Entdeckung in Berlin: „Eine Frau, die weiß, was sie will“ – Operette, zur Farce zugespitzt

Vielleicht waren es nicht nur Zwänge der Disposition, die Barrie Kosky veranlassten, die Premiere von „Eine Frau, die weiß, was sie will“ auf den 30. Januar zu legen. An dem Tag, an dem vor 82 Jahren Hitlers Gefolgsleute mit Fackeln durchs Brandenburger Tor zogen, um die „Machtübernahme“ zu feiern, fegte die Operette von Oscar Straus über die Bühne der Komischen Oper – des einstigen Metropol-Theaters, wo das Zugstück für die damalige Diva Fritzi Massary 1932 seine Uraufführung feierte.

Straus und Massary waren Opfer der Hetze der Nazis: Die eine verließ schon Ende 1932 Deutschland, der andere hatte im neuen Reich keine Chance und musste schließlich Europa verlassen: Die Lust auf scharfzüngige Satire und kabarettistischen Witz haben sich die Deutschen gründlich ausgetrieben.

Barrie Kosky hat die Komische Oper Berlin, das ehemalige Metropol-Theater, wieder zu einer Hochburg der Operette gemacht. Foto: Werner Häußner

Barrie Kosky hat die Komische Oper Berlin, das ehemalige Metropol-Theater, wieder zu einer Hochburg der Operette gemacht. Foto: Werner Häußner

Kosky setzt mit „Eine Frau, die weiß, was sie will“ seine verdienstvolle Reihe kaum mehr gespielter, aber exemplarischer Operetten aus der Zeit vor der Naziherrschaft fort. Und er richtet den Blick auf das, was aus dem Genre auch hätte werden können: Straus, mit seiner Erfahrung mit dem „Überbrettl“, dem ersten musikalischen Kabarett Deutschlands, orientierte sich weniger an der klassischen Form der Operette, sondern an den früher beliebten Vaudevilles – typisierenden Singspielen –, an leichtfüßig-flinken Boulevardkomödien à la Georges Feydeau und natürlich am Kabarett und der Revue mit ihren frechen Songs, ihren politischen und erotischen Zweideutigkeiten. Konsequent nannte er das Stück auch „musikalische Komödie“.

Der Intendant der Komischen Oper schärft als Bearbeiter die Sinnspitze dieser Operette noch einmal so, dass sie wirklich zustechen kann: Er verweigert sich der Bühnen- und Ausstattungs-Opulenz, dampft die 30 Rollen ein und lässt sie von zwei Darstellern spielen: Dagmar Manzel darf sich in sieben wiederfinden; Max Hopp wirbelt durch mehr als ein Dutzend Figuren. Die Bühne ist reduziert auf den dunkelroten Vorhang, der nur einen Ausschnitt freigibt: Eine Wand, eine Tür, zwei Lüster. Minimalistischer, aber auch konzentrierter geht es wohl nicht.

In diesem Mini-Raum wird agiert – aber wie! Klar, dass Kosky das Spiel mit Rollen- und Geschlechteridentitäten wieder lustvoll ausnutzt: Wer Mann ist, wer Frau, spielt keine Rolle. Auch damit spitzt er ein Kennzeichen der Operette zu.

Ein anderes Merkmal ist das Balancieren mit Sein und Schein. Dagmar Manzel ist die Diva, die eine Diva spielt – in diesem Fall die Operettenprimadonna Manon Cavallini. Die ist gleichzeitig Mutter einer unehelichen Tochter. Beide Damen kommen sich ins amouröse Gehege: Die Jüngere projiziert auf genau den Mann ihre pubertäre Glut, in dem die Ältere ihren „Frühling“ erkennen will. Das hat turbulente Folgen, aber es gibt ja noch Tugenden wie Verzicht und Mutterliebe: Am Schluss hört die Mutter den „Schrei der Natur“, es richtet sich alles und der Wertekanon des braven Publikums bleibt, zumindest vordergründig, unerschüttert.

Straus treibt mit dem Genre ein raffiniertes Spiel – und Kosky hat das analytisch durchleuchtet und dennoch nicht in ein erdrückendes Konzept, sondern in eine rasante Farce gefasst. Schon diese „Diva“ ist es wert, genauer besehen zu werden: Sie ist die „Frau, die weiß, was sie will“ und ihr Bekenntnis – der Ohrwurm der Operette – fasst alles zusammen, was eine selbstbewusste, emanzipierte Großstädterin von damals kennzeichnet.

