altersdurchschnitt der Künstler ist gesunken. Gleichwohl ist die „Exponata“ eine der ganz wenigen Ausstellungs-Gelegenheiten, auf die auch noch über 70jährige zurückgreifen können, die natürlich nicht mehr im Schickeria-Trend à la Köln oder Düsseldorf liegen. Zugleich scheint beim BBK ein leidlich frischer Wind zu wehen. Immerhin rund 40 Prozent der Künstler waren 1983 noch nicht dabei. Einen „harten Kern“ gibt es aber auch.

Trends oder auch nur Schwerpunkte sind schwerlich auszumachen, ging es den (durchweg ehrenamtlichen) Organisatoren aus dem Verband doch gerade um die Pluralität (Vielfalt) der Aussageweisen und Stilrichtungen. Kein Drängen ist daher spürbar, schon gar keine Aufbruchstimmung. Es geht eher um Selbst-Bestätigung. Vielfach charakteristisch: ein manchmal sympathisch-konsequent, seltener auch hausbacken oder halsstarrig wirkendes Beharren auf altvertrauten Mitteln.

Erfreulich ist, daß hier – neben einer ganzen Reihe von Dortmundern – zahlreiche Künstler aus Südwestfalen zum Zuge kommen, die ansonsten überregional keine „guten Karten“ haben.

Etwas verstimmt zeigen sich die Veranstalter über die Haltung des Westfälischen Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte in Münster, das dem BBK aus Konzeptgründen seine Pforten nicht öffnen mochte. Auch dies also ein Ziel der „Exponata“: der Leitung des renommierten Museums zu zeigen, daß es sich doch gelohnt hätte.

„Exponata ’86“. 8. Juni bis 3. August: Rathaus, Stadthaus-Galerie, Landeshaus, Orangerie, Uni-Hörsaalgebäude, Volksbank-Galerie – bis 28. September im Schloßgarten und im Botanischen Garten.




„Heldenhafte“ Industriearbeit in Pastellfarben – Bilder des Niederländers Herman Heyenbrock

Von Bernd Berke

Münster. Ausgesprochenes Mitleid hatte Herman Heyenbrock (1871-1948) mit dem Proletariat kaum. Eher bewunderte der niederländische Maler das „Heldentum“ der Industrie-Arbeiter, die alle bis dahin gekannten Schranken der Produktion überwanden.

Der Künstler hielt zu Beginn unseres Jahrhunderts Industrieszenen in Nord- und Westeuropa (Wales, Schweden, Ruhrgebiet) für die Nachwelt fest. Dabei machte er auch für einige Wochen in Hörde, dem heutigen Dortmunder Ortsteil, Station.

80 Heyenbrock-Bilder, darunter einige Ansichten der Hörder Hermannshütte aus der Zeit vor 1910, sind jetzt im Westfälischen Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster zu sehen (bis 9. Juni, Katalog 10 DM). Seit 1910 hat kein deutsches Museum eine solche Auswahl zusammentragen können. Insgesamt soll es 1200 Industriebilder von Heyenbrock geben.

Heyenbrock war Sohn eines Amsterdamer Bäckers. Sein Augenmerk richtete sich denn auch zunächst auf das Handwerk, etwa auf die Zigarrenherstellung (1898). Handwerkliche Fertigkeiten spürte er sodann auch im industriellen Prozeß auf. Da wird – vor allem in den frühen Serien über Bergbau – der einzelne Arbeiter hervorgehoben, sofern er eine Tätigkeit ausübt, die Fachwissen erfordert.

Im Lauf der Zeit spiegelt sich aber der Industrialisierungsfortschritt bei Heyenbrock darin, daß er Individuen zunehmend als Statisten vor kolossalen Maschinen darstellt. Hier ist er (vielleicht unfreiwillig) Realist.

