Feine Töne, dicke Mauern – Klangkunst in Haus Kemnade

Kemnade_klingt! Wenigstens hier und da. Und ein Logo hat die Klangschau auch. (Foto: Kunstverein Bochum)

Kemnade_klingt! Wenigstens hier und da. Und ein Logo hat die Klangschau auch. (Foto: Kunstverein Bochum)

Wenn sich das batteriebetriebene Motörchen in Gang setzt, dann lässt es an federndem Stab eine kleine Holzkugel über die Stahlsaiten des alten Klaviers tanzen, und einige unbeholfene Töne entstehen. Der Motor wird elektronisch ein- und ausgeschaltet, entsprechend schwingen oder schweigen die Saiten. Fünf historische Klaviere im Raum sind mit einer solchen technischen Installation ausgestattet, so dass, wenn im Wechsel sie erklingen, der Eindruck von Kommunikation entsteht.

Stephan Froleyks, Jahrgang 1962, der am Niederrhein und in Münster lebt, hat sich diese Klanginstallation ausgedacht, die die Besucher ins Grübeln bringen kann über Klang, Geräusch, Musik, über Signale jenseits der Stille. Zu sehen und zu hören ist sie bis zum 18. Oktober in Haus Kemnade in Hattingen. Acht Künstlerinnen und Künstler präsentieren in Museumsräumen, in denen Musikinstrumente der Sammlung Grumbt ausgestellt sind. Arbeiten unter dem Titel „Kemnade klingt!“.

In den Siebzigern war Kemnade bekennend multikulti

Für den Bochumer Kunstverein als Ausrichter ist dieses Projekt fast schon eine Nummer zu groß. Deshalb preist sein künstlerischer Leiter Reinhard Buskies voller Dankbarkeit die beiden privaten Hauptsponsoren, die Beckumer Marianne-Blumenbecker-Stiftung und die Herdecker Richard-Dörken-Stiftung. Und man erinnert sich, dass es in dem alten Wasserschloss schon oft „geklungen“ hat – seit den frühen 70er-Jahren nämlich, als hier das „Ausländer-Festival“ unvergeßliche multikulturelle Musikmarken setzte.

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Der Ruhrsandstein klingt – jedenfalls vor dieser Mauer, für die Denise Ritter einen speziellen Soundtrack geschaffen hat. Der O-Ton dafür kam aus dem Steinbruch Grandi in Herdecke. (Foto: Stadt Hattingen)

Zurück zum Kemnade-Sound von heute, der nun aus dem Museum kommt und entschieden minimalistischer ist als das vielfältige Festivalgeschrammel von einst. Sparsamkeit prägt das Bild, was weniger einem Arte-povera-Konzept als der ökonomischen Notwendigkeit geschuldet zu sein scheint. So müssen in Simone Zauggs Installation „Luegit vo Bärg u Tal“ Aluleitern die Alpen geben. Oben auf ihnen sind Lautsprecher mit Bewegungsmeldern installiert, und wenn diese Bewegung melden, weil ein Ausstellungsbesucher, was ausdrücklich erlaubt ist, eine Leiter erklommen hat, dann erklingt nämliches Volkslied aus der Konserve, gesungen von der Berner Künstlerin (Jahrgang 1968) persönlich. Der Titel, man ahnte es, ist Schweizerdeutsch und lautet übersetzt in etwa „Blick vom Berg ins Tal“. Wenn zeitnah mehrere Leitern erklommen werden, wird der Gesang polyphon. Dann grüßen sich gleichsam die Alpengipfel, und das klingt schön und seidig durch den Raum und ist leider schnell wieder vorbei. Bis der Bewegungsmelder wieder anschlägt.

Vielstimmiges produziert auch Mathilde ter Heijnes Anordnung von Transistorradios. Leise beginnend ballen historische Brandreden verschiedener Politiker sich schließlich zu einem aufwühlenden Crescendo. Man erkennt die Absicht, doch die Optik des Werks enttäuscht, bietet nicht mehr als kümmerliche Gerätschaften und Strippengewirr auf einigen Quadratmetern Museumsboden. Auch wenn dies fraglos eher eine Veranstaltung für die Ohren ist, wäre etwas visuelle Sinnlichkeit nicht zu verachten.

Grillen im Lautsprecher machen Geräusche

In der Arbeit des Wahlberliners Nik Nowak (Jahrgang 1981) sieht man die Klangerzeuger gleich gar nicht. Dabei sind sie zugegen, und originell sind sie zudem. Nowak nämlich fängt – in zugesichert artgerechter Haltung! – typische Geräusche von Grillen ein, die er verstärkt und durch Frequenzbearbeitung für das menschliche Ohr hörbar macht. Die Grillen sitzen derweil unsichtbar in ihrem Terrarium – in einem zackigen, feindselig wirkenden Lautsprecher-Kubus aus schwarzem Schaumstoff.

Torsten Bruch (Jahrgang 1973) zeigt zwei Videoarbeiten, in denen zum einen vier Chinesen „Die Gedanken sind frei“, zum anderen eine Strophe für Strophe wachsende Kombo das Kinderlied „Laurentia“ singen. Das ist lustig und auch hintersinnig, aber nicht unbedingt eine Kunst, die größere Aha-Erlebnisse zeitigt.

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Haus Kemnade beherbergt unter anderem die Musikinstrumentensammlung Grumbt. Einige dieser Instrumente erklangen für Tommy Finkes Musikstück. (Foto. Stadt Hattingen)

Schließlich trifft man im Inneren des alten Wasserschlosses auf die Klanginstallation von T.D. Finck von Finkenstein. Er hat, ist zu erfahren, im Haus Klänge alter Instrumente gesammelt, diese im Studio überarbeitet und zu einem recht süffigen Soundtrack mit lockerer Rhythmusunterlage verrührt. Wir erleben also das Werk eines Musikers, und da kann es nicht mehr erstaunen, dass sich hinter dem barocken Namensungetüm der in Bochum recht bekannte Musiker Tommy Finke verbirgt, der ab der kommenden Spielzeit im Dortmunder Schauspielhaus als musikalischer Leiter die Nachfolge Paul Wallfischs antreten wird.

Draußen vor der Burg hat Dodo Schielein, 1968 in München geboren, eine Art Akustik-Parcours geschaffen; „music for ears/Musik für zwei Ohren“ hat er ihn genannt, eine „Handlungsanweisung“ (Untertitel). Die real existierenden Handlungsanweisungen finden sich auf wetterfesten Informationstafeln am Wegesrand, und mit Kemnade hat das nur wenig zu tun. Schielein lehrt die Menschen, sich der akustischen Wahrnehmung ihrer Umwelt bewusst zu werden oder auch sie zu beeinflussen, indem sie beispielsweise die Hände zu Ohrmuscheln formen.

Der Ruhrsandstein klingt

Und schließlich ist da noch Denise Ritter (Jahrgang 1971), die von langen Pausen unterbrochen das alte Kemnader Gemäuer mit einem speziellen Soundtrack beschallt. Ihr geht es um eine intensivere Wahrnehmung von Stein, Gebäude, Naturraum und Umgebung in ihrer engen Bezüglichkeit – und ein wenig auch im Unterschied zu dem, was heutzutage in dem alten Gemäuer geschieht. Der Mix aus Museum, Naherholungsziel, Standesamt, Baudenkmal und Gaststätte scheint ihr eine „kuriose Nutzung“ zu sein, wiewohl alternativlos. Der Sound – im Studio nachbearbeitet – kommt aus dem Steinbruch „Grandi“ in Herdecke, der als einer der letzten noch Ruhrsandstein abbaut – das lokale Material, aus dem auch Kemnade einst errichtet wurde. Wie immer man dies findet: Indem sie den Ausstellungsort akustisch reinszeniert, ist Denise Ritters Arbeit die einzige, die sich dezidiert mit ihm befasst.

Politisch-kritische Valeurs sind bei den ausgestellten Arbeiten nicht sehr ausgeprägt, sieht man einmal von Bruchs „Die Gedanken sind frei“ singenden Chinesen oder Mathilde ter Heijnes gesammelten Reden ab. Eher beschleicht einen wiederholt das Gefühl, es mit etwas blutleeren Fingerübungen zu tun zu haben, mit fein hergebastelten Arbeitsproben. Allerdings haben sparsam ausgeführte, konzeptionelle Arbeiten wie diese es auch besonders schwer, zu bestehen, sind sie doch der Möglichkeit beraubt, Ideenarmut hinter bombastischer Inszenierung zu verstecken. Jedenfalls bleibt der Kemnader Schau das Verdienst, eine tonlose Sammlung von Musikinstrumenten um etliche Töne zu bereichern. Für einige Zeit jedenfalls.

  • Haus Kemnade, An der Kemnade 10, 45527 Hattingen
    Tel. 02324 – 30268
  • Anfahrt: A 43, Abfahrt Witten-Herbede, Richtung Hattingen
  • Bushaltestelle: Hattingen, Haus Kemnade [Linie CE31]
  • Öffnungszeiten:
    Do. – So., 11 – 17 Uhr (Nov. – April)
    Do. – So., 12 – 18 Uhr (Mai – Okt.)



Dem Schauspiel droht eine Zwangspause – Dortmunder Theater präsentiert Programm

HŠuptling Abendwind und Die Kassierer: Eine Punk-Operette

Weiterhin im Programm des Schauspiels: „Häuptling Abendwind und die Kassierer“. Szene mit (v.l.) Wolfgang Wendland, Mitch Maestro und Uwe Rohbeck (Foto: Theater Dortmund/Birgit Hupfeld)

Schauspiel-Chef Kay Voges wirkte etwas angeschlagen. Nicht sein Tag: Auf dem Weg zur Spielplan-Pressekonferenz des Theaters Dortmund hatte ihn die Polizei angehalten, wegen Fahrens ohne Gurt. Deshalb war er auch etwas zu spät gekommen.

Das dickere Problem des Intendanten indes hat nichts mit dem Führen von Kraftfahrzeugen zu tun. Wie es aussieht, stehen er und sein 16-köpfiges Ensemble ab dem 20. März 2016 ohne Theater da, zumindest ohne Großes Haus. Ab dann nämlich werden die Werkstätten im Haus grundlegend renoviert, ist der Zuschauersaal blockiert.

Sechs Monate ohne Garantie

Mit der Spielzeit 2016/2017 kommt es dann noch ärger: Dann ist nämlich auch das Studio dicht, und wann das Große Haus in Spätsommer/Herbst 2016 wieder verfügbar sein wird, steht in den Sternen. Wer schon einmal mit Bauvorhaben zu tun hatte, weiß um die Unsicherheit planerischer Zeithorizonte. Dauert die Werkstättenrenovierung also länger als die veranschlagten sechs Monate, geht auch in der Saison 2016/2017 erstmal gar nichts im Großen Haus.

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Weiterhin im Programm ist das Ballett „Zauberberg“ von Xin Peng Wang (Foto: Theater Dortmund/Bettina Stöß/Stage Picture)

Umbaupläne waren bekannt

Nun ist das alles nicht neu. Schon vor einem Jahr, ebenfalls anläßlich der Spielplanvorstellungen, hatte Bettina Pesch als Geschäftsführende Direktorin die Renovierung der Werkstätten angekündigt. Es gab auch, seitens der Stadt in Sonderheit durch Kulturdezernent Jörg Stüdemann, Vorstöße zur Ersatzraumbeschaffung.

Doch weder im ehemaligen SAT.1-Studio am Phoenixsee noch im Gebäude des (mittlerweile verzogenen) Ostwall-Museums lassen sich aus verschiedenen Gründen Spielstätten realisieren. Zudem sind im Etat des Schauspiels keine Umzugskosten eingepreist, so daß jetzt keiner so genau weiß, wie es weitergehen soll.

Alles nur Show

Muß der Intendant mit einer „temporären Spartenschließung“ rechnen, sozusagen seine Leute nach Hause schicken? „Das Klima im Ensemble und bei den Mitarbeitern ist sehr beunruhigt“, berichtet Kay Voges. Sein Spielplan ist denn auch, der Sachlage geschuldet, zum Ende hin noch etwas unfertig.

Doch am Anfang wird geklotzt. Am 23. August spielt das komplette Ensemble mit, wenn „Die Show“ über die Bühne geht. Das „Millionenspiel um Leben und Tod“ (Untertitel), geschrieben von Voges, Anne-Kathrin Schulz und Alexander Kerlin, nimmt auf den gleichnamigen TV-Klassiker von Tom Toelle und Wolfgang Menge aus dem Jahr 1970 ebenso Bezug wir auf den aktuellen Wahn der Casting- und Container-Shows, und ist natürlich selber eine Mega-Show, die spannend zu werden verspricht.

Heiner Müller und Sylvester Stallone

Das Berliner „Zentrum für politische Schönheit“ wagt in „2099“ den Blick zurück auf unsere Jetztzeit und erzählt dem Publikum, wie alles weiterging, Jörg Buttgereit, dem Haus als „Splatter-Kultregisseur“ treu verbunden, steuert, inspiriert vom Film „Der Exorzist“, seine Studioproduktion „Besessen“ bei. Erwähnt seien noch „RAMBO plusminus ZEMENT“ – Heiner Müller meets Sylvester Stallone in einem „Live-Film“ von Klaus Gehre – und „Das Maschinengewehr Gottes“, eine Kriminal-Burleske von Wenzel Storch, dem Katholizismus-Geschädigten aus dem Wigwam.

Etwas einsam schaut aus all dem neumodernen Premieren-Material Becketts „Glückliche Tage“ als einziger Klassiker hervor. Das Programm wirkt hochgradig spannend, auch wenn keinem alles gefallen wird. Bleibt also zu hoffen, daß die Dortmunder Schauspielerinnen und Schauspieler ihr Programm auch spielen können, im Schauspielhaus und anderswo.