Fritzi Massary, die legendäre Operettenkönigin Berlins zwischen 1910 und 1928, kehrte mit dieser Rolle auf die Musikbühne zurück – bezeichnenderweise für das Geld, das ihr die „Freiheit gibt“. Und Straus schuf mit seinem Librettisten Alfred Grünwald für die Bühne die Frau, als die sich die Massary auch außerhalb des Theaters inszenierte.

Dass diese Diva am Ende sich als treu sorgende Mutter offenbart, ist maliziöse Ironie, Dekonstruktion der unnahbaren Theatergöttin, aber auch Humanisierung einer Rolle, in der ein Mensch kaum sein Leben verbringen möchte: Christoph Marti, die „Clivia“ in Nico Dostals gleichnamiger Operette an der Komischen Oper, beharrte bei einer Podiumsdiskussion strikt auf der Trennung von Bühne und Privatem: „Diva“ sein bedeute eben nicht Glamour und Freiheit, sondern Selbstdisziplin, Arbeit, Verzicht und Befriedigung von Erwartungshaltungen. In Oscar Straus‘ Komödie spiegelt sich so spielerisch wie ernst diese ambivalente Bedeutung der „Diva“.

Dass Manzel diese Aspekte mit einem Tempo und einer Leichtigkeit verkörpert, die anderswo so schnell nicht zu finden sind, muss nicht extra betont werden. Sie freundete sich schon 2002 am Deutschen Theater in der „Großherzogin von Gerolstein“ mit dem musikalischen Lachtheater an und ist seit „Sweeney Todd“ (2004) nicht mehr aus der Komischen Oper wegzudenken. Jetzt schlüpft sie in Sekundenschnelle nicht nur in verschiedene Kostüme (unendlich kreativ: Katrin Kath), sondern in gegensätzliche Charaktere – eine gekonnte Revue der spezialisierten Rollenklischees, von denen Operette lebt, vom komischen Alten über die Dienerfigur bis zum Liebhaber.

Sie kreiert einen eigenen Tonfall: Der Abstand von Massarys raffiniertem Stimmeinsatz ist nicht zu verschleiern – Manzel ist eben mal keine klassisch gebildete Sängerin –, aber er gebiert eben auch eine andere Freiheit: die des Wortes, der Tonfall-Geste, des nuancierten Virtuosität des Sprechens, der angedeuteten Frivolität wie des poetischen Innehaltens. Und Straus hält sich mit Forderungen an Stimmvolumen oder -umfang so zurück, dass Manzel in jedem Moment ungefährdet bleibt.

Noch einen Zahn zulegen muss Max Hopp: Seine Verwandlungen sind schwindelerregend schnell getaktet, vom rosa Flatterkleid von Töchterchen Lucy sind es nur wenige Sekunden zu Frack und Zylinder. Preußisches Geschnarre folgt auf sächsisches Gebrabbel, der affektierte Reigen kunstvoll gedrehter Handgelenke und verzweifelt weggeworfener Arme kontrastiert sofort mit eckig-militärischen Bewegungen oder aufgedrehter Verzweiflung. Und das Tempo steigert sich, wenn Manzel und Hopp zu zweit gleichzeitig in vier Rollen schlüpfen, säuberlich gehälftet und je nach Drehung Frau oder Mann.

Das ist nicht nur höchst präzises Lachtheater, das sind auch Meisterleistungen von Kostüm- und Maskenbildnern: Chapeau für die Unsichtbaren, die in den 90 Minuten hinter der Klapptür keinen Moment die Konzentration verlieren dürfen.

Musikalisch in besten Händen ist die leichte, quirlige, beredte Partitur von Oscar Straus bei Adam Benzwi am Flügel. Das frei Schwingende in der Musik wird nicht sentimental, das Maschinelle nicht steif. Tempo und Timing stimmen, der Stimme wird ihr Recht eifersuchtslos eingeräumt. Das Orchester der Komischen Oper spielt luftig süß, nie schwer oder klebrig. Straus als musikalischer Aquarellist ist in dieser Operette immer fein, transparent, liebevoll zart, schaut eher zurück auf Franz von Suppé als zur Seite, wo Paul Abraham etwa ein grandioses orchestrales Klangfarbenspektakel mit modernen Zügen entfaltet. Das war Operette vom Feinsten, wie sie heute wohl nur an der Komischen Oper zu erleben ist. Riesengroßer Beifall!

