„Bunbury“ in Bochum: Vom großen Spaß, (nicht) Ernst zu sein

Der Vorhang öffnet sich – und gibt einen weiteren Vorhang frei, hinter dem sich wiederum eine dritte Bühne mit Vorhang befindet – ein überdimensioniertes Kasperltheater. Die Bühne der Bochumer Kammerspiele verkleinert sich für einen Großteil des Abends auf die Maße der Puppenbühne (Daniel Angermayr). Damit wäre Jan Neumanns Regiekonzept bereits beschrieben: Sein „Bunbury“ (oder: Wie wichtig es ist, Ernst zu sein) wird als Theater im Theater gegeben. Die Körpersprache der Darsteller und auch die Kostüme (Nini von Selzam) orientieren sich an ungelenkem Puppenspiel und am Overacting, wie man es von Boulevardkomödien kennt.

Die anfängliche Skepsis (Und das soll nun den ganzen Abend so weitergehen?) legt sich schnell, denn: Das Regie-Konzept geht auf. Slapstick und Farce-Elemente der Inszenierung passen bestens zu Dialoglastigkeit, Wortwitz und dem rasanten Tempo der Oscar Wilde-Komödie. Schließlich stehen Witz und Brillanz der Dialoge bei Oscar Wilde im Vordergrund, nicht die Entwicklung der Figuren. Nicht zuletzt korrespondiert die Künstlichkeit, die auch durch Pappmaché, gemalte Kulissen und Billig-Requisiten entsteht, mit den aufgesetzten Umgangsformen und der gesellschaftlichen Etikette. Kurz: Der Abend ist ein großer Spaß.

Die befreundeten Dandys Jack (Roland Riebeling) und Algernon (Daniel Stock) spielen ganz privat gerne Theater, um verschiedene Rollen ausleben zu können: Jack, der auf dem Lande als Vormund der jungen Cecily (Friederike Becht als Dirndl mit Blumenkranz) ein seriöses Bild abgeben muss, erfindet einen Bruder Ernest, als der er sich in der Stadt ausgibt und dort um das glitzer-rosa Girlie Gwendolen (Xenia Snagowski) wirbt. Algernon wiederum hat einen imaginären Freund Bunbury, um möglichst häufig seiner Tante Lady Bracknell (Anke Zillich mit matronenhafter Statur und Turm-Frisur) zu entfliehen. Nach vielen Verwechslungen und Verwicklungen bekommt am Ende jeder, was er will.

Der verengte Bewegungsraum und das Ping-Pong der Konversation fordern den Schauspielern perfektes Timing und ein gut choreographiertes und einstudiertes Zusammenspiel ab, das sie mit großer Spiellust meistern. Eine Figur gibt es dann doch, die im Stück eine Entwicklung durchmacht: Meister-Dandy Algernon erkennt die fehlende Tiefe seines Lebens und sehnt sich nach etwas Echtem – und sei es echter Schmerz beim Einschlagen auf die Bühnenbretter. Auf den Vorwurf „Du redest nichts als Unsinn“ wird er plötzlich ganz still. „Ja“, sagt er traurig, „das tut doch jeder.“ Algernon ist der einzige, der ab und zu die Maske fallen lässt, und der erste, der den geschützten Raum des Puppentheaters verlässt, um den kargen Boden der Realität auszuprobieren. Die anderen folgen ihm und zertrümmern ihre Marionettenbühne, doch auch außerhalb finden sie – wen wundert’s – nur eine Bühne vor, auf der sie eine Rolle zu spielen haben. Das ganze Leben ist ein Spiel – bei Oscar Wilde immerhin ein ausgesprochen kurzweiliges, und eines mit Happy End für alle Beteiligten.