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„Jesus Christ Superstar“ von Andrew Lloyd Webber bleibt im Spielplan der Oper. Im Bild Alexander Klaws als Jesus (Foto: Theater Dortmund/Björn Hickmann/Stage Picture)

Paul Wallfisch geht

Ach, eins noch, der Intendant hätte es angesichts der prekären Raumsituation fast zu sagen vergessen: Obermusikus Paul Wallfisch verläßt Schauspielhaus und Dortmund und kehrt nach New York zurück.

Wechseln wir zur Oper, von der Intendant Jens-Daniel Herzog freudig zu berichten weiß, daß die Auslastung die 80-Prozent-Marke in der letzten Spielzeit deutlich übersprungen hat.

Zu den Schwergewichten unter den Premieren zählen hier Richard Wagners „Tristan und Isolde“ (Regie Herzog, musikalische Leitung Generalmusikdirektor Gabriel Feltz) oder auch Benjamin Brittens Oper „Peter Grimes“, für die der renommierte Regisseur Tilman Knabe gewonnen werden konnte.

Auffällig unter den Premieren ist neben Verdis „La Traviata“ und Händels „Rinaldo“ ein Musical-Dreiklang aus Cole Porters Klassiker „Kiss me, Kate“, dem Repertoire-Dauerbrenner „Jesus Christ Superstar“ und dem 2009 uraufgeführten Broadway-Rockmusical „Next to normal“ von Tom Kitt und Brian Yorkey. Gleichsam drei Musical-Epochen kommen also nacheinander auf die Bühne, Herzog hält eine solche Schwerpunktsetzung beim angloamerikanischen Musical für erfolgversprechend und trendgemäß.

Roxy ist weg

Indes ist Paul Abrahams Fußball-Operette „Roxy und ihr Wunderteam“ vom Dortmunder Spielplan verschwunden, ein Werk aus dem deutschsprachigen Repertoire der 30er Jahre nicht im Angebot. Der Trend zur Neu- oder Wiederentdeckung von Operetten verfemter Künstler, zumal des Juden Paul Abraham, der wesentlich von der Berliner Komischen Oper und ihrem sendungsbewußten Intendanten Barrie Kosky ausgeht, hat in Dortmund offenbar keinen langen Nachhall ausgelöst.

Aber „Der Rosenkavalier“ ist unsterblich! 1966 erklang Richard Strauss’ „Komödie für Musik“ zur Eröffnung des Opernhauses, am 12. März 2016 erklingt sie wieder, denn dann wird Dortmunds größte Spielstätte 50.

Im Ballett wagt sich Xin Peng Wang an eine Choreographie für „Faust“, Untertitel „Die Geburt der Gnade“. Kollege Benjamin Millepied stellt Tschaikowskys „Nußknacker“ auf die Bretter. „Drei Farben: Tanz“ und „Zauberberg“ werden wiederaufgenommen, im September 2015 und im Juni 2016 ist Internationale Ballettgala Nr. XXII und XXIII.

Musik für Charlie Chaplin

Die Dortmunder Philharmoniker und ihr Chef Gabriel Feltz wissen von allen Künstlern wohl am genauesten, was in der nächsten Saison gespielt wird. Die Programme der zehn philharmonischen Konzerte unter dem Rubrum „liebes_gefühls_rausch“ stehen fest, ebenso jene der Konzertreihen „Wiener Klassik“ und „Sonderkonzerte“, der Kammerkonzerte, Babykonzerte, Kinderkonzerte und Familienkonzerte.

Kraftvoll arbeiten sich die Musiker durch das klassische Repertoire, unterstützt von etlichen stattlichen Chören. Eine Ausnahme bildet das 2. Sonderkonzert am 29. (Schaltjahr!) Februar 2016. Da sorgt Gabriel Feltz nämlich für den Soundtrack zu Charlie Chaplins Stummfilm-Klassiker „City Lights – Lichter der Großstadt“ aus dem Jahr 1931. Übrigens verkündete auch der Generalmusikdirektor gute Auslastungszahlen: 75 Prozent im Durchschnitt, mehr, als in den vergangenen zehn Jahren erreicht wurden.

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Das Stück „Frau Müller muß weg“ – hier eine Szene mit Bettina Zobel – bleibt im Programm des Kinder- und Jugendtheaters (Foto: Theater Dortmund/Birgit Hupfeld)

Angst um die Spielstätte

Schließlich das Kinder- und Jugendtheater – KJT. Direktor Andreas Gruhns Programm ist gekennzeichnet durch das Bemühen, jugendlichen Themen möglichst nahe zu sein. „In was für einer Welt wollen wir leben?“ wabert als eine Art universeller Leuchtschrift über der Liste recht unterschiedlicher Produktionen.

Da gibt es in zielgruppengerechter Adaption zum Beispiel Schillers „Wilhelm Tell“ zu sehen, und gänzlich unkaputtbar ist Oscar Wildes „Gespenst von Canterville“ auch im Dortmunder KJT eine Stütze des Repertoires. Es gibt etwas für Kinder ab 3 („Als die Musik vom Himmel fiel“) und etwas Religiöses für „Kommunionkinder“, es gibt Kooperationen und ein mobiles Stück für Klassenräume („Gespenstermädchen“ von Christine Köck und Rieke Spindeldreher) – und es gibt bei den Wiederaufnahmen weiterhin Lutz Hübners Erfolgsgeschichte „Frau Müller muß weg“.

Auch über Andreas Gruhns gefurchter Stirn schwebte unübersehbar ein mittleres Besorgniswölkchen, während er sein Programm vortrug. Denn auch ihm, dem altgedienten Kämpen vom Kinder- und Jugendtheater, droht gleich seinem Kollegen Kay Voges der Verlust der Spielstätte. Schon seit vielen Jahren gilt die Bühne an der Skellstraße als suboptimal, und der Mietvertrag läuft bald aus. Doch blieb die Suche nach einem neuen Ort bislang erfolglos.

 Infos: www.theaterdo.de

 Das neue, ausführliche Programmbuch „15/16“ weist eine muntere, orange dominierte Farbgestaltung auf. Es liegt im Theater und an vielen anderen kulturaffinen Orten aus.




Jekami, Jeki, JeKits – Yeah, Yeah, Yeah!

HAI - heran ans Instrument... (Foto: Bernd Berke)

HAI – heran ans Instrument… (Foto: Bernd Berke)

Um es vorweg zu sagen: Die Sache an sich ist gut und richtig. Dass Kinder sich zunächst spielerisch und später ausgiebig mit Musikinstrumenten befassen, kann man eigentlich nur begrüßen.

Doch schon die bürokratische Abkürzung für das entsprechende Maßnahmenbündel („Jeki“ = Jedem Kind ein Instrument) ist von gelinder Komik der unfreiwilligen Sorte. Da war selbst das gute alte „Jekami“ (Jede(r) kann mitmachen) noch etwas stimmiger.

Freilich lassen sich solche Schöpfungen immer noch unterbieten. Und so wird das schulische Angebot ab 2015/16 schwungvoll umbenannt. Man möchte nicht wissen, wie viele rotgrüne Köpfe da geraucht und wie viele wichtige Gremiensitzungen dieserhalb stattgefunden haben. Ob vielleicht gar selbsternannte Sprachdesigner für derlei lachhafte Ideen Geld kassiert haben? Als der Berg gekreißt hatte, gebar er jedenfalls diese Maus:

„JeKits“

O weh, da schrillen – sofern man noch bei Trost ist – alle sprachlichen Alarmglocken, denn nicht einmal das Pseudo-Englische wird hier richtig bedient; geschweige denn, dass da ein Anklang ans Deutsche zu erahnen wäre.

Und nun dürfen wir dreimal raten, für welchen Klartext dieses „JeKits“ wohl stehen mag. Na, selbstverständlich für:

„Jedem Kind Instrumente, Tanzen, Singen“.

Was haben Sie denn gedacht?

Aber mal ehrlich. Was will man schon aus einem NRW-Ministerium erwarten, das für den Gemischtwarenladen „Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport“ zuständig ist und das sich abgekürzt allen Ernstes „mfkjks“ nennt?

Das kann noch deutlich flotter werden. Statt MFKJKS könnte man doch auch ………….. oder …………… sagen und schreiben.

(Ideen bitte eintragen und unfrankiert nach Düsseldorf schicken)




Später Ruhm eines großen Meisters: Vor 250 Jahren starb Jean-Philippe Rameau

In Sachen Karriere war Jean-Philippe Rameau ein Spätzünder. Seine erste Oper stellte er in einem Alter vor, in dem andere längst die Feder aus der Hand gelegt hatten: Mit fünfzig Jahren wurde er mit „Hippolyte et Aricie“ auf einen Schlag berühmt.

Da hatte Rameau schon ein Leben als Kirchenmusiker, Organist, Musiktheoretiker und Leiter eines Privatorchesters hinter sich. Vor ihm lagen noch dreißig Jahre, in denen er rund dreißig Werke für die Bühne schaffen sollte. Mitten in den Proben für sein letztes, die Tragödie „Les Boréades“, ist Jean-Philippe Rameau vor 250 Jahren, am 12. September 1764, in Paris gestorben.

Bei seinem Tod zählte er zu den am weitesten bekannten und am meisten geehrten französischen Musikern. Dennoch senkte sich über sein Werk allmählich tiefes Vergessen. Selbst sein Grab auf dem Friedhof von St. Eustache in Paris ist nicht mehr bekannt.

Erst die Rückbesinnung auf historische Spieltradition und Aufführungspraxis weckte das Interesse an seinem Schaffen über die gelegentliche, museale Reanimation hinaus. Ein Jahr vor seinem 300. Geburtstag – Rameau kam 1683 in Dijon zur Welt – wurde in Aix-en-Provence sein letztes Werk „Les Boréades“ uraufgeführt. In Deutschland sorgte eine opulente, viel gerühmte Neuinszenierung von „Castor und Pollux“ 1980 in Frankfurt für Aufsehen: In einem fantasievollen, technisch raffinierten Bühnenbild von Erich Wonder inszenierte Horst Zankl; Nikolaus Harnoncourt leitete das Orchester.

Seither ist das Interesse an Jean-Philippe Rameaus Bühnenwerken nicht mehr abgebrochen. So gab es etwa in Düsseldorf in den letzten Jahren eine Serie von Aufführungen, begonnen mit der deutschen Erstaufführung der turbulenten Komödie „Les Paladins“ in der Spielzeit 2009/10. Auf zahlreichen Aufnahmen ist inzwischen das erhaltene dramatische Werk Rameaus greifbar. Sie geben auch einen Überblick, wie sich die Art, seine Musik zu spielen, seit den ersten Schallplatten der siebziger Jahre verändert hat. In diesen Tagen erscheint etwa bei Erato eine Box mit Gesamtaufnahmen von neun seiner Opern, ergänzt durch Musik aus vier weiteren Bühnenwerken, Dirigenten wie William Christie, Nikolaus Harnoncourt, Marc Minkowski und Nicholas McGegan entfalten den Zauber und die Kraft der harmonischen Erfindungsgabe und der orchestralen Intuition Rameaus.

Als Kirchenmusiker ist der Franzose weit weniger greifbar, obwohl seine Jugend und die erste Phase seiner Musikerkarriere eng mit der Orgel verbunden sind. Erhalten sind lediglich vier zwischen 1713 und 1723 geschriebene, groß angelegte Motetten. Rameaus Vater war Organist an mehreren Kirchen in Dijon, unter anderem an der Kathedrale St. Bénigne.

An der Jesuitenschule, so wird berichtet, habe der junge Jean-Philippe mehr komponiert und gesungen als studiert. Seine Eltern schickten den Schulabbrecher 1702 auf eine Italienreise, auf der er in Mailand steckenblieb. Wieder zurück übernahm er mit Achtzehn eine Organistenstelle an der Kathedrale von Clermont. Ein Intermezzo in Paris bestritt er mit mehreren Orgelposten an kleineren Kirchen. Das erste seiner vier Bücher mit Cembalowerken, die „Pièces de Clavecin“ erschien dort 1706 und verhalf ihm zu einer gewissen Bekanntheit. Bis er sich 1722 endgültig in Paris niederließ, wirkte Rameau an mehreren Kathedralen, so in seiner Heimatstadt Dijon, in Lyon und in Clermont.

Es ist schwer zu entscheiden, wer wichtiger ist: der Komponist oder der Musiktheoretiker Rameau. Seit 1722 sein epochemachendes Werk „Traité de l’harmonie reduite à ses principes naturels“ erschienen ist, stand er im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der gelehrten musikalischen Welt.

In weiteren Publikationen zur Harmonielehre entwickelte Rameau sein System weiter. Er stand in Kontakt mit internationalen musikalischen Größen wie Johann Mattheson oder dem Bologneser Musiktheoretiker und Franziskanerpater Giovanni Battista Martini, einer der prägenden Figuren der italienischen Musik des 18. Jahrhunderts.

Jean Jacques Rousseau wurde Rameaus Gegner im sogenannten Buffonistenstreit, in dem das Ringen um die Vorherrschaft der italienischen oder französischen Oper einen weit tieferen Streit um die künftige Ausrichtung der Kunstgattung überdeckte. Rousseau plädierte für die „natürliche“ Einfachheit der melodiebetonten italienischen Musik gegen die komplex instrumentierte, harmonisch ausgearbeitete und kompliziert polyphone französische Musik – ein direkter Affront gegen den gelehrten Harmoniker Rameau.