Weitere Infos: http://www.komische-oper-berlin.de/spielplan/eine-frau-die-weiss-was-sie-will/




Warnung für Wagnerianer: „Die lustigen Nibelungen“ treiben’s bunt in Krefeld

Da hängen sie, die hohen und höchsten Herrschaften, die Heroen des Geistes und der Kunst: Cosima Wagner und Wilhelm der Zwote, bespeerter Wotan und behelmte Walküren. Die Bildparade des deutschnationalen Salons vor hundert Jahren. Halt, nicht ganz: Der Sänger Jonas Kaufmann passt da nicht ganz rein. Oder doch? Als Verehrungsobjekt der Wagnerianer anno 2012? Hinrich Horstkotte hat sich in seinem Bühnenbild zur Operette „Die lustigen Nibelungen“ in Krefeld diesen Seitenhieb nicht verkneifen können. Und damit augenzwinkernd angedeutet, dass wir vielleicht so weit gar nicht entfernt sind von irrationalen psychologischen Determinierungen, wie sie vor 100 Jahren unsere Urgroßväter auf den unseligen Pfad in die Katastrophe Europas gleiten ließen.

Ein Element der wilhelminischen Gesellschaftsideologie war die Ersatzreligion, deren Gottesdienstzeiten mit den Anfangszeiten von Wagners Werken in den Opernhäusern zusammenfielen. Ein anderes kennen wir noch aus dem Stichwort der „Nibelungentreue“. Dass es mit dieser „Treue“ in der meuchelnden Horde der sagenhaften Urzeitanrainer des Rheins nicht weit her war, kann jeder in den mittelalterlichen Großwerken der deutschen Literatur nachlesen. Die einäugige Reduktion der Stoffe um Kriemhild, Gunther und Dietrich von Bern, wie sie das deutsche Großbürgertum gemeinsam mit Adel und Militär des Deutschen Kaiserreichs betrieb, ließ einen Herrn mit dem Pseudo-Namen „Rideamus“ – bürgerlich: Fritz Oliven – zur satirischen Feder und einen anderen Herrn namens Oscar Straus zu Notenblättern greifen.

Heraus kam 1904 am Wiener Carl-Theater und kurz darauf in Berlin ein Skandal: die Operette „Die lustigen Nibelungen“. Nicht nur die Wagnerianer, nein, der Deutsche an sich war empört! Die heiligsten Werte des Reiches in Schmutz und Schande! Die kritischen Reaktionen auf das Werk haben ob ihrer polemischen, unfreiwillig komischen Substanz heute noch ähnlich hohen Unterhaltungswert wie die Operette. Und die kam, mit beträchtlichem Erfolg, jetzt am Theater Krefeld zur Aufführung.

Träger teutonischer Tugend: Die "Nibelungen" in Krefeld. Foto: Matthias Stutte

Träger teutonischer Tugend: Die "Nibelungen" in Krefeld. Foto: Matthias Stutte

Ja, da hängen die Träger teutonischer Tugend an der Wand. Und davor versammelt sich die illustre Gesellschaft am Hofe zu Burgund. König Gunther und seine Eltern, Kriemhild, die „minnige“ Maid und der „grimme“ Onkel Hagen, Volker und Giselher, die Recken. Sie sind ratlos, denn Gunther hat in einem Anfall von Selbstüberschätzung ein Weib gefordert, das ihm körperlich hoffnungslos überlegen ist: Brunhild heißt die isenländische Turandot, die bisher noch jeden Freier nach Walhall befördert hat.

Nun hat Gunther alles andere als Lust, seinen Vorgängern in das germanische Kriegerparadies zu folgen. Man sinnt auf Hilfe – und besinnt sich auf Siegfried aus den Niederlanden, einen erfolgreichen Unternehmer im Drachentöten, reich, stark und vor allem unverwundbar. Bis auf eine kleine Stelle, die einst beim abhärtenden Drachenblutbad von einem zufällig herabsegelndem Lindenblatt abgedeckt ward. So naht das Verhängnis, denn: „Von vorne, da ist er ganz von Horne“, aber „von hinten kann man ihn überwinden.“

Der Kampf: Gunter hat wenig Chancen gegen die wilde Brunhild! Foto: Matthias Stutte

