60 Jahre Bundesliga – und der zwecklose Versuch, online eine BVB-Karte zu kaufen

Kurz nach 12 Uhr – und noch 55 Minuten Wartezeit bis zum Eintritt in den eigentlichen Ticketshop. (Screenshot von der BVB-Homepage)

Tätäääää! Großer Tusch. Heute ist es auf den Tag genau 60 Jahre her, dass die Bundesliga ihren Spielbetrieb aufgenommen hat. Die Gründung der höchsten deutschen Spielklasse war übrigens vom DFB in Dortmund beschlossen worden. Und das allererste Liga-Tor hat Timo Konietzka vom BVB erzielt – beim Auswärtsspiel gegen Werder Bremen. Die Grünweißen haben dann doch noch 3:2 gewonnen. Naja, Schwamm drüber. Es lässt sich derweil gar nicht ermessen, wie viel gesamtgesellschaftlicher Gesprächsstoff und verbra(u)chte Lebenszeit sich aus der Liga ergeben hat.

Apropos Lebenszeit. Damit zu einem allzeit dringlichen Thema beim BVB. Nein, es geht nicht um weitere Spielertransfers, sondern um dies: Während man sich andernorts schlicht und einfach eine Karte kauft, um ein Spiel zu sehen, ist das in Dortmund anders. Ganz anders. Hier muss man Zeit opfern und großes Glück haben. Selbst im europäischen Vergleich ist der Kartenabsatz beispiellos. Da sage noch jemand, die Bundesliga sei kein Erfolgsmodell. Hier ist sie jedenfalls eins.

In jedem Falle ausverkauft

Bei 81.365 Zuschauern wird im größten deutschen Stadion regelmäßig „ausverkauft“ gemeldet. Egal, gegen wen die Partie bestritten wird. Scherzbolde sagen, das Westfalenstadion sei schon proppenvoll, wenn der Platzwart den Rasen mäht. Satte 55.000 Plätze werden bereits durch Dauerkarteninhaber belegt (abzüglich derer, die am jeweilen Spieltag verhindert sind, ihre Tickets aber anderweitig vergeben). Bleiben rechnerisch also gerade mal 26.365 „freie“ Plätze, von denen wiederum das Gäste-Kontingent abgezogen werden muss – je nach Gegner mal mehr, mal weniger. Von Frei- und Gefälligkeitskarten (für Sponsoren etc.) mal ganz abgesehen.

Beispiel: Am 23. September geht es für die Borussia gegen den VfL Wolfsburg, der – gelinde gesagt – nicht allzu viele Fans zur Fahrt nach Dortmund mobilisiert. Also bleiben ein paar Plätze mehr für heimische Fans übrig. Doch was nützt es?

Habe mich also heute ins Abenteuer der Online-Kartenvergabe gestürzt. Wohlgemerkt: Es geht nicht etwa gegen die ungeliebten Bayern oder dito Leipzig, sondern eben gegen das nicht übermäßig attraktive Wolfsburg. Noch dazu kann ich mich – theoretisch mit zigtausend anderen Leuten – als Vereinsmitglied einloggen. Für uns Auserwählte gibt es den „freien“ Vorverkauf einen Tag vor dem offiziellen. Doch was nützt es?

„Ebenfalls per Zufallsprinzip“

Der Online-Zugang zum Ticketshop ist am entsprechenden Vorverkaufstag aus guten Gründen streng geregelt. Zitat aus der bürokratisch trockenen Erläuterung:

„Erst mit Beginn des Vorverkaufs (um 12 Uhr) wird eine festgelegte Anzahl an Personen per Zufallsprinzip in den Ticketshop gelassen. Alle Fans, die nicht sofort in den Shop geführt werden können (Hahaha! d. Red.), befinden sich dann in einem Warteraum, der transparent die Zeit angibt, bis die jeweilige Person an der Reihe ist. Die Position im Warteraum wird ebenfalls per Zufallsprinzip zugeteilt…“

Und wenn man sich nun schon um 10 Uhr einloggt? Dann bringt das offenbar auch keinen Vorteil: „Der Zeitpunkt, wann der Ticketshop (vor 12 Uhr) aufgerufen wird, ist nicht entscheidend für die spätere Ticketvergabe!“

Viele geben vorzeitig auf

Nun muss man also im virtuellen Warteraum ausharren. Ein kleines Männlein, das durch einen gelben Streifen auf ein Ziel hin schreitet, zeigt den Fortgang an. Wie niedlich. Jedoch ein schwacher Trost. Erste Meldung: 55 Minuten (!) Wartezeit bis zum ersehnten Eintritt in den Ticketshop. Offenbar geben an diesem Punkt manche schon auf, denn die Wartezeit verkürzt sich nun schneller, als die Uhrzeit voranschreitet. Plötzlich sind es „nur“ noch 42 Minuten, dann sprungweise 35, 29, 25, 18, 14, 8, 6, 5, 3… Bereits um 12.14 Uhr plus ein paar Sekunden ist die imaginäre Null-Linie erreicht, ich darf in die heiligen Hallen eintreten. Großes Oh und Ah!

