Zum 100. des Hagener Malers Emil Schumacher: Vergleich mit seinen Zeitgenossen

In Hagen kann man jetzt malerischen Energieströmen nachspüren – zwischen Fließen und Stocken, spontaner Bewegung und Innehalten der Linienführung, zwischen schützender Versiegelung und vehementer Durchbrechung der Bildoberflächen. Von den zahllosen weiteren Nuancen gar nicht zu reden.

Der Ausstellungsanlass ist gewichtig: 100 Jahre alt wäre der aus Hagen stammende Maler Emil Schumacher (1912-1999), ein Künstler von anerkanntem Weltformat, am 29. August geworden. Ursprünglich hatte man in seiner Himatstadt eine umfangreiche Retrospektive ausrichten wollen, die sich aufs Emil-Schumacher-Museum und das benachbarte Osthaus-Museum erstreckt hätte.

Emil Schumacher "Temun" (1987), Öl auf Holz (Emil Schumacher Stiftung, Hagen / © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 / Emil Schumacher)

Emil Schumacher "Temun" (1987), Öl auf Holz (Emil Schumacher Stiftung, Hagen / © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 / Emil Schumacher)

Dann aber, so Emil Schumachers Sohn Ulrich (langjähriger Leiter des Bottroper Museums, dann spiritus rector des Emil-Schumacher-Museums), sei man zu der Einsicht gelangt, dass eine solche Werkschau einigermaßen unsinnig wäre. Denn das nun von Rouven Lotz geleitete Haus zeigt ja ohnehin unentwegt Schumacher-Bestände vor, wenn auch sukzessive und in wechselnden Zusammenhängen.

Nun also sind ausgewählte Bilder Schumachers im internationalen Vergleich mit Werken einiger Zeitgenossen zu sehen. Der Titel geht auf ein abgewandeltes Schumacher-Zitat zurück: „Malerei ist gesteigertes Leben“. Die von Gastkurator Prof. Erich Franz eingerichtete Schau konzentriert sich auf 62 Arbeiten. Hochkarätige Künstlerliste: Außer Schumacher stehen darauf Jean Dubuffet, Lucio Fontana, Franz Kline, Willem de Kooning, Robert Motherwell, Emil Nolde, Pierre Soulages, Antoni Tàpies, Cy Twombly, Emilio Vedova und Wols. Und noch ein paar weitere Namen. Dies und das reichhaltige Beiprogramm sind nur mit Sponsoren möglich, die der Katalog getreulich verzeichnet.

Emil Schumacher "Documenta II", 1964, Öl auf Leinwand (Osthaus-Museum, Hagen / © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 / Emil Schumacher)

Emil Schumacher "Documenta II", 1964, Öl auf Leinwand (Osthaus-Museum, Hagen / © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 / Emil Schumacher)

Kurator Franz vertraut darauf, dass auch Menschen ohne sonderliche Kunstkenntnis hier manche Zusammenhänge erkennen werden, weil die Formen für sich selbst sprechen. Doch man muss wohl schon einige Seherfahrungen mitbringen, um mit der nötigen Feinheit unterscheiden zu können. Wer etwa die Urkräfte eines Wols-Bildes mit jenen vergleichen will, die bei Emil Schumacher walten, sollte möglichst kein Museumsneuling sein. Andererseits ist es mit elaboriertem Kunstwissen allein nicht getan. Hier ist – vielleicht mehr als sonst – auch einlässlich emotionales Schauen gefragt.

Emil Schumacher hat die scheinbar urwüchsig „wilde“ Linien-Dynamik immer wieder ganz bewusst mitten im Schwung angehalten oder jäh umgelenkt, weil ihm ungehemmte Spontaneität nicht geheuer war. Trotzdem gibt es laut Erich Franz „keine ruhige Stelle in seinen Bildern“. Er wollte den Betrachter sinnlich und existenziell berühren, ja mit der Materialität des Farbauftrags gleichsam anspringen. Darf die Linie nicht frei fließen, sondern muss sich mühsam Wege bahnen, muss sie Hindernisse und Widerstände überwinden, so resultiert daraus eine noch ungleich heftigere Energie. Auch führt das Liniengeflecht dann mehr Spuren des Erlebens und Erleidens mit sich – und nicht zuletzt errungenes Glück.

Franz hat die Exponate weitgehend chronologisch gehängt, meidet aber klugerweise Direktvergleiche, die zwischen je zwei Bildern womöglich flach ausfallen würden. Man wird hier beständig hin und her gehen und etliche Blickachsen erproben müssen, um Querbezüge oder auch energetische Abstoßungen zu entdecken.

Wols, o. T. (um 1946/47), Grattage auf Leinwand (Franz Haniel & Cie. GmbH, Duisburg / © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 / Wols)

Wols, o. T. (um 1946/47), Grattage auf Leinwand (Franz Haniel & Cie. GmbH, Duisburg / © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 / Wols)

Früheste Anregungen, die nachvollziehbar ins Werk der 1930er Jahre eingeflossen sind, empfing Schumacher von Christian Rohlfs und Emil Nolde, sodann auch von Matisse, dessen Schaffen er anfangs nur aus Büchern kannte. So scheint noch Schumachers „Strandbild“ (1950) von Matisse-Bildern wie „Das blaue Fenster“, 1913) inspiriert zu sein.

