Zweifel und Bekenntnis: Adam Fischer dirigiert in Düsseldorf Mahlers „Auferstehungs-Symphonie“

Bekenntnisse sehen anders aus. Sie haben vielleicht den erhabenen Ernst, mit dem Joseph Haydn die „Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“ umkleidet. Nicht aber den grellen Zweifel des „wüsten Traums“, der das Leben durchdringt, und den Gustav Mahler in einer programmatischen Erläuterung zu seiner Zweiten Symphonie erwähnt.

Der Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf und die Düsseldorfer Symphoniker unter Adam Fischer in der Tonhalle. ©Tonhalle Düsseldorf/Susanne Diesner Fotografie

Der Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf und die Düsseldorfer Symphoniker unter Adam Fischer in der Tonhalle. ©Tonhalle Düsseldorf/Susanne Diesner Fotografie

Und doch klingt im letzten Satz eine geradezu verzweifelt festgehaltene Zuversicht in der ätherischen Schönheit des Chorgesangs mit: In heißem Liebesstreben entschweben zum Licht, in das kein Aug‘ gedrungen. Hier dichtet Mahler selbst – und was man auch immer über seinen Wechsel zur katholischen Konfession raunt: Was der Komponist hier in unerhörten, Glaubensgewissheit verströmenden Klang fasst, sind persönliche Worte, die von seinem Fühlen und Denken nicht zu trennen sind.

Adam Fischer steigert diesen letzten Satz der c-Moll-Symphonie ins Monumentale, ohne ihn zu bloßer musikalischer Überwältigung degenerieren zu lassen. Wie er überhaupt in diesem vorletzten Mahler-Konzert seines Düsseldorfer Haydn-Mahler-Zyklus eine mustergültig beherrschte Auffassung zeigt: Er pflegt weder den technizistisch geglätteten, perfekt polierten Mahler-Sound moderner Breitband-Dirigenten, noch reißt er die Faktur der Symphonie in wilder, greller Übersteigerung auf. In der Zweiten sind die Märsche und Tänze weit weniger grotesk oder ironisch als in anderen Mahler-Symphonien, die Unruhe ist nicht so kantig formuliert, die lyrischen Teile sind eher von Wehmut und Schmerz als von Sarkasmus geprägt. Fischer hält in allem Maß, ohne unverbindlich zu werden.

Adam Fischer. Foto: Tonhalle, Susanne Diesner

Die Düsseldorfer Symphoniker finden unter Fischers Stab zu „böhmischen“ warmen Klangfarben, etwa im zweiten Satz mit seiner weichen, beinah zärtlichen Ländler-Erinnerung. Da tönt eine Bruckner’sche Idylle herüber, sacht und ohne Ironie. Die dramatisch gesteigerten Trios wirken – inklusive kraftvoller Harfen – scharf zugeschnitten, aber nicht katastrophisch gesteigert. Den Beginn des fünften Satzes mit seiner „wild herausfahrenden“ Streicherfigur bringt Fischer in Bezug zu dem schneidend forsch formulierten Motiv der tiefen Streicher in der Exposition des ersten Satzes; er arbeitet mit dem vortrefflich flexibel agierenden Orchester die Kontraste aus, steigert gelassen, majestätisch und unerschütterlich hin zu den dröhnenden Tutti-Schlägen, welche die Akustik der Tonhalle dann endgültig klirrend überreizen.

Und dann tritt der Chor ein, wie aus einer anderen Welt, ein allmählich sich artikulierendes Pianissimo, rein und licht. Der Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf leistet sich keine Trübung des Klangs, keinen Schorf in der Artikulation. Groß und leuchtend formuliert er den Appell Mahlers: „Bereite dich, zu leben“, bevor die Solisten Nadine Weissmann (Alt) und Tünde Szabóki (Sopran) den bezwungenen Tod besingen. „Tod, wo ist dein Sieg?“, fragt auch die christliche Osterliturgie. In diesem Moment ruht der Zweifel, der sich vorher – kaum hörbar von fern – doch immer wieder eingemischt hat, und sei es nur als ein Nachhall einer Welt, die jetzt in leuchtender Musik überwunden ist. So kommt Mahler am Ende dann doch zum Bekenntnis seines Sehnens „über die Dinge dieser Welt hinaus“.

Das letzte Mahler-Konzert des Zyklus mit der Sechsten Symphonie und Haydns f-Moll-Symphonie Nr. 49 findet am 28. Februar und 1./2. März 2020 statt. Abgeschlossen wird der Zyklus mit Joseph Haydns Oratorium „Die Jahreszeiten“ am 15./17./18. Mai 2020 in der Tonhalle Düsseldorf. Info: www.tonhalle.de

 




Opfer des Systems: Amilcare Ponchiellis „La Gioconda“ in Gelsenkirchen in neuem Licht

Derek Taylor als Enzo und Petra Schmidt als La Gioconda in der Inszenierung der Oper von Amilcare Ponchielli in Gelsenkirchen. Foto: Thilo Beu

Derek Taylor als Enzo und Petra Schmidt als La Gioconda in der Inszenierung der Oper von Amilcare Ponchielli in Gelsenkirchen. Foto: Thilo Beu

Für diese Menschen gibt es keinen Platz in der Mitte der Gesellschaft. Sie hausen am Rand – auch auf der Bühne in der Inszenierung von „La Gioconda“ in Gelsenkirchen: ein gammeliger Sessel, ein alter Herd, ein Schminktisch, der bessere Zeiten gesehen hat. In der Mitte, da feiert sich das Militär, werden rote Fahnen choreographiert und im Takt gestampft. Da sind die Reichen und Mächtigen zu Hause – aber auch sie entkommen dem Druck des Systems und seinen Zwängen nicht.

