„Tot wie ein Dodo“ – Dortmunds Naturmuseum nimmt Ausrottung der Tierarten in den Blick

Schockierend konstruierte Szenerie mit einem Ranger, der nicht mehr verhindern konnte, dass dem Breitmaulnashorn die Hörner abgehackt worden sind… (Foto: Bernd Berke)

„Tot wie ein Dodo“ heißt, denkbar lakonisch, die neue Sonderausstellung im Dortmunder Naturmuseum. Die Benennung geht zurück auf die englische Redewendung „as dead as a dodo“, die mit Betonung auf Endgültigkeit ungefähr als „mausetot“ zu übersetzen wäre, was jedoch das grundfalsche Tier aufruft – ebenso wie der Internet-Sprachdienst Linguee, der sie mit „ausgestorben wie ein Dino“ übersetzt. Nix da Dino. Dodo!

Womit wir beim richtigen Dodo angelangt wären. Den hat es nämlich wirklich gegeben, nur ist er leider um das Jahr 1700 auf der Insel Mauritius ausgestorben – durch gewaltsame menschliche Einwirkung. Die flugunfähigen, mutmaßlich etwas tollpatschigen Vögel hatten keine Fressfeinde und waren daher so zutraulich, sich ohne Arg den Seefahrern zu nähern, die damals auf dem Weg nach Indien gern Zwischenhalt auf Mauritius machten. Hier nahmen sie Proviant auf und entdeckten auch das (wohl etwas zähe) Fleisch der Dodos für sich, um die es alsbald geschehen war. Den Rest gaben ihnen eingeschleppte Tiere wie Ratten, Schweine und Affen, die die Eier der Dodos fraßen. Nur noch wenige Skelette und karge Notizen künden von ihrem exemplarischen Erdendasein. Und jetzt gibt es den Dodo im Dortmunder Museumsshop als flauschiges Stofftier…

Weiteres Diorama in der Dortmunder Dodo-Ausstellung: Ein nicht allzu sympathischer Seemann (übrigens klischeegrecht mit Holzbein) hält feixend einen gerupften Vogel hoch, dessen noch lebender Artgenosse schaut zu. (Foto: Bernd Berke)

Ein Dodo-Diorama mit brutalem Seemann, der eines der getöteten Tiere gerupft hat, markiert den Eingangsbereich zur Dortmunder Ausstellung. Doch es geht längst nicht nur um diese Vögel, sondern um Tausende ausgestorbener und aussterbender Arten, deren Schicksal mit weiteren Dioramen, Vitrinen-Exponaten und Schautafeln vergegenwärtigt wird. Dabei geht es recht schaurig zu.

Mitleid mit der geschundenen Kreatur weckt etwa das akut bedrohte südliche Breitmaulnashorn, für dessen Hörner immense Beträge gezahlt werden und das daher zahllose Wilderer auf den Plan ruft. Hier sehen wir eine Szenerie mit blutig abgehackten Hörnern. Neben dem verendenden Tier hockt ein Ranger, der es eigentlich vor Wilderern hätte beschützen sollen. Doch seine Ausrüstung ist kläglich und der Schwarzmarkt-Preis eines einzigen Horns (pro Kilo 45.000 Dollar!) beträgt das eineinhalbfache seines Jahresgehalts, wie Julian Stromann (im Museum zuständig für Bildung und Vermittlung) ergänzend zu berichten weiß. So sind denn auch schon viele Ranger im Dienst erschossen worden.

Auf einer Bildtafel sind sogenannte „Endlinge“ versammelt, buchstäblich die Letzten ihrer jeweiligen Arten, darunter beispielsweise „Lonesome George“, mit dem die Geschichte einer Riesenschildkröten-Spezies aufgehört hat. Es folgt ein lebensgroßes, dramatisch zugespitztes Szenenbild mit dem gigantischen Laufvogel Riesenmoa, der einst auf Neuseeland gelebt hat und hier von einem Maori-Ureinwohner angegriffen wird.

Weitaus schlimmer aber wüteten die Angehörigen der kolonisierenden Völker und deren Pioniere: Seefahrer waren bereits die Hauptschuldigen am Aussterben der Dodos, sie hatten auch den pinguinartig aussehenden Riesenalk (ausgestorben durch brachiales Erwürgen der letzten Exemplare am 3. Juni 1844) und die Stellersche Seekuh auf dem Gewissen. Letztere Meerestiere waren so sozial, dass sie erlegten Artgenossen zur Hilfe eilten, so dass sie nicht mehr einzeln gejagt werden mussten, sondern gleich massenhaft getötet werden konnten.