Dabei war Rameau bestrebt, seinerseits mit der „Natur“ zu argumentieren: Als aufgeklärter Denker wollte er die Musik als exakte Wissenschaft erfassen und universelle harmonische Prinzipien aus natürlichen Gegebenheiten ableiten. Rameau sah in der Harmonie die Basis jeder Musik, abgeleitet aus der Physik schwingender Körper. Die Harmonie entdeckte er als Quelle der Melodie und als Grundlage des musikalischen Ausdrucks. Musik sollte expressiv sein, dem Ohr gefallen, die Gefühle bewegen. Der tiefe Grund für die Wirkung der Musik lag für Rameau in ihrer Verbindung mit universalen, kosmischen Prinzipien, letztlich herrührend von Gott. Hier trifft er sich mit Bach, dessen „Wohltemperiertes Klavier“ ebenfalls 1722 zum ersten Mal erschienen ist.

Kaum ein späterer musikalischer Denker konnte sich dem Einfluss von Rameaus Konzepten entziehen; die Spuren verfolgen Fachleute bis in Paul Hindemiths Tonsatz- und Musiktheorie. Für die Entwicklung des musikalischen Denkens der abendländischen Musik hat Jean-Philippe Rameau eine Schlüsselposition inne. Seine Kunst des Komponierens hat nicht erst in jüngster Zeit wieder Anerkennung erfahren. Hector Berlioz verehrte ihn; Claude Debussy schrieb über „Castor et Pollux“, diese Musik habe „eine feine Anmut bewahrt, ohne jemals affektiert zu werden oder sich mit verdächtiger Grazie zu winden.“ Und Nikolaus Harnoncourt zählt die Opern Rameaus „zu den Höhepunkten der französischen Musik überhaupt“.




Was wird hier gespielt? NRW-Theatertreffen 2014 in Dortmund

Der Dortmunder Theaterchef Kay Voges gibt sich bescheiden. Die zehn besten nordrhein-westfälischen Theaterproduktionen des Jahres 2014 herauszufinden, sei schlichtweg unmöglich. „Wer will das entscheiden?“ Stattdessen haben die Dortmunder ihre Kollegen in den anderen Städten um Vorschläge gebeten. Und die Vorschläge haben sie darauf hin geprüft, ob sie auf einer Dortmunder Bühne gespielt werden können.

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Szene aus „wohnen. unter glas“ von Ewald Palmetshofer. Foto: Christoph Meinschäfer/Theatertreffen

Die ausgesuchten Inszenierungen sind das Teilnehmerfeld des NRW-Theatertreffens, das vom 13. bis 20. Juni in Dortmund stattfindet. Und weil ein bißchen Superlativ eben doch sein muß, werden nun, wenn schon nicht die zehn besten, so doch die zehn bemerkenswertesten Produktionen präsentiert. Übrigens mit einer Ausnahme, der Oberhausener Beitrag ist nicht transportabel. Deshalb fährt am 19. Juni ein Shuttle-Bus.

Dies sind, chronologisch geordnet, die Teilnehmer:

„Das Mädchen aus der Streichholzfarbrik“, Schauspiel Bochum, 13. Juni, 20 Uhr, Schauspielhaus. Das Stück entstand nach dem Film von Aki Kaurismäki, Regie führt Bochums Hausherr David Bösch. Und in der Titelrolle ist die quirlige Maja Beckmann zu erleben.

„wohnen. unter glas“, Theater Paderborn, 14. Juni, 18 Uhr, Studio. Eins der zeitgenössischen Stücke im Wettbewerb. Geschrieben hat es der fleißige Österreicher Ewald Palmetshofer (Jahrgang 1978), der 2008 mit „hamlet ist tot. keine schwerkraft“ am Mülheimer Stücke-Wettbewerb teilnahm und über den die Meinungen, wie man so sagt, auseinandergehen. Jedenfalls ist nach 60 Minuten alles vorbei und somit genug Zeit für eine weitere Aufführung am selben Tag, nämlich:

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Szene aus „Minna von Barnhelm“. Foto: Philipp Ottendörfer/Theatertreffen

„Minna von Barnhelm“, Theater Bielefeld, 14. Juni, 19.30 Uhr, Schauspielhaus. Die Bielefelder, ist zu hören, gehen den Stoff sehr komödiantisch an. Da werden die 160 Minuten (eine Pause) ganz fraglos wie im Flug vergehen.

„Der Prozess“, Schauspiel Essen, 15. Juni, 18 Uhr, Schauspielhaus. Natürlich besonders interessant für die, die den Dortmunder „Prozess“ mit dem Essener vergleichen wollen. Übrigens gibt es ein Wiedersehen mit Axel Holst, der früher in Dortmund spielte.

„JR“, Wuppertaler Bühnen, Montag, 16. Juni, 20.15 Uhr, Schauspielhaus. Nach dem Roman von William Gaddis, in einer Fassung von Tom Peuckert, vermerkt das Programm. Das Stück ist eine Uraufführung und erzählt die Geschichte von JR, einem elfjährigen „Rotzlöffel“ (O-Ton), der eine steile Karriere als Brachialkapitalist macht und dabei zum Systemrisiko wird.

„Kasimir und Karoline“, Düsseldorfer Schauspielhaus, 17. Juni, 20 Uhr, Opernhaus. Für die Aufführung im Opernhaus entschied sich das Dortmunder Theater wegen der dortigen Drehbühne. Sie bietet zwar nicht die Möglichkeiten der Düsseldorfer Maschinerie, erlaubt aber doch, einen Großteil der Bewegungseffekte zu zeigen. Bierbänke und –tische in atemberaubender Bewegung, und das gegebenenfalls sogar alkoholfrei. Regie führt Nurkan Erpulat, der mit der „Ehrenmord“-Tragödie „Verrücktes Blut“ ziemlich bekannt wurde.

„Der gute Mensch von Sezuan“, Schauspiel Köln, 18. Juni, 20 Uhr, Schauspielhaus. Moritz Sostmann inszenierte mit Menschen und Puppen, 180 Minuten mit Musik (von Paul Dessau).

„Die deutsche Ayse. Türkische Lebensbäume“, Theater Münster, 19. Juni, 18 Uhr, Studio. „Ein spitzzüngiges Sittenbild über die Anfänge der Migration in Deutschland“ schrieben die Westfälischen Nachrichten zur Premiere.

„Die Orestie“, Theater Oberhausen, 19. Juni, 21 Uhr. Simon Stone hat den Stoff von Aischylos in die Gegenwart gestellt. Und das Theater bleibt, wo es ist, weil der Dortmunder Schnürboden kaputt ist. Der Shuttle-Bus fährt um 19.30 Uhr.

„Das Himbeerreich“, Theater Aachen, Freitag, 20. Juni, 18 Uhr, Studio. Andreas Veiel schrieb seine entlarvende Kapitalismus-Kritik, nachdem er 25 Top-Banker und Manager interviewt hatte. Das Stück fand viel Beachtung, als es herauskam.

Am selben Tag um 20.30 Uhr ist auch die Preisverleihung vorgesehen. Ob dann jedoch eine Inszenierung oder eine Schauspielerin/ein Schauspieler oder eine Regie den Lorbeer erhält, steht ganz in der Entscheidung der Jury.

Neben dem traditionellen Theaterprogramm haben die Dortmunder diverse Diskussionsveranstaltungen („Panels“), Workshops, Konzerte und Performances in das Programm eingeflochten. Bei den letztgenannten scheint „The Smartphone Project“ besonders interessant zu sein; Hier kann sich das Publikum eine App herunterladen (die übrigens bei Android mehr kann als bei Apple) und mit ihr Tänzer im Schauspielhaus ähnlich beeinflussen wie Spielfiguren in einem Computerspiel. Von den eingeladenen Musikanten seinen die nicht gänzlich unbekannten „Tiger Lillies“ genannt, die hier mit „Support“ von Dortmunds Musikchef Paul Wallfisch auftreten.

Es gibt Jörg Buttgereits „Sexmonster“ als Film zu sehen, Kindertheater, Party und einen Theatervorplatz, den die Dortmunder „Urbanisten“ temporär in einen „selbstorganisierten und ungezwungenen Lieblingsort“ verzaubern wollen. Für Fußballfans wird im „Labor“ neben dem Theaterfoyer an allen Tagen der Fernseher laufen und von der Weltmeisterschaft berichten.

Und wer das alles genauer wissen will, nutze die nachfolgend aufgeführten Netzadressen.

www.nrw-theatertreffen.de

www.theaterdo.de

 




Alltagsnicken (2): Die Showband im Zug

So zwei- bis dreimal die Woche bauen sie sich im Eintrittsbereich des Zugabteils auf, der eine führt eine silberfarbene Trompete zum drucklosen Ansatz vor die Lippen, der andere tippelt mit flinken Fingern wie zum Aufwärmen über die schwarz-weiße Harmonika-Klaviatur – und dann legen sie los. Feuerwerkend, fröhlich lachend, virtuos musizierend tönt das Duo balkanesk anmutende Tonkaskaden in das mehr oder weniger besetzte Nahverkehrsmittel. Meist ist es ein bekannter internationaler Hit älteren Datums, der heimatklingend interpretiert wird. Je länger sein Vortrag andauert, desto wilder sein Rhythmus, um dann zum Ende der Darbietung in ein himmelwärts strebendes Crescendo zu verfallen, das mit einem schmetternden Sforzando seinen Abschluss findet. Meinem aktuellen Hörbuch zu folgen verbietet sich an diesem Punkt, erstens verstehe ich ohnehin kein Wort mehr und zweitens würde ich mich wegen offen vorgetragener, unhöflicher Nicht-zur-Kenntnisnahme gegenüber den tapferen Musikanten schlecht fühlen.

Danach tippelt der Harmonikaspieler wieder sanft über die schwarz-weiße Klaviatur, untermalt gekonnt den nächsten Schritt, sein Kollege mit dem drucklosen Ansatz fingert nach einem ausgedienten Kaffee-Behälter aus schottischstämmiger Fast-Food-Ketten-Schmiede und freundlich lächelnd bittet er um einen Obolus fürs Blechblasen und Harmonika-Tippeln. Ich entscheide dann je nach Tagesform, ob ich seiner Bitte nachkomme oder mich diesmal einer Ablasszahlung enthalte, weil sie eben so zwei- bis dreimal die Woche ihr Morgenständchen ins Abteil blasen bzw. quetschen. Da sie mich als Zuginventar erkennen, verziehen sie auch keine Miene und steigen anschließend mit mir in Unna aus. Wo sie dort das zweite Frühstück einnehmen, entzieht sich meiner bisherigen Beobachtung.

Heute nun geschah etwas bisher noch nicht Geschehenes: Das so zwei- bis dreimal die Woche stattfindende Ritual verlief wie immer. Allerdings hatten mit meiner Balkan-Showband in Schwerte auch die Mitglieder einer Schulklasse das Abteil erobert und gerade ihre Plätze eingenommen, als die ersten Takte kraftvoll erklangen. Das Klassenausflugs-Stimmgewirr versickerte alsbald im balkanesken Trompetenschall, die Kids zeigten wohlgelaunte Zuneigung für diesen wortsinnlichen Auftakt ihrer Schuljahresend-Reise und schnatterten dennoch gegen die Klänge an, sofern ihre Stimmbänder kurz vom dem Stimmbruch es zuließen.

Als das schmetternde Sforzando verebbte, die tippelnden Finger über die Klaviatur huschten und der Dizzy Gillespie der Nahverkehrszüge zwischen Schwerte und Unna seinen verknautschten Kaffeebecher in die Runde schwenkte, ereignete sich ein neuerliches, völlig anderes Sforzando: Die Kinder klatschten begeistert und dankten für die musikalisch fehlerfreie Unterhaltung. Die eine oder andere Münze landete zusätzlich im ramponierten Kaffeebecher – welch ein Triumph!

Ich hatte es noch nie miterlebt, dass meine Musikanten mit Applaus ins nächste Abteil verabschiedet wurden. Meist ernteten sie ein müdes Kopfnicken nebst einer Münze nicht näher bekannter Werthaltigkeit oder von beidem nichts, sondern die totale Ignoranz sich selbst geschäftig aussehen lassender Reisender. Kleinlaut stelle ich mich zumindest in die Reihe der Erstgenannten. Da muss ich mein Verhalten korrigieren, das lehrt mich der liebenswerte Applaus so herrlich unverbrauchter Schülerinnen und Schüler.




Grenzgänge zwischen Kunst und Musik: Ruhrtriennale-Chef Heiner Goebbels arbeitet für eine Ausstellung in Darmstadt

John Cage, "Waterwalk", eine Performance von 1960. Foto: Courtesy John Cage Trust/Mathildenhöhe

John Cage, "Waterwalk", eine Performance von 1960. Foto: Courtesy John Cage Trust/Mathildenhöhe

So starr waren sie auch früher nicht, die Grenzen zwischen (bildender) Kunst und Musik, man denke nur an die Oper als „Gesamtkunstwerk“. Oder an synästhetische Fragen wie die nach dem „Klang“ von Farben (Olivier Messiaen) oder eben auch der „Farbe“ von Klängen, ein Thema, das die Musik seit den 19. Jahrhundert ausdrücklich beschäftigt.

Doch die Mathildenhöhe in Darmstadt will nun in einem Großprojekt das Thema völlig neu aufrollen. Anlass dazu ist der 100. Geburtstag von John Cage, dem wohl bekanntesten unter den avantgardistischen Infragestellern von Grenzen.

Mit dem Ausstellungsprojekt „A House Full Of Music“ will das Institut, angesiedelt in einer der schönsten Jugendstil-Stadtlandschaften Deutschlands, parallel zur documenta 13 in Kassel „erstmals die inneren Zusammenhänge zwischen den Gattungen Musik und Kunst“ thematisieren. Und der neue Chef der Ruhrtriennale, Heiner Goebbels, wird dazu eine neue Sound- und Video-Installation kreieren.