Das Regieteam Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka hat Amilcare Ponchiellis einzigen dauerhaften Erfolg von seinem Dutzend Opern am Musiktheater im Revier gründlich vom Ruch des Opernschinkens befreit. Wo etwa an der Deutschen Oper in Berlin in einer rekonstruierten Ausstattung aus der Uraufführungszeit (1876) von Filippo Sanjust üppige Kulinarik aufgetischt wird, herrscht in Gelsenkirchen karge Strenge: ein Würfel auf der Drehbühne, der mal holzgetäfelte Diktaturen-Tristesse, mal das Gerüst-Konstrukt seiner Rückseite zeigt. Eine Tribüne kann das sein, auf der Potentat Alvise die Military Show begutachtet. Oder ein Saal, in dem zu Gericht gesessen wird. Oder eine Wand mit Aktenkästen in Reih und Glied – Schlitze in den Schubladen laden ein zum Einwerfen von belastendem Schriftgut.

Damit ist der „Geist“ des Schauplatzes Venedig besser erfasst als im üblichen „Gioconda“-Postkartenkitsch. Denn die „Serenissima“ war über lange Phasen ihrer Geschichte alles andere als heiter. Von außen ständig bedroht durch Feinde und Neider, baute sie nach innen ein nahezu perfektes Spitzelsystem auf, das dem „Rat der Zehn“ ein unheimliches Überwachungssystem an die Hand gab – Grundlage der Macht und der Kontrolle von Bewohnern und Besuchern der Lagune. Dieses System arbeitete geräuschlos, schnell und effizient; sein Arm reichte in alle Welt. Verräter, Verbrecher oder solche, die dafür gehalten wurden, hatten – so heißt es – keine Chance, der tödlichen Rache der Republik zu entgehen.

Das Spitzelsystem der "Serenissima" ins Bild gebracht: Szene aus "La Gioconda" am Musiktheater im Revier. Foto: Pedro Malinowski

Das Spitzelsystem der „Serenissima“ ins Bild gebracht: Szene aus „La Gioconda“ am Musiktheater im Revier. Foto: Pedro Malinowski

Ein Antriebsrad in diesem Getriebe ist Barnaba, ein Spitzel. Er hat alle in der Hand: Die einen, weil sie seine Denunziation fürchten müssen, die anderen, weil ihre Macht auf seiner Loyalität beruht. Piotr Prochera gestaltet ihn mit allzu rauem, zu vibratoreichem, sich immer wieder heiser verfestigendem Bariton als fühllosen Bürokraten. Nach außen ein Durchschnittstyp, zeigen sich seine Abgründe, wenn er in einem wohlkalkulierten Plan seine obsessive Besitzgier befriedigen will: Deren Objekt, die „Gioconda“ genannte „Straßensängerin“, durchkreuzt seinen Plan letztlich, weil sie sich aus ihrem religiösen Rückhalt heraus unmittelbare Menschlichkeit bewahrt hat. Sie ist bereit, Opfer zu bringen.

Die Regie löst dieses Motiv aus der stereotypen Idealisierung in der Oper des 19. Jahrhunderts und beglaubigt es als Ausdruck einer starken Frau, die Herrin über ihre Emotionen ist, selbst wenn sie am Rand des „Suicidio“, des Selbstmords, balanciert. Die Arie zu Beginn des vierten Aktes ist ein Paradestück für dramatische italienische Soprane; Maria Callas verhalf ihr zu unsterblichem Plattenruhm. Petra Schmidt hat nicht den Furor romanischer Diven, nicht den lodernden Rache- und Verzweiflungston, nicht die markig-brustige Tiefe. Ihre Gioconda ist keine Heroine, sondern eine empfindsame Frau, die in ihrem niederdrückenden Alltag den Impuls zu menschlichem Handeln nicht verloren hat. Entsprechend singt Schmidt weicher, schmiegsam in den Kantilenen, manchmal geradezu filigran im Piano, aber mit stetigem, klanglich erfülltem, leuchtendem Ton.