Noch eine dramatisierende Ausstellungs-Inszenierung: Ein Seemann nähert sich in unguter Absicht den letzten Riesenalk-Exemplaren. (Foto: Bernd Berke)

Gruselig sodann eine Zusammenstellung von geschmuggelten touristischen Mitbringseln wie etwa Kroko-Täschchen oder gar Spielwürfeln aus Krokodilknochen. Höchst bedenklich zudem die in Asien verbreitete medizinische Praxis, die z. B. Haifischflossen, Seepferdchen-Pulver oder (angeblich potenzfördernde) Schlangenschnäpse verabreicht. Vor allem Tiger werden für heilkundliche Zwecke nahezu rundum ausgeweidet.

Ein Schaubild mit „Zeitschnecke“ veranschaulicht, dass menschliche Wesen den rund 4,6 Milliarden alten Planeten gleichsam erst in den letzten Sekunden bevölkert haben, wenn man das Erdalter auf ein einziges Jahr umrechnet. Der Mensch als in mancherlei Hinsicht verspätetetes Wesen: Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstand in der Wissenschaft überhaupt ein Bewusstsein davon, dass es etliche ausgestorbene Tierarten gibt. Haben wir seither grundlegend dazugelernt? Eher im Gegenteil, was das Handeln und den schier schrankenlosen Konsum betrifft. Das Tempo der vom Menschen betriebenen Naturvernichtung hat sich ungemein beschleunigt und bedroht längst auch sein eigenes Dasein. Hier setzt die Ausstellung an, indem sie größere Zusammenhänge von Klimawandel, Vegetation und Nahrungsketten aufgreift. Und ja: Natürlich hat auch der Eisbär auf schmelzender Scholle dabei seinen traurigen Auftritt.

„Tot wie ein Dodo. Arten. Sterben. Gestern. Heute.“ Naturmuseum Dortmund, Münsterstraße 271. Vom 8. April bis 20. November 2022. Geöffnet Di-So 10-18 Uhr. Eintritt 4 Euro, ermäßigt 2 Euro, unter 18 Jahren frei. Zutritt derzeit nach 2G-Regelung, Änderungen während der langen Laufzeit möglich.

Gesponsert von der örtlichen Sparkasse, werden 160 kostenlose Schulklassen-Führungen angeboten.

Tel. für Buchungen und Infos: 0231 / 50-248 56.

Tickets online: www.naturmuseum-dortmund.de

 




Das Ende der Unendlichkeit: Erinnerungen an ein Buch, das die Welt verändert hat

Im Frühsommer vor 50 Jahren lag es in den Buchhandlungen: Ein blauer Umschlag, darauf lugt der Planet Erde zwischen den beiden Hälften eines aufgebrochenen Eis hervor. „Die Grenzen des Wachstums“ lautete der Titel; die Unterzeile verhieß epochale Erkenntnisse: Ein Bericht „zur Lage der Menschheit“! Kaum einer kannte den „Club of Rome“, noch unbekannter war der als Autor genannte, damals 30jährige Dennis Meadows.

Und doch hat dieses Buch Geschichte gemacht. Zwischen März und Juni 1972 erschien es in zwölf Sprachen mit rund 12 Millionen Exemplaren. Eine „Bombe im Taschenformat“ nannte die „Zeit“ die knapp 200 Seiten, vollgepackt mit hochkomplexen Berechnungen und Tabellen.

Seine Aussage: Wenn wir so weitermachen wie bisher, ist unser Lebensmodell bis zum Jahr 2100 am Ende. Die Modellrechnung, die der Amerikaner Meadows und sein Team vorlegten, ging von fünf Tendenzen mit globaler Wirkung aus, setzte sie in Bezug zueinander und untersuchte die gegenseitigen Rückkoppelungen:

„Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht. Mit großer Wahrscheinlichkeit führt dies zu einem ziemlich raschen und nicht aufhaltbaren Absinken der Bevölkerungszahl und der industriellen Kapazität.“

Das Fazit der Studie, die das Massachusetts Institute of Technology (MIT) mit Hilfe eines neuen Großcomputers im Auftrag des „Club of Rome“ erstellte, stieß auf kontroverse Reaktionen. „Unverantwortlicher Unfug“ hieß es im amerikanischen Magazin „Newsweek“. Der „Spiegel“ ordnete sie in die damals schon verbreiteten apokalyptischen Ängste ein und kritisierte eine „Weltuntergangs-Vision aus dem Computer“. Mit entsprechender Häme wurde in den folgenden Jahrzehnten immer wieder festgestellt, wie falsch die berechneten Zahlen für die Erschöpfung bestimmter Rohstoffe gewesen seien. Der „Club of Rome“ habe – so monierten Kritiker – auch die Rolle neuer Technologien unterschätzt, die den negativen Folgen des Wachstums entgegenwirken könnten. Es gab aber auch berechtigte Kritik, vor allem an der Vernachlässigung der sozialen und gesellschaftlichen Folgen eines eingeschränkten oder „Nullwachstums“.