Der Anspruch der Ausstellung ist ehrgeizig: Ein ganzes Jahrhundert soll auf neue Art und Weise präsentiert werden. „A House Full Of Music“ – so die Aussteller – gehe grundsätzlich anders vor als einschlägige Musik- und Kunst-Ausstellungen der letzten Jahrzehnte: Die haben etwa die Klangkunst als neue Hybridgattung, gattungsübergreifende soziokulturelle Kontexte von Kunst und Musik oder einzelne Medien – wie etwa die Schallplatte – in den Fokus gerückt.

Die Mathildenhöhe dagegen setzt auf die epochenübergreifende Präsentation wirkmächtiger Strategien: speichern, collagieren, schweigen, zerstören, rechnen, würfeln, fühlen, denken, glauben, möblieren, wiederholen, spielen – zwölf Strategien, die sowohl die Musik als auch die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts bis heute prägen. In kontrastreichen Strategieräumen – so verspricht die Ausstellung – will sie die parallelen Vorgehensweisen von Musik und Kunst in Geschichte und Gegenwart erfahrbar machen. Damit wirft „A House Full Of Music“ einen neuen Blick auf die thematischen, formalen und durch Personen gestifteten Zusammenhänge der beiden künstlerischen Disziplinen.

Bis 9. September geht es also um Pioniere und Grenzgänger zwischen Musik und Kunst: John Cage, Erik Satie, Steve Reich, Marcel Duchamp, Joseph Beuys, Nam June Paik, Yves Klein oder Paul Klee; aber auch The Beatles, Miles Davis, Frank Zappa – insgesamt 110 bildende Künstler, Musiker und Komponisten. Mit 350 Werken in allen Medien und Techniken können die Besucher die Wechselbeziehungen zwischen den Künsten, die Netzwerke zwischen den Musikern und Künstlern sowie die Themen, die beide gleichermaßen beschäftigt haben, erschließen.

Zchng. (Instrument fuer d neue Musik) - eine Federzeichnung von Paul Klee. Foto: Zentrum Paul Klee, Bern

Zchng. (Instrument fuer d neue Musik) - eine Federzeichnung von Paul Klee. Foto: Zentrum Paul Klee, Bern

Der Komponist, Musiktheaterregisseur, Intendant der Ruhrtriennale 2012 bis 2014 und Träger des Ibsen-Preises Heiner Goebbels realisiert im Wasserreservoir der Mathildenhöhe eigens eine von John Cage und Gertrude Stein inspirierte Sound- und Videoinstallation „Genko-an 64287“. Und in den Bildhauerateliers des Museums Künstlerkolonie wird ein Cage-Kino installiert. Dort läuft im CinemaScope-Format der Künstlerfilm „Sound ??“ von 1966, der John Cage mit dem Jazz-Saxophonisten Rashaan Roland Kirk in einen kreativen Dialog setzt. Im benachbarten Weißraum ist Nam June Paiks filmisch-künstlerische Hommage „A Tribute to John Cage“ von 1973/76 zu erleben.

Zur Ausstellung erscheint neben einem weiteren Band aus der Reihe „Kunst zum Hören“ der Katalog „A House Full of Music. Strategien in Musik und Kunst“, herausgegeben von Ralf Beil und Peter Kraut im Verlag Hatje Cantz, mit Essays und Werktexten u. a. von Samuel Beckett bis Erwin Schulhoff und Karlheinz Stockhausen.

Der Katalog zur Ausstellung erscheint im Verlag Hatje Cantz

Der Katalog zur Ausstellung erscheint im Verlag Hatje Cantz

Der 416 Seiten starke Band mit 468 Abbildungen kostet 45 Euro an der Museumkasse. Ein umfangreiches Rahmenprogramm begleitet die Ausstellung; unter anderem gibt es am 16. Juni eine Aufführung von Erik Saties Vexations (840 Wiederholungen) über mehr als 24 Stunden am Flügel im Foyer des Ausstellungsgebäudes.

Die Darmstädter Ausstellung „A House Full of Music“ im Ausstellungsgebäude, im Wasserreservoir Mathildenhöhe und im Bildhauerateliers Museum Künstlerkolonie ist bis 9. September von Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr geöffnet. Der Eintritt kosten 10, ermäßigt 8 Euro, eine Familienkarte ist für 20 Euro erhältlich.

Kontakt: www.mathildenhoehe.info

Tel.: (0 61 51) 13 33 50.




„Heimat ist auch keine Lösung“ – das Schauspielhaus Bochum hat Recht

Karte Schauspielhaus BO Heimat

Theater-Rezension in exakt 150 Wörtern, Teil II:

Schauspielhaus Bochum „Heimat ist auch keine Lösung“, musikalischer Abend, Premiere 21.1.2012

Nebel wabert. Zieht ins Publikum. Fließt um die Schultern und in die Lungen.

Auf der Bühne: ein Vollmond. Ein Mann, der vom Leierkastenmann singt.

Ein Hafen ist das also. Ein Ort des Aufbruchs. Des Verlassens. Der Hoffnung. Der Wehmut. Des Fernwehs. Ein Ort, an dem die alten Lieder von daheim plötzlich wichtig werden.

„Heimat ist auch keine Lösung“, so hat Thomas Anzenhofer den musikalischen Abend genannt. Recht hat er. Die erste Szene zeigt schon, wohin der Abend führt.

In aller Herren Länder. In alle Gefühle. In schwermütigen kubanischen Jazz, in afrikanische Trommelfreude, in dröhnenden New Wave. Zu Nietzsche, Udo Jürgens, Ton Steine Scherben. Zu Idylle, Fremdsein und Schnaps.

Italienische Mandolinen-Sehnsucht trifft auf jiddische Fiddel-Wut, türkisches Wehklagen auf Hans Albers. Und in „Sweet Home Alabama“ wird gejodelt.

karte schauspiel bo heimat rückseite

SOUND Wispernd. Dröhnend. Verständlich. Je nachdem.

BÜHNENBILD Roh. Video-Leinwand, Bühne, Theke.

VIDEO Live. Abwechslungsreich.

KOSTÜME Tramp-inspiriert. Neuzeit-Stereotypen.

SCHAUSPIELER Alle drei grandios.

HUMOR Aber holla!




Bosse in Dortmund: Romantische Rampensau

„Wie heisst der eigentlich mit Vornamen? – Axel! Axel? Wie unsexy! Aber ich kann ihn doch sicher Aki nennen? – Nenn ihn einfach Bosse, das ist ihm am liebsten. Selbst seine Band nennt sich ja so.“ Soweit der Dialog zweier weiblicher Fans. Axel Bosse wird es verschmerzen können. Es darf getrost vermutet werden, dass „sexy sein“ nicht seine höchste Priorität ist. Wo seine Leidenschaft liegt, demonstrierte er mit einem sehr gelungenen Konzert im Dortmunder Freizeitzentrum West. Die beiden Mädels dürfte es über den unsexy Vornamen hinweg getröstet haben.

Das FZW Dortmund hat in diesem Jahr mehr als einmal gutes Gespür bewiesen und Bands an der Schwelle zum Erfolg verpflichtet. Am Vorabend der 1Live-Krone gab es das bereits zweite Konzert von Bosse im Ruhrgebiet. Der Braunschweiger Axel Bosse ist ein deutscher Sänger, Gitarrist und Songwriter, der bereits als 17-jähriger mit der Schülerband Hyperchild erste Erfolge feierte und seit 2005 beharrlich an seiner Solo-Karriere arbeitet. Das erste Album „Kamikazeherz“ war ein Achtungserfolg, das zweite „Guten Morgen, Spinner“ ein fulminanter Flop und kostete ihn den Plattenvertrag.

Bosse entschied sich für die Ochsentour und vermarktete sich mit Hilfe guter Freunde im Eigenverlag. Lohn der Mühen: Das aktuelle Album „Wartesaal“ stieg sofort in die Album Charts ein, es kommen mehr als 300 Leute zu seinen Konzerten und mit Silly-Frontfrau Anna Loos belegte er den dritten Platz beim Bundesvision-Song-Contest. 1Live schliesslich promotete „3 Millionen“, den Song, der Bosse „den Arsch gerettet hat“ (so der Sänger wörtlich) und nominierte ihn in der Kategorie „bester Künstler“ für die 1Live Krone. Für das ZDF gab er in der großartigen Reihe „ZDF @ Bauhaus“ ein viel beachtetes Konzert, welches ihm auch ein Publikum jenseits jugendlicher Sexyness erschloss. Musikalisch lässt er sich in keine Schublade pressen, am besten passt noch das Etikett „Indie-Pop deutsch“. Wichtig sind ihm zunächst die Texte, seine Musik kommt danach und passt sich diesen an. Entstanden sind eigenwillige Lieder, die wie kaum andere Alltägliches in nicht alltäglicher Form präsentieren.

In Dortmund war Bosse in Bestform. Nach überstandener Kehlkopfentzündung gab er alles und hatte wie sein Publikum sichtlich Spaß. „Die Nacht“ gehörte ihm und seiner musikalisch einwandfreien Band fast alleine. Unterstützt wurden die versierten Musiker von den beiden Damen des Duos „Boy“ (ebenfalls für die 1Live Krone nominiert), welche einen kleinen Einblick in ihre Erinnerungen an Suzanne Vega weckende Musik präsentierten. Der in Interviews stets höfliche Bosse verwandelt sich auf der Bühne in eine Rampensau, paart Romantik mit wildem Toben, schweißtreibend, hingebungsvoll, unpeinlich und mit sichtlicher Freude über sein tanzendes, textsicheres Publikum.

Nach etlichen gern gegebenen Zugaben bewies er zudem mit dem älteren, ruhigen Stück „Wende der Zeit“ ein selten gewordenes Gespür für einen würdigen, nachwirkenden Abschluss. Auch wenn es noch nicht „drei Millionen“ Zuschauer sind und er für die 1Live Krone nun doch noch ein wenig im „Wartesaal“ ausharren muss, die ganz große Karriere könnte nicht mehr „weit, weit weg“ sein. Sollte es damit wider Erwarten nicht klappen, kann er immer noch Chorleiter werden. So erfolgreich, wie er das Publikum im FZW zum Mitsingen (sogar im Kanon) animierte…

Empfehlenswert: der Youtube Kanal des Künstlers.

 

 




Sole Sentry rocken plugged und unplugged in der Hafenliebe

Kieron Gerbig - Foto: Sabine Musik

Kieron Gerbig - Foto: Sabine Musik

Die bisher im Bam Boomerang beheimatete Dienstag-Reihe „tuesday live“ bietet ab jetzt in der Dortmunder Hafenliebe lokalen Bands eine Bühne. Sole Sentry, die in Kulturcafés, Diskotheken und sogar Heavy-Metal-Kneipen, ein Standbein im Live-Sektor gefunden haben, werden am 11. Oktober in der Hafenliebe plugged und unplugged auftreten. Die Band um den gebürtigen Australier Kieron Gerbig verlangt von sich Tiefe, gepaart mit einem ordentlichen Schuss Rock. Im Interview erzählt Kieron, wie sich die Band entwickelt hat und warum er es liebt, seine Musik so zu präsentieren, wie sie auch geschrieben wurde.

Am 11. Oktober spielt ihr in der Hafenliebe in Dortmund. Die so genannte „Dienstags-Reihe“ soll lokalen Newcomer-Bands eine Plattform geben. Doch so neu seid ihr eigentlich nicht. Seit wann gibt es Sole Sentry?

Kieron Gerbig: Die Band gibt es schon länger, die Konstellation ist allerdings neu. Bevor ich zu Sole Sentry kam, spielte ich in der Band ‚Increase‘. Leider trennten sich unsere Wege und die Band wurde aufgelöst. Es ging mir gesundheitlich nicht gerade gut, doch nach einer erfolreichen Operation wollte ich sofort wieder mit der Musik loslegen. Und das nicht alleine, sondern mit einer Band.

Wie bist zu Sole Sentry gestoßen?

Kieron Gerbig: Ich schaute mir eine Menge Bands an und als ich die Jungs von Sole Sentry kennenlernte, wusste ich: Das ist die Band, mit der ich Musik machen will. Also schrieben wir neue Songs, machten unseren ganz eigenen Stil, es herrschte stetig Austausch zwischen den Bandmitgliedern, so änderte sich schließlich auch der Sound.

In der Hafenliebe werdet ihr plugged und unplugged spielen. Was macht ihr da genau? Ist es euch wichtig zu demonstrieren, dass eure Musik „handgemacht“ ist?

Sole Sentry - Foto: Sabine Musik

Sole Sentry - Foto: Sabine Musik

Kieron Gerbig: Ich für meinen Teil liebe es, die Musik so zu präsentieren, wie sie auch geschrieben wurde. Schnörkellos und an der Gitarre. Zumeist akustisch, um es dann gemeinsam im Kollektiv zu einem fertigen Song zu zaubern. Unplugged kannst du natürlich viel mehr Tiefe in die Songs reinlegen. Selbstverständlich mögen wir es auch zu rocken und zu zeigen wo der Hammer hängt. Daher unplugged und plugged.

Und warum Dortmund und nicht Sidney? Du bist gebürtiger Australier, aufgewachsen in Marl, lebend in Dortmund. Warum bist du im Ruhrgebiet geblieben? Wäre Australien nicht auch ein guter Ort als Musiker?

Kieron Gerbig: Hier bin ich mit meiner Musik etwas Besonderes, in Australien bin ich ein Australier unter vielen die rocken. Australien ist ein guter Ort für Musiker, die Happy-Musik á la Jack Johnson machen.

Vielen Dank für das Interview.

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=bJnbgsFI4I4&w=560&h=315]




Düstere Schönheit – Vorschau aufs Denovali Swingfest in der Essener Weststadthalle

Der Wortbestandteil „Swing“ im Festivalnamen ist pures Understatement. Sicher wird der Beton mitschwingen, wenn die durchdringenden Bässe finsterer Bands wie Bohren & der Club of Gore oder Kodiak durch die Weststadthalle wummern. Mit einer älteren Ausrichtung des Jazz hat die am kommenden Wochenende präsentierte Musik aber rein gar nichts zu tun.