Doch was ist das? Die knappe Viertelstunde hat anscheinend schon ausgereicht, dass andere Fans den gesamten Kartenbestand abräumen konnten. Ich verkneife es mir, sie „gierige Geier“ zu nennen. Ich wäre ja im Erfolgsfalle selbst einer gewesen. Jedenfalls heißt es an dieser Stelle, dass keine Karten mehr zur Verfügung stünden.

Einen anderen Browser benutzen? Längst probiert. Dauerfeuer mit der F5-Aktualisierungstaste? Zwecklos. Da muss man sich wohl ins Schicksal fügen.

 




Lob des Online-Treffens

Gestern auf dem Schreibtisch im Homeoffice: keine virtuelle, sondern eine sehr körperliche Begegnung mit Schriftgut. (Foto: Bernd Berke)

Ich will keinesfalls sagen, dass Corona „auch Vorteile hat“, das wäre zynisch. Doch der abgestufte Lockdown bringt Möglichkeiten mit sich, die – anfänglich zaghaft, nun schon entschiedener – erst jetzt so richtig genutzt werden und hoffentlich auch in Zukunft nicht klanglos verschwinden.

Ich rede nicht zuletzt pro domo: von virtuellen Pressekonferenzen und sonstigen Online-Treffen der Branche. Sicher, auch mit der Teilnahme an einem Videomeeting hinterlässt man einen „ökologischen Fußabdruck“, doch vermutlich einen weitaus geringeren, als wenn man leibhaftig zum Veranstaltungsort fahren würde.

Keine Strecke, keinen Stress

Und so weiß ich es zu schätzen, dass derzeit – eben auch im Sinne des Klimas – etliche Veranstaltungen ins Netz verlegt werden. Man spart Strecke um Strecke, Liter um Liter Kraftstoff, Fahrstress und Zeitaufwand. Und was die öffentlichen Verkehrsmittel betrifft, so wahrt man in heimischen Büro weitaus besser den gesundheitsdienlichen Abstand.

Ist es nicht wunderbar? Hier gibt es einen virtuellen Ausstellungsrundgang, dort eine netzbasierte Gesprächsrunde oder eine dito wissenschaftliche Tagung. Konkretes Beispiel: Schwerlich hätte ich mich eigens von Dortmund nach Berlin bewegt, um an der Jahrespressekonferenz des Goethe-Instituts teilzunehmen. Just heute kam per Mail eine Einladung zur digitalen Teilnahme. Aber sicher, das lässt sich machen. Es lebe das Homeoffice – zumindest als Ergänzung! Und mal ehrlich: Wie viele Dienstreisen waren und sind herzlich überflüssig; es sei denn, die allzeit Umtriebigen hätten mit ihren Terminen angeben wollen…

Bloß nicht wieder in die Versenkung

Wenn jetzt auch noch meine Webcam ein besseres Bild übermitteln würde, wäre es nahezu perfekt. Um aber in derlei Fällen übliche Sprüchlein zu verknüpfen: Man kann nicht alles haben und irgendwas ist immer, denn das Leben kein Ponyhof und es gibt Schlimmeres.

Natürlich wünschen wir uns alle, dass die Corona-Zeit ein Ende nehmen und es wieder mehr persönliche Begegnungen geben möge. Das Virtuelle, wir wissen’s, ist auf Dauer kein kompletter Ersatz. Aber bitte! Ob im Kulturbetrieb, im Pressewesen, in Schulen und Unis oder sonstwo: Lasst dann nicht alles Digitale gleich wieder in der Versenkung verschwinden! Abgemacht?




