Familienfreuden auf Reisen: Von Bergziegen und Meerschweinchen

Kein Wunder, dass wir uns Meerschweinchen gekauft haben. Wir sind selbst welche. Also glücklicherweise nicht ganz so kugelrund wie unsere drei Damen vom Südamerika-Grill. Und auch weniger schreckhaft. Aber das Meer, das könnte auch vor unseren Namen stehen. Meer-Nadine. Meer-Normen. Meer-Fi. Dieses Jahr aber haben wir uns als Bergziegen versucht.

Wo bitte geht es zum Meer? Wenn Meerschweinchen sich als Bergziegen versuchen. (Bild: Albach)

Urlaub und Corona, das klang vielleicht früher mal gut, als jeder noch an das Bier und niemand an ein Virus gedacht hat. Seit 2020 aber ist Urlaub für uns mit vielen Fragen verbunden. Können wir überhaupt Urlaub machen? Wohin? Wie sind dort die Inzidenzen? Und wenn doch etwas passiert: Wie weit wollen wir von Zuhause weg sein?

Die Welt war plötzlich sehr klein

Letztes Jahr fiel die Antwort sehr schreckhaft aus (Meerschweinchen-Panik!). Wir wollten, aber nicht weit. Ich hatte tatsächlich ein Haus im Münsterland gebucht. Sagenhafte 50 km von Zuhause entfernt. Die Welt war plötzlich sehr klein. Es regnete viel. Und das Gewässer vor unserem historischen Gemäuer war eher ein Tümpel mit vielen Fischen. Aber hey: Wir waren gesund. Wir konnten wegfahren. Das war zu diesem Zeitpunkt sehr viel.

Dieses Jahr wollten wir trotzdem mutiger sein. Fliegen trauten wir uns noch nicht (Meerschweinchen-Panik!). Aber weiter wegfahren. Österreich, Kleinwalsertal, ließ die Augen der Nachbarn beim Erzählen leuchten. Und sollte uns doch das innere Meerschweinchen übermannen, wir wären in 20 Minuten wieder in Deutschland.

Wer hat die Fototapete vergessen?

Uns erwartete eine neue Welt. Immer, wenn ich in den ersten Tagen das Wohnzimmer unserer Ferienwohnung betrat, fragte ich mich, wer vergessen hatte, die Fototapete wieder einzurollen. Berge! Majestätisch, schön, beeindruckend – und hoch. Das hätte uns ja mal jemand sagen können!

Trotzdem machten wir uns todesmutig an die erste Gipfelbesteigung. Ok, ein bisschen geschummelt mit Seilbahn-Support. Aber den Rest umso stürmischer allein. Und dabei lernten wir die erste Lektion des Bergziegen-Daseins: Never leave the house without ordentlich viel Blasenpflaster. An dieser Stelle noch einmal danke an die Drei-Generationen-Wanderdamen, die Fis kleine Zehen liebevoll beklebten und damit vor weiterem Ungemach durch ahnungslose Eltern retteten.

Die Bergziege im Pfeffer

Nach dieser Erfahrung ahnte Fi recht schnell, wo der Hase, ähm, pardon die Bergziege im Pfeffer liegt. „Wie viele Stunden wandern wir heute?“, fragte sie morgens bang.

Deswegen haben Normen und ich in diesem Urlaub ganz nebenbei eine Weiterbildung zu Animateuren gemacht, die eines 5-Sterne-Resorts würdig wären. Wir liefen durch die Breitachklamm und sprudelten über bei der Bejubelung der Wasserfälle. Wir machten auf einer steinigen Talwanderung die Alp mit dem besten Kaas-Press-Knödel der Welt ausfindig. Wir betörten Eichhörnchen, die uns die Nüsse aus den Händen klaubten. Wir fanden jeden Wanderstein und hoben alle Geocaches (inklusive 100 Ohrenkneifern, die es sich in einem von ihnen gemütlich gemacht hatten). Fiona bedachte unsere Mühe mal mit höflicher Zustimmung, mal echter Begeisterung. Letztere vor allem dann, wenn uns die vielen Schritte zu kühlen Bergseen führten.

Es war ein schöner Urlaub. Wir haben ungeheuer viel erlebt. Und doch hat mich Fionas Resümee nicht überrascht: „Wie hat es Dir gefallen?“ fragten wir sie. Sie antwortete mit unserem Familien-Bewertungsschema, indem sie den Daumen nach oben reckte. „Und im Vergleich zu Kreta?“, fragte Normen weise mit Blick auf unsere Strandurlaube vor Corona. Fiona zögerte kurz. Ihr Daumen zeigte auf Viertel vor – gut, aber nicht gigantisch. Wir nickten.

Bergziegen sind wirklich tolle Tiere. Aber nächstes Jahr, da lässt uns Corona hoffentlich wieder ausleben, was wir im Herzen sind. Eben Meerschweinchen.




Den „Piefke“ gab es wirklich: Vom Heldennamen zum Schmähbegriff

Johann Gottfried Piefke. Zeitgenössisches Porträt, entstanden vor seinem Todesjahr 1884.

Johann Gottfried Piefke. Zeitgenössisches Porträt, entstanden vor seinem Todesjahr 1884.

Der „Piefke“ gilt als österreichisches Schimpfwort für den typischen preußischen Großkotz: arrogant, besserwisserisch, militaristisch. Doch wer glaubt, das Wort sei nur ein typisierender Sammelname für all die unsympathischen Zeitgenossen nördlich der Mainlinie, der irrt.

Den Piefke gab es wirklich: Johann Gottfried Piefke war ein preußischer Militärmusiker von hohem Ansehen. Der Komponist von „Preußens Gloria“, heute noch ein beliebter Marsch, wurde vor 200 Jahren, am 9. September 1815 in Schwerin an der Warthe im damaligen Kreis Posen geboren.