Freilich konnte er seine grundsätzlich idealistische Prägung nicht verleugnen. Sein Fortschrittsoptimismus bleibt unverkennbar. Allerdings beschönigt er die Situation der Arbeiter nicht durch hohles Pathos. Höchstens setzt er hie und da ein paar impressionistisch-dekorative Spitzlichter oder Illuminationen auf. Generell aber stellt er die Kohle- und Hüttenreviere jener Zeit so verqualmt und rußig dar, wie sie eben gewesen sind. Man bekomme Staublunge, wenn man diese Bilder nur länger anschaue, soll einmal ein Betrachter gesagt haben.

Ein großer Künstler war Heyenbrock, der in Amsterdam als Gründer eines (1948 aufgelösten) „Museums der Arbeit“ eine Pioniertat vollbrachte, gewiß nicht. Man könnte ihn als getreulichen Dokumentaristen bezeichnen, der mit gestalterischem Anspruch zu Werke ging. Diesem Anspruch wurde er mit Pastellbildern eher gerecht als mit seinen weit selteneren Ölgemälden. In Pastell erzielte der an schnelle Auffassung und Wiedergabe gewöhnte Ex-Pressezeichner lebendigere Wirkungen.




Rodin und die Inszenierung des Körpers

Von Bernd Berke

Münster. Für eine Skulptur des Schriftstellers Honoré de Balzac nahm sich Auguste Rodin viel Zeit. 1891 bekam er den Auftrag, bis 1898 fertigte er zahllose Skizzen und Entwurfsstudien. Rodin recherchierte genau. Sogar den Schneider des berühmten Toten suchte er auf und entlockte ihm exakte Angaben über die KörpermaBe des Dichters – Kunst, mit wissenschaftlicher Akribie betrieben. Auch darin war Rodin ein Kind seiner Zeit.

Daß Rodin (1840-1917) d e r stilbildende Bildhauer des späten 19. Jahrhunderts war, ist fast ein Gemeinplatz. Daß er auch als Zeichner zu kaum weniger vollendete Formen fand, kann jetzt – umfassend wie nie zuvor – im Westfälischen Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte nachvollzogen werden. Eine Reihe von Architekturzeichnungen wird erstmals außerhalb Frankreichs gezeigt.

Die meisten Exponate, darunter die Balzac-Studien, stammen aus den Magazin-Beständen des „Musée Rodin“ in Paris. Die Ausstellung verschafft mit etwa 180 Zeichnungen und Aquarellen einen Überblick zu Rodins Lebenswerk (insgesamt 8000 Blätter). Die Zeichnungen sind nicht etwa bloß Vorstufen zu den Skulpturen, sondern bilden einen durchaus autonomen Strang in Rodins Schaffen.

Es beginnt mit Arbeiten aus den 1860er Jahren, die noch deutliche Kennzeichen akademischer „Fingerübungen“ tragen. Besonders gilt dies für einige Akte im Geiste des Klassizismus, die ebensogut von David oder Ingres stammen konnten. Über die zeichnerische Wiedergabe von Michelangelo-Statuen und die Darstellung antiker Szenen entwickelt Rodin immer entschiedener „seinen“ Stil.

Ausführlich werden die Entwürfe für das „Höllentor“ (inspiriert von Dantes ,,Göttlicher Komödie“) dokumentiert. Ähnlich wie „Faust“ Goethe sein Lebtag beschäftigte, so das ,,Höllentor“ Rodin. Ein schon unverwechselbarer Gestus kennzeichnet die Höllenstudien mit ihren dunkeldramatischen Tönungen.

Rodin bildet nicht einfach Körper ab, er bringt gleichsam die Kraftlinien zu Papier, die diese Körper in Bewegung setzen. Wenn er Figuren zu Gruppen zusammenstellt, so fügen sie sich zu ungeheuer dynamischen ,,Körper-Inszenierungen“. Spitzenstücke der Ausstellung sind die hauchzarten, schier „verfließenden“ Zeichnungen kambodschanischer Tänzerinnen, die 1906 in Frankreich gastierten und Rodin durch die Natürlichkeit ihrer Bewegung faszinierten.