In den 1950er Jahren markieren fulminante Bilder mit sprechenden Titeln wie „Eruption“ (1956) Schumachers künstlerischen Weg, den auch eine singuläre Erscheinung wie Wols (hier mit zwei Bildern von 1946/47 vertreten) gebahnt haben mag. Um 1957 sprengen Schumachers Tastobjekte die Leinwand und wachsen als Reliefs in den Raum, beispielsweise, indem der Farbauftrag mit Nägeln durchschossen wird. Natürlich liegt hier die Assoziation zu Günter Uecker (allzu?) nahe, dessen „Nagelbaum“ von 1962 hier zu sehen ist.

Antoni Tàpies "Graue Tür auf schwarzem Grund" (1961), Mischtechnik auf Leinwand (Sammlung Lambrecht-Schadeberg/Rubenspreisträger der Stadt Siegen im Museum für Gegenwartskunst / © Fondacio Antoni Tàpies und VG Bild-Kunst, Bonn 2012 / Antoni Tàpies)

Antoni Tàpies "Graue Tür auf schwarzem Grund" (1961), Mischtechnik auf Leinwand (Sammlung Lambrecht-Schadeberg/Rubenspreisträger der Stadt Siegen im Museum für Gegenwartskunst / © Fondacio Antoni Tàpies und VG Bild-Kunst, Bonn 2012 / Antoni Tàpies)

In seinen „Hammerbildern“ hat Schumacher die Leinwand denkbar heftig attackiert und verletzt – ganz anders als Lucio Fontana, der seinen Bildträgern nur sanfte Schnitte zugefügt hat. In solchen Fällen lässt eine Gegenüberstellung eher die Kontraste hervortreten.

Gleichviel! Es ist jedenfalls spannend, die teilweise subtilen Bezüge und Eigenheiten nachzuempfinden. Besonders fruchtbar könnten vertiefende Vergleiche zwischen den äußerlich verkrusteten, erdig verhärteten Bildern Schumachers und den schier undurchdringlichen Oberflächen bei Dubuffet oder Tàpies ausfallen. Auch dürfte eine Zusammenschau der Linien- und Flächenverläufe bei Schumacher, Motherwell und Twombly zu feinsten Differenzierungen führen, die an den Ursprung alles Bildnerischen rühren. Doch dies ahnt man ebenfalls: Auf diesem erhabenen Qualitätsniveau ist jeder Künstler letztlich ein Planet für sich.

Robert Motherwell "Elegy to the Spanish Republic", No. 133 (1975), Kunstharz auf Leinwand (Bayrische Staatsgemäldesammlung, München - Pinakothek der Moderne / © Dedalus Foundation, Inc. und VG Bild-Kunst, Bonn 2012 / Robert Motherwell)

Robert Motherwell "Elegy to the Spanish Republic", No. 133 (1975), Kunstharz auf Leinwand (Bayrische Staatsgemäldesammlung, München - Pinakothek der Moderne / © Dedalus Foundation, Inc. und VG Bild-Kunst, Bonn 2012 / Robert Motherwell)

Bei all dem hilft die kunsthistorisch eingeübte Begrifflichkeit, derzufolge Schumacher zum vermeintlich formlosen „Informel“ zählt (wahlweise auch zum Tachismus, Action Painting oder zum Abstrakten Expressionismus), nicht wesentlich weiter. Prof. Ernst-Gerhard Güse, der just ein neues Standardwerk über Schumacher verfasst hat, wertet nicht nur das mit über 70 Jahren geschaffene Spätwerk auf, sondern verweist darauf, dass Schumacher selbst sich keineswegs als Vertreter des „Informel“ verstanden hat. Noch die explosivsten Bilder seien immer auf Form und Gegenstand rückbezogen. Nur eine akademische Debatte? Oder der Ansatz zu einer grundlegenden Neudeutung?

„Malerei ist gesteigertes Leben – Emil Schumacher im internationalen Kontext“. 29. August 2012 (Eröffnung nach einem um 19 Uhr beginnenden Festakt mit geladenen Gästen in der Stadthalle Hagen, Festredner Bundestagspräsident Prof. Norbert Lammert) bis zum 20. Januar 2013. Am Eröffnungsabend ist das Museum bis Mitternacht geöffnet.

Reguläre Öffnungszeiten Di/Mi/Fr 10-17, Do 13-20, Sa/So 11-18 Uhr. Eintritt 9 Euro (ermäßigt 2 Euro), Familie 18 Euro, Kinder unter 6 Jahren frei.

Katalog (Hirmer Verlag), 160 Seiten, 29,90 Euro im Museum.