Ins österreichische Schimpfwörterverzeichnis geriet Piefke, glaubt man den legendarisch verbrämten Erzählungen, ohne eigenes Zutun: Der fast Zwei-Meter-Mann sei bei der Siegesparade nach der österreichischen Niederlage bei Königgrätz 1866, abgehalten auf dem Marchfeld bei Gänserndorf, mit seinem ebenso langen Bruder Rudolf an der Spitze der vereinigten Musikkorps einmarschiert. „Die Piefkes kommen“, sollen da die Soldaten und die Wiener Schlachtenbummler gerufen haben. Seither hat sich der „Piefke“ zum Synonym für den halb belustigenden, halb bedrohlichen Deutschen entwickelt.

Johann Gottfried Piefke war damals schon über ein Jahr lang „Director der gesamten Musikchöre des III. Armeekorps“; ein einmaliger Titel, den vor und nach ihm niemand mehr getragen hat. Wilhelm I. ehrte damit den Schöpfer der beiden Düppeler Märsche, des „Düppeler Sturm Marsches“ und des „Düppel-Schanzen-Sturm-Marsches“. Beide entstanden im Schleswig-Holsteiner Krieg 1864 gegen Dänemark. Bei der Erstürmung der Düppeler Schanzen, so eine weitere Piefke-Legende, soll der Königliche Musikdirektor mit Beethovens Yorck’schem Marsch den Sturm begleitet haben – mit dem Degen dirigierend. Damals war Preußen mit den Habsburgern verbündet. Piefke erhielt die Goldene Medaille des Kaisers von Österreich-Ungarn, Theodor Fontane würdigte den „Tag von Düppel“ mit einem Gedicht – den Musiker eingeschlossen: „‘Vorwärts!‘ donnert der Dirigent, Kapellmeister Piefke vom Leibregiment.“

So eindeutig, wie solche Erzählungen wollen, ist die Zuordnung des „Piefke“-Begriffs zu dem preußischen Militärkapellmeister freilich nicht. Vorher schon verwendet etwa der Berliner Schriftsteller Adolf Glaßbrenner die Kunstfigur in diversen satirischen Publikationen. So annonciert er etwa im „Komischen Volkskalender für 1849“ die „nächste deutsche Kunstausstellung“, unter anderem mit dem Bild „Rellstab, an einer Tonne Weißbier dichtend … Hintergrund Die Villa Piefke bei Tivoli“. Oder er vermerkt für den 6. Mai: „Der Bürger, Schlächtergesell Piefke, heirathet die frühere Fürstin von Dämelhagen-Mottenau-Schimmelburg-Strohfelde-Pilzethal“. Im „Kladderadatsch“ stellt Glaßbrenner den Piefke neben satirische Figuren wie Strudelwitz und Pudelwitz oder Schulze und Müller.

In Wien rangierte „Piefke“ derweil als Wiener Grantler, wie Piefke-Forscher Hubertus Godeysen in seinem Buch „Piefke. Kulturgeschichte einer Beschimpfung“ niedergelegt hat. Im Duett mit Pufke zog er in der Zeitschrift „Der Humorist“ über Tagesereignisse her – und die Sottisen wurden offenbar so populär, dass sogar Johann Strauß senior nach den beiden Figuren eine Polka benannt hat. Nach der Niederlage von Königgrätz änderte sich das: Piefke mutierte zum Zerrbild eines preußischen Großmauls. Im Dritten Reich stand in der „angeschlossenen“ Heimat des „Führers“ der „Piefke“-Spottname unter Strafe: Bußgelder und Haftstrafen sollten die Schmähung eindämmen – mit wenig Erfolg, wie die Urteile und die medialen Aufforderungen zum Wohlverhalten belegen.

Der originale Piefke konnte freilich nichts dazu. Er nutzte sein ererbtes musikalisches Talent für die Weiterentwicklung der preußischen Militärmusik. Mit 19 Jahren trat er als Hoboist beim Leibgrenadier-Regiment Nr. 8 in Frankfurt an der Oder an. Drei Jahre später schickte man den begabten Jungen zum Studium an die Berliner Musikhochschule. 1843 zu seinem Regiment zurückgekehrt, ging er mit diesem 1852 nach Berlin, wo sein Talent schnell bekannt wurde: Die Militärmusik bestritt damals unter anderem Platzkonzerte, Bälle, Festkonzerte und viele andere Gelegenheiten mit populärer musikalischer Untermalung. Piefke beherrschte so gut wie alle Instrumente, die in seiner Kapelle benutzt wurden, und feilte unermüdlich daran, den Klang der Militärmusik zu verbessern. Ab 1860 war wieder Frankfurt/Oder sein Wirkungsort, wo er 1884 starb und unter hohen militärischen Ehren auf dem Alten Friedhof – heute der Kleistpark – beigesetzt wurde.

Piefke schrieb über 60 Märsche, unter ihnen als die bekanntesten den „Königgrätzer Marsch“, „Preußens Gloria“ und den „Kaiser-Wilhelm-Siegesmarsch“. Seine beiden Düppeler Märsche waren in Berlin Gassenhauer. In der Musikszene war Piefke hochgeschätzt. Hans von Bülow schrieb über ihn: „Seine aufgeführten Werke von Beethoven und Wagner waren Leistungen, wie sie in dieser Sphäre meisterhaft nicht einmal gedacht werden können und gereichen dem Dirigenten und der Kapelle zur höchsten Ehre.“ Zu den Bayreuther Festspielen 1876 erhielt er als einziger Militärmusiker eine Einladung. Schon im Juli 1876 soll er bei einem Platzkonzert in Frankfurt/Oder Teile aus dem „Rheingold“ in eigener Bearbeitung dem begeisterten Publikum vorgestellt haben. An dem gebildeten Feingeist in Uniform lag es also nicht, dass sein Name bis heute in Österreich herhalten muss, wenn es um deutsche Unkultur geht.




