Das Böse schürt Panik im Bilderbuch-London: Gothic-Musical „Jekyll & Hyde“ begeistert sein Publikum in Dortmund

Dr. Jekyll (David Jakobs, Mitte) präsentiert den Spitzen der Gesellschaft seine Pläne. Leider vergebens.  (Bild: Theater Dortmund / Björn Hickmann)

Sein Vortrag ist beherzt, sein Anliegen, gelinde gesagt, ambitioniert. Dr. Jekyll will nichts weniger als das Böse in den Menschen tilgen, ein für allemal. Die Welt wäre dann eine andere, alles Leiden Vergangenheit. Doch das Krankenhaus-Gremium, dem er seine Pläne mit so viel Leidenschaft präsentiert, winkt ab.

Keine Experimente in der Klinik, viel zu teuer, viel zu riskant. Und die Welt ist so, wie sie ist, doch ganz erträglich. Jedenfalls für die Spitzen der Gesellschaft, die hier versammelt sind – für den Bischof, den Offizier, den Richter, die wohlhabende Dame aus dem Großbürgertum und so fort.

Beim Arzt: Lucy Harris (Bettina Mönch) aus dem Rotlichtmilieu, Dr. Jekyll (David Jakobs)  (Bild: Theater Dortmund / Björn Hickmann)

Selbstversuch

Ihre Ignoranz zwingt Dr. Jekyll in den desaströs verlaufenden Selbstversuch. Er wird zum üblen Mr. Hyde, zu einem Schläger, Vergewaltiger und Mörder. Und er hat keinen Einfluss darauf, wann Gut und Böse wechseln. David Jakobs, ein hoch geschätzter alter Bekannter auf der Dortmunder Opernhausbühne, gibt Jekyll wie Hyde eindrucksvoll Stimme und Präsenz.

Zwei starke Frauenrollen

Vor knapp 30 Jahren, die Welle der Musicalbegeisterung war auf dem Höhepunkt, erlebte „Jekyll & Hyde“ die Uraufführung in Houston, Texas. Der Weg ins Verderben verläuft im Musical etwas anders als in Robert Louis Stevensons Novelle, wo es viel Nebel, Ahnen und Raunen, dafür aber, abgesehen von den Opfern, kaum eine Frauenrolle gibt. Die Amerikaner Leslie Bricusse (Buch und Liedtexte) und Frank Wildhorn (Musik) ergänzten das Personaltableau. Lisa ist die Braut des unglückseligen Dr. Henry Jekyll, Lucy das Mädchen aus dem Rotlichtmilieu, das sich in ihn verliebt und das ihn, wenn sie ihm ihre Wunden zeigt, sein zerstörerisches Alter Ego erkennen lässt.

Dr. Jekyll (David Jakobs, rechts) grüblerisch  (Bild: Theater Dortmund / Björn Hickmann)

Begeisterungsfähig

Eine veritable Dreiecksgeschichte wird allerdings nicht aus dieser Konstellation, Dr. Jekyll bleibt der Seinen treu. Aber die Songs der Frauen – Milica Jovanovic als Lisa Carew und Bettina Mönch als Lucy Harris – hinterließen in dieser Dortmunder Produktion unter der Regie von Gil Mehmert den stärksten Eindruck und begeisterten das sowieso schon äußerst begeisterungsfähige Publikum im ausverkauften Haus restlos.

Grandiose Bühnentechnik

Düster-schöne Kulissen auf der Drehbühne (Bühne: Jens Kilian) lassen ein tadelloses Musical-London des 19. Jahrhunderts aufleben. Nichts Wichtiges fehlt, nicht die (feuchten?) Backsteinmauern, nicht die schummerige Rotlichtkneipe, nicht die wuchtigen Ledersessel. Und auch nicht die zahlreichen Treppen und Treppchen, die man braucht, um die Künstler trefflich zu positionieren. Wenn aber im Keller gespielt werden soll, wo der Doktor sein Laboratorium hat, fährt sehr eindrucksvoll die gesamte Bühnentechnik nach oben.

Die schöne Braut Lisa Carew (Milica Jovanovic) und ihr problematischer Gatte Henry Jekyll (David Jakobs) (Bild: Theater Dortmund / Björn Hickmann)

Märchenhaft

Auch die Kostüme (Falk Bauer) sind zeitgemäß, gemessen an der historischen Wirklichkeit ist die Ausstattung wahrscheinlich hemmungslos übertrieben. Aber das tut dem Ganzen gut und hilft, die blutige Handlung märchenhaft zu halten

In diese Inszenierung kann man sich entspannt hineinfallen lassen, ohne Angst vor unliebsamen Wendungen und Brechungen. Und sich dem glatten Pathos der Melodien hingeben, den kräftig sich reimenden Texten.

Suboptimaler Ton

Leider haperte es aber bei der Textverständlichkeit, was nicht zuletzt – kleines Wermutströpfchen – der Klangmischung anzulasten ist. Sie stieß an ihre Grenzen, wenn mehrere Darsteller sangen, gar noch der Chor beteiligt war. Da wurde es undifferenziert und lästig laut, was der Kunst nicht guttat und in folgenden Veranstaltungen vielleicht zu korrigieren wäre. Die lockere Hand am Lautstärkeregler ging ein wenig auch zu Lasten der untadelig aufspielenden Dortmunder Philharmoniker unter Leitung von Philipp Armbruster, die unter hohen Gesangspegeln mitunter nur eingeschränkt vernehmlich waren.

Mit der Dortmunder Statisterie gelingen eindrucksvolle Bühnenbilder. (Bild: Theater Dortmund / Björn Hickmann)

Massenszenen

Bemerkenswert ist übrigens, dass der Böse bei Bricusse/Wildhorn gar nicht ganz so böse ist. Gewiss, er mordet und wird dafür mit seinem Leben bezahlen müssen; doch er ermordet hochstehende Persönlichkeiten, die es nicht besser verdient haben, wie den Bischof, der sich regelmäßig an Messdienern vergreift.

Auf die Morde reagiert das Musical-Volk hysterisch, was der Dortmunder Inszenierung zu einigen schönen Massenszenen verhilft, mit Zeitungsjungen, einfachen Leuten, Honoratioren, Polizisten und Prostituierten. Das Programmheft erwähnt ausdrücklich die „Statisterie Theater Dortmund“, die ihre Sache hier wirklich gut macht.