Der Untertitel „Experimental Music Festival“ verrät dagegen schon etwas mehr über die einundzwanzig Gruppen und Einzelkünstler, die vom 30. September bis 2. Oktober in Essen auftreten werden. Aber experimentieren lässt sich ja in den verschiedenen Genres.

Das Bersarin Quartett tritt am Freitag gegen 19 Uhr auf

Mehrere der auf dem Festival vertretenen Musiker greifen Traditionen klassischer Instrumentalmusik auf und variieren sie, oftmals um elektronische Mittel erweitert. So der Münsteraner Komponist und DJ Thomas Bücker, alias Bersarin Quartett, dessen Auftritt für Freitag, 30.09., 19 Uhr, vorgesehen ist. Oder der Düsseldorfer Hauschka (i .e. Volker Bertelmann) mit seiner bestechend schönen, manchmal wehmütigen, manchmal heiteren Klaviermusik (Sonntag, 2.10., 19 Uhr). Der Klassik vielleicht am engsten verbunden ist die französische Formation Les Fragments de la Nuit (Piano, Cello und drei Violinistinnen), die den Sonntagnachmittag bereits gegen 13 Uhr eröffnet.

Der Düsseldorfer Hauschka, alias Volker Bertelmann

Postrock – sofern diese generelle Bezeichnung überhaupt etwas aussagt – ist auf dem Festival durch mehrere Gruppen präsent. Die UK-Band Her Name is Calla, die bereits im vorigen Jahr auf dem Denovali Swingfest im Essener Jugendzentrum durch die kräftige Stimme des Lead-Sängers Tom Morris und durch satten Gitarrenklänge überzeugte, ohne dass die subtileren Töne von Geige und Posaune in den Klanggewittern untergingen, spielt auch in diesem Jahr wieder in Essen (Sonntag, 16 Uhr). Der gleichen musikalischen Kategorie ließen sich die Petrels (UK) zuordnen. Angenehm zu hören, etwas in Richtung Shoegazing weisend, sind auch die schwedischen September Malevolence (Freitag, leider schon um 14.30 Uhr). Ebenso AUN aus Kanada. Wer es gern härter mag, wird von Omega Massif gut bedient.

Her Name is Calla spielen am Sonntag gegen 16 Uhr

Ambient und Drone sind auf dem Essener Fest vertreten durch Künstler wie Jefre Cantu-Ledesma (San Francisco), Tim Hecker (Montreal), Kodiak (Gelsenkirchen) sowie durch den Musiker und Videokünstler Thomas Köner, dessen Performance den Freitag beschließt. Das überragende Duo Nadja aus Toronto tritt am Samstag gegen 16 Uhr auf.

Aus dem Jazz kommt das polnische Contemporary Noise Sextet (Samstag, 17.30 Uhr). Stärker elektronisch geprägten Jazz bringt das Hidden Orchestra aus Edinburgh auf das Essener Festival – voraussichtlich eines der herausragenden Ereignisse am Sonntagabend (20.30 Uhr). Das Kilimanjaro Darkjazz Ensemble aus Amsterdam dagegen, das den Samstag beschließen soll, trägt den Jazz zwar ebenfalls im Namen, ließe sich aber ebenso in eine Reihe stellen mit experimentierfreudigen, mit dem Abgründigen spielenden Postrockbands. Soundtracks zu nie gedrehten Filmen. In diese Richtung gehen auch die dunklen Sounds des Dale Cooper Quartets (Samstag, 19 Uhr). Nicht nur der Bandname, auch die Musik der Bretonen spielt auf David Lynchs Kult-Serie „Twin Peaks“ an. Subheim aus Griechenland, der am Freitag um 17:30 Uhr auftreten soll, steht ebenfalls schwärzester Harmonik nahe, ebenso wie Lento aus Italien oder die Finsterlinge aus Mülheim, Bohren & der Club of Gore, die den Takt auf das größtmögliche Maß verlangsamt haben (Freitag um 22 Uhr). Das Licht am Sonntagabend machen drei dem Death oder Doom Metal zugewandte amerikanische Kapuzenmänner aus: Sunn O))).

Denovali Swingfest
30.09. / 01.10. / 02.10. 2011
Weststadthalle (U-Bahn: Berliner Platz)
Thea Leymann Strasse 23
45127 Essen
Tickets und Infos: http://www.denovali.com/swingfest

 

 




Der Dirigent im kalten Bachwasser

Zum Thema Sergiu Celibidache läuft in der Westfälischen Rundschau derzeit eine interessante Sonderseite „Kultur extra“. Dazu hier eine erweiternde Anekdote:

Sergiu Celibidache

Als nach dem Ende des Krieges 1945 in den Großstädten des Rhein-Ruhrgebietes die Opern und Konzertstätten durch Bomben und Brände zerstört waren, mussten Theaterensemble und Orchester auf umliegende Kleinstädte ausweichen.

So kam es, dass in der Industriegemeinde Milspe (gehört seit 1949 zu Ennepetal) das ehemalige „Gefolgschaftshaus“ der Firma ABC („Spax“-Schrauben) unter dem neuen Namen „Haus der Kunst“ ein vielbesuchter Veranstaltungsort wurde. Mehr als 40 000 Besucher kamen in den ersten beiden Nachkriegsjahren, um Schauspieler aus Wuppertal, Düsseldorf oder Essen zu sehen.

Zu den „Gastspielern“ gehörten mehrfach auch die Berliner Philharmoniker. Ihr Dirigent war Sergiu Celibidache, der vor seinem ersten Auftritt an einem warmen Sommerabend den Wunsch nach einem erfrischenden Bad im Freien äußerte. Man führte ihn zu einem nahen Hammerteich, den auch die Kinder und Jugendlichen des Dorfes zum Schwimmen nutzten. Natürlich war das Bachwasser ziemlich kalt, aber Celibidache war zufrieden und schritt am Abend erfrischt zum Dirigat.




Von Vermittlung und Verblödung

Für sein Buch „Die Leichtigkeitslüge“ hat Holger Noltze, Professor für Musikjournalismus an der TU Dortmund, viel Beifall erhalten – aber auch ein paar Buh-Rufe aus der Branche. In dem Band mit dem Untertitel „Über Musik, Medien und Komplexität“ vertritt er eloquent seine These: Kunst- bzw. Musikgenuss ist nicht so leicht zu haben, wie viele Programme zur Musikvermittlung es behaupten. Wer ästhetische Erfahrungen machen wolle, müsse auch Anstrengung zulassen. Ein Großteil der gut gemeinten Programme laufe nicht nur ins Leere, sondern banalisiere auch noch das Werk, um dessen Vermittlung es eigentlich gehen solle. Ein vermittelndes Gespräch mit dem streitbaren Professor.

Geredet wird zurzeit ja viel davon, aber was ist das eigentlich: Musikvermittlung?

Noltze: Musikvermittlung ist alles, was zwischen einem musikalischen Kunstwerk und uns Hörenden passiert. Das kann Musikunterricht sein, eine klassische Konzerteinführung, eine Konzertbesprechung in der Zeitung, aber wenn ich Ihnen erzähle, was ich gestern Abend gehört habe, ist das auch Musikvermittlung. Auch eine Fernsehsendung, auch ein Youtube-Video sind Musikvermittlung. Musikvermittlung ist vieles, und sie ist sehr wichtig.

Mögen Sie den Begriff? Er ist ja sehr technisch, wo es doch eigentlich darum geht, Faszination für Musik zu wecken …

Ich habe sehr viel darüber nachgedacht … ach, eigentlich habe ich nichts gegen den Begriff. Auch bei Goethe kommt ein Mittler vor, es ist ein ehrwürdiges Wort. Meine Kritik setzte da ein, wo etwas passiert, was ich als Projektion bezeichne: Ich habe hier einen schwierigen Inhalt: Neue Musik, oder den späten Beethoven, oder die Kunst der Fuge. Und dort habe ich das Publikum. Und ich habe ein Problem: Das Publikum wird älter. Es wird weniger. Die Musikvermittler wollen glauben machen, mit ihnen werde alles gut, mit ihnen werde sich der Gegenstand schon erschließen und weiterleben. Dagegen ist erstmal  nichts zu sagen. Musik ist schließlich stark an die Aufführung gebunden. Ich kann sie eben nicht wie eine Werkausgabe ins Regal stellen oder an die Wand hängen, sondern sie ist präsent. An die Aufführung gebundene Musik verlangt danach, dass der Zugang zu mir gelegt wird. Das ist ja auch das, was wir hier lehren und erforschen wollen: Musikjournalismus als logischer zweiter Flügel neben der Musiklehrerausbildung; Kommunikation über Musik, die über Medien geht.

Was ist dann das Problem?

Durch die Einführung des Wortes Musikvermittlung fühlten sich plötzliche viele Leute dafür zuständig. Es macht ja auch Spaß, über Musik zu reden. Jetzt passiert etwas Merkwürdiges: Es gibt zwar ein Problembewusstsein unter den Musikvermittlern, aber auch eine große Bereitschaft, sich toll zu finden und permanent auf die Schulter zu klopfen, denn man macht etwas mit Kindern, Mozart ist eh gut, man hat einen fraglos guten Inhalt … Dabei läuft durchaus nicht alles so toll, wie die Fotos mit den glänzenden Kinderaugen glauben machen. Ich finde, es gibt zu viel Zufriedenheit und zu wenig Selbstkritik. Es bildet sich eine Blase, eine heile Welt der Musikvermittlung, und draußen passiert etwas ganz anderes. Aber das will man nicht sehen, denn das ist unkomfortabel.

Was passiert denn da draußen?

Es gibt zum Beispiel musikalische Programme, die an die Schule angedockt sind. Nur in der Schule kann man alle erreichen – jedenfalls da, wo es Musikunterricht gibt. Aber jenseits der Schule erreichen Sie nur noch spezielle Milieus, die Kinder der Abonnenten. Und die haben die Neigung, sich unter sich wohl zu fühlen und das Draußen auszuklammern.

Sie haben im Schwerpunkt Germanistik und Spanisch studiert. Wer hat denn Ihnen Musik vermittelt?

Es gab Musik in der Familie; mein Opa war Musiker. Aber als ich Klavier lernen wollte, musste ich anklopfen und darum bitten. Mein Vater war Bergmann, ein Klavier im Haus war nicht selbstverständlich. Deshalb habe ich das auch eine Art Geschenk empfunden, ich wollte es gerne. Ich bin nicht belämmert worden. Und irgendwann hatte ich das Gefühl, Musik ist für mein Leben wichtig. Da tut sich ein anderes Feld auf, das mich bereichert, das mich durch Krisen trägt und mir wichtig ist. Mein bester Freund Christoph war Fußballfan. Er hat mir von Westfalia Herne erzählt und ich habe ihm das Meistersinger-Vorspiel vordirigiert. Das war ein selbstverständlicher Austausch, und so geerdet gefällt mir das gut.

Wenn Sie sagen, Sie seien nie mit Musik „belämmert worden“, meinen Sie damit Ihre Eltern. Gab es damals Musikvermittlungsprogramme, etwa in Schulen?

Meinen Musikunterricht würde man heute wohl als abschreckend empfinden. Der Inhalt wurde einem hingestellt: friss oder stirb. Wenn ich sehe, was heute im Musikunterricht bei meinem Sohn passiert, dann läuft das oft anders herum: Macht doch mal ein Referat über eure Lieblingsband. Das ist ja auch in Ordnung. Aber wenn Sie den Kindern dann mit Mozart kommen, klappen die Ohren wieder um. Die Kolleginnen und Kollegen, die hier in Dortmund schon seit Jahren Musiklehrerausbildung machen, sind ausgesprochen findig darin, wie man neben der Freude am Wiederfinden des Bekannten auch eine Freude am Entdecken von etwas Neuem entwickeln kann. Zusammen mit dem neuen Studiengang Musikjournalismus ist das ein riesiges, sehr praxisorientiertes Labor für Vermittlungsfragen.

Was sollten Musiklehrer denn Ihrer Meinung nach tun?

Ich versuche die angehenden Musiklehrer, die in meinen Seminaren sitzen, zu ermutigen, mit erhobenem Haupt in die Schule zu gehen. Nicht zu denken, Mathematik sei das Wichtige und Musik nur die Zugabe. Nein! Ihr seid wichtig. Musik ist kein Orchideenfach. Die Leute, die wir hier ausbilden, sollen das, was sie tun, mit Passion tun. Und diese Leidenschaft, das Entzündlich sein für eine Sache, kann auch andere anstecken. Was wir nicht mehr machen können: Beethoven als Bildungsinhalt ausweisen, den man verinnerlichen muss, weil das eben so ist. Das wird nicht funktionieren, da man heute traurigerweise sehr gut durch diese Welt kommt, ohne etwas von klassischer Musik gehört zu haben.

Musikunterricht ist ja nichts Neues – woher kommt die beschriebene Blase, der Boom an Musikvermittlung?