Niemals fertig ist die Kunst: Bilder von Arnulf Rainer in Ahlen

Arnulf Rainer in Ahlen? Da möchte man beinahe im kernigen Wildwest-Tonfall sagen: „Dieser Name ist zu groß für diese Stadt“.

Doch tatsächlich: Der Künstler von einigem Weltruhm (documenta- und Biennale-Teilnahmen, Retrospektive im New Yorker Guggenheim Museum usw.) ist jetzt mit fast 100 Arbeiten in der westfälischen Kunstprovinz zwischen Ruhrgebiet und Münsterland gegenwärtig. Das ist durchaus wörtlich zu verstehen – im Sinne einer erhöhten Präsenz.

Arnulf Rainer: Rosa Übermalung, 1959/60 (© Atelier Arnulf Rainer Foto: Robert Zahornicky © VG Bild-Kunst, Bonn 2015)

Arnulf Rainer: Rosa Übermalung, 1959/60
(© Atelier Arnulf Rainer
Foto: Robert Zahornicky © VG Bild-Kunst, Bonn 2015)

Manchmal gibt es solche glückhaften äußeren Umstände: Da stammt mit Andreas Dombret ein veritabler Bundesbank-Vorstand und engagierter Kunstsammler just aus Ahlen. Er wiederum kennt Rüdiger Andorfer, den Geschäftsführer des Arnulf Rainer Museums in des Künstlers Geburtsort Baden bei Wien. Also werden Kontakte kreuz und quer geknüpft. Und so kann Ahlens Museumsleiter Burkhard Leismann jetzt eine Ausstellung präsentieren, die auch Anreisen lohnt.

Der konzentrierte Querschnitt durchs riesenhaft angewachsene Lebenswerk lässt einige wesentliche Merkmale dieses speziellen Schaffens hervortreten. Der mittlerweile 85jährige Österreicher Arnulf Rainer, der Kunstakademien zumeist schon nach wenigen Tagen fluchtartig verließ, wurde im Lauf der vielen Jahre besonders mit zahllosen Übermalungen bekannt. Er hat eigene und fremde Bilder übermalt, aber auch wertvolle Bücher. Kleingeister haben ihm das ankreiden wollen. Doch das ist lange her.

Arnulf Rainer: GRABES FURCHT, 1973 ( Tusche, Ölkreide, Öl auf Fotografie) (© Atelier Arnulf Rainer Foto: Robert Zahornicky © VG Bild-Kunst, Bonn 2015)

Arnulf Rainer: GRABES FURCHT, 1973 ( Tusche, Ölkreide, Öl auf Fotografie)
(© Atelier Arnulf Rainer
Foto: Robert Zahornicky © VG Bild-Kunst, Bonn 2015)

Arnulf Rainer ist ein Künstler, der im Grunde kein „fertiges“ Werk kennt. Immer weiter und weiter geht der Schaffensprozess – oftmals eben durch die Negation (oder erneute Anverwandlung) vorhandener Arbeiten hindurch. Fast schon wieder erstaunlich, dass dabei doch etliche abgeschlossene Werke entstanden sind, und zwar so zahlreich, dass preisbewusste Galeristen ob der Fülle schon wieder unruhig werden…

Ein Katalog kann schwerlich wiedergeben, was hier geschieht. Die Bilder (malerische Werke, Arbeiten auf Papier, Foto-Bearbeitungen) sind so ersichtlich den lebendig sich fortzeugenden Augenblicken abgewonnen und abgerungen, dass sich dies alles letztlich nicht stillstellen lässt. Hier fließen energetische Ströme noch und noch. Zuweilen umwölken die Liniengespinste Gesichter, als nähmen geheimste Gedanken und Gefühle Form an.

Arnulf Rainer: Teneriffa Kreuz, 2009, Acryl auf Papier (© Atelier Arnulf Rainer. Foto: Robert Zahornicky © VG Bild-Kunst, Bonn 2015)

Arnulf Rainer: Teneriffa Kreuz, 2009, Acryl auf Papier (© Atelier Arnulf Rainer. Foto: Robert Zahornicky © VG Bild-Kunst, Bonn 2015)

Ja, wer weiß: Vielleicht kommt der immer noch wie besessen produktive Arnulf Rainer – trotz gesundheitlicher Begrenzungen des Alters – eines Tages abermals auf frühere Bilder zurück, um sie noch einmal von Grund auf neu zu schaffen. Zumindest ist es denkbar. Hingegen mag man sich gar nicht ausmalen, wie es aussähe, wenn etwa deutlich minder begnadete Künstler seine Verfahrensweisen nachahmen wollten.

Zu Beginn des Ahlener Rundgangs sieht man Arbeiten aus den späten 40er und frühen 50er Jahren, die noch von surrealistischen Anwandlungen geprägt sind. 1951 hatte Rainer, gemeinsam mit Maria Lassnig, den Surrealisten-Altvorderen André Breton in Paris besucht, war allerdings enttäuscht von dessen gedanklicher Erstarrung. Eigene Wege waren ratsam.

Die surrealistischen Impulse ließ er also hinter sich. Phasenweise geradezu explosiv, setzt eine entschiedene, radikale Reduzierung der Formensprache ein, die bis ins feinste Geäder einzelner Linien reicht oder schwärze Flächen gebiert. Man mag das dem zeitgenössischen Informel zurechnen, doch geht es nicht in derlei Bezeichnungen auf. Aber natürlich gehört Arnulf Rainer trotz aller Einzelkönnerschaft mit einigen Fasern auch zur bewegten Kunstszene Österreichs, die sich zumal in den 60ern in wildwüchsigen Trieben erging.