Nicht endenwollender Applaus

Stehende Ovationen von allen Rängen und nicht enden wollender Applaus. Es ist ein bewegendes Erlebnis, wenn eine Inszenierung die Erwartungen des Publikums so restlos erfüllt wie jetzt „Jekyll & Hyde“ in Dortmund.

  • Termine: 18., 20., 23., 26. Oktober. 3., 16., 22., 29. November. 18., 19., 28., 29. Dezember.
  • www.theaterdo.de



Starke Gemeinschaftsleistung: Leonard Bernsteins „On the Town“ in Gelsenkirchen

Die forsche Taxifahrerin Hildy (Judith Jakob) kutschiert Chip (Michael Dahmen) durch New York (Foto: Thilo Beu/MiR)

Die forsche Taxifahrerin Hildy (Judith Jakob) kutschiert Chip (Michael Dahmen) durch New York (Foto: Thilo Beu/MiR)

Den Erfolg seines Musicals „West Side Story“ hat Leonard Bernstein in späteren Jahren oft erdrückend gefunden. Er, der gerne als Komponist ernsthafter Werke anerkannt werden wollte, der neben drei Sinfonien noch die „Chichester Psalms“, Lieder, Klavier- und Kammermusik schuf, fühlte sich immer wieder auf seine drei populärsten Werke reduziert.

Zu ihnen zählt neben der „West Side Story“ und „Candide“ sein bereits 1944 uraufgeführter Musical-Erstling „On the Town“: ein vor Optimismus sprühender Geniestreich eines 26-Jährigen, der in der Verfilmung mit Gene Kelly, Frank Sinatra und Jules Munshin weltberühmt wurde. Drei Matrosen auf Landgang in New York haben in dieser turbulenten Seemannskomödie nur 24 Stunden Zeit, um die Stadt und die große Liebe zu erobern.

Einem lang gehegten Wunsch seines Chefdirigenten Rasmus Baumann folgend, hat das Musiktheater im Revier jetzt alle Kräfte gebündelt, um „On the Town“ zu einem lebensprallen Streifzug durch das New York der 40er Jahre zu gestalten. Gelsenkirchens Hausregisseur Carsten Kirchmeier, neben Kinderopern hier schon für drei Musicalproduktionen verantwortlich, arbeitete dabei Seite an Seite mit Ballettchefin Bridget Breiner, deren Compagnie den Schwung von Bernsteins Musik lustvoll aufgreift und umsetzt.

Die Jagd nach dem Glück spielt sich zwischen monumentalen Überseekoffern ab, die eng gruppiert die Straßenschluchten von Manhattan heraufbeschwören, zuweilen aber auch überraschende Inhalte freigeben. Auf diese sicherlich kostengünstige, aber wirkungsvolle Bühne von Jürgen Kirner zaubert die Kostümabteilung US-amerikanischen Charme, der Nostalgie und Glamour zitiert, das Grelle aber wohltuend meidet (Renée Listerdal). So kommt eine unterhaltsame Typenparade zustande, die das facettenreiche Bild einer vibrierenden Metropole zeichnet.

Umschwärmt: Die "Miss U-Bahn Ivy Smith (Julia Schukowski. Foto: Thilo Beu/MiR)

Umschwärmt: Die „Miss U-Bahn“ Ivy Smith (Julia Schukowski. Foto: Thilo Beu/MiR)“

Die Premiere gerät vor allem deshalb zum Erfolg, weil Statisten, Chöre, Sänger, Tänzer und Musiker überzeugend an einem Strang ziehen. Dies hilft der Produktion vor der Pause über manch zähflüssigen Dialog hinweg.

Für die starke Gemeinschaftsleistung seien ein paar Namen exemplarisch herausgehoben: Die Matrosen Gabey (Piotr Prochera), Chip (Michael Dahmen) und Ozzie (E. Mark Murphy), die vor jugendlicher Unternehmungslust schier aus ihren Uniformen platzen, die blonde Ivy Smith (Julia Schukowski), die für ihre Gesangsübungen sogar in den Kopfstand geht, die skurrile Anthropologin Claire (Dorin Rahardja mit sicheren Spitzentönen) und die forsche Taxifahrerin Hildy, von Judith Jakob mit quirligem Temperament und auftrumpfender Stimme verkörpert. Die staunenswerte Athletik des Tänzers Joseph Bunn, manch stimmungsvoller Pas de deux und viele liebevoll gezeichnete Nebenfiguren füllen das Porträt der Großstadt mit Farben.

Abermals spielt sich im Orchestergraben unter der Leitung von Rasmus Baumann ein kleines Wunder ab. Vom Beat des Schlagzeugs unterstützt, zelebriert die Neue Philharmonie Westfalen einen Big Band Sound, der sich bis zur Zarathustra-Apotheose steigern kann und doch nie knallig klingt. Noch in den vertracktesten Rhythmuswechseln geht das Orchester geschmeidig mit.

Wirklich aufhorchen lassen die vielen feinen Nuancen, die unter dem Pomp an die Oberfläche steigen. Da gibt es jüdische Anklänge, Orientalismen, Blues-Eintrübungen und feurige Latin-Rhythmen, dass man sich die Ohren reiben möchte. Die Neue Philharmonie Westfalen zeigt uns Leonard Bernstein als musikalisches Chamäleon, das viele Stile adaptieren kann, ohne seinen spezifischen Sound zu verlieren. Inwieweit eine strikte Unterteilung in U- und E-Musik da noch sinnvoll wäre, müssen sich selbst hart gesottene Klassikfreunde fragen.

(Der Bericht ist zuerst im Westfälischen Anzeiger erschienen. Informationen und Termine: http://www.musiktheater-im-revier.de/Spielplan/Oper/OnTheTown/)




Zwischen Popularität und Wagnis – der neue Spielplan des Dortmunder Theaters

Theater Dortmund - Gebäude -

Die Oper, die Dortmund verdient. Foto: Theater

Eine Dame und fünf Herren. Das Leitungssextett des Dortmunder Theaters gibt sich die Ehre zur Verkündung des neuen Spielplans. Ein 75 Minuten langer, sechsfach unterteilter Vortrag über Eckdaten, Produktionen, Programmprinzipien, über die Bedeutung des Hauses für die Stadt. Inklusive einiger dürrer Zahlen. Eine Pressekonferenz könnte spannender sein. Doch hinter allen Fakten verbergen sich interessante Details.