Übermut kommt vor dem Online-Crash

Gern schlage ich auch mal den Wirtschaftsteil auf, da geht es ja bekanntlich um die eigentlichen Triebkräfte des Gemeinwesens. Gestern brachte die FAZ-Sonntagszeitung (FAS) ein ganzseitiges Interview mit Nick Jue, dem Vorstandsvorsitzenden der Online-Bank ING Diba. Ja, das sind die, die seit etlichen Jahren mit dem Basketballer Dirk Nowitzki werben.

Handfestes analoges Geld, wenn auch nicht furchtbar viel. (Foto: BB)

Nix Smartphone! Handfestes analoges Geld, wenn auch nicht unfassbar viel. (Foto: BB)

Besagtes Institut ist „zufällig“ eine Bank meines Vertrauens. Und deren Chef zog im Zeichen des orangefarbenen Löwen (Markenzeichen des niederländischen Konzerns) ganz schön selbstbewusst, wenn nicht gar etwas übermütig vom Leder:

Die Zukunft des Bankwesens liege eindeutig im Internet, Filialen seien weitgehend überflüssig. Kernzitat: „Banking wird digital!“ Die ING Diba begreift sich (mit gewisser Berechtigung) als Vorreiter dieser Entwicklung.

Schon bald, so Jue, werde man Geldgeschäfte vorwiegend via Smartphone erledigen. Sein Haus sei in dieser Hinsicht bereits gut aufgestellt. Doch es gebe noch zu tun: „Ja. Wir brauchen die beste App, das sage ich meinen Leuten immer wieder.“ Weiter im Text: „Heutzutage kommt es vor allem auf Geschwindigkeit an.“ Die Kundschaft wolle nicht warten.

Auch damit nicht genug: Klassische Bankmitarbeiter benötige man „kaum noch“, denn: „Heute ist IT-Kompetenz gefragt.“ Jue setzte zusammenfassend noch einen drauf: „…die Kunden gehen nun mal nicht mehr in Bankfilialen, sondern erledigen fast alles online.“ Möglichst keine Scherze mit Namen, aber: Eigentlich erstaunlich, das Jue nicht den Künstlernamen Juchhuuu angenommen hat.

Screenshot von der ING Diba-Homepage

Screenshot von der ING Diba-Homepage

Warum ich seine goldenen Sätze zitiere? Warum ich mich daran geradezu weide und ergötze? Ihr habt es vielleicht ungefähr erraten. Just heute, am Tag nach der tönenden Sonntagsschau, gab’s bei der ING Diba, die quasi hundertprozentig aufs Internet setzt, einen stundenlangen Online-Ausfall. Nichts ging mehr. Jedenfalls nicht via PC. Haben sie sich bei den Sparkassen und Volksbanken, die – trotz fortlaufender Schließungen – noch ein paar Filialen vorhalten, etwa die Hände gerieben? Pfui, wie garstig! Falls es so gewesen sein sollte, wäre es wohlfeile, um nicht zu sagen billige Schadenfreude.

Aber halt! Noch feixe auch ich. Doch wenn ich beim Frankfurter Institut (deutscher Ableger der NL-Zentrale) wieder online gehen kann, sehe ich womöglich unangenehme Ziffern. Bestimmt eine optische Täuschung.

 




Print, du hast mich wieder! – Warum ich die Tageszeitung doch auf Papier lesen möchte

Jetzt ist es doch passiert. Ich habe das Online-Abo (m)einer überregionalen Tageszeitung wieder in ein Print-Abo umgewandelt. Dabei habe ich mich doch an dieser Stelle vor fast genau vier Monaten länglich darüber ausgelassen, welche Vorteile die elektronische Ausgabe habe.

Nun aber die Kehrtwende. Und warum?

Manchmal scheint einen die gedruckte Zeitung geradewegs anzuschauen. (Foto: Bernd Berke)

Manchmal scheint einen die gedruckte Zeitung geradewegs anzuschauen. (Foto: Bernd Berke)

Weil man eh schon viel zu viel im Netz herumhängt. Weil man, wie seinerzeit schon ahndungsvoll angedeutet, als nicht mehr ganz junger Mensch denn doch das quasi naturnahe Rascheln und den Geruch des Papiers vermisst. Weil das Blättern seit jeher ein sinnlicher Akt ist, weitaus körpergerechter als das Klicken. Weil Print die Augen und wohl auch die Nerven schont – von ärgerlichen Inhalten jetzt einmal abgesehen. Weil das Gedruckte nicht die bodenlose Ungeduld des Alles-sofort-haben-Wollens befördert, sondern ruhiges Abwarten lehrt.