Arnulf Rainer: Ohne Titel, 2009. Leimfarbe auf Leinwand auf Holz (© Atelier Arnulf Rainer - Foto: Robert Zahornicky © VG Bild-Kunst, Bonn 2015)

Arnulf Rainer: Ohne Titel, 2009. Leimfarbe auf Leinwand auf Holz (© Atelier Arnulf Rainer – Foto: Robert Zahornicky © VG Bild-Kunst, Bonn 2015)

Arnulf Rainer arbeitet vorwiegend seriell. Nie stellt er nur ein einziges Bild auf die Staffelei. Gleichzeitig sind dreißig, vierzig oder mehr Schöpfungen in Arbeit, in fortwährender Umformung, Verwandlung und Verdichtung begriffen.

Es ist, als arbeite dieser Künstler vollends „aus sich selbst heraus“, so nah am Ursprung der Empfindungen scheinen seine Kreationen zu sein. Hier walten keine Konzepte, hier geht es sogleich ins Einzelne – und niemand weiß, wohin das alles führen kann. Solche Bilder können auch schon mal roh wirken, naturhaft schrundig im Geiste der Art brut, die Rainer schon früh gesammelt hat.

Die Bilder aus seinem Hiroshima-Zyklus lassen den atomaren Schrecken Gestalt annehmen wie nur irgend möglich. Es sind mahnende Bilder, die freilich keine Mahnung im Sinn haben. Und somit umso dringlicher.

Ebenfalls ungemein intensiv geraten die aus Büchern entnommenen und übermalten Künstlerbildnisse, beispielsweise ausschnitthafte Porträts von Rembrandt und Van Gogh. Hier kommt das (nicht selten düstere) Seherische im Künstlerischen auf einen visuellen Begriff.

Grandios auch die Kreuzbilder, ein weiterer Schwerpunkt in Rainers Oeuvre. Bis in die jüngste Werkphase führen einige „Teneriffa-Kreuze“, wie sie Rainer in seinem Winteratelier auf den Kanaren geschaffen hat. Die Kreuze nehmen – nach menschlichem Maß – Kraft- und Energielinien derart feinfühlig auf, dass sie zu flirren scheinen wie eine sonst unsichtbare vitale Urkraft. Eigentlich kein Wunder, dass Rainer auch Ehrungen theologischer Fakultäten zuteil wurden. Man könnte ja gläubig werden vor solchen Schöpfungen.

Arnulf Rainer. Malerei, Arbeiten auf Papier. Sonntag, 15. Februar (Eröffnung 11 Uhr), bis zum 26. April 2015. Kunstmuseum Ahlen, Museumsplatz 1/Weststraße 98. Di-Fr 14-18 Uhr, Sa/So, Feiertage 11-18 Uhr. Tageskarte 6 (ermäßigt 4,50) Euro. Katalog 29 Euro. Weitere Infos: www.kunstmuseum-ahlen.de




„Das weiße Gold der Kelten“: Salz hält auch uralte Fundstücke frisch

Wo vor Jahrzehnten noch das „Schwarze Gold“, also Kohle, das Leben bestimmt hat, geht es nun ums „Weiße Gold“ in viel weiter entfernten Zeiten: In Herne zeigt das LWL-Museum für Archäologie die aus Wien kommende Ausstellung „Das weiße Gold der Kelten – Schätze aus dem Salz“.

Es geht um staunenswerte Funde aus Hallstatt (Oberösterreich), wo schon in der Jungsteinzeit Salz gewonnen wurde. Um 1500 v. Chr. waren dann die bronzezeitlichen Kelten schon versiert im Salzbergbau. Etwa 1245 v. Chr. beendete ein katastrophaler Erdrutsch diese Phase. Die Geschichte des quasi (vor)industriellen Abbaus beginnt um das Jahr 850 v. Chr., in der frühen Eisenzeit. Die Kelten meißelten sich ins Innere der Berge vor, entlang der Salzadern stellenweise über 300 Meter tief. So weit die grobe Chronologie.

Kinderarbeit unter Tage

Die senkrechten, mit Holz ausgekleideten Stollen waren immerhin 8 bis 12 Meter breit und führten zu riesigen Hallen unter Tage. Dort arbeiteten nicht nur Männer (Abbau mit dem Pickel) und Frauen (als Trägerinnen) im Salzbergbau, sondern auch Kinder ab etwa 5 Jahren.

Blick in die Herner Salz-Ausstellung (Foto: LWL/Arendt)

Blick in die Herner Salz-Ausstellung (Foto: LWL/Arendt)

Man hat Schuhe in Kindergrößen gefunden und außerdem Leuchtspäne für unterirdisches Licht. Diese Späne trugen zum Teil Abdrücke von Kindergebissen. Mutmaßung: Kinder mussten die Fackeln im Mund tragen, um die Hände für anderweitige Arbeiten frei zu haben. Gewiss: Schulunterricht haben die Kleinen seinerzeit nicht versäumt, doch zeugen Skelettfunde von frühen Knochen- und Halswirbelschäden. Heute vernimmt man es mit Grausen. Die „Hallstätter“ wurden damals im Schnitt nur rund 35 Jahre alt, nur vereinzelt erreichten sie das 50. oder gar 60. Lebensjahr.

