„text & talk“, Gedicht und Gebäck – ein sonntäglicher Ausflug zur NRW-Messe der unabhängigen Buchverlage

Büchermarkt - Foto: Herholz

Büchermarkt am Kulturgut Haus Nottbeck – Foto: Herholz

Etwas Melancholie lag bereits über diesem Sonntag, bevor meine Frau und ich uns gestern aufmachten, um im münsterländischen Oelde das Kulturgut Haus Nottbeck zu besuchen. Diese traurige Nachdenklichkeit wollte sich auch kaum auflösen, als wir unter grau verhangenem Himmel mittags in Nottbeck ankamen.

Und das obwohl dieses Kulturgut ein rundum schöner Ort ist, Architektur und Kultur eingebettet in kleinhügelige Obstwiesenlandschaft. Obst, dem man zu dieser Jahreszeit hier nirgends entgehen kann: In Oelde dreht sich Anfang September alles um die markengeschützte Stromberger Pflaume, der Pflaumenmarkt lockt und die neue Pflaumenkönigin heißt Annika I. Asseburg.

Buchmessenzelt – Foto: Herholz

An diesem Sonntag ist auf Haus Nottbeck nicht nur das Kulturcafé dauerhaft geöffnet. Man kann auch draußen unter Sonnensegeln  resp. Regendächern  Gegrilltes erstehen oder eben Pflaumenkuchen, weitgehend wespenfrei.

Der Blick aufs Museum ist von den Sonnenschirmen des Büchermarktes leicht verstellt, vollkommen verdeckt ist das Gartenhaus durch eben jenes weiße Zelt, in dem die Buchmesse logiert. „Buchmesse“ – ein ziemlich groß geratenes Wort für eine Art Partyzelt, in dem 27 Verlage und einige wirklich große Kleinverleger Platz genommen haben. Aber warum soll nicht auch dies hier als „Buchmesse“ firmieren, wo doch heute jeder gewöhnliche Literaturabend gleich Event ist und Gala heißt?

Hier in der Diaspora

Dass hier auf dieser Messe in der Diaspora allerdings Lizenzgespräche stattfänden, Auslandsrechte verkauft, Übersetzungen eingestielt oder Filmrechte verscherbelt würden, dergleichen war nirgendwo zu hören oder zu sehen. Allein einige Autorinnen/Autoren auf Verlagssuche versuchten da und dort ihre Manuskripte loszuschlagen, und nur kurz ihrem eitlen Self-Marketing lauschend schlichen wir uns lieber davon – aus diesem wunderlichen Potemkinschen Zelt in herbstlicher Literaturlandschaft.

Frantz Wittkamp am Stand der Galerie Wittkamp – Foto: Herholz

Bewunderswert umso mehr die Verleger, Mitarbeiter und Freunde, die an ihren Tischen beharrlich auf verständige Leserinnen und Leser warten, vielleicht sogar auf Käufer der ausliegenden Druckerzeugnisse. An einem der belebteren Tische hatte ich Frantz Wittkamp erkannt, dessen Vierzeiler ich so mag:
„Ich möchte etwas Schönes schreiben.
Es müsste auch bedeutend sei.
Ich weiß, man soll nicht übertreiben.
Mir fällt auch Gott sei Dank nichts ein.“
(aus: frantz wittkamp: tage und gedichte. Coppenrath Verlag, Münster 2006)

An anderen Tischen die wackeren Verleger/Herausgeber der münsterschen Literaturzeitschrift „am erker“ oder der Grafiker und Lyriker H.D. Gölzenleuchter (Edition Wort und Bild), der eigene und fremde Texte mit seinen beeindruckenden Holzschnitten illustriert. So gäbe es noch viele zu nennen, die auf diesem heterogenen Marktplatz anwesend waren oder eben leider nicht (wie etwa der Bottroper Verlag Henselowsky Boschmann oder der Rigodon Verlag mit seinem solitären „Schreibheft“). Auch Verleger und Grafiker aus den Niederlanden waren zu Gast und anscheinend kurzerhand nach NRW eingemeindet wurden auch der Chemnitzer Eichenspinner Verlag sowie der Satyr Verlag Berlin.

Zu lesen beginnen

Das gemischte Kulturgut-Publikum aus Radlerpulks, Familienausflüglern, Flohmarktstöberern allerdings bevorzugte an diesem Sonntagmittag eher den Rundgang über den Büchermarkt in Innenhof und Saal, talkte (vulgo: plauderte) lieber ausgiebig an den Tischen vor dem Kulturcafé. Auch meine Frau und ich ließen uns schließlich zu Krakauer/Bratwurst/Pommes hinreißen und genossen den aufklarenden Himmel, die laue Wärme, das ruhige Treiben im Innenhof. Muße, Leute schauen, Kaffee trinken, zu lesen beginnen.