Das Modell der Lilie im Gartenteich

Auch wenn sich kritische Einwände in einzelnen Fragen als zutreffend herausstellten: Das Grundproblem der „Grenzen des Wachstums“ bleibt bestehen. Die Gefahr exponentiellen Wachstums ist in Meadows Modell des Lilienteichs zutreffend beschrieben: Eine Lilie in einem Gartenteich wächst jeden Tag auf die doppelte Größe. Ihr Wachstum erscheint nicht besorgniserregend, denn auch wenn sie erst die Hälfte des Teichs bedeckt, scheint es noch genug Platz zu geben. Niemand denkt daran, sie zurückzuschneiden. Aber schon am nächsten Tag wächst die Lilie wieder um das Doppelte ihrer Größe, bedeckt den ganzen Teich und erstickt jedes Leben darin.

Die grundsätzliche Feststellung der Endlichkeit aller Ressourcen wird zum Teil bis heute nicht verstanden oder verdrängt. Die Unausweichlichkeit dieser Grenzen folgt aus physikalischen Gesetzen. Der Sozialethiker Wilhelm Dreier und der Physiker Reiner Kümmel haben damals in ihrem Forschungsschwerpunkt an der Universität Würzburg „Zur Zukunft der Menschheit“ die Thesen des „Club of Rome“ mit als erste in Deutschland aufgenommen und in ihrer Studie „Zukunft durch kontrolliertes Wachstum“ 1977 durch den Blick auf soziale und Bildungsprozesse ergänzt. Auch diese Ergebnisse wurden nicht verstanden oder – vor allem in konservativen und traditionell christlichen Kreisen – abgelehnt. Der vor 100 Jahren geborene CDU-Politiker Herbert Gruhl („Ein Planet wird geplündert“, 1975) ist ein Beispiel dafür, wie wenig Resonanz das neue ökologische Bewusstsein in seiner Partei fand, die er 1978 verließ.

Aktuelle Mahnung zu globalen Problemen

„Die Grenzen des Wachstums“ waren nicht, wie ihnen unterstellt wurde, eine Vorhersage apokalyptischen Schreckens. Sie waren ein Zustandsbericht zu einer Situation, die als veränderbar und beherrschbar eingeschätzt wurde – allerdings nur unter klar definierten Voraussetzungen: Dazu zählen eine radikale Energiewende weg von fossilen Brennstoffen, ein nachhaltige Landwirtschaft, der Abbau von Ungleichheit durch faire globale Steuersysteme, um zu vermeiden, dass die Reichsten der Erde mehr als 40 Prozent des Weltvermögens besitzen. Als nötig erachtet werden ferner enorme Investitionen in Bildung, Geschlechtergleichheit, Gesundheit und Familienplanung und neue Wachstumsmodelle für ärmere Länder.

Damals beflügelte das Buch die junge ökologische Bewegung in der Bundesrepublik; heute ist es nach wie vor eine aktuelle Mahnung, denn die globalen Probleme sind akuter, als wir es uns 1972 vorstellen konnten. Für mich persönlich waren „Die Grenzen des Wachstums“ ein wirklicher Augenöffner. Mein ökologisches Interesse war bereits durch die Lektüre von Rachel Carsons „Der stumme Frühling“ geweckt worden, hatte sich aber eher auf den klassischen Natur- und Tierschutz bezogen. Jetzt erweiterte es sich zu einem umfassenden ökologisch geprägten Nachdenken über die Entwicklung unserer Welt, die theologische, philosophische und politische Dimensionen mit einschloss und zum gesellschaftlichen Engagement für einen grundlegenden Wandel führte.