Salzherzen als frühe Markenzeichen

Und wozu die Strapazen unter Tage? Salz war zu jener Zeit praktisch so kostbar wie Gold, und zwar nicht wegen seiner würzenden Eigenschaften, sondern als – bis zur Erfindung des Kühlschranks – bevorzugtes Konservierungsmittel, das Lebensmittel länger frisch hielt. Von Hallstatt aus handelten die Kelten, die zweitweise ein Salzmonopol für große Teile Mitteleuropas innehatten, über weite Strecken mit dem „weißen Gold“, bis in die heutigen Länder Frankreich, Italien und Ungarn.

Sorgte unter Tage für Licht: ein Bündel von Leuchtspänen. (Foto: LWL/Lammerhuber)

Sorgte unter Tage für Licht: ein Bündel von Leuchtspänen. (Foto: LWL/Lammerhuber)

Um den Absatz weiter zu fördern, wurden in Hallstatt (gleichsam ein früher Marken-Auftritt) auch herzförmige Blöcke aus Salz angefertigt. Das war nicht nur ein Gag, sondern auch ein Qualitätsnachweis. Wie Hofrat Dr. Anton Kern, Direktor der Prähistorischen Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien, erläutert, konnte für die von allen Seiten sichtbaren Herzen nur bestes Salz verwendet werden, während in Säcken schon mal schlechtere Ware unten liegen konnte…

So wertvoll wie Gold

Die offenbar ebenso geschäftstüchtigen wie reisefreudigen Hallstatt-Kelten häuften jedenfalls wahre Reichtümer an, wie edle Grabbeigaben aus Elfenbein (aus Afrika), Bernstein (von der Ostsee), filigranem Glas oder just Gold belegen. Welch ein Gepränge! Und dabei hat man zwar rund 1500 von vermuteten 6000 Grabstellen ausgewertet, doch hat man die etwaigen Fürstengräber der Region noch gar nicht gefunden. Ja, die Forscher wissen noch nicht einmal, wo diejenigen gewohnt haben, die damals das Sagen hatten. Welche Prunkstücke da wohl noch schlummern?

Keltisches Schöpfgefäß mit Kuh- und Kälbchenfigur, um 600 v. Chr. (Foto: LWL/Arendt)

Keltisches Schöpfgefäß mit Kuh- und Kälbchenfigur, um 600 v. Chr. (Foto: LWL/Arendt)

Das Salz taugt nicht nur zur Lebensmittel-Konservierung, sondern hat auch viele archäologische Funde so erhalten wie sonst kaum irgendwo auf der Welt. Selbst empfindliche Fragmente von Textilien (Fellmützen, Tragesäcke, Lederkappen) und organische Bestandteile haben die Jahrtausende nahezu unversehrt überstanden. Hier sieht man auch Relikte der wohl weltweit ältesten Holzstiege (von etwa 1343 v. Chr.), eine raffinierte Baukasten-Konstruktion, die im Berg Unebenheiten überbrückt haben dürfte. Spuren an einem Holzkochlöffel lassen Rückschlüsse auf die Ernährung zu: Beispielsweise standen Sammelobst, Gerste, Hirse, Saubohnen und Linsen auf dem Speiseplan, aber auch (rohes) Fleisch und Milchprodukte, worauf Kaseinreste hindeuten.

Das älteste „Toilettenpapier“

Auf eine andere Verrichtung lassen Pestwurzblätter schließen, die unter Tage gefunden wurden. Die Bergleute haben sie dort unten offenbar als Vorläufer von Toilettenpapier benutzt, wobei speziell diese Blätter einen lindernden, antiseptischen Effekt bei damals allfälligen Entzündungen und Durchfall gehabt haben sollen.

Werkzeug für den Salzbergbau (Foto: LWL/Lammerhuber)

Werkzeug für den Salzbergbau (Foto: LWL/Lammerhuber)

In Zusammenarbeit mit der Innsbrucker Agentur „MuseumsPartner“ hat man die Herner Schau mit rund 250 Exponaten (aus dem Naturhistorischen Museum Wien) denkbar sinnlich gestaltet. Der Eingang führt durch eine Art Holzstollen. In sechs begehbaren Salzblöcken werden einzelne Themenkreise hervorgehoben. Mittlerweile übliche Animationsfilme vermitteln Vorstellungen vom Alltagsleben der keltischen Salzbergleute, die sich übrigens (wie vorgefundene Farbstoffe ahnen lassen) in ziemlich bunte Kleidungsstücke hüllten. In manchen Zonen des Rundgangs haben die Ausstellungsmacher sogar versucht, Gerüche aus der Bronzezeit zu rekonstruieren, die hier nun dezent verströmt werden. Pestwurz-Hinterlassenschaften selbstverständlich ausgenommen.

„Das weiße Gold der Kelten – Schätze aus dem Salz“. LWL-Museum für Archäologie, Herne, Europaplatz 1. Vom 23. August 2014 bis 25. Januar 2015. Geöffnet Di, Mi, Fr 9-17, Do 9-19, Sa/So 11-18 Uhr. Eintritt 6 Euro, ermäßigt 4 Euro, Kinder/Jugendliche 3 Euro. Begleitbuch aus Wien (erschienen 2008) 19,95 Euro.




Deutschland – Österreich: Die alte Hassliebe – diesmal völlig unaufgeregt

Lange nicht mehr einen solch leidenschaftslosen Fußballabend erlebt wie diesen. Das Resultat beim alten Hassliebe-Duell Deutschland gegen Österreich war mit 3:0 klar wie Kloßbrühe.

Das Münchner Stadionpublikum blieb denn auch vergleichsweise still. Und der ZDF-Kommentator Oliver Schmidt fiel allenfalls durch Zurückhaltung auf. Der Mann versucht gar nicht erst zu glänzen oder aufzutrumpfen. Ob er es im Fall des Falles könnte, lassen wir mal dahingestellt.