Ja doch: Ich möchte wieder bis zum anderen Morgen warten können. Akute Neugier wird dann eben notfalls kurz im Netz gestillt, der Hauptanteil der Zeitungslektüre hingegen anderntags genüsslich absolviert, hin und wieder auch zelebriert. Geht mir weg mit euren atemlosen Live-Tickern. Immerhin macht die Zeitung, um die es hier geht, diesen Unsinn eh nicht mit.

Ich hätte es wissen können: Nach ein paar Wochen der verstärkten Nutzung hat sich der Reiz des Online-Abos recht schnell von selbst erledigt. Die Zahl der Zugriffe ist zusehends gesunken. Jetzt möchte ich wieder Inhalt statt Content. Jawohl, das ist ein Unterschied und hat auch mit der Art des Zugangs zu tun, nicht nur mit dem Wortlaut der Zeilen.

Freilich habe ich mich auch schon an die Nachteile der Papierlieferung erinnern müssen. Bei Regen ist die Zeitung nicht immer ansehnlich, manchmal auf Stunden hinaus unbenutzbar. Und die Zustellung klappt auch nicht immer. Gleich zum erneuten Beginn des Print-Abos fehlte das Blatt im Kasten, auch die zugesagte Nachlieferung am selben Tag klappte nicht. Dabei hat sich die Zeitung für die Änderung des Abonnements rund drei Wochen (!) Zeit gegönnt. Wofür ist eigentlich der Computer erfunden worden?

Dennoch bleibt es jetzt dabei. Vielleicht hängt die Rolle rückwärts indirekt damit zusammen, dass ich kürzlich auch die Musik auf Vinylplatten wiederentdeckt habe. Wenn das so weiter geht, werde ich am Ende wieder der analogen Fotografie frönen, in der Dunkelkammer herumtapern und Texte wieder mit mechanischer Schreibmaschine oder Füllfederhalter zu Papier bringen. Yesterday, all my troubles seemed so far away…

Gerade merke ich, dass ich den letzten Sätzen andauernd das Wort „wieder“ aufgetaucht ist. Man geht ja längst hinterdrein. Phantasien der Wiederholung, ein allseitiges Festhaltenwollen. Ob das wohl mit der Angst vor tödlichem Schwund zu tun hat? Welch eine Frage.




Games und Gaffer – das tägliche und manchmal tödliche Elend mit den Smartphones

Eigentlich sollte man alle „Smartphones“ in den Orkus werfen. Dann Deckel drauf. Fertig. Und keine Wiederkehr. Warum ich so wütend bin? Abwarten. Kommt gleich.

Manchmal sind die Dinger nützlich, gewiss. Doch sie richten immensen Schaden an.

Nein, es geht nicht in erster Linie zum 1000. Mal darum, dass so viele Zeitgenossen (nein: zeitabwesende, geisterhafte Gestalten) ständig auf die lächerlichen Bildschirmchen stieren und starren, um sich aller wirklichen Umgebung zu entziehen. Nähme man ihnen die Handys weg, wüssten gar manche wohl nicht, was sie mit sich und der Welt noch anfangen sollten.

Man hat ja selbst auch so'n Zeug. (Foto: BB)

Man hat ja selbst auch so’n Zeug. (Foto: BB)

Auch geht es jetzt nicht um Autofahrer, die durch „Simsen“ oder sonstigen Handy-Gebrauch werweißwieviele Unfälle verursachen.

Hier dreht es sich vielmehr um zwei Nachrichten der vergangenen Tage, die einem gleichermaßen Schrecken einjagen:

Zum einen besteht der dringende Verdacht, dass der Fahrdienstleiter, unter dessen Aufsicht (Aufsicht?) das schreckliche Zugunglück von Bad Aibling geschehen ist, durch ein Online-Game auf seinem Handy abgelenkt war. Der 39-Jährige sitzt deshalb in U-Haft, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Elf Tote und 85 Verletzte wegen eines läppischen Computerspielchens? Ach, wäre es doch nicht wahr…

Weiter nordwärts, in Hagen am Rande des Ruhrgebiets, gab es am letzten Mittwoch eine unfassbare Steigerung des ohnehin schon elenden „Gaffens“. Ein zehnjähriges Mädchen war von einem Auto angefahren worden, ein Rettungshubschrauber musste es in eine Spezialklinik bringen.