Infos/Termine: http://www.schauspielhausbochum.de/de_DE/calendar/detail/9342163

(Der Artikel erschien zuerst im Westfälischen Anzeiger, Hamm)




Puppenhafte Spiele im goldenen Rahmen – Oscar Wildes Komödie „Bunbury“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Ein Abend mit Goldrand: Die ganze Bühnenöffnung ist in einen riesigen Bilderrahmen eingefaßt. Unten rechts steht der Titel des ausgestellten Theater-Kunstwerks: „Oscar Wilde: ,Bunbury'“. Die leichtfüßige VerwechslungsKomödie aus der Feder des lässig-eleganten Zynikers – ein museales Stuck? Nun, jedenfalls tut sich vor unseren Augen eine enthobene Kunstwelt auf.

„Bunburysieren“, das heißt bei Wilde: Ausreden erfinden, um sich heimliche Genüsse erlauben zu können. Zwei dandyhafte Junggesellen sind darin Meister: Jack Worthing erfindet einen liederlichen Bruder namens Ernst, den er angeblich immer mal wieder in London zur Tugend ermahnen muß. In Wahrheit erlaubt sich der vom öden Landleben enervierte Jack selbst als jener Ernst Eskapaden in der Großstadt. Sein Londoner Freund Algernon macht’s umgekehrt: Er ersinnt den ständig kränkelnden, hilfsbedürftigen „Bunbury“, um vor dem Zugriff lästiger Verwandtschaft aufs Land flüchten zu können. Daß derlei Idenütäts-Wechsel Verwicklungen zumal erotischer Art mit sich bringen, versteht sich. Doch am Schluß dürfen drei Paare heiraten.

Ungeachtet trefflicher Seitenhiebe gegen die viktorianisehe Gesellschaft, muß man sich mit diesem Stoff weltanschaulich nicht gar zu lange aufhalten. Hauptsache, das Komödien-Uhrwerk schnurrt temporeich ab. Hier wird nahezu alles verziehen, nur Langeweile nicht.

In der Wuppertaler Inszenierung des vielversprechenden Janusz Kica überzeugen schon die Bühnenbilder (Barbara Rückert) auf den ersten Blick. Vor allem aber: Die Geschwindigkeit, mit der den Personen geistreiche Bonmots von den Lippen perlen, stimmt einfach. Da wird leichthin parliert und alles nicht zu ernst genommen. Kein Mitwirkender steht da zurück, allenfalls könnte man Hans-Christian Seeger Jack/Ernst Worthing) als besonders geläufigen Plauderer hervorheben. Etwas überzogen wirkt der Dauergag mit dem tatterigen Butler „Merriman“ (Bernd Kuschmann), der etwa so spielt, als wenn ein gealterter Alfred Biolek in „Dinner for one“ die Rolle des Freddie Frinton übernähme. Da gibt man halt dem Affen kräftig Zucker.

Bester Einfall aber: Eine Art Verselbständigung der Dingweit, die sich hier immer wieder vor und zwischen die menschlichen Beziehungen drängt. So wandern Gegenstände – Golfschläger, Blumensträuße, Teetassen, Regenschirme usw. – nach einem Irrsinns-System von Hand zu Hand; ein unproduktiver Leerlauf, so recht zur Darstellung einer Schmarotzer-Schicht passend.

Das Zwischenmenschliche als „Sport“ nach Regelwerk: Dem Regisseur präzise folgend, agieren hier zappelnde Figuren, keine blutvollen Mensehen. Sie leben nicht, sie spielen nur – wie aufgezogene Puppen, Marionetten ihrer sozialen Rollen. Wie an lockeren Fäden hängen sie zunächst im Halbdunkel; erst das Rampenlicht brennt diesen Selbstdarstellern künstliches Leben ein. Der zweite Teil, wenn alles unaufhaltsam auf die Eheschließungen zuläuft, wird wie nebenher absolviert. Mit der Wunscherfüllung verliert dieses Spiel für die Figuren allen Reiz und Kitzel. Am Ende könnte das nächste beginnen.

Verdient herzlicher Beifall nach unterhaltsamen zweieinhalb Stunden.