Bettina Pesch, geschäftsführende Direktorin des Theaters, ist die Herrin der Bilanzen. „Es geht wieder mal aufwärts“, verrät sie. 350.000 Euro Mehreinnahmen in allen Sparten, ein Auslastungsplus von 1,5 Prozent für die Oper oder plus 7 Prozent fürs Schauspiel seien Belege für solcherart Optimismus. Bezugsgrößen für diese Zahlen nennt sie nicht. Und Pesch muss konstatieren, dass die Stadt zwar die Tariferhöhungen 2013 fürs Personal ausgleicht, zudem aber einen Konsolidierungsbeitrag von 510.000 Euro einfordert. Dies gelte indes nur für die Saison 2013/14. „Weitere Einsparungen sind nicht machbar, sie gingen an die Substanz des Hauses“, sagt Pesch.

Wie die einmalige Konsolidierung aussehen soll, wo also ein Abzwacken noch möglich ist, bleibt offen. „Wir sparen nicht an der Kunst“ ist das Credo und dann verrät Pesch, sie habe auch ihre Tricks. Nun, abseits dieser sonderbaren Aussage bleibt festzuhalten, dass es im Musiktheater zwei Produktionen weniger geben wird: keine konzertante Oper, kein Werk der (klassischen) Moderne. Zwei Linien, die Intendant Jens-Daniel Herzog zu Amtsbeginn vorgegeben hat, sind erst einmal gekappt.

Immerhin: Im Doppeljubiläumsjahr zu Ehren von Richard Wagner und Giuseppe Verdi stehen zwei gewichtige Premieren an. Herzog selbst inszeniert „Don Carlo“ (Übernahme von Mannheim) und Schauspielchef Kay Voges wagt sich an den „Tannhäuser“. Eilig versichert er, es werde keine Nazis auf der Bühne geben. Andererseits wird betont, die Konstellation dokumentiere die gute Zusammenarbeit zwischen den Sparten des Dortmunder Hauses.

Szene aus dem Mannheimer "Don Carlo". Foto: Theater

Szene aus dem Mannheimer „Don Carlo“. Foto: Theater

Insgesamt sei angemerkt, dass der Opernspielplan,  um es dezent auszudrücken, populär ist. „Carmen“ und „La Cenerentola“, „Der Graf von Luxemburg“ und „Anatevka“ – Repertoire-Raritäten suchen wir vergebens. Dass Herzog Haydns Oratorium „Die Jahreszeiten“ dramatisiert, sei aber als Besonderheit durchaus erwähnt. Und dass sich die Junge Oper in Kooperation mit dem Kinder- und Jugendtheater des „Carmen“-Stoffes annimmt, darf ebenfalls als Zeichen guter Nachbarschaft gewertet werden.

Neu im Boot der Nachbarn ist Gabriel Feltz als Chef der Dortmunder Philharmoniker. Er gibt sich sachlich, beschwört keine visionären Ideen, ja bremst sogar die Erwartungen. „Es gab Anfragen, ob die Philharmonischen Konzerte nicht wieder an drei Abenden stattfinden könnten“, sagt Feltz. Doch er wolle erst einmal in Dortmund ankommen. Dort wird er drei Opernpremieren dirigieren, fünf der zehn „Philharmonischen“ sowie diverse Sonder-, Jugend- oder Familienkonzerte. Das klingt nach gehöriger Präsenz, aber sein Vorgänger Jac van Steen war im Grunde nicht weniger fleißig. Gleichwohl hat die Stadt ihn unsanft aus dem Amt gedrängt. Pech gehabt.

Der neue Chefdirigent Gabriel Feltz. Foto: Stadt Dortmund

Der neue Chefdirigent Gabriel Feltz. Foto: Stadt Dortmund

Ein Glücksjunge hingegen ist Ballettdirektor Xin Peng Wang. Die Sparte ist beliebt, die Compagnie wird international beachtet, das Programm zeugt stets von üppiger Fantasie. Dementsprechend launig verkündet er die Premieren der neuen Saison als opulentes, schmackhaftes Mehrgangmenü. Und vor allem die Hauptspeise hat es in sich: Wang selbst setzt Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ in Szene. Die Choreographie wolle Menschenschicksale zeigen in der so schönen wie geisterhaften Stadt Wien. Mit Musik von Johann Strauss und Alban Berg, also mit übersprudelnden, prachtvollen wie brüchigen, morbiden Klängen.

Hier der Blick nach draußen, sonst aber stets der Hinweis, dass das Theater als Ganzes sich in der Stadt verorten müsse. Was niemand so konsequent angeht wie  Schauspielchef Kay Voges. Mit „Stadt der Angst“ will die Bühne das Ende der Leistungsgesellschaft einläuten – mit Hilfe einer Lichttherapie. Das klingt so kryptisch wie spannend. Ein Wagnis mit Intensität, denn an drei Tagen werden sechs Premieren, Vorträge und Diskussionen offeriert.

Andere Abgründe kommerzieller Art will wiederum Kristof Magnussons Komödie „Männerhort“ ausloten. Ein Blick auf weiblichen Shoppingwahn und die kleinen Fluchten des Mannes. Ein Spiel, das sich nur wenige Meter von Dortmunds Thier-Galerie ereignen wird, wie Voges eigens betont. Neben dem Premierenreigen – von „Peer Gynt“ bis „Der Elefantenmensch“ – setzt er auf Neues. Auf Stücke in türkischer Sprache (Kooperation mit Mülheim), auf Lesungen aus der Bloggerszene, auf eine Herbstakademie für Jugendliche.