Weitere Neuerscheinung: Ernst-Gerhard Güse „Emil Schumacher. Das Erlebnis des Unbekannten“, Verlag Hatje Cantz. 504 Seiten, 49,80 Euro




Zu den Ufern der Freiheit – Ausstellungen über Künstlergruppe „Die Brücke“ in Essen und anderswo

Von Bernd Berke

Essen. So wirken sich Gedenktage aus: Die Gründung der expressionistischen Künstlergruppe „Die Brücke“ jährt sich heuer zum 100. Mal. Deshalb holen viele, viele Museen ihre entsprechenden Bestände ans Licht.

In unseren Breiten sind es derzeit schon Münster und Duisburg, die ihren „Brücke“-Eigenbesitz zeigen. In Essen verhält es sich nun freilich anders. Die „Brücke“-Werke (von Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Emil Nolde und Karl Schmidt-Rottluff), die jetzt in Essen zu sehen sind, könnten tatsächlich dem Folkwang-Museum gehören. Doch man hat sie vom Frankfurter „Städel“ ausleihen müssen.

Die folgenreiche Vorgeschichte: Der 1867 in Essen geborene Chemiker Carl Hagemann wurde um 1910 zum passionierten Kunstsammler. Besonders enge Kontakte pflegte er mit dem „Brücke“-Künstler Ernst Ludwig Kirchner. Auch mit dem damaligen Folkwang-Direktor Ernst Gosebruch (im Amt 1906-1933) war Hagemann befreundet. Es schien beschlossene Sache, dass das Essener Haus einst die Sammlung Hagemann erhalten würde.

Frankfurter Städel-Direktor rettete die Sammlung Hagemann

Doch dann kamen die Nazis. die auch die „Brücke“-Bilder als „entartete Kunst“ verfemten und missliebige Museumsdirektoren zur Kündigung zwangen. In Essen wurde es für einen Sammler wie Hagemann vollends unerträglich. Er zog nach Frankfürt und begegnete dort gottlob dem standhaften „Städel“-Chef Ernst Holzinger. Der lagerte moderne Städel-Schätze mitsamt dem Hagemann-Besitz insgeheim in Kisten und rettete sie so vor Beschlagnahme und späteren Kriegswirren…

Nun also kehren Teile des Hagemann-Konvoluts auf Zeit nach Essen zurück. Noch nie hat sich das Frankfurter „Städel“-Institut bei der Ausleihe derart großzügig gezeigt. Andere Leihgeber, darunter das Dortmunder Ostwall-Museum, traten mit sinnvollen Ergänzungen hinzu.

Es ist trotzdem keine Schau, die ganz neue Horizonte aufreißt. Wie denn auch? Mit der „Brücke“ glauben sich viele Kunstfreunde einigermaßen auszukennen. Allerdings werden die „Brücke“-Künstler vorwiegend als Gruppe wahrgenommen, gar nicht so sehr als Einzelpersönlichkeiten. Vielleicht ist dies ein „Auftrag“, den solche Ausstellungen mit sich bringen: Mehr zwischen den Künstlern zu differenzieren, neben allen Gemeinsamkeiten auch Unterschiede zu bemerken. Auch und gerade im Überschwang eines Gedenkjahres.

Historischer Verlust für Essen wird spürbar

Fabelhafte Kunststücke finden sich hier, die den historisehen Verlust für Essen recht schmerzlich spüren lassen. Immer wieder gibt es beim Rundgang flammende Momente: Das exzessive Aufblühen der Farben rund um Karl Schmidt-Rottluffs „Turm im Park“ (1910); der sinnlich verwegene Schwung des Tanzpaares in Ernst Ludwig Kirchners „Varieté“ (1910); der freimutige Reigen natürlicher Nacktheit (Erich Heckels „Badende im Waldteich“, 1910). Sie strebten zu den Ufern der Freiheit, sei’s im Leben, sei’s auf der Leinwand.

Interessant auch einige Seitenlinien der „Brücke“-Schau (E. W. Nay, André Derain). Und dann Emil Nolde! Von ihm sieht man ein ungeheuerlich aufgewühltes „Herbstmeer“ (1910), Sinnbild eines Seelenzustandes,, unsicherer menschlicher Existenz überhaupt. Zudem hat Nolde einen leuchtenden „Christus in der Unterwelt“ (1911) imaginiert, der die Mühseligen und Beladenen zu sich ruft. Vor solchen Bildern kann man gläubig werden – oder bleiben.

• Essen: Künstler der „Brücke“ in der Sammlung Hagemann. Bis zum 15. Mai im Folkwang-Museum (Goethestraße). Geöffnet Di-So 10-18, Fr 10-24 Uhr. Eintritt 8 Euro, Katalog 16,80 Euro,.

• Münster: Westfälisches Landesmuseum (Domplatz). Bis 1. Mai. Di-So 10-18 Uhr.

• Duisburg: Lehmbruck-Museum (Düsseldorfer Str.). Bis 31. Juli. Di-Sa 11-17,So 10-18 Uhr.