Die Helfer hatten eigens Tücher aufgehängt, welche das schwerverletzte Mädchen vor neugierigen Blicken schützen sollten. Tatsächlich hat ein ungebetener Zuschauer eines der Tücher weggerissen, um die Szenerie mit seinem Smartphone besser ablichten zu können. Angeblich soll er es auch so idiotisch begründet haben: „Das muss ich so machen, ich kann sonst nicht richtig filmen.“ Was für ein armseliger Wicht.

War’s ein selbsternannter „Bürgerreporter“, der den Film womöglich noch verkaufen wollte? Egal. Er war wahrscheinlich der übelste, aber beileibe nicht der einzige Schaulustige, der im Umkreis des lebenswichtigen Einsatzes die Grenzen allen Anstands überschritten hat. Auch andere haben nach Kräften Film- und Fotoaufnahmen gemacht. Ob sich andere Passanten dagegen gewendet haben? Davon ist leider nichts zu lesen.

Aber hat denn die Polizei gar keine richtige Handhabe gegen solche ruchlosen Leute? Offenbar blieb ihr nichts übrig, als das schäbige Verhalten im Internet zu brandmarken. Wenigstens das.

Für einen unmissverständlich formulierten „Gaffer-Paragraphen“ wäre ich sofort zu haben. Statt dessen steht bei uns immer noch „Majestätsbeleidigung“ unter Strafe…

Spontan möchte man also am liebsten die Geräte einstampfen und sich für immer davon verabschieden. Mir ist schon klar, dass das vollkommen illusorisch ist. Auch der innige Wunsch, dass man die hochgerüsteten Handys einiger Funktionen beraubt, so dass man mit ihnen nicht mehr ins Netz gehen oder fotografieren könnte, sondern nur – wie ehedem – telefonieren; auch dieser Wunsch wird ein frommer bleiben. Es ist ein Jammer.

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Mit Nachrichtenmaterial von www.spiegel.de (Bad Aibling) und www.derwesten.de (Hagen)




Ausstellung „Digitale Folklore“: Damals, als das Internet noch eine freie Spielwiese war

Es gibt Gelegenheiten, bei denen man sich ziemlich alt vorkommt, noch besser gesagt: ziemlich weit ab vom (allerdings auch schon längst verflossenen) Hauptstrom des Geschehens.

Mir war jetzt ein solches Gefühl beim Rundgang durch die Dortmunder Ausstellung „Digitale Folklore“ beschieden. Ohne kundige Führung hätte ich wenig von den technischen Details verstanden. Somit war’s auch gleichsam fremdes kulturelles Gelände.

Dabei ging es gar nicht mal um stürmische Avantgarde, sondern um eine neuere Form der Nostalgie, nämlich um wehmütige Rückblicke auf die Zeiten, als es im Internet gemeinhin noch recht wildwüchsig vonstatten ging; als Hunderttausende, zumeist fröhlich dilettierend, vor allem im angloamerikanischen Sprachraum die Möglichkeiten des noch so jungen Mediums erprobten und vielfach erstaunliche Kreativität freisetzten – auch beim freimütig frechen Abkupfern einzelner Elemente aus anderen Webseiten.

"Willkommen" (Bild: One Terabyte of Kilobyte Age Archive, Ausstellung "Digitale Folklore" - © Geocities Research Institute)

„Willkommen“ (Bild: One Terabyte of Kilobyte Age Archive, Ausstellung „Digitale Folklore“ – © Geocities Research Institute)

Wir sprechen von den 1990er Jahren, als geringste Mittel und Speicherplätze für den Online-Auftritt ausreichen mussten. Gerade diese Beschränkungen stachelten offenbar den Erfindergeist an.

Zoomen wir uns noch etwas genauer heran: Die Netzkünstler und Kuratoren Olia Lialina und Dragan Espenschied richten für den HMKV (Hartware MedienKunstVerein) im „Dortmunder U“ eine Schau über jene Relikte aus, die sie vom einstigen Online-Dienst Geocities gerade noch rechtzeitig durch eilige Kopien haben retten können.

Es sind immerhin 28 Millionen Dateien, die sich nunmehr im „One Terabyte of Kilobyte Age Archive“ befinden und allmählich mühsam gesichtet und erschlossen werden. Manche Zeichen und Abläufe kann man mit heutigen Browsern gar nicht mehr darstellen. Also gilt es zu rekonstruieren und zu restaurieren, wie nur je bei herkömmlichen Kunstwerken.