Verlagstisch – freundlich & hochroth – Foto: Herholz

Während meine Frau sich alsbald in Michael Klaus‘ Roman „Tage auf dem Balkon“ vertiefte (eben erst am Tischchen des Ardey Verlags erstanden), las ich mich fest in „Ein symphonischer Text“ von Leon Skottnik, erschienen im hochroth Verlag. Als europäisches Kollektiv und digitales wie reales Netz vertreibt hochroth mit Standorten u. a. in Bielefeld/München/Wien/Paris weitgehend unbekannte Lyrik aus Skandinavien, darunter auch „Minderheitenlyrik“ wie die der Sámi.

Meine aus dem Ruhrgebiet mitgeschleppte Melancholie allerdings wollte auch lesend nicht wirklich verfliegen, wurde aber immerhin gelindert und befeuert zugleich mit diesen Versen Skottniks:

„Du trinkst deinen Kaffee/ in einem kleinen Restaurant mit großen Fenstern/ Draußen hatte man Galgen aufgestellt/ und knüpfte/ knüpft/ wird die Verlierer aufknüpfen/ Du sitzt vor dem Fenster/ bis du endlich blind wirst/ und die Häuser und Kirchen/ mit einer Kraft zerschlägst/ die nur dir zu eigen ist/ Und mit einer Kraft/ die seinesgleichen sucht/ schleppst du Stein für Stein/ und alle Eidechsen, die darin wohnen/ auf den Felsen zum Brunnen/ eine Stadt errichtend/ In der Hoffnung/ dass Menschen kommen werden um hier zu leben“.
(aus dem Text „Durchführung“. In:  Leon Skottnik: Ein symphonischer Text. hochroth Bielefeld 2018)

 




Museum für westfälische Literatur: Haus Nottbeck im Münsterland lohnt einen Besuch

Man kann ja bei diesem Wetter kaum ins Freibad gehen, und das Herumtollen auf Wiesen macht bei dem knochenharten Boden auch keinen Spaß. Da bietet sich ja eher etwas Kulturelles am – zum Beispiel das Haus Nottbeck im südlichen Münsterland. „Kulturgut“ nennt sich das westfälische Wasserschloss offiziell, und es ist wirklich einen Ausflug wert.

Das Haupthaus mit dem Museum.Foto: LWL

Das Haupthaus mit dem Museum.
Foto: LWL

Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe hat sich vor Jahren zusammen mit dem Kreis Warendorf des alten Herrensitzes im Oelder Stadtteil Stromberg angenommen. Entstanden sind nicht nur ein Tagungszentrum und ein „Kultur-Café“, sondern als Kernstück findet man im Haupthaus das Museum für westfälische Literatur. Von den Anfängen der Lesekultur bis in die Gegenwart wird hier das Leben und Werk von Schriftstellern und Schriftstellerinnen aus Westfalen liebevoll dargestellt, mit Dokumenten und Original-Gegenständen, aber auch mit Hör- und Video-Beispielen und mit ausführlichen Lebensläufen und Werkbeschreibungen. Dabei kamen nicht nur in Westfalen geborene Dichter ins Programm, sondern auch Literaten, die nur zeitweise in Westfalen oder Lippe gelebt und Spuren hinterlassen haben.

Das Kulturgut bietet aber auch ein wechselndes Programm. Zum Beispiel am 13. April Poetry-Slam unter dem Titel „Dead or Alive Poetry-Slam: Die besten Slam-Poeten gegen Legenden der Literatur“ oder (bis zum 12. Mai) eine Ausstellung des Graphikers und Buchkünstlers H. D. Gölzenleuchter. Am Sonntag, 7. April, kann man den Künstler im Museum in seinem „offenen Atelier“ besuchen.

Das Haus Nottbeck besticht auch durch seine beschauliche Lage im dort leicht hügeligen Südmünsterland. Im Park des Kulturguts kann man sich in der Nähe von drei „Hör-Inseln“ entspannen.

Kulturgut Haus Nottbeck. Museum für Westfälische Literatur. Landrat-Predeick-Allee 1, 59302 Oelde, Tel: 02529 / 94 55 90. www.kulturgut-nottbeck.de. Öffnungszeiten Literaturmuseum: Dienstag bis Freitag 14 bis 18 Uhr, samstags, sonntags und an Feiertagen 11 bis 18 Uhr. Freier Eintritt.




Wildwuchs der Schöpferkraft – Werkschau über Antonius Höckelmann in Hamm und Beckum

Von Bernd Berke

Hamm/Beckum. Hier herrscht selten Stillstand, sondern meist kreisende, voran stürmende oder auch abwärts strebende Bewegung. Im Kosmos des zweifachen documenta-Teilnehmers Antonius Höckelmann (1937-2000) geht es fast durchweg brodelnd dynamisch zu.