Der Kampf: Gunter hat wenig Chancen gegen die wilde Brunhild! Foto: Matthias Stutte

Die bitterböse Persiflage von Oscar Straus – gar nicht zu verwechseln mit dem „Fledermaus“-Autor Johann Strauß – wurde von Hinrich Horstkotte 2011 am Theater Mönchengladbach in Szene gesetzt und wirkt jetzt bei ihrer Übernahme in Krefeld als unterhaltsame Satire auf die verlogenen Werte einer Gesellschaft, der es im Grunde nur um Geld, Gold und Aktienkurse geht. Nicht weit entfernt vom Heute also, das sich von der wilhelminischen Gesellschaft insofern unterscheidet, als man sich nicht mehr die Mühe macht, mit vorgetäuschten Werten Gier und Geldgeilheit zu ummanteln, sondern diese ungeniert selbst zu Werten erklärt.

Horstkotte bedient sich aus der Fülle kennzeichnender Chiffren des Zeitgeistes: Fellröcke und Farbenbänder, Pickelhaube und Biertönnchen, Wotanhelm und Walkürenbrünne. Der gleißnerische Zauber der Montur und der faulig schimmernde Schein „werkgerechter“ Wagner-Inszenierungen mischen sich zu einem Mix, der ebenso skurril ist wie uns die Weltanschauung von damals vorkommt. Auch wenn er seine Figuren manchmal zu viel zappeln lässt: Die Wirkung ist in höchstem Maße heiter.

Dazu tritt die Musik von Oskar Straus, mit Verve und Stilgefühl dirigiert von dem jungen Österreicher Andreas Fellner. Er findet die Tonlage zwischen martialischem Marsch und süffisantem Walzer. Klar, dass die protzige Burgunder-Hymne in der Ouvertüre als mächtige Fuge beginnt, dann freilich ratlos im hohlen Pathos endet, um von einem Weber’schen Cello-Solo abgelöst zu werden. Wir wollen ja Gefühl zeigen!

Straus setzt auch auf unregelmäßige Perioden und Texte, die nach Art des britischen Duos Gilbert & Sullivan komisch-geschwätzig ins Metrum der Musik gezwungen werden. „Lohengrin“ wird zitiert, wenn sich die Braut im Gemach für den Gemahl bereitet. Straus kennt die musikalischen Wagner-Epigonen seiner Zeit genau und setzt ihre trivialpathetische Musik scheinbar todernst ein, bevor sich wieder alles in frivole Galopps oder Walzer auflöst. Ein musikalische Spaß, mit leichter Feder hingezaubert, und heute noch sehr amüsierlich.

Die Darsteller geben in Krefeld ihr Bestes: Markus Heinrich erlegt als Siegfried mit den putzigen Pflegedrachenkindern Titzel und Tatzel die muskelprotzende und stimmstarke Brunhild (Janet Bartolova) sozusagen mit dem kleinen Finger. Mama Ute als kauzige Mischung aus Göttin und Großbürgerdame mit Cosima-Nase (Eva Maria Günschmann) und Gatte Dankwart in schimmerndem Militärflitter (Hayk Dèinyan) haben ihre liebe Not mit ihrem hasenherzigen Sohn Gunther, einer dürren, weinerlichen Latte (Rafael Bruck) von perfektem Nicht-Format.

Rochus Triebs, der Held Volker, offenbar ein alter Urning, dreht in Flaus und Fell linkische Pirouetten; der andere Recke, Giselher, ist praktischerweise gleich eine Travestierolle. Debra Hays erzwitschert sich als Krimhild Bett und Börse des schwerreichen Siegfried, lenkt die Herzensergießungen aber schnell um, als die Aktien des Drachentöters fallen. Und dass ein gebratener Vogel (Gabriela Kuhn) Insider-Tipps zum Aktienhandel gibt, macht ihn als Maskottchen für eine Rating-Agentur geeignet.

Matthias Wipprich ist der bassgewaltige Onkel Hagen mit wildem Vollbart, aber vom Wuchse alles andere als ein Recke. Wem Operetten sonst zu flach oder zu sentimental vorkommen, der könnte an den zweieinhalb Stunden höheren Blödsinns in Krefeld seine helle Freude haben; wer Operette liebt, kommt mit Humor und Hits auf seine Kosten. Nur der Wagnerianer sei gewarnt: Respekt vor des Meisters Stoffen wird er nicht erwarten dürfen!