 

 




„Green City“: Kunstschau erkundet die versehrte Stadtlandschaft des Ruhrgebiets

Werner Graeff: "Skizzen zur farbigen Gestaltung des Ruhrlandes", 1952 (© Museum Wiesbaden, Schenkung Ursula Graeff-Hirsch, Foto Museum Wiesbaden)

Werner Graeff: „Skizzen zur farbigen Gestaltung des Ruhrlandes“, 1952 (© Museum Wiesbaden, Schenkung Ursula Graeff-Hirsch, Foto Museum Wiesbaden)

Ja, wo leben wir denn? Hier im Revier. Und was heißt das? Um mal ein doch recht treffliches Wortspiel zu wagen: Wir leben in einer ebenso extrem vernetzten wie verletzten Stadtlandschaft.

Eine Kunstausstellung in Oberhausen geht nun den Spuren nach, welche sich in die (allemal manipulierte, künstlich her- und zugerichtete) Landschaft eingezeichnet oder auch eingegraben haben. Diese Strukturen definieren geradezu das Ruhrgebiet. Wo sie sich verflüchtigen, hört auch das Ruhrgebiet auf. Nur ganz allmählich ändert sich diese Zuschreibung, allem Strukturwandel zum Trotz.

„Green City“ heißt die Schau in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen. Gemeint ist keine einzelne Kommune, sondern die weitläufige, in sich schier grenzenlose Stadtlandschaft der Region. Hat der Titel seine Berechtigung? Tatsächlich ist Grün im Ruhrgebiet in vielerlei Bestands- und Schwundstufen vorhanden. An manchen Ecken und Enden erobern sich Pflanzen sogar ihr Revier zurück. So begünstigt hie und da industrieller Verfall ein neues, ganz anderes Wachstum.

Apropos „Green City“ und Ökologie: Schirmherr der Ausstellung ist NRW-Umweltminister Johannes Remmel, und der ist nun mal bei den „Grünen“. Nebenbei: Als Sponsor tritt u.a. eine Stiftung des Energieriesen RWE in Erscheinung.

Luftbild von Rita Rohlfing: "moments", 21. Juni 2014, 2014-2015 (© Rita Rohlfing, VG Bild-Kunst, Bonn 2015)

Luftbild von Rita Rohlfing: „moments“, 21. Juni 2014, 2014-2015 (© Rita Rohlfing, VG Bild-Kunst, Bonn 2015)

Es herrscht eine insgesamt recht diffuse Gemengelange – und dieser verwirrende Eindruck teilt sich auch beim Rundgang durch die Ausstellung mit. Klärung darf man wohl nicht verlangen. Das Etikett „Green“ bezieht sich nicht zuletzt auf die Sehnsucht der Menschen nach intakten Naturzusammenhängen. Doch ist es hier nicht selten als Negation oder Ironie zu verstehen, denn „natürlich“ thematisieren etliche Künstler in erster Linie die versehrte Landschaft, deren klaffende Wunden zumal auf Luftbildern erkennbar sind, besonders eindrucksvoll in Rita Rohlfings Serie „moments“ von 2014/15.

Gleich 64 Künstlerinnen und Künstler werden zur Bestandsaufnahme aufgeboten, viele davon noch recht unbekannt. Die Ausstellung, kuratiert von Nina Dunkmann, verficht keine erkennbare These, sie versammelt vielmehr eine Unzahl von gegenwärtigen „Positionen“, wie man es so gängig nennt. Mögliches Motto älterer Lesart: Wer vieles bringt, wird jedem etwas bringen.

Axel Braun: "Und wer in diesen Bannkreis tritt, wird vom Geist der neuen Zeit ergriffen" (Detail), 2014 (© Axel Braun)

Axel Braun: „Und wer in diesen Bannkreis tritt, wird vom Geist der neuen Zeit ergriffen“ (Detail), 2014 (© Axel Braun)

Das Ruhrgebiet wird – extremer als die meisten anderen Gegenden Deutschlands – durchzogen und zerschnitten, doch eben auch innig verbunden von Straßen, Schienen, Kanälen, Energie-Trassen und Brücken, die sich zu komplexen Netzen summieren. So viele Schneisen, solch ein Geflecht und Dickicht. Somit gerät übrigens schon die Anfahrt nach Oberhausen zur stadtlandschaftlichen Einstimmung. Die Ausstellung wiederum gliedert sich (nicht immer lupenrein) in Kapitel, die z. B. Straßen, Wasserwegen oder Energie gewidmet sind.

Zeitgeschichtlich betrachtet, beginnt der Reigen 1952. Damals, als das rußige Ruhrgebiet Grau in Grau gerade erst wieder erstanden war, setzte der Maler Werner Graeff farbige Akzente in die ansonsten düstere Industriekulisse, als wär’s eine frühe Vision der heute so beliebten „Landmarken“ gewesen.