Im Spätwerk nähert sich Rodin zeitweise dem Stil von Henri Matisse, zuweilen überschreitet er auch bereits die Grenzen der Gegenständlichkeit, indem etwa eine kniende Frauengestalt, die den Kopf zurückwirft, auf einem weiteren Bild zur Vasen-Form umgestaltet wird. Beide Arbeiten hängen in Münster nebeneinander, der Abstraktionsprozeß kann exemplarisch verfolgt werden.

Auguste Rodin – Zeichnungen und Aquarelle. Münster, Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte. Bis 20. Januar. Katalog 40 DM.




Westfalens Gesellschaft zur Goethezeit – auf Bildern von Johann Christoph Rincklake

Von Bernd Berke

Münster. Westfalens Adel ging um das Jahr 1800 mit der Zeit. Man hatte schließlich „seinen“ Rousseau gelesen und kehrte auch dann „zurück zur Natur“, wenn man sich porträtieren ließ: Nun getrauten sich auch Damen von Stand, inmitten ihrer Kinderschar oder gar im „Zustand der Hoffnung“ vor den Maler zu treten.

Es war aber zugleich die Ära, in der das Selbstbewußtsein des westfälischen Bürgertums wuchs. Nur: Statt der Wappen, die die adeligen Herrschaften vorweisen konnten, staffierten sich Bürgersleute fürs Konterfei mit Signalen für erbrachte „Leistung“ aus. Ein wissenschaftliches Buch für den Herrn, ein Strickstrumpf für die Dame – und schon war die Heraldik wirksam ersetzt.

Westfalens wohl bester Porträtmaler zur „Goethezeit“ hieß Johann Christoph Rincklake (1764-1813). Sein Werk wird jetzt in einer Ausstellung des Westfälischen Landesmuseums fur Kunst und Kulturgeschichte dokumentiert (23.9. bis 4.11.). 150 Bilder sind zu sehen, darunter 100 bisher unbekannte Werke, die sich zu 90 Prozent noch in Privatbesitz (meist Nachfahren der Porträtierten) befinden. Die Bilder ergeben ein Panorama der westfälischen Gesellschaft – von Ansichten derer zu Romberg, Westerholt oder Heeremann bis hin zur Wirtstochter und zur Dortmunder Kaufmannsfrau.

Obwohl Rincklake eine Akademieausbildung (Lehr- und Wanderjahre in Dresden, Düsseldorf, Wien) vorweisen konnte, sind die Exponate weniger unter künstlerischen als unter regionalgeschichtlichen Aspekten aufschlußreich. Gesellschaftliche Umbrüche nach der Französisehen Revolution, neue Rituale der Trauer um Verstorbene oder auch das Geschlechterverhältnis jener Zeit können oft anhand unscheinbarer Details nachvollzogen werden. Beispiel: Selbst Schriftstellerinnen wurden damals nicht etwa mit Symbolen intellektueller Betätigung wie Feder und Tintenfaß abgebildet, sondern bestenfalls mit einer Leier.

Pünktlich zur Ausstellung ist ein Buch über Rincklake erschienen (Verfasserin: Hildegard Westhoff-Krummacher; Preis des Bands 98 DM, ab 1985 etwa 120 DM). Der Ausstellungskatalog in Münster kostet 15 DM.




Faszination technischer Formen – Zeichnungen und Aquarelle von Fernand Léger in Münster

Von Bernd Berke

Münster. Der denkbar größte Gegensatz zu einem Schlüsselbund? Das ist die „Mona Lisa“; befand zumindest der französische Künstler Fernand Léger (1881-1955) – und brachte beides zusammen zu Papier.

Daß Léger, der neben Braque und Picasso (gleichfalls Jahrgang 1881) als einer der wichtigsten Kubisten gilt, auch schon mal derart surrealistisch verfuhr, ist eine – nicht die einzige – Erkenntnis, die jetzt eine Ausstellung im Münsteraner Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte vermittelt.