Selbst auf dem Bildnis eines Golfers scheinen die starken Farben in alle Richtungen zu spritzen – ganz so, als tobe sich m dieser doch eher gemächlichen Sportart eine Action ohnegleichen aus. Erst recht gilt der Befund für Höckelmanns aufgewühlte Turf-Bilder: Pferderennen als Ereignis aus purer Bewegungs-Energie. Und bei Betrachtung g des wüsten Farben-Gewoges auf einem Kneipen-Gemälde bekommt man fast einen „Drehwurm“ wie nach dem x-ten Glas Pils.

Grell lacht Judith über Holofernes

Eigentlich wollte das Hammer Gustav Lübcke Museum eine Ausstellung zum 65. Geburtstag Höckelmanns ausrichten. Vor zwei Jahren verstarb der Künstler mit 63, so dass man seiner nun posthum gedenkt. Der breite Überblick (mehrdeutiger Titel: „Passionen“, was Leiden und Leidenschaft bedeuten kann) umfasst nun rund 80 Bilder und Skulpturen und wird ergänzt um kleinere Arbeiten, die zeitgleich im Stadtmuseum Beckum zu sehen sind. Überdies zeigt Hamm Foto-Strecken von Benjamin Katz, der Höckelmann sogar auf dem Krankenbett ablichten durfte.

Vereinte westfälische Kräfte also. Grund: Höckelmann stammte aus der Region. 1937 in Oelde geboren, ging er 1957 zum Studium bei Karl Hartung, dem großen Plastiker der Informel-Ära, nach Berlin. Doch es gab noch einen früheren, für die avancierte Kunstszene untypischen Einfluss. Höckelmann hatte in Oelde einem „Hergottsschnitzer“ über die Schulter geschaut. Viele Jahre später finden sich thematische Spuren, etwa im nahezu „naiv“ angelegten Lindenholz-Relief „Sündenfall“ (1988/91) mit kanariengelber Paradiesschlange und einem über Adam und Eva grollenden, bärtigen Gottvater.

Doch auch das wilde Reitervolk der Skythen hat Höckelmann inspiriert, etwa zu archaisch anmutenden Skulpturen blutverschmierter Opferstätten. Es sind Objekte, die fremd in unsere vermeintlich rationalen Zeiten hinein ragen. Ähnliches gilt für verknotete Mischwesen, die gelegentlich monströse Zähne oder Zungen vorzeigen, für bizarre Stuhl-Gewächse oder die biblische, grell lachende Judith mit dem abgeschlagenen Kopf des Holofernes – hier vielleicht eine finale Szene aus den laufenden Geschlechterkämpfen.

Am Anfang war die schiere Schöpferkraft, die einzelnen Themen haben sich wohl erst sekundär daraus ergeben. Oft scheint es, als habe Höckelmann mit bloßen Händen in den Urgründen wilden Wachsens und Werdens gewühlt: Hier wurde etwas ungestüm begonnen, dort etwas (scheinbar unvollendet und regellos) liegen gelassen.

Gesamtkunstwerk für eine Kneipe

Der herkömmliche Werkbegriff trifft hier nicht zu. Manches scheint unfertig, doch ist es vollendet. Ein untrüglicher Instinkt hat dem Künstler eingeflüstert, wann der Form Genüge getan war. Vitalität und Lebensnähe gingen Höckelmann über alles. Lieber als in schicken Ateliers betätigte er sich in Hinterhöfen, lieber als im Museum hätte er im Metzgerladen ausgestellt.

Einmal hat er eine Kölner Kneipe mit seinen hängenden Plastiken ausgestattet. Das Gesamtkunstwerk blieb leider so nicht erhalten, ein neuer Pächter ließ es entfernen. Die Einzelteile liegen heute irgendwo verpackt. Wie gut sich diese und andere Arbeiten halten werden, steht noch dahin: Konservatoren haben wenig Erfahrung mit Materialien wie Styropor und Alufolie.

Gustav Lübcke Museum, Hamm (Neue Bahnhofstraße 9). 1. Dez. bis 9. März 2003. di-so 10-18 Uhr / Stadtmuseum Beckum (Markt 1) di-so 9.30-12.30, sa 15-17 Uhr. Katalog 14,90 Euro.




Westfalen und die Leselust – Neues Museum „Haus Nottbeck“ in Oelde unternimmt Streifzüge durch die regionale Literatur

Von Bernd Berke

Oelde. Anfangs ließ sich die Liaison der Buchdruckerkunst mit dem westfälischen Menschenschlag noch gut an: 1478, recht bald nach Gutenbergs weltbewegender Erfindung, erschien hier eine niederdeutsche Bibel. Um 1490 druckten dann Sauerländer allerorten: Es florierte der Baseler Buchdruck des aus Olpe stammenden Humanisten Johannes Bergmann, während Peter Attendorn in Straßburg schöne Bücher herstellte.