Hendrik Lietmann: Foto aus der Serie "Das Rohrgebiet", 2009 (© Hendrik Lietmann)

Hendrik Lietmann: Foto aus der Serie „Das Rohrgebiet“, 2009 (© Hendrik Lietmann)

Über die Gruppe „B 1“, die sich gegen Ende der 1960er Jahre schon im Namen auf die zentrale Strecke des Ruhrgebiets bezog und Stadträume neu zu deuten suchte, und eine Figur wie wie HA Schult, der 1978 eine künstlerische Ruhr-Tour durch die Region unternommen hat, spult die Ausstellung sehr rasch in die heutige Zeit vor.

Gewiss: Da gibt es auch ein paar lässliche oder gar alberne Zugriffe aufs Thema (sehet selbst), doch auch originelle und erhellende Kreationen wie etwa Klaus Dauvens „Putzlappenzeichnungen mit Naturmotiven“, Eva Ketzers transportables und auf schrill-komische Weise falsches Naturidyll „Naherholung“ oder Johannes Jensens frech-fröhliche Ausrufung eines Kompostaates (Kompost-Staates) mit eigener Botschaft, Flagge und allem sonstigen Drum und Dran. Einen poetischen Zugang eröffnet Nikola Dickes Arbeit „Der verborgene Garten“. Und Hendrik Lietmann tauft kurzerhand gleich die ganze Region um: Seine Fotoserie „Das Rohrgebiet“ zeigt das chaotisch wuchernde System der Rohrleitungen rings um Garten- und Kleingarten-Areale.

Sebastian Mölleken: "Kuh unter der A 40", 2009 (© Sebastian Mölleken)

Sebastian Mölleken: „Kuh unter der A 40″, 2009 (© Sebastian Mölleken)

Stellenweise wird deutlich, wie sich die künstlerische Wahrnehmung des Reviers mittlerweile in verschiedenen Zeitschichten gleichsam abgelagert hat, aber eben auch aufgefrischt werden kann. So reagiert etwa der Künstler Axel Braun explizit auf die anfangs so umstrittenen, monumentalen Landmarken eines Richard Serra („Terminal“ in Bochum, Bramme auf der Schurenbachhalde in Essen-Altenessen), und zwar mit großem Respekt, aber nicht in erstarrender Ehrfurcht, sondern auch mit kritischen Untertönen; wie denn überhaupt das Revier jetzt aus anderen Distanzen und mit anderen Ansprüchen vermessen wird als ehedem.

Selbst Stätten, die man zu kennen meint, wirken im Kontext dieser Ausstellung verfremdet, so dass sich der Blick womöglich weitet. Hier kann man (auf einer imposanten Fotografie von Matthias Koch) noch einmal sehen, wie die heftig umgepflügte Landschaft aussah, nachdem das einstige Hoesch-Stahlwerk verschwunden war und bevor dort der Dortmunder Phoenixsee entstanden ist. Hier kann man auch noch einmal Zustände der brutal schnurgeraden und der renaturierten Emscher vergleichen.

Manch eine dieser Zeit- und Ortsbestimmungen lässt innehalten: Welch ein Wandel liegt da hinter uns! Und was steht noch bevor?

„Green City. Geformte Landschaft – Vernetzte Natur. Das Ruhrgebiet in der Kunst“. Ludwiggalerie Schloss Oberhausen (Konrad-Adenauer-Allee 46). Eröffnung am Samstag, 9. Mai 2015, 19 Uhr. — Bis 13. September 2015, Öffnungszeiten Di bis So 11-18 Uhr. Mo geschlossen, aber Pfingstmontag (25. Mai) geöffnet. Eintritt 8 Euro, ermäßigt 4 Euro. Katalog 29,80 Euro. Reichhaltiges Führungs- und Begleitprogramm. Info-Telefon: 0208/41 249 28. www.ludwiggalerie.de




Die gnadenlose Zerstörung der Schönheit: T. C. Boyles Roman „San Miguel“

Will Waters, Veteran aus dem amerikanischem Bürgerkrieg, ist ein Eigenbrötler und hat kein Gespür für die Bedürfnisse und Sorgen seiner Familie. Dass er seine schwindsüchtige Frau Marantha ausgerechnet auf eine der öden Kanalinseln vor der Küste Kaliforniens bringt, ist ihr Todesurteil.