Zur willkürlichen „Mona-Lisa“-Kombination findet sich in Münster eine Vorstudie, wie denn überhaupt das zeichnerische Werk im Vordergrund steht. Daneben werden Gouachen und Aquarelle gezeigt, insgesamt über 100 Exponate aus allen Werkphasen. Ausgespart bleiben nur die impressionistischen Anfänge Légers. Nicht ohne Grund, denn er selbst hat sich schon frühzeitig von dieser Stilrichtung losgesagt.

Durch die chronologische Hängung der Blätter lassen sich schulbuchmäßig Einflüsse ausmachen. Zunächst die immer entschiedenere Abstraktion in der kubistischen Phase nach 1907. Unverwechselbar werden Légers Arbeiten erst nach dem 1. Weltkrieg, dem ersten hauptsächlich „maschinell“ geführten Krieg. Die kubistisch-geometrischen „Bausteine““werden immer stärker von der Faszination durch technische Gebilde geprägt, nähern sich wieder der Gegenständlichkeit. Léger war nicht der Technik hörig, sondern verschmolz F o r m-Teilchen der mechanisierten Welt zu einer neuen, gegenwartsnahen Bildsprache.

Die Objekte verselbständigen sich, greifen aufs Menschenbild über. In „Der Tanz“ (1919) oder „Akrobaten“ (um 1920) verschlingen sich die Körper wie ineinandergreifende Teile von Apparaten. In zahlreichen „Objektzeichnungen“ aus den 30er Jahren sind die maschinellen Formen sozusagen „unter sich“ oder bilden Gegensatzpaare mit organischen Formen: Die „Komposition mit Blatt“ (1928/30) stellt die erstarrten Umrisse eines Baumblatts neben ein technisch anmutendes Gebilde, das aber in schönster Weise funktions- und „sinnlos“ erscheint.

In den 40er Jahren findet Léger zu einer ganz eigenen Figürlichkeit. Monumentale, mit vermeintlich „naivem“ Strich rundlich konturierte Figuren stellen Szenen aus der Welt der arbeitenden Menschen dar. Doch Léger konzentriert sich auf deren „Sonntagswelt“, die frei ist von Unterdrückung und in der die Menschen im „Kollektiv“ aufgehoben sind – Bilder einer Utopie.

Fernand Léger. Westfälisches Landesmuseum, Münster, Domplatz 10. Vom 5. Februar bis 18. März. Katalog 25 DM, Plakat 5 DM.




„Ereignis-Karikaturen“: Geschichte in spöttischen Bildern

Von Bernd Berke

Münster. Eine Wildsau mit preußischer Pickelhaube steckt in der Falle, auf der „Verdun“ steht. Bismarck geht von Bord eines Schiffs, spielt Schach gegen den Papst. Napoleon trifft am Rande des Schlachtfelds ein Skelett.

360 sinnfällige Beispiele dafür, wie Zeichner zwischen 1600 und 1930 komplizierte politische und gesellschaftliche Vorfälle mit variiert wiederkehrenden Ausdrucksmitteln karikieren, sind ab Sonntag im Münsteraner Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte zu sehen. „Ereignis-Karikatur“ heißt die Ausstellung.

Die bissig-oppositionellen, in nationalen Hurrah-Zeiten oft aber auch offiziös-propagandistischen Drucke stammen zu zwei Dritteln aus dem Fundus des Landesmuseums. Leihgaben kamen unter anderem vom Dortmunder Institut für Zeitungsforschung. Besonders interessant für Revierbewohner: Spottbilder aus der Zeit des „Ruhrkampfs“.

Die Vorbereitung dauerte zwei Jahre. Damit die große Zeitspanne einigermaßen repräsentativ erfaßt werden konnte, mußten tausende von Karikaturen gesichtet werden. Da die Akzente überdies auf Regional-, National- und Kontinental-Historie liegen, hatte man ein weites Feld zu beackern.

