Eier gut, Milch böse oder: Was gestern galt, kann morgen schon verworfen werden

Wer gehört noch zur Generation, die damals permanent und penetrant mit Lebertran abgefüllt worden ist? Das eklige Zeug sollte angeblich urgesund, ja nahezu lebenswichtig sein. Irgendwann war es dann nicht mehr die herrschende Lehrmeinung.

Heute wissen wir auch noch nicht richtig Bescheid. Neulich brachte die überregionale Sonntagszeitung meines (nicht ganz uneingeschränkten) Vertrauens in einer Ausgabe zwei vermeintlich eherne Ernährungs-Gewissheiten zur Sprache, die nun nicht mehr gelten sollen.

Lebensmittel im Bedeutungswandel: vorne die Guten, hinten der Bösewicht? (Foto: BB)

Lebensmittel im Bedeutungswandel: vorne die Guten, hinten der Bösewicht? (Foto: BB)

Punkt eins: Eier, die bislang im Verdacht standen, uns mit „schlechtem“ Cholesterin in Gefahr zu bringen, wurden erster Klasse von dieser Anklage „freigesprochen“. Überhaupt werde die Bedeutung des Cholesterins weit überschätzt, hieß es weiter. Das alles stand in einer nachösterlichen Nummer, kam also eigentlich etwas zu spät.

Punkt zwei: Milch hingegen, die über viele Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte für ein unentbehrliches Grundnahrungsmittel (noch immer ist Schulmilch die Regel) gehalten wurde, soll neuerdings schädlich sein. Stichwort Laktose. Und überhaupt. Hier nahm das Blatt freilich Partei für die Milch.

Es bleibt der Eindruck, den man schon oftmals haben konnte: Zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse haben keinen Bestand. Die Forschung sagt heute „Hü“, morgen „Hott“; gerade, wenn es um Gesundheit und Ernährung geht. Die nächste Kehrtwende kommt bestimmt. Wenn ich allfällige Wortfolgen wie „Eine neue Studie hat ergeben, dass…“ oder „Experten raten zu…“ lese, werde ich sogleich misstrauisch.

Auch Naturwissenschaften unterliegen offenbar Trends und Moden und sind nicht so objektiv, wie ihre Protagonisten gern vorgeben. Mit einer steilen These, die gegen alle bisherige Überzeugung sich wendet, kann man wohl schneller Bekanntheit innerhalb und außerhalb der Fachwelt erlangen, als mit drögen Bestätigungen. Und wenn nun auch noch wirtschaftliche Interessen hinein spielten? Gar nicht auszudenken.

Sobald dann in der Grundlagenforschung eine kritische Masse erreicht ist, bequemen sich auch die Mediziner zum Umdenken. Was gestern gesund war, wird heute verworfen – und umgekehrt. Manchmal werden dabei Schwenks um 180 Grad vollzogen.

Einmal zum Skeptiker geworden, möchte man sich am liebsten überhaupt nicht mehr in die Hände von Ärzten begeben. Wenn’s denn anginge. Und Kliniken möchte man gänzlich meiden, am besten lebenslänglich. Mag auch die Ursprungskrankheit kuriert werden, so geht man vielleicht an den Krankenhaus-Keimen ein. Oder an Milch.




Der Name des Werkzeugs

(Möchtegern)-Intellektuelle halten sich etwas zugute – auf einen gewissen Wortschatz, auf ein hie und da, ja möglichst universell geschmeidig anwendbares, halbwegs hochgeschraubtes Reflexionsniveau nebst anhängendem Zynismus, der schon mal gar nichts gelten lässt. Und dann heißt es noch, die daraus resultierende Eitelkeit zu kaschieren. Eine Heidenarbeit, nicht immer von Nutzen gekrönt.

Solchen Leuten fehlt doch was?

Nein, nein, diesmal gibt’s keine Glaubenspredigt. Auch Hoffnung und Liebe wollen wir hier nicht aufrufen.

Aber denen, die mit Sprache zu schaffen haben, mangelt es beispielsweise oft am mathematischen, technischen und naturwissenschaftlichen Rüstzeug. Ein alter Hut, doch immer noch der Rede wert. Man schlage bei Hans Magnus Enzensberger nach, der immer wieder auf dieses Thema zurückgekommen ist und die Ignoranz der Geisteswissenschaftler gescholten hat.

Zudem fehlen den Sprachdrechslern nicht selten Bezeichnungen für die alltäglichsten, simpelsten Dinge. Einem Menschen,  dessen Name unwichtig ist, ging es nun so mit einem einfachen Werkzeug, das für eine kleine Montage benötigt wurde. Ein Gabelschlüssel war gefragt. Ein wie? Ein was?