Es ist ein Forschungsprojekt sondergleichen, bei dem Selbstdarstellungen jeder Couleur, zahllose Fan- und Haustierseiten sowie alle denkbaren Formen der Populär- und Alltagskultur in Betracht kommen. Übrigens: Auch niedliche Katzenbildchen zählten in den frühen Jahren schon zum festen Bestand des Mediums. Auch hierbei ist Facebook nur die Nachhut.

Nach den markanten Kostproben in der Ausstellung kann man es sich lebhaft vorstellen: Da sind wohl diverse Sumpfgelände dilettantischer Hervorbringungen zu durchwaten, aber auch manche Schätze zu heben. Mit der Zeit dürfte sich zudem eine Typologie für die Frühzeit des Internets herauskristallisieren, die bei künftigen Forschungen als Leitseil dienen könnte.

Universale Schöpfung (Bild: One Terabyte of KIlobyte Age Archive, Ausstellung "Digitale Folklore - © Geocities Research Institute)

Universale Schöpfung (Bild: One Terabyte of Kilobyte Age Archive, Ausstellung „Digitale Folklore – © Geocities Research Institute)

1994 war die nach Art einer Stadt in Zonen und Viertel gegliederte Geocities-Plattform begründet worden. War man beispielsweise Verschwörungstheoretiker, so siedelte man seine Seite in „Area 51“ an, Fantasy-Freunde gingen hingegen in den Zauberwald.

Doch ach! Die große Freiheit währte nicht allzu lange. 1999 wurde Geocities zum Schrecken vieler Online-Aktivisten an den Konzern Yahoo verkauft, der die virtuelle Globalstadt vernachlässigte und sie 2009 endgültig in den Orkus der Web-Historie stieß, vulgo: löschte. Man darf getrost von einem barbarischen Akt sprechen, bei dem Millionen handgemachter Webseiten verschwunden sind. Von wegen, das Netz vergisst nicht…

Das digitale Archiv, auf dem die flimmernde Ausstellung ausschnitthaft basiert, enthält Überbleibsel von genau 381.934 Geocities-Homepages. In jenen Gründungsjahren nach 1994 war alles noch Experiment. Es gab keine vorgefertigten Tools zum Erstellen von Webauftritten. Die Nutzer bastelten freihändig an neuen Möglichkeiten. Und während heute soziale Netzwerke das Tun und Lassen ihrer User in vorgezeichnete Bahnen lenken, herrschte damals vergleichsweise technische und ästhetische Anarchie.

Besonders die Frames (Rahmensystem, mit dem sich mehrere Dokumente auf eine Seite stellen ließen) und noch mehr die animierten GIFs (Bildformat, dem mehr oder minder trickreich sekundenkurze Bewegung eingehaucht wurde) erwiesen sich als ideale Ausdrucksformen der Pioniertage. Die Ausstellung zeigt frappierende Beispiele dieser Endlosschleifchen, die sich summarisch kaum hinreichend beschreiben lassen. Eines der berühmtesten GIFs war der Peeman (Pinkelmann), der stracks über den Bildschirm lief und hernach auf alles urinierte, was der Netzgemeinde suspekt oder verhasst war – ob nun auf Hitler, die als öde geltende Automarke Ford, Britney Spears oder Geocities selbst…

Es muss eine schier unendlich erscheinende Spielwiese der Improvisationen gewesen sein, die sich da den Amateuren auftat. Allein die immense Vielfalt der „Baustellenschilder“ („under construction“), der Ankündigungen (demnächst neuer Webauftritt) und Abschiede (Website aufgegeben) lässt ahnen, dass hier eine lebendige Netz-Kultur geradezu wucherte, die inzwischen wie weggewischt und fast schon wieder vergessen ist. Insofern kann man wahrhaftig von Medienarchäologie sprechen, die zu restaurieren, zu interpretieren und mit künstlerischen Mitteln anzuverwandeln sucht, was noch übrig ist.

Zusehends haben dann Profis die Definitionsmacht über das Internet an sich gezogen. Sie machten sich im Netz und in Büchern über misslungene Webseiten der Amateure lustig und prangerten sie als Peinlichkeiten an. Heute sehen wir, wofür sie den Boden bereitet haben.

„Digitale Folklore“. 25. Juli bis 27. September beim Hartware MedienKunstVerein, 3. Ebene im „Dortmunder U“ (Leonie-Reygers-Terrasse, 44137 Dortmund). Geöffnet Di/Mi/Sa/So 11-18, Do/Fr 11-20 Uhr. Eintritt frei. Öffentliche Führungen sonn- und feiertags 16 Uhr, donnerstags 18 Uhr. www.hmkv.de




Lebloser Liveticker

Früher standen „Ticker“ (in grauer Vorzeit waren damit Fernschreiber gemeint) mal für halbwegs wichtige Nachrichten, die wenigstens ein Stückchen Papier wert waren. Heute wird bekanntlich jeder Flach- und Unsinn online mit einem „Liveticker“ verfolgt.