Opernintendant Jens-Daniel Herzog. Foto: Theater

Opernintendant Jens-Daniel Herzog. Foto: Theater

Erste Adresse für diese Zielgruppe ist das Kinder- und Jugendtheater (KJT), das Andreas Gruhn nun in die 15. Spielzeit führt. In all den Jahren konnte er einen Publikumszuwachs von fast 26.000 auf 35.000 Besucher verbuchen.  Eine Erfolgsgeschichte, die sich auch nach 2015 fortsetzen soll, wenn die Spielstätte an der Sckellstraße aufgegeben werden muss, wenn möglicherweise ein neues Domizil neben dem Schauspielhaus entsteht. Zunächst aber bietet die neue Saison acht Premieren – Stücke, in denen etwa die Themen Liebe und Sexualität, Mobbing oder virtuelle Kriegsspiele verhandelt werden. Märchenhaftes wird das Programm ergänzen, ein Werk soll in Kooperation mit dem Jugendclub produziert werden.

Ja, die Dortmunder Bühnen haben in der Spielzeit 2013/14 einiges zu bieten. Doch vor allem die musiktheatralische Abteilung ächzt unter den Altlasten schlechter Intendanzen, ringt um jeden Zuschauer. Die Auslastung in der Saison 2011/12 liegt hier bei gut 53 Prozent. Dass Intendant Jens-Daniel Herzog den Satz in die Runde wirft, „Die Stadt hat die Oper, die sie verdient“, ist Ausdruck trotzig-optimistischen Nachvornblickens. Andererseits: Eine Kommune, die Millionen in einen „Kulturleuchtturm“ namens U pumpt, dem Theater aber kalt lächelnd das Geld aus der klammen Kasse zieht, bekommt eben die Oper, die sie verdient.

Alles zum Programm der Spielzeit 2013/14 unter www.theaterdo.de




Kleine Ulknudel, großer Star: „Funny Girl“ am Theater Dortmund

Fanny Brice im Hochzeitsglück (Katharine Mehrling, rechts. Foto: Thomas M. Jauk/Theater Dortmund)

Hand aufs Herz: Wer hat schon eine Schwiegermutter, deren Leben Stoff für einen glamourösen Film oder ein Musical böte? Der amerikanische Filmproduzent Ray Stark, 2004 in Westhollywood verstorben, war in dieser Hinsicht ein Sonderfall.

Die Mutter seiner Frau, eine gewisse Fanny Brice, kämpfte sich mit eisernem Willen von der kleinen jüdischen Komödiantin zum großen Broadway-Star hoch. Ihr wechselvolles Leben, das manchen privaten Tiefpunkt kannte, vertonte der Komponist Jule Styne in dem Musical „Funny Girl“, dessen New Yorker Uraufführung die blutjunge Barbra Streisand 1964 über Nacht berühmt machte.

Das Theater Dortmund, das einen verlässlichen Publikumsrenner dringend benötigt, reaktivierte jetzt das Produktionsteam von „Evita“, um „Funny Girl“ wirkungsvoll in Szene zu setzen. Regisseur Stefan Huber, Kostümbildnerin Susanne Hubrich, Choreograph Danny Costello und Bühnenbildner Harald B. Thor sparen dafür nicht an Aufwand. Damit die Revue rauschend sei, stehen für 25 Darsteller 150 aufwändige Kostüme bereit, 18 von ihnen allein für die Hauptdarstellerin. Mehr als 20 Szenenwechsel sowie schwungvolle Tanz- und Steppnummern erhöhen dieses Ausstattungsfest zu einem Feuerwerk fürs Auge. Statisterie, Chorsolisten und Gäste, unter ihnen etliche Musical-Darsteller, werfen sich lustvoll in die Show hinein.

Gleichwohl steht und fällt „Funny Girl“ mit der Besetzung der Titelpartie. Hier hat das Theater Dortmund einen entscheidenden, wunderbaren Glücksgriff getan. Klein von Statur, aber mit großer Stimme gesegnet, vollzieht Katharine Mehrling das Wunder des Willens nach. Vor unseren staunenden Augen und Ohren wächst sie von der Ulknudel zum Showstar – und weit darüber hinaus. Ihr gelingt das Porträt einer phänomenal starken Frau, die sich von nichts und niemandem unterkriegen lässt. Klassisch gewordene Songs wie „I’m the greatest star“, „People“ oder „Don’t rain on my Parade“ interpretiert sie in fließend mal auf Deutsch, mal auf Amerikanisch (mit deutschen Übertiteln). Was ihre klare Stimme dabei an Strahlkraft und Glamour entwickelt, braucht den Vergleich mit der großen Streisand nicht zu fürchten.

Die Dortmunder Philharmoniker, zu Beginn etwas unsortiert im Blech und dünn im Streicherklang, unterstützen die starke Hauptdarstellerin unter der Leitung von Jürgen Grimm zunehmend mit glanzvollem Sound. Der als TV-Serienstar angekündigte Bernhard Bettermann hat in der Rolle des Charmeurs und Spielers Nick Arnstein glaubhafte Wutausbrüche, bleibt stimmlich aber ein eher blasser Gegenpart. In den Nebenrollen tragen vor allem Marc Seitz (als Eddie Ryan), Hannes Brock (als Florenz Ziegfeld jr) und Johanna Schoppa (als resolute Mutter Rose Brice) liebevolle Charakterstudien bei.

Derweil spielt die großartige Katharine Mehrling mit ihrem komischen Talent ein weiteres As aus. Wenn Fannys Mundwerk mal wieder schneller ist als jede Überlegung, ist das naiv und entwaffnend zugleich. Die Liebhaber feinsinnig-intelligenten Humors seien indes gewarnt, denn in Dortmund liebt man es in dieser Hinsicht rustikal. Zum Glück besitzt die Liebesgeschichte zwischen Fanny und Nick eine dramatische Fallhöhe, die manch derben Schenkelklopfer vergessen hilft.

Termine und Informationen: http://www.theaterdo.de/detail/event/funny-girl/

(Der Artikel ist in ähnlicher Form zuerst im Westfälischen Anzeiger erschienen)




Wo ist denn bloß der Bär geblieben? – Köln: Musical „Die 13 1/2 Leben des Käpt’n Blaubär“ nach Walter Moers uraufgeführt

Von Bernd Berke

Köln. Es beginnt vielversprechend: Käpt’n Blaubär sitzt gemütlich im Sessel und schickt sich an, auf gut Hamburgisch sein Seemannsgarn zu spinnen. Ganz so, wie wir ihn kennen und ins Herz geschlossen haben. Strahlende Vorfreude bei 1400 Zuschauern im Musical-Zelt am Kölner Südstadion: Das wird bestimmt ein feiner Abend!