Er hat das Wort stiekum in die Suchmaschine eingegeben und sich das Objekt besehen (siehe beigefügten Ausdruck). Ah! Ja so. Dass er darauf nicht ohne Internet-Krücke gekommen war. Er hatte immer gedacht, das hieße Schraubenschlüssel. Dabei kann man doch auf Baumarktschildchen nachlesen, welche Worte in der Welt des fraglosen Funktionierens gelten.




Röntgenblick auf den Impressionismus – Wie die Naturwissenschaft Spuren der Kunst aufnimmt

Köln. Meist verhält es sich so: Museum zeigt Kunst. Staunend (oder verärgert) steht man vor den Werken. Vielleicht liest man später ein paar Details nach. Das war’s dann. In Köln geht es jetzt anders zu, nämlich geradezu kriminalistisch.

Für die neue, immens spannende Schau des Wallraf-Richartz-Museums wurden Werke der Impressionisten buchstäblich unter die Lupe und unters Mikroskop genommen. Auch mit Infrarot- und Röntgenstrahlen rückte man den Bildern zu Leibe. Dabei haben sie etliche Geheimnisse preisgegeben. Sogar ein gefälschter „Monet” wurde entlarvt.

Der ungewöhnliche Zugang zur Kunst, der vor allem Material und Arbeitstechniken in den Blick fasst, erhellt überhaupt so manche Zusammenhänge, über die man sonst nie nachdenkt. So sind denn auch beileibe nicht nur die Gemälde zu sehen. Auch Grundlagen und Feinheiten der (natur)wissenschaftlichen Spurensuche werden ausführlich dokumentiert.

Was ein winziges
Stück Pappelknospe
auf dem Ölbild verrät

Beispiel: Die Impressionisten haben, so heißt es immer, die Freilichtmalerei gleichsam erfunden. Eine Voraussetzung dafür waren übrigens auch bessere Bahn-Verbindungen in die Provinz. Aber haben sie wirklich draußen in der Natur gearbeitet – oder nicht doch im Atelier? Mal so, mal so. Bloße Naturmotive besagen noch gar nichts.

Ungleich beweiskräftiger ist es hingegen, wenn man unterm Mikroskop sieht, dass etwa auf einem Bild von Gustave Caillebotte ein winziges Stückchen Pappelknospe in den Ölschlieren steckt. Das Bild zeigt eine Pappelallee. Passt also! Ähnlich liegt der Fall bei Armand Guillaumin, der das tosende „Meer bei Saint-Palais” festgehalten hat. Mikroskopisch kleine Sandkörner auf der Leinwand deuten auf Freiluftkunst bei Wind und Wetter hin. Ein Foto lässt ahnen, wie beschwerlich dies trotz allem noch war: Ein sichtlich übel gelaunter Paul Ce´zanne schleppt sich an seiner Staffelei und all den anderen Utensilien ab.

Weitere gängige These: Impressionisten haben meist spontan gemalt. Hie und da spricht schon ein ruhiger Pinselstrich gegen diese Annahme. Infrarotlicht enthüllt die Wahrheit genauer. Manche Künstler (anfangs sogar van Gogh) haben erst einmal Orientierungs-Gitter gezeichnet – und erst dann schwungvoll den Pinsel geführt.

Welche Art von Farben wurde damals eigentlich verwendet? Blöde Frage? Überhaupt nicht! Vorher mussten Künstler viele Pigmente mühsam mischen und aufbereiten. Pünktlich zur Zeit des Impressionismus kamen vermehrt industriell gefertigte Farben in ungeahnten Nuancen auf. Manche Farbtöne hatte man zuvor schwerlich erzielen können. Auch daher also das berühmte Strahlen und Leuchten auf impressionistischen Gemälden. Ein weiterer Aha-Effekt.

Auch die Erfindungen der Tube (in England) und kurz darauf des Schraubverschlusses (in Frankreich) brachten die Kunst im 19. Jahrhundert voran, machten ihre Ausübung jedenfalls bequemer. Auguste Renoir hat gar stracks behauptet, ohne Farbtuben hätte es gar keinen Impressionismus gegeben. Vordem gab’s Farbe z. B. in Schweinsblasen. Hatte man die aufgestochen, trocknete der Inhalt rasch aus. Mit der Tube ging alles viel leichter, speziell unterwegs. Nur malen musste man noch selbst . . .

Röntgenstrahlen bringen noch viel mehr an den Tag. Unter einem Paar-Bild von Auguste Renoir zeigt sich eine völlig andere, etwas unbeholfene Komposition mit zwei Frauenfiguren. Wahrscheinlich war’s die Leinwand eines weniger begabten Kollegen, der seine Bemühungen verworfen hatte. Renoir hat sie kurzerhand übermalt – und wohl Materialkosten gespart.