Will möchte auf San Miguel Schafe züchten, mit der Natur eins werden und seinem Leben einen neuen Sinn geben. Während er zupackt und alle Widrigkeiten ignoriert, setzen das garstige Klima und die monotone Einsamkeit Maranthas Gesundheit zu. Aufs Festland kehrt sie nur noch einmal zurück, um dort zu sterben. Jetzt ist es an ihrer Tochter Edith, sich gegen den tyrannischen Vater zu behaupten und der verhassten Insel endgültig zu entfliehen.

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Schon in seinem vorigen Roman („Wenn das Schlachten vorbei ist“) hatte T. C. Boyle mit seinem Schreib-Dampfer vor einer der Kanalinseln fest gemacht. Auf Anacapa hatte er Tierschützer und Ökologen bei einem tödlich verlaufenden Streit beobachtet: während die einen ausnahmslos jedes Wesen schützen wollen, sind die anderen bereit, die Rattenplage auf Anacapa mit Gift beseitigen, um alle anderen bedrohten Tierarten zu retten.

In „San Miguel“ ist T. C. Boyle noch ein bisschen weiter aufs Meer hinaus getuckert und macht die am weitesten von seinem kalifornischen Wohnort bei Santa Barbara entfernt liegende Insel zum Schauplatz einer über mehrere Generationen und viele Jahrzehnte sich dehnenden Handlung. Im Zentrum stehen die Frauen, sie sind stark und schön und eigenwillig. Und sie leiden unter ihren Männern. Das trifft auf die kränkelnde Marantha genauso zu wie auf ihre lebenshungrige Tochter Edith.

Auch später, als nach Jahrzehnten wieder ein Paar auf die Insel zieht, muss sich die Frau gegen ihren Mann behaupten. Sie heißt Elise, war einst Bibliothekarin in New York, bevor sie mit Herbie, ihrem Mann, auf San Miguel gestrandet ist. Auch Herbie ist einer dieser Männer, die in einem Krieg gekämpft, ihre seelischen Verwundungen nie überwunden haben, aber nach außen eine harmonische Fassade aufrecht erhalten. Dass sich hinter der Idylle, die das Ehepaar der von den vermeintlichen Pionieren auf San Miguel verzückten Presse vorspielen, Abgründe lauern, wundert kaum.

Basierend auf historischen Tagebüchern und überlieferten Dokumenten erzählt T. C. Boyle in einem weit gespannten Bogen eine amerikanische Saga. Sie handelt vom Kampf gegen die Unbilden der Natur und davon, dass starke Frauen die Träume schwacher Männer ausbaden müssen. Mit bitterer Ironie erzählt der Autor, wie Lebensentwürfe und -verläufe nur selten zueinander passen. Er beobachtet mit kühlem Blick seine Romanfiguren und erkundet, ob und wie sie sich in der Natur behaupten können. Denn der eigentliche Protagonist ist die Insel selbst, ihre Schönheit und Kargheit, die es zu bewahren gilt – und doch immer wieder gefährdet ist.

T. C. Boyle, der am 2. Dezember seinen 65. Geburtstag feierte, ist der Mahner und Apokalyptiker unter den amerikanischen Gegenwartsautoren. Ob in „Willkommen in Wellville“ oder „Americá“, „Ein Freund der Erde“, „Wenn das Schlachten vorbei ist“ oder jetzt in „San Miguel“: immer wieder zeigt er, wohin es führt, wenn der Mensch keine Rücksicht auf die Schöpfung nimmt, egoistisch sich selbst verwirklichen und sich die Natur untertan machen will. Überall nur Chaos und Zerstörung und an den eigenen Lügen zugrunde gehende Menschen. Dass T. C. Boyle mit einer gelassenen Heiterkeit in den Abgrund schaut und niemals ins Predigen kommt, gehört zu seinen ganz großen Stärken.

T. C. Boyle: San Miguel. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Dirk van Gunsteren. Carl Hanser Verlag, München 2013, 447 S., 22,90 Euro.

Eine gekürzte Lesung des Romans von Jan Josef Liefers it erschienen im Hörverlag München (8 CDs, 24,99 Euro).




Ian McEwans Roman „Solar“: Verheddert und verkleistert

Michael Beard ist veritabler Nobelpreisträger für Physik. Doch sein Leben ist ziemlich verpfuscht. Seine Frau betrügt ihn – zunächst mit dem vierschrötigen Handwerker Tarpin, dann auch noch mit dem idealistischen Nachwuchs-Wissenschaftler Tom Aldous. Beruflich dümpelt Beard als Leiter eines unsinnigen Instituts nur noch halbwegs komfortabel dahin. Allmählich verfettet er und trinkt ohnehin zu viel Alkohol. Etwas Trost findet er beim einen oder anderen Weibe.