Dann jedoch nimmt die Sache musikalische Fahrt auf und verliert im Getümmel zusehends die Fährte des Bären. Anders als vorab auf Probenfotos zu sehen, legt Blaubär-Darsteller Björn Klein gleich die drollige Tiermaske ab und agiert fortan als ganz gewöhnlicher, etwas naiver junger Mann, der halt eine blaue Hose und einen roten Pullover trägt. Sein Bärendasein ist nur noch bloße Behauptung.

Der Regisseur mag nichts riskieren

Gewiss: Grundlinien aus Walters Moers‘ phantasiereichem Buch-Bestseller „Die 13 1/2 Leben des Käpt’n Blaubar“ finden sich auch im gleichnamigen Musical wieder. Der Lügenbold erlebt schier unglaubliche Abenteuer mit Zwergpiraten, geschwätzigen Tratsch-Wellen, dem Rettungs-Saurier „Deus X. Machina“, dem bösartigen Stollentroll (bester Darsteller: Nik Breidenbach) und etlichen weiteren Fabelwesen. Hübsch groteske Figuren und Kostüme gibt es in dieser Menagerie zu sehen. Überhaupt sind die visuellen Effekte mitsamt computeranimierten Hintergründen bereits das Gipfelglück der Unternehmung. Immerhin ein wesentlicher Faktor.

Aber: Fast alles, was im umfänglichen Roman subtil und liebevoll ausgeschmückt war, erscheint in diesem Musical wie eingeebnet. Der herrlich skurrile Geist der Vorlage weht nur noch als Hauch, die parodierten Mythen (Atlantis & Co.) werden verscherbelt. Regisseur Zapo Schwalbe folgt meist ausgetretenen Pfaden des Genres, er riskiert nahezu nichts – und das bei diesem außergewöhnlichen Stoff!

Die Texte sind nicht immer unfallfrei

Die von Martin Lingnau mit professioneller Routine komponierte Musik (vom Band) bedient sich rundum, sie zitiert z. B. Shantys, Tango und Reggae, vor allem aber das globalisierte Rock-Idiom in den üblichen Ausprägungen. Die Skala reicht bis zur Schnulze („Blau muss mein Geliebter sein“). Manche Passagen hören sich halbwegs schmissig an, doch ein richtiger Hit, der sich sofort einprägen würde, ist nicht dabei. Das Reimschema der Liedtexte (Heiko Wohlgemuth) kommt auch nicht immer unfallfrei um die Satzkurven. Wenn man schon einmal ins Nörgeln geraten ist: Einige Szenen („Nachtschule“) kommen kopf- und gestaltlos daher, sie erschöpfen sich im wirren Gewusel. Zudem war der Ton zur Premiere phaserinweise noch unvollkommen ausgesteuert. Manches klingt seltsam gedämpft und mehlig. Bedauerlich für die Sänger. Sie geben sich alle Mühe.

Einige Nebensachen des Romans werden in den Vordergrund gezogen: So gerät der superkluge Prof. Abdul Nachtigaller, im Buch vorwiegend mit seinen Lexikon-Artikeln über das Wunderland Zamonien präsent, zum Moderator des Abends – als landläufig zerstreuter Professor. Nicht sonderlich originell.

Natürlich wird (im Bann der Musical-Konventionen) Blaubars Hang zum Blaubärenmädchen länglich und süßlich ausgespielt: „Für Dich koch‘ ich den Ozean ein / Nur mit den Flammen meiner Liebe“, trällern sie. Am Schluss regnet es Goldflitter auf die beiden herab. Ach, wie herzig!

Der genialische Blaubär-Schöpfer Walter Moers (siehe Info-Kasten) soll lange gezögert haben, ehe er die Musical-Rechte an seiner Figur vergab. Angesichts der Kölner Bescherung war seine Nachgiebigkeit wohl ein Fehler. Vielleicht hat er beim Kassieren entnervt gedacht: Lasst mich künftig in Ruhe und macht doch, was ihr wollt. Aber hätte er dann nicht ein Stückchen seiner Seele verkauft – und noch dazu das Fell des blauen Bären?

Bis 14. Januar 2007 Köln (Festplatz/Zelt am Südstadion, Vorgebirgsstraße). Tour-Stationen 2007: Frankfurt (ab 15. Februar), Hamburg (Mai), Berlin (August) und München (Nov.). Ticket-Hotline 01805 / 85 38 86.

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ZUR PERSON

Drastische Figuren

  • Walter Moers wurde 1957 geboren.
  • Er lebt und arbeitet sehr zurückgezogen, gibt praktisch keine Interviews und lässt sich nicht fotografieren.
  • Sein „Blaubär“ tauchte erstmals 1988 auf.
  • Der Roman „Die 13 1/2 Leben des Käpt’n Btaubar“ (1999) sollte die ursprünglich für Kinder gedachte Figur auch Erwachsenen nahe bringen. Mit Erfolg: Das Buch verkaufte sich 750 000 Mal.
  • Weitere, durchweg drastische Moers-Figuren: „Das kleine Arschloch“, „Der alte Sack“ und „Adolf (die Nazisau)“ – Hitler als lächerliche Comic-Gestalt, ganz gezielt an den Grenzen des Geschmacks angesiedelt.



Wenn Schalke mit Borussia singt: Franz Wittenbrinks Lieder-Revue „Männer“ in Gelsenkirchen – und bald in Dortmund

Von Bernd Berke

Gelsenkirchen/Dortmund. Zum Theater geht’s über die Autobahn A 42, Abfahrt Gelsenkirchen-Schalke. Für manchen Fan der Dortmunder Borussia ist dies fußballerisches „Feindesland“ und „verbotene Stadt“. Just die uralte Rivalität der Revierclubs prägt das musikalische Bühnenspektakel „Männer“.

Allerdings haben bei dieser Inszenierung (tribünentauglich gesprochen) die Schattenparker und Warmduscher das Sagen, denn es herrscht tendenziell Versöhnung zwischen Schwarzgelb und Blauweiß. Kleinere Rangeleien lösen sich rasch in Wohlgefallen auf. Es ist eben eine ausgewogene Produktion für zwei WM-Städte: Das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier und das Dortmunder Schauspielhaus mögen es schiedlich-friedlich. Mit einem lauen 0:0 endet denn auch ein anfänglich geschildertes Bundesliga-Match.