Im Jahr 2002 kam der Dokumentarfilm „Rhythm is it“ heraus: Die Berliner Philharmoniker und der Choreograf Royston Maldoom machten mit Berliner Brennpunkt-Kindern ein Tanzprojekt zu Strawinskys „Le Sacre du Printemps“. Diesen Film haben unglaublich viele Menschen gesehen, es war der erfolgreichste Dokumentarfilm in diesem Jahr. Viele haben geweint – ich auch, denn es war rührend zu sehen, wie sich Fenster auftun bei denen, die Strawinsky eigentlich so fern sind, wie man sich das nur vorstellen kann. Es war der Beweis: Musikvermittlung kann gelingen, wenn man nur entschieden genug ist. Wenn man auch klar macht: Es ist eine ernste Sache. Es ist nicht nur Spaß. Da gibt es diese Szene, wo das Projekt fast kippt, weil es nicht voran geht. Es gibt eine Grundsatzdiskussion, eine Gruppe Mädchen giggelt, und da sagt der Choreograf: Was lacht ihr denn da so? Die Mädchen antworten: „Wie, det soll doch Spaß machen hier. Lachen is jesund, wa?“ Und dann sagt Maldoom: „Das könnt ihr so sehen. Aber für mich ist es ernst.“ Und er erklärte ihnen, warum das Tanzen für ihn so eine Lebenswichtigkeit hat. Das Projekt ging dann weiter.

Eine wunderschöne Erfolgsgeschichte…

Ja, aber daraufhin haben viele, die eben nicht die Berliner Philharmoniker sind, gedacht, wir müssen auch so etwas machen. Und wo ein Bedarf ist, sind sofort auch Leute, die ihn füllen. Jeder Boom schwemmt auch Mittelmaß nach oben, und die Gefahr ist, dass man darüber den Maßstab verliert und sich nicht mehr traut, weiterzugehen. Was ist kritisiere, ist, wenn Vermittlung bloß noch über Vereinfachung läuft. Dass sie den Gegenstand so sehr verkleinert, bis er eine Pille ist, die man noch reinkriegt. Ich kann aber nicht den Wert von Bach oder Mozart ständig behaupten und dann die Sache selber so abschaben, bis gar nichts mehr übrig bleibt.

Ein Beispiel?

2006 war Mozart-Jahr, und die Medien waren voll von ihm. Was aber da von Mozart übrig geblieben ist, ist schon sehr traurig. Mit Musik hatte das gar nichts mehr zu tun, gar nichts. Aber ich glaube schon, dass es eine Chance gegeben hätte! Man darf nur nicht so mutlos sein, man muss eine Faszination wecken auch für das, was nicht so einfach ist. Jeder Mensch hat Bedürfnisse, und ich behaupte, es gibt noch das Bedürfnis nach Musik, es gibt auf jeden Fall das Bedürfnis nach anderen Erfahrungen. Und die mache ich, wenn ich meine Alltagswahrnehmung hinter mir lasse. Das kann ich aber nicht, wenn alles auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht wird. Der ist uninteressant. Damit speist man das Publikum ab, nimmt es nicht ernst.

Aber ist es nicht erst einmal gut, die Leute über die Schwelle zum Beispiel eines Konzerthauses zu führen? Man kann sie dort dann ja ruhig stehen lassen – und hoffen, dass sie nun Eigenmotivation entwickeln, denn ohne die geht es eh nicht weiter.

Ja, aber was meiner Meinung nach nicht geht, sind Vermittlungsmodelle à la Elke Heidenreich, über die ich in meinem Buch ein großes, bisschen böses Kapitel geschrieben habe. Sie hat die Oper entdeckt. Und dass sie in jeder Oper weinen kann. Sie vermittelt: Wenn du auch weinen willst, dann geh mir nach. Es gibt Leute, die ihr glauben und die ihr nachgehen. Sie macht das ja auch eloquent und immer beglaubigt durch ihre eigene Rührung. Ich behaupte aber und kann das auch belegen: Sie bringt die Leute bis an das Portal, an dessen Ecke sie steht und redet und weint, und die Leute gehen durch, und dann sind sie tatsächlich allein. Sie merken, sie müssen gar nicht weinen. Stimmt irgend etwas nicht mit ihnen? Das ist dann ein fauler Zauber, ein falsches Versprechen, das gemacht wird.

Aber sie waren da in der Oper, und es hätte passieren können. Immerhin waren sie da!

Es hätte passieren können, aber wenn, dann nicht wegen Elke Heidenreich. Ich glaube, dass die Enttäuschung: hat nicht geklappt mit dem Weinen,  bei den Menschen letztlich dazu führt, dass sie nicht mehr wiederkommen werden. Und über Inhalte zu reden, vermeidet Elke Heidenreich konsequent. Sie redet nur über Emotionen.

Ein Kollege von Ihnen hat in der Neuen Musikzeitung (nmz) ebenfalls den „Vermittler-Hokuspokus“ kritisiert und behauptet, klassische Musik könne man erst mit reifen Ohren ernsthaft hören. Stimmen Sie zu?

Ich glaube, das hat er jedenfalls nicht exkludierend gemeint. Mein Kollege Hans Christian Schmidt-Banse, der das geschrieben hat, hat natürliche Jahrzehnte von Erfahrung und misstraut der schönen neuen Vermittlungswelt… Immerhin sind wir ja schon etwas schlauer. Ein Kollege in Paderborn hat festgestellt: Es gibt eine Phase der Offenohrigkeit für alle Arten von Musik, und die geht, raten Sie mal: Von null Jahren …

… bis 13 Jahren?

Genau. Wenn die Pubertät ihr grässliches Haupt erhebt, ist es erstmal vorbei. Mein Sohn war ein großer Fan von Strawinsky, und zwar, weil er den Disney-Film „Phantasia“ gesehen hatte, in dem „Le Sacre du Printemps“ vorkommt. Und wenn ich ihm, dem damals Fünfjährigen, einen anderen Strawinsky aus der gleichen Phase vorgespielt habe, dann sagte er: Das ist die Dino-Musik. Er fand es toll. Diese Phase ist nun vorbei, jetzt gibt es nur noch Hard-Rock, in Abgrenzung zu Papa. Faszinierend ist jedenfalls, dass in dieser Phase Musik existenziell wichtig wird. Auf einmal definiert man sich über Musik. Die Frage ist nur, was nach der Pubertät passiert. Und ob man vorher auch mal eine positive Erfahrung mit anderer Musik gemacht hat.

Wie könnte Musikvermittlung das erreichen?

Ich habe auch keine Patentrezepte, aber man sollte erst einmal gewisse Fehler vermeiden. Zum Beispiel den, Musik als Zwangs-Bildungsinhalt zu behandeln. Es kann eine so tolle Erfahrung sein, schöne Klänge zu hören. Vermittlung sollte sich verstehen als Zugangserforschung an musikalischen Kunstwerken. Dabei müssen sich die Zugänge an der Kreativität der Kunstwerke messen und nicht an dem, was im Konzertführer steht. Natürlich geht das nicht ohne Anstrengung; wir müssen uns ein bisschen reinhängen, wenn wir etwas von der Sache haben wollen. Es wird aber gern vorgegaukelt, das sei nicht so, denn alle wollen ihre Projekte verkaufen.

Was würde wohl Beethoven über die heutigen Formen der Musikvermittlung denken?

Beethoven ist vielleicht nicht das typische Beispiel, der wollte ja die Menschheit erreichen, aber Künstlern ist meist relativ egal, was um sie herum passiert. Das kann ich auch verstehen. Wer sich auf seine Kunst konzentrieren will, der muss nicht dauernd als Postbote seiner Botschaft unterwegs sein. Genau dafür wollen wir unsere Studenten hier ja auch ausbilden. Wir wollen Leute, und das ist unser Alleinstellungsmerkmal, die sich am Ende formal, technisch, handwerklich in Musik auskennen und die auch das Mediengeschäft kennen. Musikjournalismus war bisher kein Lehrberuf, sondern immer eine Art biografischer Unfall. Und ich bin sicher, dass für Kommunikatoren über Musik ein Bedarf da ist, der sogar noch steigen wird. Aber es geht auch ein bisschen darum, die Welt zu retten.

„Der Musikjournalist nach Dortmunder Art ist auch Therapeut, Dolmetscher und Muntermacher. Er glaubt an die Genesung der Klassik“, schreibt die ZEIT. Stimmen Sie der Charakterisierung zu?

Ja. Ich will Motivation generieren. Und ich bin grundsätzlich optimistisch, allerdings kritisch mit dem Zustand des Betriebs. Kürzlich gab es ein Streitgespräch für die Zeitschrift „Das Orchester“, und da fragte mich mein Gegenüber, warum immer meckere. Ich antwortete, dass sich bei einem Arztbesuch doch auch nicht erzähle, was alles nicht weh tut. Da sagte er: Aber der Patient ist grundsätzlich doch gesund! Genau das glaube ich eben nicht. Der Patient kränkelt stark, der Umgang der Gesellschaft mit dem Gegenstand Musik ist nicht so, wie es sein könnte. Aber ich bin Optimist, denn wir haben ein großes Kapital. In jeder mittleren Stadt gibt es ein Orchester. Das ist ein unglaublicher Reichtum, der uns vergleichsweise gar nicht viel kostet, aber man muss diesen Schatz heben. Das macht mich kribbelig. Ich habe das Gefühl, da kann man mehr machen.

Zur Person

Dr. Holger Noltze hat als Professor für Musikjournalismus seit 2005 den Studiengang „Musik und Medien / Musikjournalismus“ am Institut für Musik und Musikwissenschaft aufgebaut. Die ersten zehn Studierenden des Fachmaster-Studiengangs sind derzeit im zweiten Semester. Noltze studierte Germanistik und Hispanistik in Bochum und Madrid. Er promovierte über den „Parzival“-Roman Wolframs von Eschenbach. Nach einem Volontariat beim WDR wurde er Redakteur und Moderator verschiedener Kulturmagazine im WDR-Radio und –Fernsehen und arbeitete als Ressortleiter Aktuelle Kultur beim Deutschlandfunk. Am Dortmunder Konzerthaus gründete er die Vortragsreihe „Dortmunder Lektionen zur Musikvermittlung“..

Das Interview erschien zuerst in „mundo – Das Magazin der TU Dortmund“, Ausgabe 14/11

 




Open-Air-Saison im Ruhrgebiet: Der Graf und Grönemeyer

Die Saison ist eröffnet. Mit gleich zwei hochkarätigen Konzerten wartete Gelsenkirchen in der vergangenen Woche auf. Den Anfang machte der unheilige Graf im Amphitheater, zwei Tage später unser aller Grönemeyer auf Schalke. „Ja, und? Wie war et denn? Isser noch derselbe wie imma?“ Zwei ganz unterschiedliche Konzerte, eine Frage. Anscheinend muss ich et ja wissen, so oft wie mir diese Frage gestellt wurde. Die Karriere von Unheilig verfolge ich seit Jahren und mein erstes Grönemeyer Konzert erlebte ich 1986. Also, wie war et?

Zunächst der Graf. Er ist noch immer derselbe.  Es ist sein Publikum, welches sich geändert hat.  Die Erwartungen der rund 6000 Zuschauer gingen bunt durcheinander. Um diejenigen abzuzählen, die sich in gräflichem Outfit in die Menge wagten, braucht es nicht mehr als eine Hand.

Im Konzert folgen Unheilig dem Weg ihres Konzeptalbums „Grosse Freiheit“. Mit einem hölzernen Schiffsbug als Erhöhung der Bühne im hinteren Drittel, nehmen sie ihr Publikum „Abwärts“ mit „über’s Meer“ und in ferne Galaxien aus früheren Alben. Die „Lichter der Stadt“ (das für 2012 angekündigte Album) schimmern erfolgversprechend durch. Unter der Flagge des Grafen wurde getanzt, gesungen, aber auch andächtig bei den ruhigeren Balladen verharrt. Zumindest von den meisten. Der Graf startet die „Maschine“ wie immer, aber mein Eindruck war: Mit diesen Massen kann er nicht so wirklich umgehen, ein Stück weit fehlt ihm Chuzpe und Frechheit. Noch ist es ihm nicht gegeben, „O wie ist das schön“ oder gerne auch „Einer geht noch“ Rufen anders als mit Verlegenheit zu begegnen. Die Geister, die er rief – er wird sie nicht mehr los und langjährigen Fans stellt sich immer drängender die Frage, ob diese Geister noch gut sind für die Band und ihre Musik. Der Graf singt seine unheiligen Texte mit heiligem Ernst, fast missionarisch beseelt. Alleine – nicht jeder ist da, um sich beseelen lassen. Rockigere Stücke rufen bei einem gut Teil des Publikums Befremden und Irritation hervor. Ernstere traurige Lieder dienen vielen als Gelegenheit zum Schlangestehen beim Biermann. Viele Künstler haben bewegende Momente, in denen sie sich mit dem Publikum gemeinsam besinnen möchten. Bei den Toten Hosen ist es „Nur zu Besuch“, bei Grönemeyer war es „der Weg“, bei Unheilig ist es „An Deiner Seite“. In Gelsenkirchen war das Publikum bei diesem zwar älteren, aber sehr persönlichem Stück nicht an seiner Seite und bereit, sich mit ihm gemeinsam zu besinnen. Für diejenigen, die es gerne getan hätten, ein unwürdiger, ein unheiliger Moment.

Ganz anders dagegen letzte Woche Dienstag bei Grönemeyer. Auch in der Arena galt: Mitgrölen kann eine kathartische Wirkung haben. Auch seine Bühne ist einem Schiff nachempfunden, der Blickfang jedoch ist pure Selbstironie. Unübersehbar in der Mitte ein großes HRBRT! Weiß der geneigte Grönemeyer Fan doch spätestens seit CRRYWRST: Vokale sind völlig überschätzt.

HRBRT also. Ist er noch derselbe? Ja. Unprätentiös, bodenständig und mit nach wie vor ausbaufähigem Tanzstil. Und nein. Er hat sich verändert. Der Mann, der in der Arena 50.000 Menschen in seinen Bann zog, ist ein anderer. Älter, klar. Und entspannter. In sich selber ruhend. Grönemeyer muss niemandem mehr etwas beweisen. Er weiß, was er kann und er weiß, was er will. Feuilletonisten mögen fragen, ob Textzeilen wie „Ich will mehr – Schiffsverkehr“ kryptisch genial oder sinnentleert sind, ob sich Ruhr auf Ur reimen muss. Ihn kümmert es nicht.  Was HRBRT knödeln will, knödelt er.