Ein Duo zwischen Krampf und Komik

Das Geplänkel vor dem Spiel tue ich mir in der Regel nicht an. Da wird doch meistens enorm viel heiße Luft in den Äther geblasen. Diesmal mussten Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein und Experte Oliver Kahn (unterstützt von optisch aufgemotzten Einspielfilmchen) rund eine halbe Stunde bis zum ersehnten Anpfiff überbrücken.

ZDF-Fußballexperte Oliver Kahn (Foto: ZDF/Sascha Baumann)

ZDF-Fußballexperte Oliver Kahn (Foto: ZDF/Sascha Baumann)

Dieses Duo wirkt immer ein wenig verkrampft. Während sie die Tendenz hat, leichthin über alles hinwegzutraben, windet und kämpft er sich mühsam zu Meinungen durch, die meist darin gipfeln, dass Oliver Kahn „mehr Aggressivität“ von den Spielern einfordert. Im Zusammenspiel sind die beiden hin und wieder unfreiwillig komisch.

Gerne einer Meinung mit „Jogi“

Ansonsten bestätigt Kahn immer gern die Meinung des Bundestrainers Löw oder rudert sogar eilends zurück, falls er mal nicht mit „Jogi“ übereingestimmt hat. Dass der Ex-Bayer Kahn vor allem im Dortmunder Mats Hummels (der heute auf der Ersatzbank blieb) einen Sündenbock für Defensiv-Defizite ausgemacht hat – geschenkt! Löw hatte Hummels ja nicht aufgestellt, also konnte Kahn quasi nach Herzenslust über den BVB-Spieler herziehen.

Eine Bemerkung zwecks größerer Transparenz: Ja, das sage ich als Dortmunder, aber nicht von ungefähr. Kahns Bayern-Lastigkeit ist ebenso nachvollziehbar wie überprüfbar. An seinem ARD-Pendant Mehmet Scholl (ebenfalls ein Bayer) könnte er sich in jeder Hinsicht ein Beispiel nehmen.

Irgendwann begann das Spiel dann endlich. Es war nicht übel, aber eben auch nicht allzu spannend. Insofern konnte man auch vom Kommentator keine emotionalen Ausbrüche erwarten. Allerdings hätte er in einem Match, in dem die Ellenbogen derart häufig und gesundheitsgefährdend eingesetzt wurden, diese arg rustikale Spielweise thematisieren müssen.

Die altbewährte Namens-Sirene

Stellenweise war man allerdings schon froh, dass das ZDF diesmal nicht den sonst allzeit präsenten Béla Réthy einsetzte, so dass einem dessen oft unsinnige Prosa erspart blieb. Immerhin pflegt Oliver Schmidt eine Marotte, nämlich das unnötig eingeschobene „Ja“. Beispielsatz: „Deutschland und Österreich, zwei Länder, die sich – ja – sehr nahe sind.“ Größere Chancen quittiert er mit der altbewährten Namens-Sirene: „Öziiiiiil…“ Und wenn er auf Bayerisch „dahoam“ (daheim) sagen will, hört sich das an wie verunglücktes Englisch.

Nach dem Spiel lobte Oliver Kahn – na, was wohl – die „Aggression“ der deutschen Mannschaft, aber auch die „Kreativität“. Katrin Müller-Hohenstein rief abermals aus, Miroslav Kloses 68. Länderspieltor sei etwas „für die Geschichtsbücher“. Kann jemand der Frau bitte mal erklären, was wirklich geschichtsträchtig ist?

Zum Ritual eines Länderspielabends gehört es seit jeher, das Statement des Bundestrainers abzuwarten. Doch auch das blieb diesmal ziemlich blass und farblos. Alles in allem: eine Partie, nach der man vollkommen ruhig schlafen kann. Und das ist doch auch etwas!

Der Beitrag ist zuerst bei www.seniorbook.de erschienen.




Monegassische Hochzeiten

Briefmarken, Fußball und Skat als Einbürgerungshilfen eines Ösi im Revier

Den Übergang vom Ösi zum Wösi (damals hieß das noch nicht so) schaffte ich mit 10 bei den etwa Gleichaltrigen durch das Fußballspielen, das ich im Essener Norden auf der Bleiche hinter unserem Kruppschen Wohnblock spielerisch lernte – und auf den abgeteilten Wiesen hinter den Häusern gegenüber, sowie auf unserer kaum befahrenen Sackgasse zwischen diesen Häusern, der Heegstraße nämlich, die heute zu einem großen Teil der in den 70er Jahren neuen Straßenführung von Essen nach Bottrop zum Opfer gefallen ist, und mit ihr die Häuser natürlich auch. Wenn wir heute mit dem Auto von Bottrop nach Essen fahren, fahren wir gleichsam durch unser Schlafzimmer. Virtuell natürlich. Aber wer weiß noch davon?

Skatspielen war auch wichtig. Das lernte ich ebenfalls mit 10 und durfte sehr bald (welch hohe, welch wirkliche Auszeichnung!) mit den alten Kruppianern und staublungigen Bergleuten, Rentnern und Frührentnern also, nach Herzenslust mitspielen. Und zwar immer bei uns, in der von meinem Opa, dem aus Ostpreußen stammenden und ebenfalls und maßgeblich Skat mitspielenden ehemaligen Walzwerker, gezimmerten Laube, die vordem ein Hühnerstall war. Da ging’s hoch her! Und auch meine Einbürgerung bei den Erwachsenen war hierdurch gelungen.