In Gelsenkirchen hatte das 90minütige Sangesspiel jetzt Vorab-Premiere, teilweise noch unter Probenbedingungen. Bald wird das Ganze auch in Dortmund zu sehen sein, dann wohl hoffentlich etwas ausgefeilter. Vor allem Beleuchtung und Tontechnik wären noch zu justieren.

Notdürftig auf Revier-Verhältnisse umgemodelt

Vorlage ist einer jener Liederabende des Franz Wittenbrink, notdürftig auf Ruhrgebiets-Verhältnisse umgemodelt. Und was drängt sich da heftiger auf als das ewige Derby zwischen dem BVB und Schalke 04, das hier angereichert wird mit der alten „Romeo und Julia“- bzw. „West Side“-Story. Sprich: Liebe über die Grenze verfeindeter Clans hinweg, Borussen-Fan verguckt sich in Schalke-Mädel. Diese pikante Liaison bleibt freilich eher episodisch in all dem Sängerwettstreit, der da anhebt.

Tribüne als Bühne: Hie der Schalker Block mit fünf, dort die BVB-Ecke mit vier Fans. Im munteren Wechsel schmettern die Darsteller Schlachtgesänge, vor allem aber Evergreens: lauter Einblicke in hahnenstolze, doch oft auch waidwunde Männerseelen. Man hört Kracher von Westernhagen („Sexy“), Grönemeyer („Currywurst“, „Alkohol“), Maffay („Und es war Sommer“) oder Udo Jürgens („Mit 66 Jahren“) sowie Beatles-Songs („Yesterday“, „Let it be“).

„We Will Rock You“ mit Heintje-Text

Ausflüge in deutsche Schlager-Tradition („Ich brech‘ die Herzen der stolzesten Frau’n“) wechseln mit fetzigen Rock-Einlagen („Wild Thing“). Und dass der urzeitliche Stampf-Rhythmus des „Queen“-Klassikers „We Will Rock You“ mit Heintjes „Mama“-Text gefüllt werden kann, ist wirklich verblüffend. Auswahl, Abfolge und Arrangement sind der eigenschöpferische Anteil in Wittenbrink gut geölter Wiederaufbereitungs-Anlage.

Was ist das nun? Liederabend, Nummernrevue, Musical mit Karaoke-Charme? Von allem etwas. Jedenfalls macht es Spaß. Denn Regisseur Andreas Wrosch hat im gereiften Ensemble (Schwerpunkt bei „50 plus“) die richtigen Typen versammelt. Profis sorgen fürs musikalische Gerüst, und eigens gecastete Revier-Originale geben er Aufführung authentischen Anstrich.

Alle einigen sich auf Anti-Bayern-Song

Gerade dann, wenn sich nicht alles in glatter Perfektion erschöpft, kommt die geheime Wahrheit mancher Lieder zum Vorschein. So etwa bei Willibald Zumpe (64), früher Bergmann in Dortmund-Mengede, seinerzeit im Chor der Zeche Hansemann und jetzt auf der Bühne als BVB-Altrocker zugange.

Am Schluss haben sich die Fan-Blöcke auf zwei Nenner geeinigt. Erstens darauf: Wahre Liebe kann alle Vereins-Schranken überwinden. Und zweitens auf jene güldene Parole, die sich in bierseliger Gemeinsamkeit grölen lässt: „Wir werden nie zum FC Bayern München geh’n!“

Gelsenkirchen (Musiktheater) 22. April, 15., 29. Mai. 1., 3. Juni. Tel.: 0209/40 97 200 / Dortmund (Schauspiel) 25. April, 22., 30., 31. Mai, 7. Juni. Tel.: 0231/50 27 222.

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ZUR PERSON

Häufig nachgespielt

  • Franz Wittenbrink (Jahrgang 1948) war von 1993 bis 2000 musikalischer Leiter am Deutschen Schauspielhaus Hamburg.
  • Die von ihm thematisch zusammengestellten und arrangierten Lieder-Programme werden landauf landab nachgespielt, z. B. „Sekretärinnen“, „Mütter“, „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ und „Männer“ (1997 uraufgeführt).
  • Die Fassung von Gelsenkirchen/Dortmund wird musikalisch geleitet von Bill Murta und Jochen Hartmann-Hilter.



Wo das Böse gut gedeiht – Mit „Jekyll & Hyde“ will auch Bremen zur Musical-Metropole werden

Von Bernd Berke

Bremen. Das hat man davon: Da will man Gut und Böse auf chemischem Wege voneinander scheiden, um das Unheil ein für allemal aus der Welt zu verbannen – und dann führt es ein so mörderisches Eigenleben wie nie zuvor. Mit dem klassischen Horrorstoff „Jekyll & Hyde“ will nun auch Bremen zur Musical-Metropole werden.

Frank Wildhorn (Musik) und Leslie Bricusse (Text) haben Robert Louis Stevensons Novelle von 1886 zubereitet. Die Ochsentour begann 1990 in Houston/Texas, seit zwei Jahren hat sich die Chose am Broadway etabliert.

In Bremen gibt’s eine deutsche Fassung, die reicher instrumentiert ist als das US-Original. Auch die Bühne ist größer. Für 45 Mio. DM hat man das ehemalige Zentralbad zum prachtvollen Theater mit 1500 Plätzen umgebaut, die Produktion selbst kostet 20 Mio. DM. Von nichts kommt nichts.

Die Hanseaten begreifen dieses Musical nicht als pure Show, sondern als Ereignis am Saum der Hochkultur. Regisseur Dietrich Hilsdorf und Bühnenbildner Johannes Leiacker, die sonst große Opern in Szene setzen (Essen, Gelsenkirchen), entfalten die Handlung mit großer Sorgfalt und Geduld. Bloße Knalleffekte sind verpönt, Action-Elemente und rasante Tanz-Artistik gibt’s kaum. Manchen Fans des Genres wird die (stock)seriöse Gangart nicht unbedingt zusagen.

Ein Musical mit geistigem Gehalt also: Forschung, die außer Kontrolle gerät; eine verderbte Gesellschaft, in der das Böse unterschwellig gedeiht – derlei Vorgänge rücken hier in den Mittelpunkt.