Das Konzert ist natürlich die Heimreise, auf die Ruhrstadt wirklich gewartet hat. Drei Stunden, die Sperrstunde der Veltins-Arena ignorierend und Konventionalstrafen in Kauf nehmend, feiert Grönemeyer mit den 50.000. Stücke vom neuen Album kommen nicht zu kurz, ebenso wie auch seine Klassiker. Er bleibt der „Mensch“, wie er lebt und liebt bei „Vollmond“ und mit „Flugzeugen im Bauch.“ Auch wenn die Atmosphäre der Veltins Arena richtige Konzertstimmung schwer aufkommen lässt, seine Fans feiern nicht nur mit ihm, sie würdigen auch seine sehr persönlichen Balladen wie eben „Der Weg“ oder das zeitlos schöne „Halt mich“ angemessen. Und wenn ein ganzes Stadion das Steigerlied mitsingt, um danach hymnisch „Tief im Westen“ anzustimmen – kann sich trotz der Dixie Klos im Innenraum kaum einer der Magie entziehen.

Es zeigte sich deutlich, Grönemeyer ist mehr als nur ein Sänger. Er ist eine Institution, eine gehörte Stimme in unserem Land und unserer Zeit. Wohin die Heimreise des Grafen letztendlich führt, wird sich erst weisen. Sein früheres Publikum hält sich spürbar zurück, sein neues passt noch nicht richtig zu ihm und seinem Anliegen.

Ein Wort zur Security: Nicht wenige äußerten im Amphitheater Bedenken ob versperrter Fluchtwege und unbeholfen ordnender Ordner. Wie es richtig geht, konnte man in der Veltins Arena besichtigen. 50.000 Zuschauer, kein Stau, kein Chaos, freie Fluchtwege, entspannt geordnet. Das war vorbildlich.




Wrestling beim Wacken Open Air – Lesung beim Rock Hard Festival

Während das Wacken Open Air Wrestling ins Programm übernommen hat, versucht es das Rock Hard Festival mit Literatur. Am Pfingstwochenende stellen die beiden Autoren Christian Krumm und Holger Schmenk ihr Buch „Kumpels in Kutten – Heavy Metal im Ruhrgebiet“ den Festival-Besuchern im Gelsenkirchener Amphitheater vor. Ein guter Anlass, um mit Christian Krumm zu sprechen, der bereits an einem Buch über die Plattenfirma Century Media arbeitet.

Am Pfingstwochenende habt ihr vier Lese-Termine beim Rock Hard Festival. Das ist schon etwas Besonderes?

Christian Krumm: Definitiv. Es ist so etwas wie ein Ritterschlag, denn hier ist die Ruhrpott-Szene versammelt und somit gehören wir auch dorthin. Es ist ein einzigartiges Event und wir freuen uns sehr über diese Möglichkeit.

Hören die Metal-Fans in einem Umfeld von lauter Musik und viel Bier überhaupt zu?

Christian Krumm: Wie es auf dem Rock Hard Festival wird, ist natürlich noch schwer zu sagen, denn das ist eine ganz andere Veranstaltung als unsere bisherigen Lesungen. Mit Bobby und Gerre als Gäste wird es vielleicht auch mehr Show als einfache Lesung, aber das Wichtigste ist, dass die Leute Spaß haben.

Wie war die bisherige Resonanz auf das Buch?

Christian Krumm: Wir hatten sicher mit einigen Resonanzen gerechnet, aber was seit der Veröffentlichung passiert ist, hat uns schon überrascht. Neben vielen, fast ausschließlich positiven R ezensionen überraschte besonders die Unterstützung aus der Szene für unser Buch. Die Verkäufe haben entsprechend ziemlich schnell unsere Erwartungen übertroffen.

Vergangenes Jahr habt ihr euer Buch bereits beim Wacken Open Air der Presse präsentiert. Seitdem seid ihr auf Lesereise – mit einigen prominenten Gast-Lesern. Gibt es einen Gast, den ihr besonders in Erinnerung behalten habt?

Christian Krumm: Da kann man sicher niemanden wirklich hervorheben. Wenn Tom Angelripper am Tag nach der Release-Party von „In War And Peaces“ (letztes Sodom-Album) sich mittags um zwölf Uhr mit uns trifft und sich die Zeit nimmt mit uns zwei Lesungen zu machen, dann sagt das viel über die Bodenständigkeit und Leidenschaft für die Szene von Tom aus. Andererseits arrangiert es Bobby von sich aus, ohne dass wir davon wussten, dass auch Gerre bei den Lesungen auf dem Rock Hard dabei ist und macht bei einem Video für Rock Hard Online Werbung dafür. Für wen soll man sich da entscheiden?

Kannst du denn sagen, welcher Ort für euch der schönste war?

Christian Krumm: Das war sicher das Café Nord. Die Kneipe ist seit zwanzig Jahren ein fester Bestandteil der Szene und als wir dort gelesen haben, mit einem Unplugged-Gig von Layment als besonderen Bonus, waren fast 200 Leute da. Das hat schon eine Menge Spaß gemacht.

Aktuell arbeitet ihr an einem spannenden Projekt – der Biografie der Plattenfirma Century Media. Wie ist es dazu gekommen?

Christian Krumm: Das gehört auch zu den positiven Resonanzen auf „Kumpels in Kutten“. Nicole Schmenk – die Ehefrau von Holger – hat zuletzt einen eigenen Verlag gegründet, der sich unter anderem auf Metal spezialisiert. Auf der Suche nach guten Buchthemen kam der Kontakt mit Robert Kampf, dem Chef von Century Media, zustande. Der zeigte sich begeistert von unserem Buch und schnell waren sich alle einig, dass wir die Geschichte der Plattenfirma aufarbeiten werden.

Ein Buch aus der Sicht der Musikindustrie ist selten. Was erwartet ihr an Reaktionen?

Christian Krumm: Das wird sehr spannend. Dieses Buch wird definitiv Geschichten enthalten, die man nicht so einfach in Magazinen oder anderen Szene-Büchern nachlesen kann. Musiker haben oft ein kompliziertes Verhältnis vom Geschäft, wollen vielfach damit so wenig wie möglich zu tun haben. Aber natürlich ist die Arbeit einer Plattenfirma enorm wichtig und ist ebenso ein Teil der Szene. Die Mitarbeiter sind fast ausschließlich selbst Fans, die sich mit Enthusiasmus und viel Herzblut engagieren und einiges dazu beitragen, dass zum Beispiel ein Album ein Klassiker wird, dass Bands das Beste aus sich herausholen oder auch nicht an Konflikten zerbrechen. Diesem speziellen Teil der Szene ist das Buch gewidmet und ich hoffe, dass die Fans sich auch für diesen Aspekt der Musik interessieren und begeistern können.

Vielen Dank an Jörg Litges für die Fotos




Kleistiana (2): Über Haydns Tod

Kleistgedenkjahr 2011 + Joseph Haydns Gedenktag heute

Etwa 2 Monate vor dem von Hardenberg über Raumer bewirkten, abrupten Ende der ersten Berliner Abendzeitung mit ihrer 153. Ausgabe, jener Zeitung Heinrich von Kleists, die seit dem 1. Oktober 1810 erschienen war, erschien unter den Miszellen ein Beitrag zu Joseph Haydns Tod am 31. Mai 1809. Man mag diesen Text als ganzen vermittels folgenden Links bitte nachlesen:
http://modules.drs.ch/data/attachments/2009/090531_Haydn%20heute.pdf

Der Schweizer Rundfunk bzw. Radio (DRS 2) , der den von Kleist übersetzten und geringfügig erweiterten Text ins Netz gestellt hat, hat ihn nach der Sembdnerschen Kleist-Ausgabe zitiert. Nimmt man auch noch die neuere Münchener Kleist-Ausgabe hinzu, wie ich es gerade wohlweislich getan habe, so stellt man vor allem fest, dass das in Kupfer gestochene Haydn-Wort dort in einem anderen Wortlaut zitiert wird: „Meine Kraft ist erloschen, Alter und Schwäche drücken mich zu Boden.“  (Heinrich von Kleist: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 2, München 2010, S.467, Z. 16f.)




Zeche Carl feiert Evil Horde Metalfest – Ruhrpott-Metal kehrt zurück ins Kulturzentrum

Erstmalig findet das Evil Horde Metalfest in der Zeche Carl statt. Was in Oberhausen startete, wird damit nun in Essen-Altenessen fortgesetzt und der Ruhrpott-Metal erhält wieder Einzug an der Stelle, an der die Reise vor mehr als 25 Jahren begann. Am 14. Mai ist es soweit. Ab 15 Uhr lautet das Motto „Metal aus dem Ruhrgebiet – von Fans für Fans“. Neben Konzerten wird es auch Lesungen und Aktionen geben. Ein Gespräch mit Veranstalter Martin Wittsieker.

Martin Wittsieker

Martin Wittsieker

Wann und wie ist die Idee für das diesjährige und damit dritte Evil Horde Metalfest entstanden?

Die Idee entstand bereits 2007. Damals hatte Jens Basten von Night In Gales und ex-Deadsoil, die Idee, ein kleines Festival auf die Beine zu stellen, um seinen 30. Geburtstag zu feiern. Das erste Evil Horde fand im Dezember selbigen Jahres im Oberhausener Druckluft statt. Seinerzeit rockten Motorjesus, Deadsoil, Butterfly Coma, The Very End und viele weitere namenhafte Bands der Ruhrgebietsszene die Hütte.

The Very End

The Very End

2008 fand es ebenfalls im Drucklufthaus statt, dann folgten zwei Jahre Pause.

Genau. Der Hauptgrund war, dass wir schlicht keine Kapazitäten hatten, um uns angemessen um die Sache zu kümmern. Wir betreiben ja auch noch unsere eigenen Bands, spielen Konzerte und feilen an beruflichen Zukunftsplänen. Ein anderer Grund ist, dass das Evil Horde bislang nicht als jährliche Veranstaltung angedacht war. Wir hoffen aber, am Samstag das Ganze erfolgreich über die Bühne zu bringen und einen Grundstein für die Zukunft des Festivals zu legen.

Und dieser Grundstein soll in der Zeche Carl gelegt werden. Warum habt ihr euch für diese Location entschieden?

Harasai

Harasai

Da das Festival unter dem Stern „Metal aus dem Ruhrgebiet“ steht, schien es uns folgerichtig das Konzert in der Zeche Carl zu veranstalten. Die Zeche ist einfach so originell wie das Ruhrgebiet selbst. Zudem ist sie eine Location, die als Spielstätte harter Sounds Tradition hat und tief in der Region verwurzelt ist.

Nachdem die alte Betreibergesellschaft vor einigen Jahren Insolvenz amelden musste, war dort in Sachen Metal leider nicht mehr viel los, was viele Leute sehr vermisst haben, da die Zeche einen unverwechselbaren Klang und Charakter besitzt. Seit einiger Zeit wird versucht den alten Gemäuern neues Leben einzuhauchen und deswegen waren Marcus Kalbitzer und die Crew der Zeche Carl auch sofort von unserem Vorschlag begeistert, das Evil Horde Metalfest dort wieder aufleben zu lassen.

Motorjesus

Motorjesus

Ihr konntet hochkarätige Bands, wie zum Beispiel Motorjesus als Headleiner, verpflichten. Wie habt ihr die Musiker für das Festival begeistert?

Wir wollten die aktuell besten und umtriebigsten Bands aus dem Ruhrgebiet zusammentrommeln. Dies hat sich als relativ leicht herausgestellt, da so gut wie alle auftretenden Bands seit Jahren ein freundschaftliches Verhältniss untereinander pflegen – sowohl auf privater als auch auf professioneller Ebene. Dass das Ganze in der guten alten Zeche Carl, der wohl schösten und geschichtsträchtigsten Location für Stahl und Leder stattfindet, ist natürlich auch ein absoluter Pluspunkt. Denn: Wer möchte nicht auch mal die Bühne beackert haben, auf der etwa Kreator und Sodom erwachsen geworden sind?

Night In Gales

Night In Gales

Mit wie vielen Besuchern rechnet ihr?

Das können wir leider nicht genau sagen. Wir haben bewusst auf einen Vorverkauf verzichtet, um den Charakter des Selbstgemachten zu erhalten und das lokale Publikum nicht unter Druck zu setzen. Aber von mindestens 250 Leuten gehen wir aus, irgendwas zwischen 300 und 400 zahlenden Gästen wäre schön! Die alte Kaue, in der die Bands spielen werden, hat ein Fassungsvermögen für zirka 550 Leute.

An dem Tag werden elf Bands zu sehen sein. Der Eintritt ist mit fünf Euro günstig.

Final Depravitiy

Final Depravitiy (Pressefoto)

Es geht uns vor allem darum in einem großen Miteinander für alle Beteiligten einen schönen Abend zu bewirken, von dem wirklich alle profitieren können. Egal ob es das Publikum ist, das für kleines Geld enorme Qualität zu Gesicht bekommt oder eben die Bands, die dank kleinem Eintritt vor mehr Publikum spielen, als es lokal leider mittlerweile üblich ist.




Wenn die Zeit still steht – Opernheld Hamlet in Dortmund

Dortmund. Hamlet. Ein Monolith in William Shakespeares dramatischem Schaffen, der Schuld und Sühne, Wahn und Realität verhandelt. Der sich an die letzten Dinge wagt. „Sein oder nicht sein“ – die Wucht eines Satzes als Zentrum von Seelenzuständen. Das jedoch hat Christian Jost nicht abgehalten, oder vielleicht geradewegs angespornt, 2009 seinen „Hamlet“ in die musikalische Welt zu werfen. Er hat nichts weniger geschaffen als ein machtvolles Opern-Lamentoso.