Und was ist mit Könnerschaft, Inspiration, Genie? Wird all das auf solch nüchterne Weise entzaubert? Keineswegs. Man hat den Künstlern doch nur ein wenig über die Schulter gesehen. Das Geheimnis der Schönheit bleibt weiterhin unergründlich.

„Impressionismus – Wie das Licht auf die Leinwand kam”. Wallraf-Richartz-Museum, Köln (Obenmarspforten, am Rathaus). Bis 22. Juni. Geöffnet Di/Mi/Fr 10-18, Do 10-22, Sa/So11-18 Uhr. Eintritt 9 Euro, Katalog 29 Euro.

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DIE SACHE MIT DEM GEFÄLSCHTEN MONET-BILD:

  • Bei den langwierigen Vorbereitungen zur Kölner Schau stellte sich das Bild „Seineufer bei Port-Villez” (1885 – Bild links) bereits im September 2003 als gefälscht heraus. Es stammt nicht von Claude Monet.
  • Erst jüngst machten die Museumsleute den Befund öffentlich. Jetzt dient die Fälschung (Kölner Eigenbesitz) als Anschauungsbeispiel.
  • Gefundene Indizien:
  • Der Fälscher hat jedes Wölkchen exakt vorgezeichnet – fast wie beim anfängerhaften „Malen nach Zahlen”. Ein Monet hätte das garantiert nicht nötig gehabt.
  • Die Namens-Signatur setzt gleich zweimal an. Der Fälscher hat also offenbar „nachgebessert”.
  • Spuren deuten klar darauf hin, dass das Bild mit schmutzigen Lappen umwickelt wurde, damit es optisch schneller alterte.



Es kommen weder bessere noch schlechtere Zeiten – Botho Strauß und seine „Beginnlosigkeit“

Von Bernd Berke

Es dürfte das Buch mit den erlesensten Fußnoten der Saison sein – derart entlegene Werke zitiert Botho Strauß. Und bei manchen seiner Fremdworte helfen nur Spezialhandbücher. Aber sind das schon Qualitäten, Zeichen eines „Sehertums“ gar?

Strauß hat neueste naturwissenschaftliche und kosmologische Forschungen zur Kenntnis genommen – und will, daß daraus Konsequenzen für Literatur und Leben gezogen werden. Sein Befund: Die Zeit der Dialektik (jenes diskussionsfördernden Dreischritts aus These, Gegenthese und vorläufiger „Versöhnung“) sei vorbei. Vorbei auch die Ära des Fortschritts, der Logik, der Ideologien und des „Prinzips Hoffnung“ eines Ernst Bloch (den Strauß ohne Namensnennung als „Roßtäuscher“ bezeichnet).

Immer schon da und ewig verweilend

Was haben wir statt dessen? Den „Steady state“ (letztlich gleichbleibender Zustand), den Strauß aus naturwissenschaftlichen Erkenntnissen herleitet und den er so skizziert: „Nichts beginnt, alles schwebt und weilt.“ Daraus folgt für ihn ungefâhr dies: Paradies wie Hölle sind immer schon dagewesen und bleiben ewig, es kommen weder bessere noch schlechtere Zeiten. Auch gibt es niemals eindeutige Gründe und Folgen, daher ist das Leben kein Fortschreiten, sondern ein stetes Auf und Ab, ein allseits zerstreutes Hin und Her, dessen Unübersichtlichkeit man gelten lassen und nicht durch „Begradigung“ aussichtslos bekämpfen muß. Also: formloser Fleck statt gerader Linie (daher der Untertitel des Buches).

Weltanschauliche Kraftakte?

Gleichwohl, so Strauß, bedürfe die formlose Natur hin und wieder auch der Zähmung durch „Linien“ – und es könne ja in einem künftigen, allgegenwärtigen Reich neuester Techniken auch Engelhaftes verborgen sein…

Strauß‘ Formulierungen sind – wie von ihm nicht anders zu erwarten – stets hochveredelt. Auch sind seine Thesen diskussionswürdig. Aber er scheint zu wollen, daß man sie hinnimmt. Gelegentlich jedenfalls verfallt er in den Ton eines „Gesetzgebers“ à la Friedrich Nietzsche. Möglich, daß man da noch einmal Botho Strauß‘ großartiges Buch „Paare Passanten“ von 1981 zur Hand nimmt, als er Ernst Blochs zeitweiligen Mitstreiter Theodor W. Adorno noch als „prunkenden Denker“ hervorhob. Möglich auch, daß man sich fragt, ob Strauß aus den außerordentlich hellsichtigen Beobachtungen bundesdeutschen Alltags nun in weltanschauliche Kraftakte geflüchtet ist.

Botho Strauß: „Beginnlosigkeit – Reflexionen über Fleck und Linie“. Hanser Verlag, München. 134 Seiten, 28 DM.