Dennoch mutet die getroffene Auswahl nicht zufällig an. Grundforme(l)n dessen, was immer wieder aus spitzen Federn floß, werden erkennbar. Etwa die „Axt am Baum der Freiheit“: Nicht nur Innenminister Zimmermann setzt sie in neuesten Karikaturen an. Dieses Motiv war schon im 17. Jahrhundert geläufig. Epochenübergreifendes Bildmuster auch: Einzelpersonen werden stellvertretend für im Krieg unterlegene Heere verhauen oder bekommen Kanonen zum Frühstück serviert. Übrigens: Spruchblasen – Urelement der späteren Comics – tauchten seit dem 17. Jahrhundert vermehrt auf.

Der Besucher muß viel Zeit mitbringen. Die Beleuchtung (vorschriftshalber matte 50 Lux) ist schwach, die Zeichnungen erfordern indessen genaues Hinsehen. Das Landesmuseum leistet jedoch dreifache Hilfestellung zum besseren Verständnis: Im Katalog (35 DM) wird der historische Hintergrund jedes einzelnen Exponats dargestellt. Eine Diaschau in den Ausstellungsräumen vertieft das Gesehene (man sollte sie erst zum Schluß anschauen, sonst verblaßt die Wirkung der teilweise sehr kleinen Original-Drucke). Schließlich findet sich unter jedem Bild eine Kurz-Erläuterung.

Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte (Münster, Domplatz 2): „Ereignis-Karikatur“. Geschichte in Spottbildern 1600-1930. Bis 13. November.




Geschichte der türkisch-westfälischen Beziehungen – Ausstellung in Münster

Von Bernd Berke

Münster. Westfalen und Türken haben es nicht erst miteinander zu tun, seitdem die „Gastarbeiter“ gerufen wurden. Daß es vielmehr eine lange (und schlachtenreiche) Tradition solcher Wechselbeziehungen gibt, belegt die gestern eröffnete Ausstellung „Münster, Wien und die Türken“.

Vor 300 Jahren standen Heerscharen des „Osmanischen Reichs“ (heutige Türkei) als „Bedrohung der Christenheit“ vor den Toren Wiens. So sahen es wenigstens die mitteleuropäischen Herrscher, die im Geist der Kreuzzüge zur Verteidigungsschlacht und dann zum Eroberungskrieg bliesen. Die Ausstellung in Münster erinnert – als einzige in Deutschland – an das Jahr 1683, in dem auch münstersche Bäckerjungen an der Verteidigung Wiens mitgewirkt haben sollen.

In späteren Kriegen fochten Münstersche Söldner fürs „Abendland“. Das Jahr 1916 markiert einen weiteren Einschnitt: Damals wurde in Münster eine deutsch-türkische Gesellschaft ins Leben gerufen, zur Zeit der „Waffenbruderschaft“ im 1. Weltkrieg.

Die etwa 200 Exponate stammen nur aus deutschen Privatsammlungen. Türkischen Museen ist es verboten, Leihstücke außer Landes zu geben. Doch auch so hatte Hans Galen, Leiter des Stadtmuseums, die Qual der Wahl: „Wir können nur einen Bruchteil zeigen“.

Eins der wertvollsten Stücke ist das „Große Heeresbanner“ von 1810, aus einer sogenannten „Türkenbeute“. Ein Raum ist der streng hierarchisch bestimmten osmanischen Trachtenordnung gewidmet, im Münzkabinett kann man die Historie im Spiegel der Prägekunst Revue passieren lassen. Beutestücke, Original-Porträts der handelnden Personen sowie Schrift-Dokumente runden die Schau ab.

Zu kurz kommt der Ausblick auf das heutige Verhältnis von Türken und Deutschen. Lediglich ein paar Fotos zeigen Arbeits- und Wohnsituationen. Schier unmöglich ist es daher, die Verbindungslinie zu den anderen Exponaten zu ziehen, die übrigens ohne den (sehr preiswerten) Katalog auch nicht immer „für sich sprechen“. Im Katalog finden sich übrigens keine türkischsprachigen Erläuterungen…

Stadtmuseum Münster: „Münster, Wien und die Türken 1683-1983″, bis 21. August, täglich 10 bis 13 und 15 bis 18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr, montags geschlossen; Katalog 14DM.