Mit nahezu operngerechter Stimme gestaltet Ethan Freeman seine Doppelrolle. Filmreif seine ekstatischen Zuckungen, wenn er sich von Dr. Jekyll in Mr. Hyde verwandelt und den Blutrausch auslebt. Die Todesarten sind so heftig, daß sich mancher Zuschauer mit Grausen abwendet. Romantisch (stellenweise bis zur Kitsch-Demarkationslinie) wird man mit etlichen schmelzenden Liebesweisen besänftigt, denn Jekyll/Hyde steht zwischen zwei Frauen: seiner kreuzbraven Verlobten Lisa (stimmlich nicht stets auf der Höhe: Susanne Dengler) und der verruchten Hure Lucy (Lyn Liechty). Gar manches klingt schön, doch es ist kein wirklicher Ohrwurm dabei.

Ungeheuer aufwendig die Ausstattung: 38 Darsteller führen in 70 Rollen rund 170 viktorianische Kostüme spazieren. Und Johannes Leiacker hat sensationelle Kulissen gebaut. In seinem allseits verspiegelten Tunnel, der kilometerweit in die Bühnentiefe zu führen scheint, kann man sich beinahe verlieren. Und gespalten ist man auch: Der kulturbeflissene Jekyll in einem spendet begeistert Beifall, doch es schnaubt der innere Hyde. Ein wenig rasanter hätte er’s doch gern.

„Jekyll & Hyde“. Achtmal wöchentlich in Bremen, Richtweg (Nähe Hauptbahnhof). Preise von 40 bis 180 DM. Karten: 0180/55 44 321.




Geschmacklich aufs Glatteis – Streckenweise unsägliches Musical „Asyl“ in Krefeld

Von Bernd Berke

Krefeld. Selten begibt sich ein Theater so aufs Glatteis wie jetzt die Vereinigten Bühnen in Krefeld/Mönchengladbach: Sie spielen zum bitterernsten Thema Asyl – ein Musical.

Es war bestimmt alles bestens gemeint. Man wollte sich an den landläufigen Musical-Boom anhängen und dabei kritische Inhalte „transportieren“. Lag das nicht nah? Doch nach der Krefelder Uraufführung von „Asyl“ (Text: Olaf Baumann, Musik: Stephan Benger) kann man sich fragen: Was hätte ferner gelegen als dies?

Erzählt wird die Geschichte des jungen Schwarzen Manuel Makumba, der aus afrikanischer Bürgerkriegsnot nach Deutschland flüchtet und um Asyl bittet. Mit einer freiheitlich-demokratischen Samba wird er „willkommen“ geheißen, doch dann lernt er den schmutzigen „Behörden-Blues“ kennen.

„Hungersnot und Pestilenz / kosten deine Existenz“

Der Anfang spielt noch in Afrika. Da ertönt der Song „Hungersnot und Pestilenz / kosten deine Existenz“. Unbekümmerter Reim, fürwahr. Satirisch soll es sein, unfreiwillig zynisch ist es geworden.

Natürlich verfallen nachher die deutschen Amtspersonen sofort in militärisches Gehabe. Derlei Klischees drängen sich wie von selbst auf, denn die rockbetonten Liednummern zählen nur zur Pop-Handelsware Klasse B.

Es gibt auch stimmig-grimmige Szenen: jene etwa, in der Makumba amtlicherseits in einen Müllcontainer gepfercht wird, um den sich alsbald die „linken Freunde“ scharen. Stimm- und gesinnungsstark lassen sie „Multikulti“ hochleben. Ins absurde Tänzchen mischen sich auch türkische Müllmänner.

„Dem Asylanten, dem geht’s gut…“

Wenn jedoch die zunehmend faschistischen Sprüche, mit denen Makumba in Deutschland gepeinigt wird, in ebenso schmissige Rock-Rhythmen gegossen werden wie die grundgute Gegenmischung, so wirkt das – wohl oder übel – als Anreiz zum Mitklatschen, dem manche im Publikum prompt erliegen. Auch sie wollen nichts Böses, es hat sie eben mitgerissen: „Dem Asylanten, dem geht’s gut / Den packt nie die Arbeitswut“. Welch ein Hit.

Mit der Figur des Makumba (stimmlich passabel: Dennis Durant) hat man sich zudem einen edlen Vorzeige-Schwarzen zurechtgebogen. Er ist fraglos der beste Mensch weit und breit. Wie zum Lohne sorgen zwei groteske Amor-Putten mit ihren Pfeilen dafür, daß er und die „Vorstadt-Perle“ Katharina füreinander entflammen…

Je engagierter hier gespielt wird, desto näher gerät man durch schiere Innigkeit an den Rand der Geschmacklosigkeit. Am Schluß freilich, wenn die bräunlichen Horden (in Trainingsanzügen und mit am Hintern „festgewachsenen“ Bar-Säuferhockern) in einer schrecklichen Walpurgisnacht „den Neger abfackeln“ wollen, gewinnt die Inszenierung (Matthias David) momentweise etwas von jener Dringlichkeit, die ihr über weite Strecken fehlt.

Weitere Termine: 1., 9., 12., 14., 18. November. Karten: Theater Krefeld (Theaterplatz 3): 021 51/805-1 25.




Rote Herzchen und Blue Jeans – eine prächtige Musical-Revue im Berliner Theater des Westens

Von Bernd Berke

Berlin. Oh, Italiens Himmel über deutschen Camping-Zelten! Knallrote Herzchen leuchten am Firmament, bunte Sternchen blinken dazu und dann erklingt mit vollem Schmelz das Lied von den „Capri-Fischern“.

Das ist Kitsch von der grandios-inbrünstigen Sorte, stilsicher überzeichnet. So gefällt er auch Leuten, die ihn sonst verteufeln. Szenen dieser Güte erlebt man in der am Samstag uraufgeführten Berliner Musical-Revue „Blue Jeans“ zuhauf.