Ein Erbe der französischen Grand Opéra: Politik und Privatleben sind in "La Gioconda" untrennbar miteinander verbunden und wirken aufeinander ein. Foto: Thilo Beu

Ein Erbe der französischen Grand Opéra: Politik und Privatleben sind in „La Gioconda“ untrennbar miteinander verbunden und wirken aufeinander ein. Foto: Thilo Beu

Weil Szemerédy und Parditka in ihrem Konzept den systemisch-politischen Hintergrund akzentuieren, mildern sie die charakterlichen Klischees der „Melodramma“- Figuren im Libretto Arrigo Boitos ab: So ist Alvise Badoero, einer der Chefs der staatlichen Inquisition, auch ein Teil des Systems und hat seine Rolle zu erfüllen. Der Fluchtversuch seiner Frau Laura aus der erzwungenen Ehe gemeinsam mit ihrer Jugendliebe Enzo gewinnt über das private Drama eine politische Dimension – in der Inszenierung betont, indem die Konfrontation der Eheleute in den Gerichtssaal verlegt wird: Alvise fällt das tödliche Urteil über seine Frau auch in seiner Rolle als Staatsdiener. Das hebt die Konflikte über den privaten Raum hinaus und gibt ihnen mehr Brisanz. Dong Won Seo führt die dramatischen Auseinandersetzungen mit seiner Frau kraftvoll, artikuliert auch den zynischen Nihilismus des Machtmenschen („Der Tod ist ein Nichts und der Himmel ein alter Blödsinn“). Im Klang fehlt dem Bass allerdings die Kontrolle über Vibrato und Tonemission.

"La Gioconda" von Amilcare Ponchielli am Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen: Petra Schmidt als Gioconda und Almuth Herbst als La Cieca. Foto: Pedro Malinowski

„La Gioconda“ von Amilcare Ponchielli am Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen: Petra Schmidt als Gioconda und Almuth Herbst als La Cieca. Foto: Pedro Malinowski

Auch Nadine Weissmann als seine Frau Laura kann nicht überzeugen. „Stella del marinar“ im zweiten Akt singt sie unausgeglichen, zwingt sich unschön über den Registerwechsel, reiht in der Höhe verfärbte Töne aneinander und führt weder Bögen noch Legato auf dem Atem. Als blinde Mutter der Gioconda („La Cieca“) zeigt Almuth Herbst, wie sich aus gut geformten Tönen expressives Singen ergibt. Mit Derek Taylor hat Gelsenkirchen einen standfesten Tenor, der seine Arie „Cielo e mar“ im zweiten Akt ausgeglichen und entspannt im Klang interpretiert, wo er an anderer Stelle einen wenig flexiblen und hin und wieder mit Gewalt in die Höhe gezwungenen Ton offenbart. Chor und Extrachor des Musiktheaters im Revier (Einstudierung: Christian Jeub) sind rhythmisch nicht immer auf dem Punkt, klanglich aber ohne Tadel.

Rasmus Baumann bestätigt die positive Entwicklung der Neuen Philharmonie Westfalen zur ernsthaften Konkurrenz für andere Opernorchester der Region und erweist sich als seriöser Sachwalter der oft unterschätzten Musik. Nichts wirkt knallig und vordergründig; Ponchiellis manchmal pauschaler Satz klingt kompakt, aber nicht dick. Effekte werden nicht ausgestellt, Momente ausgeformt, in denen die Musik in der Kantilene oder in lyrischer Behutsamkeit die Personen der Bühne von innen heraus leuchten lässt.

Auch der „Tanz der Stunden“, das berühmte Ballett der Oper, wird nicht als Schaustück vorgeführt – unterstützt durch die Regie: Die Einlage auf dem Fest Alvise Badoéros im dritten Akt wird zum gleichnishaften Tanz von Masken (Choreografie: Martin Chaix), deren Fäden der Spion Barnaba führt, und zugleich zum danse macabre: Die Bühne dreht sich und zeigt sie Laura im erbarmungswürdigen Todeskampf, verursacht durch ein Gift, von dem sie nicht weiß, dass es sie nur in einen Todesschlaf versetzen wird.

Das Musiktheater im Revier hat mit dieser Inszenierung gezeigt, dass „La Gioconda“ jenseits des Opernmuseums und des Zugstücks für Melomanen eine Chance hat, ernsthaft im Heute anzukommen. Damit führt Generalintendant Michael Schulz die Reihe außergewöhnlicher Produktionen der letzten Spielzeiten erfolgreich fort, deren letzte Ergebnisse eine musikalisch vortreffliche „Norma“ in einer konsequent durchgestalteten Regie Elisabeth Stöpplers oder die höchst erfolgreiche Uraufführung der „Steampunk“-Oper „Klein Zaches, genannt Zinnober“ nach E.T.A. Hoffmann waren.

Die Spielzeit 2016/17 eröffnet eine weitere Oper Benjamin Brittens, „The Turn of the Screw“, gefolgt von einer Rarität, Nino Rotas „Der Florentinerhut“, gemeinsam mit der deutschen Erstaufführung der Mini-Oper Rotas „Die Fahrschule“. Gabriele Rech bringt am 29. Januar 2017 mit Mieczysław Weinbergs „Die Passagierin“ eine der bedeutendsten Opern-Entdeckungen der letzten Jahre ins Ruhrgebiet. Und in einer Inszenierung von Michael Schulz werden Catherine Foster und Torsten Kerl Richard Wagners „Tristan und Isolde“ singen, bevor mit „Hoffmanns Erzählungen“ ein neuer Ausflug in die phantastischen Traum- und Parallelwelten des romantischen Dichters möglich wird.