Mehr noch: Münster mauserte sich bald zum kulturellen Zentrum. Doch später ging’s phasenweise arg bergab. Da hatte die Literatur in Westfalen kaum noch eine Heimstatt. Schaudernd erfährt man’s im neuen Westfälischen Literaturmuseum zu Oelde: Von 1800 bis 1840 erschien in Unseren Landstrichen kein einziger (!) Roman, es fehlten belletristische Verlage in der Region.

Auch das Lesebedürfnis hielt sich seinerzeit in Grenzen. Anno 1854 gab es in ganz Deutschland rund 4000 Leihbibliotheken, davon siedelten nur 38 in Westfalen. Es dürfte für die „rote Laterne“ des Letztplatzierten gereicht haben. Hatte Voltaire, der sich im „Candide“ speziell über die kulturlosen Westfalen mokiert hatte, also Recht behalten? Trostreicher Kontrast im Bestand: das „Buch vom Lobe Westfalens“.

Sofern man ein wenig Muße mitbringt, stößt man in dem Museum auf etliche spannende Geschichten. Denn in dem schmuck hergerichteten ehemaligen Gutshof („Haus Nottbeck“), der sich in wunderschöner Landschaft erhebt, singt man nicht nur das abertausendste Loblied auf Westfalens berühmte Dichterköpfe.

Gewiss: Droste-Hülshoff, Freiligrath, Grabbe oder auch der Dadaist Huelsenbeck kommen zum Zuge, desgleichen unsere Zeitgenossen von Ernst Meister (Hagen) bis Max von der Grün (Dortmund). Doch man lernt auch einiges über das breite Fundament aus Heimatliteratur, deren uralte Refrains hier freilich nicht nur anheimelnd klingen.

Fragwürdige Formen der Heimatdichtung

Bisweilen geriet diese Basis zum trüben Bodensatz. Ein Extra-Raum beweist es: NS-Ideologen konnten sich auch hier zu Lande auf heimattümelndes Schrifttum stützen, die Übergänge zur braunen Propaganda waren fließend. So gab es etwa in Olpe eine Dame, deren Elaborate den Nazis besonders gefielen und die damals hohe Auflagen erzielte. Im „Schmallenberger Dichterstreit“, der gleichfalls knapp dokumentiert wird, diskutierte man nach dem Krieg heftig über derart in Verruf geratenes Heimatschrifttum.

Natürlich werden auch linke Traditionen regionalen Schreibens aufgegriffen – vom Arbeiterroman der 1920er Jahre bis zum Schwelmer Polit-Barden Franz Josef Degenhardt oder Rockgruppen wie Franz K. aus Witten. Experimentelle Schöpfungen (Karl Riha, Siegen), Seitenblicke aufs Theater (Bochum, Ruhrfestspiele, WLT) und kabarettistische Einsprengsel (Jürgen von Manger & Co.) markieren weitere Wendungen westfälischer Wortkunst. Und wer hätte gedacht, dass die einst religiös so eifernde Wiedertäufer-Literatur Westfalens einen trivialen Heftchen-Nachzügler („WiedertäuferVampire“) angeregt hat?

Da kommt einem die Dortmunder Bierdeckel-Lyrik vergleichsweise klassisch vor. Apropos: Geheimrat Goethe war 1792 kurz in Münster. Auch derlei Schmankerl lässt sich das Haus des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) nicht entgehen. Die vom Designer Robert Ward griffig gestaltete Schau erstreckt sich über 400 Quadratmeter, bietet auch einen lauschigen Märchenkeller für Kinder und wird sich alle paar Monate wandeln, denn viele Exponate sind Leihgaben.

Eine eigene Sammlung soll entstehen, zudem werden weitere Flügel des früheren Gutshofes aus dem 14. Jahrhundert (Teile eines Wassergrabens sind erhalten) zum Musik-und Veranstaltungs-Zentrum ausgebaut. Schon jetzt lockt das Ambiente zum sommerlichen Ausflug mit Bildungsvergnügen. Damit wir literarisch nicht wieder auf dem Abstiegsplatz landen.

Museum für Westfälische Literatur. Oelde-Stromberg, Landrat-Predeick-Allee 1 (Autobahn A 2, Abfahrt Oelde, Richtung Stromberg, dann Richtung Wiedenbrück – nun den Schildern zum „Kulturgut Haus Nottbeck“ folgen). Tel.: 02529/94 94 57. Geöffnet Mi bis So 11-17 Uhr.