Die Musik ergießt sich in breitem Strome, teils heftig aufzuckend in facettenreicher Rhythmisierung, teil dunkel geheimnisvoll raunend. Das Werk, nun in Dortmund zur Premiere gelangte, ist vor allem eine klangliche Nachzeichnung von seelischer Not. Der Komponist selbst spricht von zwölf musikdramatischen Tableaux. Jede dieser szenischen Stationen scheint die Zeit aufhalten zu wollen. Reflexion ist das Gebot der Stunde.

Im Graben sitzen zwei Orchester, ähnlich besetzt, durch einen kleinen Chor voneinander getrennt. Sie lassen raumfüllende Klangflächen aufschimmern, durchzogen von Glissandi, verquickt mit unruhigen, knalligen Blech- oder Schlagwerkattacken. Jost verzichtet in der Instrumentierung auf Oboen und Trompeten. Alles Bukolische und strahlend Helle wird verbannt – herbe Kost für einen bedeutungsschweren Stoff.

Gleichzeitig enthält sich der Komponist dynamischer Extreme. Stets steht der lyrische, teils auch sprechende, bisweilen abenteuerlich figurative Gesang im Vordergrund. Mitunter erinnert das an den Konversationsstil Alban Bergs. Den Solisten wird dabei einiges abverlangt. Wie auch den Chören, die mal geisterhaft polyrhythmisch flüstern, mal als innere Stimmen säuseln, als Landsknechte auftrumpfen oder als Trauergemeinde leiden.

Dieser „Hamlet“, der so viel Sinn sucht und so viel Tod bringt, leidet und klagt an unter brüchig klassizistischen Säulen (Bühne: Sebastian Hannak). Regisseur Peter te Nuyl hat allerdings diesem Purismus der Emotionen mit einem Spiel im Spiel einen Teil seiner Kraft genommen. Die Mimen geben „Hamlet“, sagen teilweise die Tableaux an – das schafft Brüche, die der Musik nicht entsprechen.Andererseits: Wie te Nuyl die Personen sich körperlich verklammern lässt, wie er den Fokus von Hamlet löst, um ihn auf die Gewissensqualen des Brudermörders Claudius zu fixieren, ist von großer Wirkung. Dass die Figuren schließlich elisabethanisches Mobiliar aus Regalen räumen zur Schaffung von Grabstätten, besitzt ganz eigene Symbolkraft. Doch Jost hatte gewiss nicht im Sinn, Shakespeare zu demontieren. Diese „Hamlet“-Oper ist vielmehr spannende Annäherung.

Dortmunds Chefdirigent Jac van Steen hat sich beherzt für die Aufführung des „Hamlet“ eingesetzt. Unter seiner Leitung wachsen Orchester, Chöre und Solisten über sich hinaus. Mit Konzentration und Hingabe wird musiziert und gesungen. Maria Hilmes in der Titelrolle, Bart Driessen (Claudius) oder Fausto Reinhart als Laertes zeichnen vielschichtige Charaktere – flexibel in der Stimmführung, spielfreudig, ja ergreifend.

Weitere Aufführungen: 13. und 25. Mai, 3. und 12. Juni

www.theaterdo.de

(Der Artikel ist am 3. Mai in der WAZ erschienen).




Schumann-Abend in Essen: Ans Herz gedrückt, ans Herz gelegt

Zum gestrigen Schumann-Abend
des Pianisten András Schiff und seiner musikalisch kongenialen Freunde in der Philharmonie Essen

Wann hat man schon die ausgiebige Gelegenheit, an einem Abend nur Lieblingswerke zu hören? Wann schon die Gelegenheit, mehr als 150 Jahre alte Werke ein und desselben Komponisten zu hören und sie dennoch allesamt zu keiner Sekunde ihrer hellstwachen Darbietung als alte Musik zu empfinden? Nein, Schumann war durchweg ganz nah und ganz gegenwärtig. Ob nun beim Klavierquartett op. 47 oder beim Eichendorff- Liederkreis op. 39. Oder ob nach der 1. Pause bei Schumann-Heines „Dichterliebe“ op. 48 bzw. nach der 2. Pause beim abschließenden (wie alles zuvor) ganz großartig (oder doch noch etwas besser?) gespielten Klavierquintett op 44.

Bei all diesen Werken war umsichtig und maßgeblich – so feinfühlig kammermusikalisch wie ggf. energisch bestimmt – András Schiff beteiligt, ohne sich in Szene zu setzen, jederzeit allenfalls primus inter pares bleibend, der Erste unter Gleichen, der Erste mitten unter den (Schiffs eigenem Gestus nach) ihm Ebenbürtigen. Besonders kennzeichnend für ihn scheint mir seine spontane Geste zu sein unmittelbar nach dem auf die Darbietung der „Dichterliebe“ folgenden 2. Applaus: kurz entschlossen nahm er die Partitur beim Abgang von dem Podium mit und drückte sie ununterbrochen an sein Herz, bis die Tür sich hinter ihm schloss. So, als demütigen Diener großer Musik sieht er sich; den Applaus verdiene primär vor allem sie selber, die Musik als Komposition, scheint er uns, den ihm und dem Sänger Applaudierenden, zu sagen, wenn sie als Musik tatsächlichlich so groß und so bedeutend ist wie die eigens für diesen Abend ausgewählten Kompositionen des wohl zu oft immer noch unterschätzten Robert Schumann. Indem er Schumanns Partitur der „Dichterliebe“ demütig-selbstbewusst an sein Herz drückte, legte er uns Hörern die Musik Robert Schumanns ans Herz. Aber dafür waren wohl die allermeisten ohnehin schon gewonnen. Am Schlussbeifall nach dem Klavierquintett wurde dies überdeutlich: massierter, mehrfacher und lange anhaltender Applaus des gesamten Auditoriums, in standing ovations für die Künstler mündend. Dabei war es schön, zu beobachten, wie sich schon vor diesem Applaus die unerhört engagiert spielenden, sich durchweg optimal aufeinander einstellenden Künstler erkennbar selber über ihr Gelingen freuten.

Alle Künstler dieses Sternstundenabends verdienen es namentlich genannt zu werden: für den Eichendorff-Liederkreis Ruth Ziesack, Sopran; für den Heine-Liederzyklus Hanno Müller-Brachmann, Bariton. Für das Quartett Es-Dur für Klavier, Violine, Viola und Violoncello (op. 47) Yuuko Shiokawa, Violine, Hariolf Schlichtig, Viola und Christoph Richter, Violoncello. Beim Klavierquintett Es-Dur, op. 44 gesellte sich als zweite Geigerin noch Ulrike-Anima Mathé hinzu. Und überall dabei – als primus inter pares, wie gesagt – war: András Schiff, Klavier.

Selten genug, dass man diese beiden großartigen Liederzyklen Robert Schumanns an ein und demselben Abend hören kann! Und noch dazu umrahmt von so herrlichen, den Liederzyklen ebenbürtigen Werken wie das Schumannsche Klavierquartett und -quintett!

Bald – am 15. Mai nämlich – können wir, wir im Ruhrgebiet zumindest, diese beiden Liederzyklen an einem einzigen Abend abermals hören, in einer anderen, ganz sicher ebenfalls sehr hörenswerten Darbietung. Auf diesen Tag nämlich wurde das letzte Kammerkonzert mit dem Dirigenten Jonathan Darlington als Pianisten verlegt, weil das eigentlich für den 10. April vorgesehene Konzert mit dem Tenor Christoph Prégardien wegen dessen plötzlicher Erkrankung leider nicht stattfinden konnte. So freuen wir uns nach der gestrigen Sopran- und Bariton-Darbietung der beiden Schumann-Liederzyklen auf eine weitere mit einem so exzellenten Tenor wie Christoph Prégardien und auf eine neuerliche Begegnung mit diesen uns von András Schiff so nachdrücklich ans Herz gelegten Werken.




Im Dschungel der Musik-Gebühren – GEMA-Niederlassung in Dortmund ist für ganz NRW zuständig

Von Bernd Berke

Dortmund. Wenn die GEMA zweimal klingelt, gibt’s manchmal Ärger. Denn dann werden meist Gebühren fällig. Ganz egal, ob Live-Band, gekaufte und gebrannte CDs oder MP3-Datei via Internet: Wer öffentlich Musik abspielt, muss mit der GEMA rechnen.

Diese Gesellschaft (siehe Infos am Schluss) zieht Urheberrechts-Gebühren im Namen von Komponisten, Textern und Musikverlegern ein. Die Dortmunder GEMA-Geschäftsstelle mit über 100 Mitarbeitern ist für ganz NRW zuständig. Was tut sich hier?

Bezirksdirektor in Dortmund ist Erich Wulff, der zuvor in der Geschäftsleitung einer Brauerei tätig war. Die Kundschaft blieb teilweise gleich: Früher hat Wulff den Gaststätten Bier liefern lassen, heute lässt er von rund 40 Außendienstlern prüfen, welche Musik dort gespielt wird.

Manchmal gibt es Reibereien

Die GEMA ist ungefähr so beliebt wie die Gebühreneinzugszentrale (GEZ). Jüngst gab es beispielsweise Reibereien mit dem Dortmunder Kulturbüro, weil die GEMA bei der Berechnung stets von ausverkauften Sälen ausgeht. Kommen weniger Besucher, so stehen – je nach Aufwand – zuweilen Verluste an. Mögliehe Folge: Veranstalter könnten künftig ambitionierte Programme scheuen.

Gelegentlich kommen bei Streitfällen auch die Juristen ins Spiel, manche Sache geht bis vor Gericht. Wulff bevorzugt allerdings die sanftere Gangart: „Weg von der bloßen Kontrolle, hin zur Beratung.“ Die meisten Klienten seien ja auch einsichtig…

86 verschiedene Tarife

Nicht weniger als 86 (!) verschiedene Tarife werden von der GEMA berechnet. Ein wahrer Dschungel. Das Spektrum reicht vom privaten Fest in der Kneipe bis zum Stadion-Auftritt der Rolling Stones. Auch musikalische „Warteschleifen“ am Telefon sind für den Betreiber kostenpflichtig. Und, und, und.

Die GEMA-Leute kennen örtliche Veranstaltungskalender genau. Wichtiges Bezahl-Kriterium (neben der bespielten Fläche) ist der Nutzen, den jemand aus seiner Veranstaltung zieht: Wenn einer Geschäftsfreunde einlädt und dazu Musik erklingt, fallen in der Regel Gebühren an. Wenn jemand sehr viele Gäste „beschallt“ oder Eintritt verlangt, gilt dies erst recht.

Mit zahlreichen Tanzschulen, Restaurants, Supermärkten oder Kaufhäusern (säuselnde Hintergrundmusik) hat die GEMA Pauschalverträge abgeschlossen, da wird nicht mehr auf jeden Song geachtet. In etlichen Discos werden nach dem Zufallsprinzip (das angeblich nicht manipuliert werden kann) Programme mitgeschnitten. Welcher Hit erklingt wie oft? Der ermittelte Mix dient dann als Berechnungsbasis für rund 3500 erfasste Tanzflächen in Deutschland.

Für Mozart muss man nichts bezahlen

„Für Mozart muss man nichts bezahlen“, stellt Erich Wulff klar. Das Urheberrecht erlischt 70 Jahre nach dem Tod eines Komponisten. Wenn man allerdings eine moderne Mozart-Bearbeitung verwendet, sieht die Sache schon wieder anders aus.

Akute Sorgen bereitet der GEMA das geplante neue Urheberrecht, das die Existenz mancher Tonschöpfer gefährden könne. Der Entwurf zur Kopier-Abgabe (z. B. für DVD- Brenner oder DVD-Recorder sei industriefreundlich und urheberfeindlich, findet die GEMA. Hier will man den Bund noch mit Lobbyarbeit zur Umkehr bewegen.

Komplizierte Ideen aus Brüssel

Außerdem droht ein Konflikt mit der EU. Brüssels Hüter des freien Wettbewerbs wollen erreichen, dass sich jede Verwertungsgesellschaft (wie etwa die GEMA) auch in allen anderen Mitgliedsländern entfalten kann. Wulff: „Das gäbe ein heilloses Durcheinander in Europa.“

Apropos internationale Beziehungen. Bizarres Beispiel: Sollten in Nordkorea deutsche Schlager gespielt werden, könnte man den Obolus schwerlich eintreiben. Immerhin aber kooperiert die GEMA mit ähnlichen Organisationen in über 60 Ländern. Alle, die im globalen Musikmarkt eine größere Rolle spielen, sind dabei – auch China.

Gar so weit reichen die Dortmunder Kompetenzen meist nicht. Wulffs Stellvertreterin Barbara Gröger: „Wir sind hier im relativ ruhigen Fahrwasser.“ Um neue Techniken (Podcasting, Handy-Klingeltöne), kümmert sich die in Berlin und München ansässige Bundeszentrale.

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HINTERGRUND

852 Mio. Euro eingenommen

  • Die GEMA heißt im Volltext „Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte“.
  • Sie macht keine Gewinne. sondern schüttet die Einnahmen nach Abzug der Verwaltungskosten an rund 60 000 Mitglieder (Komponisten, Texter, Musikverleger) aus – nach ausgeklügelten Verteilungsschlüsseln.
  • Die Gesamterträge lagen im Jahr 2005 bei 852 Mio. Euro, verteilt wurden 731,9 Mio. Euro.
  • Die GEMA steht unter Aufsicht des Deutschen Patentamtes und des Bundeskartellamtes.
  • Die Gründung geht zurück aufs Jahr 1903. Treibende Kraft war damals der Komponist Richard Strauss.
  • GEMA-Bezirksdirektion in Dortmund: Südwall 17-19, Tel.: 0231/577 01-0.