Die schwungvolle, musikalisch und tänzerisch nahezu perfekt dargebotene Tour durch deutschen Zeitgeist der 50er Jahre (Buch und Regie: Jürg Burth, Ko-Autor Ulf Dietrich) ist, wie bei derlei Stücken handelsüblich, einfach gestrickt. Lisa Neumann und Frank Karsuntke verloben sich mit heftiger Billigung ihrer Eltern. Denn Usas Vater besitzt das einzige Kaufhaus der Kleinstadt, Franks Erzeuger ist Baustadtrat, der auch schon mal eine strittige Erweiterung genehmigen oder die Konkurrenz vom Orte fernhalten kann. Beide schwimmen also dank wechselseitiger Korruption auf den Wellenkämmen des Wirtschaftswunders. Da bietet sich eine familiäre Verknüpfung geradezu an. Doch es gibt auch noch Tom, den KFZ-Mechaniker in Blue Jeans und mit Schmalztolle, der Lisa mitsamt seinem Motorrad mächtig imponiert.

Facetten der Adenauer-Zeit

Lisas Hin und Her zwischen gehobenem Spießermilieu der Adenauer-Zeit und dem wilden Tanz der Freiheit ist der einzige, vielleicht etwas zu schmale Handlungs- und Spannungsbogen, der natürlich zum Schluß in eine denn doch allseits genehme Heiratslösung führt.

Um die wenigen „Hänger“ gleich abzuhaken: Die Bühne ist zuweilen übervölkert, man sieht dann den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Nicht alle sind stimmlich ganz disponiert, es gibt einen Teilausfall. Dafür kann Angelika Milster als Neumanns Frau um so mehr glänzen. Die hat eine Stimme – fast schon zu gut fürs Musical.

Die Prüderie hat keine Chance

„Unterwegs“ hat man erheblich mehr gesehen als nur ein paar läppische Teenagerträume. Und wie liebevoll, wie selbstironisch ist das alles in Szene gesetzt und gespielt!

Da liest etwa „Fräulein Schlösser“ (umwerfend, herrlich halbschräg: Sylvia Wintergrün), die Haushälterin der Kaufhaus-Neumanns, aus einem prüden Benimmbuch der 50er Jahre vor, während ein US-Boy sie gierig bedrängt. Sie zitiert auf Deutsch die Anstandsregeln und versucht sich in deren Sinne zu wehren, indes er auf Englisch intimste Wünsche hechelt, denen sie sich dann doch nicht versagen kann. Herrliches Kontrastbild, das die bigotte Sexualmoral jener Jahre einfängt und doch köstlich unterhaltsam bleibt. Man lacht sich schlapp.

So auch, wenn wiederum jenes Fräulein beim Staubsaugen den alten Gassenhauer „Ein Schiff wird kommen“ trällert – und durch leicht variierte Wiederholung einer einzigen Zeile das ganze Hausfrauenelend samt verkorksten Sehnsüchten aufscheinen läßt.

In der eingangs erwähnten Campingszene will Vater Neumann (fernsehbekannt: Siegfried W. Kernen) „den Itakern mal zeigen, wie ein deutsches Zeit gebaut wird.“ Dann kommandiert er beim Aufstellen herum, und es schwingt viel von der soldatischen Untugend gerade erst überstandener Katastrophen mit. Auch hier der frappierende Einklang von Zerstreuung und Fassung von Gedanken. Kein Musical von Naiven für Ahnungslose, aber auch keine dürre Belehrung von Bärbeißigen für Humorlose. Prächtig so!

Bis 31. Dez. im Berliner «Theater des Westens“ (Nähe Ku‘ Damm), tägl. außer mo. 20 Uhr, So. 18 Uhr (Tickets von 18.- bis 86.- unter 030/88 22 888).




Nostalgie und brauner Zucker – Musical-Gastspiel in Recklinghausen

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Der Broadway verläuft mitten durchs Ruhrgebiet: Zumindest am vergangenen Wochenende schien es so: „Cabaret“ in Dortmund, „Bubbling Brown Sugar“ in Recklinghausen – und in Bochum dampft unverdrossen der „Starlight Express“. Musicals allerorten in Ruhr Town.

Im Recklinghäuser Festspielhaus erlebte man zwar „nur“ das dreitägige Gastspiel im Zuge einer Europa-Tournee, dafür aber ein extrafeines. Der „Brodelnde braune Zucker“ ward in den Niederlanden angerührt und zur furiosen Mélange aufgekocht. Keine Original-Broadway-Produktion also, aber besetzt mit vielen Darstellern von der New Yorker Amüsiermeile.

„Bubbling Brown Sugar“ unternimmt eine Reise in die große Zeit des schwarzen Viertels Harlem. Die nur notdürftig mit Handlungsfädchen verknüpfte Nummernrevue führt vor allem durch die tosenden Nightclubs der 20er und 30er Jahre. Ausgiebig läßt sie Jazz- und Bluesklassiker aus dieser Ära wiederaufleben. Duke Ellington ist sozusagen der Schutzheilige.

Nostalgie ist natürlich mit im Spiel. Einige ältere Leute, die jene goldene Epoche noch miterlebt haben, sind die leicht wehmütig gestimmten Animateure auf der Fahrt ins schwarze Lebensgefühl, das sich hier zumal in unbändiger Freude an swingenden Rhythmen äußert. Derlei Freude steckt an, gerade weil sie sich ein wenig naiv gibt.

Regisseur und Choreograph Billy Wilson inszeniert ohne überflüssigen Aufwand. Eine einfache Showtreppe und geschickte Lichtführung reichen aus, um Sänger und Tänzer zur Geltung kommen zu lassen.

Die 17köpfige Company erweist sich als eine Art „Dream Team“ nach Art von US-Basketballern: Jedes Zuspiel kommt an und wird traumhaft sicher verwandelt. Und sei alles noch so hart erarbeitet, man läßt sich nichts anmerken. Keep Smiling: Strahlend lächeln sie noch bei der schwierigsten Ton- oder Schrittfolge. Auch musikalisch (Bandleader: Steve Galloway) erhebt sich die Darbietung über jeden Zweifel. So überzeugt man auch Musical-Muffel.

Als Top-Star des Abends war Kimberly Harris angekündigt. Tatsächlich machte sie ihre Sache als „Young Irene“ prachtvoll. Doch eine andere war eindeutig Liebling des Publikums: Capathia Jenkins als stattliche „Gospel Lady“. Ihr Können und ihr hinreißendes Temperament würde man liebend gern auch bei einem Soloabend bewundern.