Sinkt das Interesse an großen Museen?

Von Bernd Berke

Münster. Die großen Museen, etwa in Köln, München und Berlin, verzeichnen sinkende Besucherzahlen, die kleinen und mittelgroßen Institute holen auf. Das sind die Trends, die sich in der (noch nicht abgeschlossenen) Statistik für 1982 deutlich abzeichnen.

Vertreter des Deutschen Museumbundes (DMB), dessen Jahrestagung gestern in Münster zu Ende ging, sprachen in diesem Zusammenhang von einem „Rückgang aufs normale Maß“ und nannten als mögliche Gründe für die Einbußen das Fehlen besonders spektakulärer Ausstellungen sowie die in der Rezession immer öfter geübte Praxis, dort Eintrittsgelder zu erheben, wo es bislang Museumskultur „zum Nulltarif“ gab. Auch sonst stand die Tagung zum großen Teil im unheilschwangeren Zeichen der Finanzmisere.

Dr. Christoph B. Rüger (46), Direktor des Rheinischen Landesmuseums Bonn und frischgebackener Vorsitzender des Deutschen Museumsbundes (der 636 „Vollmitglieder“ vertritt), beklagte vor allem die Auswirkungen des neuen Künstler-Sozialversicherungsgesetzes. Die Paragraphen schreiben vor, daß fünf Prozent der Ankaufsummen für Objekte lebender Deutscher Künstler an deren Sozialfonds abzuführen sind. Rüger: „Damit werden die ohnehin schon knappen Mittel für den Kunstankauf nochmals verkürzt“. Zwar sei eine solide Absicherung der Künstler wichtig, doch dürfe sie nicht auf Kosten der Ankaufsetats gehen. „Die öffentlichen Haushalte müssen unsere Etats entsprechend aufstocken“, forderte Rüger.

Fast schon selbstverständlich: Auch das Thema „Veräußerung von Magazinbeständen“ spielte bei der Tagung wieder eine überragende Rolle. Während Galeristenverbände auf eine „Belebung des Marktes“ hoffen, wenn Angestaubtes aus den Kellern der Musentempel geholt und feilgeboten wird, wehren sich die Museumsleiter beharrlich gegen diese Art der Etataufbesserung. Hauptargument: In den Tiefen der Magazine schlummere vieles, was dereinst wiederentdeckt und für kommende Generationen wichtig werden könne. Zum Teil würden die Magazine auch jetzt schon „aktiviert“, indem große Museen Leihgaben an kleinere aus diesem Fundus bestritten. Schließlich koste auch die marktgerechte Erfassung und Aufbereitung der „Keller-Kultur“ horrende Summen, so daß gar nicht viel Profit für die Museen abfallen würde. Christoph Rüger an die Adresse der privaten Galeristen: „Außerdem sind wir nicht dazu da, einen Berufsstand zu versorgen.“

Eine in Münster diskutierte Initiative des Museumsbundes kündigte dessen neuer stellvertretender Vorsitzender, Prof. Siegfried Rietschel (Karlsruhe), an: Man wolle verstärkt die Leiter der räumlich beengten Universitäts-Sammlungen beraten. Leider „vergammelten“ viele der dort aufbewahrten Schätze. Auf diesem Gebiet verschenke manche Hochschule eine Chance, sich der Öffentlichkeit freundlicher zu präsentieren.




Ein großes Dach für die Tiere – Europas erster Allwetterzoo öffnet bald seine Pforten in Münster

Von Bernd Berke (Text) und Helmut Orwat (Fotos)

Ein riesiger „Platz für Tiere“ wird am 2. Mai in Münster eröffnet. Auf einem 300 000 Quadratmeter großen Gelände wurde am Südrand der Stadt der erste Allwetterzoo Europas aus dem Boden gestampft. Damit übertrifft der Mammutzoo seinen Münsteraner „Vorgänger“, der Ende letzten Jahres seine Pforten schloß, an Fläche um das Fünffache.