Als Konstante hatte ich meine Briefmarkensammelleidenschaft aus Salzburg mitgebracht. Damals sammelten noch viele Kinder und Jugendliche und Erwachsene Briefmarken. Und so gab es auch hier Anknüpfungspunkte und Übergangshilfen. Naheliegenderweise sammelte ich schwerpunktmäßig österreichische und deutsche Marken; lernte dadurch viel Geschichte, Erdkunde und vieles andere Wissenswerte kennen; sammelte aber auch Motivmarken aus dem Bereich vor allem der Tier- und Pflanzenwelt und des Sportes; nachdem ich zuvor eine ganze Zeit lang alle Briefmarken, die mir irgendwie in die Finger gekommen waren, also gestempelte und ungestempelte, geschnittene und gezackte, dreieckige und viereckige, aus welchem Land und aus welcher Zeit auch immer, in meine Sammlung einbezogen hatte.

Als ich vor einigen Tagen nun aus den Fernsehnachrichten, da bildbegleitet, wie nebenbei erfuhr, dass bei der aktuellen Fürstenhochzeit in Monaco ein Block Briefmarken mit dem neuvermählten Paar herausgegeben würde, fühlte ich mich sofort an meine einstige Sammelleidenschaft erinnert. Ich holte seit langem mal wieder meine alten Briefmarkenalben heraus und stieß gezielt auf meine monegassischen Marken der 50er-Jahre. Die drei Marken mit der Einzelansicht des Fürsten Rainier III fielen mir gleich ins Auge, auch die monegassischen Marken zu den Olympischen Spielen von Helsinki 1952 usf., vor allem aber, die fünf Briefmarken, die ich eigentlich gesucht hatte: die Marken mit dem damals Schlagzeilen beherrschenden Hochzeitspaar vom 19. April 1956. Dennoch war und bleibt das Jahr 1956 in meinem Gedächtnis vor allem das Jahr des am Radio von mir bewusst mitbekommenen Ungarnaufstandes und der fast gleichzeitigen Suezkrise, von der ich nur ein wenig zeitversetzt – in wieder aufgeweckter Erinnerung daran – ägyptische Briefmarken mein eigen nennen durfte.




Manfred Deix: Explosion der Gemütlichkeit

Oberhausen. Drei Namen, drei Marken: Helnwein – Haderer – und Deix. Österreich hat wahrlich nicht nur einen Zeichner hervorgebracht, der menschliches Treiben mit bitterbösem Blick schildert. Und bei der Ludwig Galerie Schloss Oberhausen haben sie diese „hundsgemeinen” Kerle ganz besonders ins Herz geschlossen.

Jetzt also Manfred Deix. Er zeigt samt und sonders Typen, vor denen es einen graust. Widerliche Fleischberge, ekelhafte Visagen, geifernde Gier, abgründige Lustbarkeiten. Durch und durch vulgär geht es da zu – ja, es ist ein einziges Vulgarien. Doch Deix behauptet, er übertreibe keineswegs. Augen auf! Solche Herrschaften könnten einem tatsächlich begegnen.

Schwarzeneggers
bizarre Jugend

Der Kurator der umfangreichen Schau, Prof. Peter Pachnicke, sieht bei Deix etwas schwellend „Barockes” am Werke, während dessen Freund und Konkurrent Haderer eher für graziles Rokoko stehe. So findet jeder Cartoonist seine kulturhistorische Nische. Man muss sich abheben; erst recht in einem übersichtlichen Land wie Österreich. Trotzdem werden sie meist in einem Atemzug genannt. Künstlerschicksal.

Man fragt sich, ob Deix auch in ferneren Ländern derartige Aha-Erlebnisse auslöst. Dort dürfte die Wahrnehmung weniger detailscharf sein. Denn thematisch und typologisch quillt vieles ganz tief aus den Innereien der Alpenrepublik. Gerade mal süddeutsche Gefilde können sich direkt mitgemeint fühlen, dann aber lässt es wohl schon nach. Braucht etwa jedes Land seinen eigenen Deix?

Polit-Darsteller Österreichs sind bevorzugte Ziele des Spotts. Allen voran Figuren wie Waldheim und Haider. Doch auch ihre Anhänger, die Rassismus hinter explosiv gefährlicher Gemütlichkeit verbergen, geben geradezu apokalyptische Bilder her. Deix hat sie bis zur Kenntlichkeit entstellt. Kein Soziologe schaut so scharf hin.

Satte 238 Arbeiten summieren sich in Oberhausen zur Werkschau. Fast durchweg sind es Kleinformate. Um den Rundgang optisch zu rhythmisieren, hat man jedoch einige Motive auf nie zuvor gesehene Übergröße aufgeplustert. Namenloser Schauder, wenn die Groteske den Betrachter auch noch in solchen Dimensionen überfällt.

„Special Guest: Arnold Schwarzenegger” hieß es auf den Einladungskarten zur Oberhausener Eröffnung. Manche haben nachgefragt, ob „Arnie” vorbeischauen werde. Nicht doch! Aber Deix hat sich dem Aufstieg seines steirischen Landsmanns zum Gouverneur von Kalifiornien äußerst hartnäckig gewidmet. Er phantasiert sich in eine bizarre Kindheit und Jugend des einstigen Hollywood-Muskelprotzes und „Terminators” hinein und zeigt den Mann später auch schon mal bigott und bitterlich weinend, weil er leider, leider wieder einen Hinrichtungsbefehl unterzeichnen muss.

Abgründig auch jene Bilderreihen, auf denen ungeschlachte Erzspießer sich in unheimlicher Weise an kleinen Kindern belustigen, ja aufgeilen. Pornöse Phantasien dringen da bis in die letzten Hirnwindungen von Hintertupfingen. Fleisches-Lust als Fleisches-Ekel. Erhebt da vielleicht doch ein Moralist seinen Zeigefinger? Nein, da leidet einer am Zustand der Zeit – und spaßt das Schlimmste zornig nieder.