So ein Tropf ist die Hauptfigur in Ian McEwans Roman „Solar“. Der Titel verweist auf die allfällige Klimadebatte und auf die Sonnenenergie, welche die angebliche Apokalypse aufhalten soll. Beard ist in dieser Hinsicht äußerst skeptisch, wenn nicht gar zynisch. Er will sich einfach auf nichts mehr festlegen – weder wissenschaftlich noch erotisch. Auch eine (streckenweise hinreißend grotesk geschilderte) arktische Info-Reise im chaotischen Kreise wohlmeinender Klimakünstler überzeugt ihn nicht. Minus 26 Grad deuten nicht gerade auf Erderwärmung hin. Und die „grünen“ Traumtänzer können ja nicht mal in der kältegerechten Kleiderkammer Ordnung halten, geschweige denn auf dem Planeten.

Nun aber waltet das Schicksal: Wegen vorzeitiger Rückkehr von jener abenteuerlichen Tour ertappt Beard in seinem gar nicht mehr trauten Heim den erwähnten zweiten Liebhaber seiner Frau. Dieser lachhaft bezopfte Aldous schwadroniert sogleich von der nahenden Klimakatastrophe, die doch ungleich wichtiger sei als solcher Privatkram – und stürzt kurz darauf durch ein saublödes Missgeschick tödlich auf den Couchtisch. Beard überlegt kurz und handelt schnell: Falsche Spuren, die auf Liebhaber Nummer eins als Mörder hindeuten, sind im Nu gelegt. Tatsächlich kommt der unglückselige Tarpin in den Knast. Und Beard schickt sich unversehens an, die Ideen des Toten zur Sonnenenergie als seine eigenen zu verwerten. Künstliche Nachahmung der Photosynthese. Klingt doch gut und hat global Konjunktur. So endet der erste von drei Teilen, die anno 2000, 2005 und 2009 spielen.

Was haben wir da? Beziehungsdrama? Krimi? Gerichtsroman? Slapstick-Komödie? Wissenschafts-Klamotte? Öko-Satire?

Von allem etwas. Der sonst zumeist in allerhöchsten Rezensenten-Tönen gepriesene McEwan stochert und rührt mal hier, mal da. Er richtet ein diffuses Themen- und Genre-Ragout an. Für sich genommen, sind etliche Passagen unterhaltsam, stellenweise blitzt erzählerische Meisterschaft auf. In einigen Kapiteln fühlt man sich geradezu heimisch. Doch aufs Ganze gesehen, verliert und verheddert sich McEwan häufig in ziellosen, unproduktiven Abschweifungen. Er möchte seine Themenpalette breit ausmalen und zugleich fast alles hinterrücks ironisieren, ja pulverisieren, den Kuchen also gleichsam essen und behalten.

Im zweiten Teil finden sich unverständlich ausgiebige Exkurse zu Beards Ernährungssünden sowie über das bizarre „Duell“ um eine Chips-Tüte im Eisenbahnwaggon. Vollends unnötig ausufernd ist sodann die Schilderung eines Skandals im Zeichen der political correctness. Als Beard anzudeuten wagt, Männer seien womöglich aufgeschlossener für Physik als Frauen, stellt ihn eine Geisteswissenschaftlerin derart an den öffentlichen Pranger, dass er in den Medien bald nicht nur als Macho, sondern zudem als Rassist und Nazi gilt. Doch die rufmörderische Kampagne endet so plötzlich, wie sie begonnen hat. McEwan wollte halt nicht versäumen, auch diese Thematik noch abzuhandeln. Es ist, als hätte er Zeilen und Seiten schinden wollen. Manche Passage wirkt weniger erzählfreudig als geschwätzig.

Im dritten Teil spitzt sich das alles zu. Lauter lose Enden wollen jetzt entweder gekappt oder verknüpft sein. Vieles wird freilich nur verkleistert. Lediglich im Epilog des Romans (die einstige Nobelpreis-Lobrede auf Beard) steht, wie sich solch unentwirrbare Knoten aufs Glücklichste lösen lassen – nämlich verblüffend tänzerisch, indem alle Beteiligten im richtigen Moment loslassen.