Beispielsweise heute wieder: Die Mannschaft des krisengeplagten BVB hebt zum Flug nach Istanbul ab und die Ruhrnachrichten sind atemlos online dabei. Es könnten aber auch eine andere Homepage und eine andere Geschehnislosigkeit sein.

Erregender Screenshot (vom Mac abgeknipst: Bernd Berke)

Erregender Screenshot (vom Mac abgeknipst: Bernd Berke)

Alles andere wäre ja eine Nachricht; wenn sie beispielsweise n i c h t nach Istanbul aufbrächen. Sie müssen halt am Mittwoch da unten in der Champions League bei Galatasaray antreten. Also müssen sie vorher hin. So wird das Selbstverständliche in lauter kleine Zeithäppchen zerhackt und wie folgt dargeboten:

Zitat: „11.50 Uhr: Mehr vom Abflug der Borussen gleich in Bild und Ton an dieser Stelle. Dranbleiben!“

Stillhaltebefehl also. Wird natürlich befolgt. Die Spannung ist ja auf dem Siedepunkt angelangt.

Und dann die Erlösung: „12.14 Uhr: Der BVB-Flieger befindet sich jetzt in der Luft und wird gegen 15 Uhr in Istanbul eintreffen.“

Wie gut, dass ich drangeblieben bin.

Nur wenig später darf man auf einer langen, langen Klickstrecke auch noch Fotos aus der Dortmunder Abflughalle sehen. Dazu gibt’s noch ein dürftiges Filmchen. Profis mit Rollkoffern. Profis in Anzügen. Und Autogramme geben sie auch noch. Aha, aha.

Auch bei der Landung wird hernach Vollzug gemeldet. Es soll an nichts fehlen.

Es passiert nichts Nennenswertes, aber dieses Nichts wird unentwegt breitgetreten. Auf die nächste Nullnachricht zu warten, ist an Sinnlosigkeit kaum zu überbieten. Früher hätte man gesagt: Macht euren Bericht erst mal fertig, dann lesen wir (vielleicht) das Resultat. Heute soll man die Formulierungsnöte Schritt für Schritt begleiten. So leblos kann „live“ sein.




Lektüre der Zukunft kommt direkt aus der Steckdose – Buchmesse: Elektronische Technik immer bedeutender

Von Bernd Berke

Frankfurt. Es ist schon erstaunlich: Mögen andere Branchen auch klagen – der Buchhandel, so scheint’s, wächst und gedeiht. Und das, obwohl man doch allenthalben den Verfall der Lesekultur beschwört. Zur Eröffnung der 47. Frankfurter Buchmesse wurden gestern die neuesten Zahlen bekannt. Danach verzeichnete man bis zum Herbst ein Umsatzplus von zwei Prozent gegenüber 1994.

Signal für den Wohlstand: Auch die Messe selbst ist nochmals angeschwollen – auf 6497 Verlage an Einzelständen (plus 2392 kollektiv präsentierte) und auf 330 000 verschiedene Bücher (davon 93 000 Neuerscheinungen). Weltmeister in der Produktion neuer Titel sind übrigens die Briten vor Deutschland und den USA.

Gewiß: Ein Teil des Geldes wird mittlerweile mit elektronischen Medien (CD-Rom) verdient. Gerhard Kurtze, Vorsteher beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels, vermag aber nicht zu sagen, um welche Größenordnungen es dabei geht.

Der Computer gehört dazu

Immerhin: Rund neun Prozent der deutschen Haushalte verfügen bereits über Personalcomputer mit CD-Rom-Laufwerk, aber nur in Frankreich hat man schon exakte Statistiken zur Mediennutzung. Danach werden etwa 7,5 Prozent des Buchhandels-Umsatzes mit Multimedia-Produkten erzielt.

Doch kaum sind die silbernen Datenscheiben normaler Bestandteil der Buchmesse, da öffnet sich schon ein neues Einfallstor für die Computertechnik. Kurtze kündigte einen ersten Versuch der Verlage mit „Online“-Informationen an, der schon auf der Messe seine Premiere erlebt und Mitte 1996 zur breiteren Pilotphase ans Netz gehen soll. „German Publishing Infoline“ (GPL) heißt das Wortungetüm.