Der alte Zoo beherbergte Tiere im Wert von 250 000 DM. In den neuen Käfigen, Bassins, Terrarien und Gehegen werden sich über 2000 Tiere aus aller Welt tummeln. Gegenwert: 1,15 Millionen DM. Unter den neuangeschafften Tieren sind erstmals Giraffen und Nashörner, Strauße, Seebären – und eine Gruppe von Flußpferden zählt zu den weiteren wichtigen Neuerwerbungen. Modernste Einrichtungen sollen auch sonnenverwöhnte Tiere zeugungs- und gebärfreudiger machen als in herkömmlichen Tiergärten.

Das eigentlich Neue an dem Tierparadies (Baukosten: 40 Millionen DM) aber ist dies: Unter einem 900 Meter langen überdachten Rundgang kann der Zoobesucher auch bei Schnee, Hagel und Regen an den wichtigsten Tierarten vorbeiwandern.

Der kaufmännische Direktor des Zoos, Dr. Holm Oberstadt: „Unser Zoo wird einen hohen Freizeitwert haben.“ Unter anderem hat man gleich vier große Spielplätze auf dem Tiergartengelände eingerichtet. Einen Ponyreitplatz wird man ebenso finden wie das abenteuerliche „Tarzan-Land“. Außerdem wird es – speziell für Kinder – einen „Streichel-Zoo“ geben, in dem man mit (ungefährlichen) Tierarten Hautkontakt aufnehmen kann.

Auch an Autofahrer wurde gedacht. Sie können ihr Gefährt jetzt auf einer Parkfläche mit 1000 Stellplätzen unterbringen. Wer im Zoo essen will, hat zwei Möglichkeiten: Entweder er läßt sich im Restaurant bedienen oder er verzehrt Mitgebrachtes auf einem Picknickplatz.

Der modernste Tiergarten Europas wurde 1967 geplant. Aktionen und Wettbewerbe, an denen sich viele Bürger beteiligten, machten es möglich, daß die Zoo-Aktiengesellschaft – zumeist aus Spenden – 266 Großtiere für insgesamt 625 000 DM hinzukaufen konnte. Trotzdem gab es zeitweise „dicke Luft“. Der erste Architekt, der an dem Projekt baute, wurde nach und nach immer teurer. Ein Team löste den glücklosen Mann ab, der heute einen Prozeß am Hals hat.

Probleme gab es auch mit dem Transport. Da der alte Zoo zugemacht wurde, mußten sämtliche Tiere von dort in den neuen umziehen. Dr. Helmut Reichling, wissenschaftlicher Direktor des Zoos, bei dessen Einrichtung auch Prof. Bernhard Grzimek beratend tätig war: „Am schwierigsten war es natürlich mit den Elefanten, Die haben wir erst drei Wochen lang an das Gefühl gewöhnen müssen, in einer hausgroßen Elefantenkiste angekettet zu werden, bevor wir sie mit dem Kran auf Tieflader verfrachten konnten.“

Dr. Reichling preist auch ein Erlebnis an, das man in Zoos selten hat: „Unsere Tiger sind hinter Panzerglas untergebracht. Das heißt, daß der Besucher praktisch bis auf vier Zentimeter an die Tiere herankommen kann. Dabei wird er feststellen, daß Tiger keine Schlitzaugen haben, wie oft fälschlicherweise behauptet wird.“

Eine weitere Attraktion soll im Sommer hinzukommen: ein Delphinarium. Der erste Allwetterzoo Europas kann zur Eröffnung am 2. Mai kostenlos besichtigt werden. Der alte Zoo hatte im letzten Jahr 450 000 Besucher. In den neuen, so hofft die Direktion, werden doppelt soviel Menschen strömen.

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Rundschau-Wochenendbeilage