„Deix in the City”. Ludwig Galerie Schloss Oberhausen. Bis 8. Juni. Geöffnet Di-So 11-18 Uhr. Eintritt 6,50 Euro. Zwei Kataloge: 14,90 und 17,95 Euro.

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ZUR PERSON:

  • Manfred Deix wurde 1949 in St. Pölten (Niederösterreich) geboren.
  • Im zarten Alter von etwa acht Jahren, so sagt er selbst, habe er für andere Jungs auf deren dringliches Verlangen hin nackte Frauen gezeichnet. Zum Lohn gab’s ein paar Groschen – erste Einnahmen eines Künstlers.
  • 1960 (mit elf Jahren also) brachte Deix wöchentliche Comicstrips bei einer Kirchenzeitung (!) unter.
  • Ab 1968 Kunststudium an der Wiener Akademie.
  • 1972 Erste Beiträge für Magazine. Von nun an ging es steil bergauf.
  • 1980 erstes Cartoon-Buch, dem viele weitere folgten.



Stets ritterlich zu den Schriftstellern – Gesammelte Kritiken und Essays von Sigrid Löffler

Von Bernd Berke

Schon oft hat uns Sigrid Löffler Genugtuung und manchmal auch Vergnügen bereitet, wenn sie mit ironisch oder beleidigt gekräuselten Lippen den Herrschaften Reich-Ranicki und Karasek im „Literarischen Quartett“ des ZDF klug Paroli bot. Nun sind ihre Zeitungs-Kritiken, Glossen, Porträts und Essays als Sammelband erschienen. Gleichfalls ein geistiges Vergnügen?

Zunächst einmal erfährt man aus ihrem Buch einiges übers österreichische Innenleben, von der bedrohlich rechtslastigen „Verhaiderung der Republik“ bis hin zum allffälligen „Kulturkampf“ um Burgtheaterchef Claus Peymann sowie – bester Text im ganzen Buch – dessen im Zorn aus Wien geschiedenen Schauspielerstar Gert Voss.

Autoren wohnen meist sehr schön

Doch damit hat es längst nicht sein Bewenden. Denn Frau Löffler unternimmt etliche schöne Reisen, um ihre Lieblingsautor(inn)en in Augenschein zu nehmen. Sie sucht den empfindsamenKünder Peter Handke in dessen Pariser Domizil auf, jettet zur „Meinungsmaschine“ Susan Sontag nach New York, stattet den Schriftstellerinnen Antonia S. Byatt und Ruth Rendell Visiten in England ab. Beneidenswert.

Gemessen an solchem Aufwand, wirken die Resultate zuweilen etwas brav. Sigrid Löffler will den Verehrten eben nicht wehtun. Einfühlsam schildert sie schon die jeweiligen Wohnungen, so als erwäge sie, sich selbst dort niederlassen. Die etwas geduckte Haltung droht den kritischen Blick zu trüben.

Andererseits entstehen aus der Sympathie einige Porträts, die uns die Autoren wirklich näherbringen. Mehrmals nimmt man sich bei der Löffler-Lektüre fest vor: Von dem oder jener müßtet du doch mal (wieder) etwas lesen. Umso besser, wenn die Ansätze originell sind – wie beim Aufsatz über Martin Walser, der im professionellen und familiären Verhältnis zu seinen vier Töchtern (zwei Schauspielerinnen, zwei Schriftstellerinnen) ungewohnte Seiten zeigt.

Gelegentlich widmet sich Sigrid Löffler auch den vom Literaturbetrieb „vergessenen“ oder sonstwie randständigen Gestalten wie W. G. Sebald oder auch Peter Hacks, der seit der „Wende“ allgemein totgeschwiegen wird, weil er sich höchst verwegen zur alten Ulbricht-DDR bekennt und die Honecker-Ära schon als Niedergang des wahren Sozialismus begreift.

Auf der sicheren Seite

Gern nimmt Frau Löffler Autoren gegen das Gros der bösen Kritik in Schutz, z. B. Günter Grass und Peter Handke. In solchen Fällen wirkt sie geradezu ritterlich. Beinahe unnötig zu sagen, daß sie politisch immer den Aufrechten angehört. Maßvoller Linksliberalismus. der jeden mißverständlichen Zungenschlag sensibel meidet, dazu eine Spur von unverfänglicher Frauenbewegtheit. Mit solchen edlen Grundhaltungen steht sie stets auf der sicheren Seite, ist aber nicht durchweg gegen Anflüge gepflegter Langeweile gefeit. Es fehlt hier und da eine Prise von Provokation, die hellhörig machen würde.

Sprachlich fällt dies auf: Hat sie einmal einen vermeintlich besonders treffenden Ausdruck gefunden, so verwendet Sigrid Löffler ihn hartnäckig und unverwandelt weiter, auch wenn es dann schon mal unschön scheppert. So beharrt sie auf der Charakterisierung „intellektueller Pop-Star“ für Susan Sontag oder reitet auf Lieblingsworten wie „zugange“ und „angesagt“ herum.

Vor Klischees ist sie nicht immer sicher: Da nennt sie Wolfgang Kresnik kurzum einen „Tanz-Berserker“ und verknüpft – in einer Tirade gegen Wegwerf-Journalismus – das Wort „Blattmacher“ sogleich mit „Plattmacher“. Am Zeitmangel lag es nicht: Sie hat die Beiträge fürs Buch überarbeitet.

Doch alles in allem: Sie schreibt meist einen recht lockeren, eingängigen und verständlichen Stil. Das ist bei Kritikern ihres seriösen Ranges wahrhaftig keine Selbstverständlichkeit.

Sigrid Löffler: Kritiken – Portraits – Glossen. Deuticke-Verlag. 271 Seiten, 39,80 DM.