Wahrhaftig kulminiert gegen Schluss die Wirrnis: Beards derzeitige Freundin Melissa erwartet (zu seinem Entsetzen) ein Kind. Tarpin wird aus dem Knast entlassen und heftet sich an Beards Fersen – gewiss doch mit rachedurstigen Mordgedanken? Mehr noch: Auf Beards Hand zeigen sich Symptome für Hautkrebs, die er lange ignoriert. Zwischendurch werden noch seine Kindheit und Jugend aufgerollt, als könnt’s ein Erklärmuster hergeben. Zudem wird erwogen, wie sich Natur- und Geisteswissenschaften zueinander verhalten – und die eigentliche Handlung muss ja auch noch vorangetrieben werden: Beard ist drauf und dran, ein vermeintlich weltweit beispielhaftes Energiezentrum in New Mexico (USA) zu gründen, wo er übrigens eine weitere Geliebte hat. Dreifacher Zangenangriff: Tarpin taucht mit finsterer Miene dort auf, gewiefte Anwälte wollen seine erschlichenen Patente anfechten und drohen mit hochnotpeinlichen Enthüllungen, Melissa und die inzwischen dreijährige Tochter sind gleichfalls im Anmarsch. Kommt es etwa zur zwischenmenschlichen Klimakatastrophe? Das wäre ja nicht auszudenken.

Ian McEwan: „Solar“. Roman. Diogenes Verlag, Zürich. 405 Seiten. 21,90 Euro.




Bochumer Bergbau-Museum entdeckt die Ökologie – Erweiterungsbau für 13 Millionen DM fertig

Von Bernd Berke

Bochum. An der Ökologie kommen auch technische Museen nicht mehr vorbei: In seinem „Erweiterungsbau Süd“, der am Freitag eingeweiht wird, hat das Deutsche Bergbau-Museum Bochum die wohl wichtigste neue Abteilung der Umwelt-Beeinflussung durch den Bergbau gewidmet.

Schon 1556 hatte der Vorfahr aller Bergbau-Theorien, Georg Agricola, geargwöhnt: „Durch das Schürfen nach Erz werden die Felder verwüstet“. Nun dokumentiert also auch das Bergbau-Museum die Geschichte der Bergschäden, des Landschaftsverbrauchs und der „Altlasten“. Ein Grund dafür sind wohl die Legitimationsnöte im Zuge der (häufig befehdeten) Nordwanderung des Revierbergbaus. Da das Museum (Träger: Westfälische Berggewerkschaftskasse und Stadt Bochum) dem Montanwesen naturgemäß zugetan ist, werden zwar Umweltschäden registriert, aber Erfolge wie Entschwefelung und Neubegrünung von Halden stehen doch im Mittelpunkt.

In dem Erweiterungsbau, der nach Plänen des Architekten Kurt Peter Kremer in vier Jahren Bauzeit für 13 Millionen DM entstand, geht man teilweise originelle Wege, um die Sinne des Besuchers anzusprechen. So soll demnächst zum Thema „Altlasten“ ein echtes Stück verseuchter Erde in einem Glaskasten ausgestellt werden, so daß man die einzelnen Schichten plastisch vor sich haben wird. In einer weiteren Abteilung, die sich Problemen der Arbeitssicherheit im Bergwerk zuwendet, finden sich auch Gegenstände, die bei Unglücken eine Rolle gespielt haben: eine zerbrochene Grubenlampe (Radbod-Katastrophe 1908), ein Schuh, in den man einem eingeschlossenen Bergmann durch ein Notloch flüssige Nahrung träufelte – und ein Etui. dem ein unvorsichtiger Kumpel jene Zigarette entnahm, mit der er 1934 in Böhmen eine tödliche Grubenexplosion auslöste.

Das auffälligste Ausstellungsstück ist aber zweifellos jene Dampfmaschine von 1799 (die älteste erhaltene in Westdeutschland), die im Lichthof drei Stockwerke hoch emporragt. Bis 1932 arbeitete der Gigant in der SoIeförderung auf der Saline Königsborn bei Unna und verbrauchte riesige Mengen Kohle. Es sind weitgehend noch die (restaurierten) Originalteile, die nun in Bochum zu sehen sind. Am verblüffendsten sind wohl die Maschinensäulen, die antiken griechischen Vorbildern nachempfunden worden sind – ein industrieller „Klassiker“ in jedem Sinne also.

Eigentlicher Anstoß für den Neubau war das Fehlen eines akzeptablen Restaurants fürs Publikum (1985: 430 000 Besucher). Also enthält der neue Trakt, neben 2500 qm zusätzlicher Ausstellungsfläche, Depots, Werkstätten, Hörsaal und Seminarraum auch eine Cefeteria mit rund 130 Plätzen. Besucherfreundlich soll es auch am 27. und 28. September zugehen. An beiden Tagen ist der Eintritt frei.