Volltexte von zu Hause aus abrufen

Dahinter verbirgt sich die Möglichkeit, per Computer von daheim oder irgendwo sonst zum Beispiel umfangreiche Buchkataloge abzurufen und elektronisch durchzublättern. Schon bald sollen sogenannte „Volltexte“ – also Inhalte ganzer Bände – durch die Leitung kommen. Solche Bücher aus der (Telefon)-Steckdose darf man dann natürlich nur gegen Nutzungsgebühr anzapfen.

Bei den herkömmlichen Büchern zwischen zwei Deckeln gibt es unterdessen ein Problem, das der Elektronik nicht droht: außerordentlich gestiegene Papierkosten, die – so bedauerten die Spitzenfunktionäre des Handels in Frankfurt – nicht mehr ohne weiteres auf die Preise aufgeschlagen werden könnten.

Bücher aus und über Österreich sind diesmal das Schwerpunktthema der Buchmesse. Erstmals wird damit ein deutschsprachiges Land besonders hervorgehoben. Doch die Autoren und Verlage aus der Alpenrepublik wollen zeigen, daß sie nicht als Sonder- und Spezialfall „deutscher“ Literaturen abgehandelt werden können, sondern einen höchst eigenständigen Beitrag zum Weltgeist leisten.

Warten auf die Preisvergabe

Festliche Krönung der Messe soll – wie in jedem Jahr – die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in der Paulskirche sein. Doch um die Preisträgerin, die Orientalistin Annemarie Schimmel, gibt es bekanntlich heftige Debatten, die auch jetzt nicht verstummen wollen. Der Börsenverein verteidigte auch gestern die Entscheidung seiner Jury.

Die Preisvergabe stehe für die Hoffnung, einen vernünftigen Dialog mit dem Islam in Gang zu setzen und so dem Fundamentalismus gerade Einhalt zu gebieten, hieß es sinngemäß. Von wem der ursprüngliche Vorschlag kam, Frau Schimmel zu ehren, wurde nicht verraten. Gerhard Kurtze vom Börsenverein wollte nur zwei Gerüchte vom Tisch haben: Die Anregung sei weder von Bundeskanzler Kohl noch von Bundespräsident Herzog gekommen.

Frankfurter Buchmesse, 11. bis 16. Oktober für Fachbesucher (fürs allgemeine Publikum nur Samstag/Sonntag, 13. und 14. Okt.), jeweils 9 bis 18.30 Uhr. Tageskarte: 12 DM.

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KOMMENTAR

Wird die CD-Rom bald schon altmodisch sein?

Denken wir mal ein wenig voraus: Es ist gut möglich, daß wir bald nicht nur Bücher mit nostalgischen Gefühlen betrachten, sondern daß wir in naher Zukunft auch von der „guten alten CD-Rom“ reden.

Diese Datenplatten, die das Buch nicht ablösen, aber ergänzen sollen, wären nämlich dann schon wieder veraltet. wenn auf breiter Front eintritt, was gestern zum Start der Frankfurter Buchmesse als Testprojekt angekündigt wurde: Die Verlage wollen Texte. Bilder und Töne kompletter Bände per Telefonnetz („online“) zur Verfügung stellen.

Das hört sich verführerisch bequem an, hätte man doch die Möglichkeit, gegen Gebühr praktisch immer und überall auf solche Angebote zurückzugreifen. Sprich: Es gäbe keine Ladenschlußzeiten für Leser. Wäre das nicht sogar ein Zugewinn an Kultur?

Doch zugleich taucht auch ein Menetekel am Horizont auf: Während die Buchhändler sich auf die CD-Rom-Technik noch einstellen konnten, indem sie – mehr oder weniger widerstrebend – die Platten einfach mit in ihr Angebot aufnahmen, so könnten sie mit der neuen Variante ausgespielt werden. Denn das Buch, das „aus der Steckdose“ quillt, hätte eigentlich keinen Zwischenhandel mehr nötig. Der Verbraucher könnte direkt mit dem Verlag in Verbindung treten. Und dann müßte der heutige Buchhändler entweder aufgeben oder selbst zum Anbieter, zum Verleger werden.

Da droht also auf mittlere Sicht eine ganze Branche „wegzubrechen“. Die Frage ist, ob man diese Entwicklung ganz dem freien Spiel der Kräfte überlassen sollte.

Bernd Berke