Tropfen als akustische Skulpturen – Arbeiten des Ostwall-Preisträgers Albert Mayr

_w7a9448

Fragiler Brunnen von Albert Mayr: „Tropfenstudien“ von 2015, jetzt im Besitz des Dortmunder Museums Ostwall (Foto: Museum Ostwall/Courtesy Galerie Martinetz/Sophie Thun)

Die „Tropfenstudien“ sind fragile Gebilde, Gestelle aus Holz und Metall, denen sämtlich eigen ist, dass ein viel zu schwer wirkender Wasserbehälter auf ihnen steht. Aus der Medizin bekannte Infusionsregler steuern die Menge des durch dünne Schläuche abfließenden Wassers, die sich in Tropfen bemisst und auch beim Tropfen hörbar wird, wenn es – im Grund wie in einem klassischen Brunnen – von einer Ebene zur nächsten hinuntertropft.

Haben wir es hier mit Kunst zu tun? Und wenn ja, mit welcher? Klaus Fehlemann, Vorstandsvorsitzender der „Freunde des Museums Ostwall“, wähnt Arbeiten wie diese in der Tradition von Dada und Fluxus, doch spielen erkennbar auch Merkmale von Kybernetik und Arte Povera („arme Kunst“) ihre gewichtige Rolle. Denn die Stationen, die das Wasser tropfend hinter sich bringt, sind nicht Schalen aus Marmor oder Bronze, sondern alltäglichste Dinge, Reste einer PET-Flasche, eine Scherbe, ein Stückchen Blech und so fort. Ihnen allen ist eigen, dass an ihnen montierte kleine Mikrophone die Tropfgeräusche zu Verstärkern ableiten und so aus den „Tropfstudien“ zudem akustische Skulpturen machen.

_dsc5649_albert-mayr_web_go_detailgross

Der Wiener Künstler Albert Mayr (Foto: Museum Ostwall/Roland Gorecki)

Mit 10.000 Euro dotiert

Albert Mayr heißt der 1975 im österreichischen St. Pölten geborene, in Wien lebende Künstler, der diese eigenwilligen Brünnlein geschaffen hat und dafür mit dem MO-Kunstpreis ausgezeichnet wird, welchen die Dortmunder „Freunde des Museums Ostwall“ jetzt schon zum dritten Mal verleihen. Der Preis ist mit 10.000 Euro recht komfortabel dotiert, dafür bleiben die Tropfsteinstudien nach der Ausstellung in Dortmund und ergänzen die Sammlung.

arachno_tom

Eine Trommel auf dünnen Spinnenbeinen: „Arachnotom“ von 2010-2016 (Foto: Museum Ostwall/Courtesy Galerie Martinetz/Albert Mayr)

Rhythmische Kunst

Eine kleine Ausstellung im „Schaufenster“ des U-Turms zeigt noch einige weitere Arbeiten des Preisträgers, der sich in der Jury übrigens gegen 10 Mitbewerber und Mitbewerberinnen durchsetzte. Ein durchgängiges Motiv in seinen Arbeiten ist der Beat, der Puls, der Schlag, der – anders als bei den Tropfsteinstudien – häufig auch mit regulären Trommeln erzeugt wird.

Jedenfalls sieht es so aus, als ob in einigen Videoarbeiten mit einer Gurke, einem Holzstock oder einer Möhre geschlagen wird. In Wirklichkeit dienen die Trommelfelle lediglich als Leinwände für Rückprojektionen, doch die Geräusche sind halt da, kräftige, unregelmäßige, manchmal verzerrte Schläge von der Tonspur. Stören sie nicht das filigrane Plätschern der Tropfskulpturen im selben Raum? Nein, findet Künstler Mayr, sie bilden so etwas wie einen akustischen Vorhang, das Ganze sei durchaus zu verstehen als eine einzige Klanginstallation.

Übrigens steuert auch ein Brünnlein aus zwei Lautsprecherboxen, die in Strahlen Wasser lassen („Stereo auf Mono“, 2007), mit seinem Rauschen zum Gesamtklang des Raumes bei. Fließendes Wasser, harte Beats, leichtes Tropfen, Trommelskulpturen auf wackeligen Beinen – das sind wesentliche Elemente im Schaffen Albert Mayrs.

„In-A-Gadda-Da-Vida“

Eine Arbeit, die eigentlich eine Performance ist, trägt einen (in der Fachwelt) berühmten Namen: „In-A-Gadda-Da-Vida“ war in den 70er Jahren der Titel eines langspielplattenlangen Musikstücks der Gruppe „Iron Butterfly“, das ein besonders langes, intensives Schlagzeugsolo prägte. Dem Wesen dieses Musikstücks spürt Mayr nun nach, indem er im Halbkreis aufgestellte Trommeln verschiedener Größe mit einem beweglichen, harten Wasserstrahl zum Tönen bringt. Die Aktion fand am 18. November nach der Preisverleihung auf dem Vorplatz des Dortmunder U statt.

  • „MO Kunstpreis für Albert Mayr“, Museum Ostwall im Dortmunder U, 4. Ebene, Leonie-Reygers-Terrasse, Dortmund.
  • Noch bis zum 12. März 2017
  • Di+Mi 11-18 Uhr, Do+Fr 11-20 Uhr, Sa+So 11-18 Uhr, Eintritt 5 €.
  • www.museumostwall.dortmund.de



Die im Dunkeln sieht man nicht…: Bis zu 90 Prozent deutscher Museumsschätze schlummern in Depots – Beispiel Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Kaum zu fassen, was in den Kellern der Museen schlummert: Je nach Art des Hauses lagern etwa 40 bis 90 (!) Prozent der Besitztümer in den Depots. Beileibe kein Gerümpel, sondern vielfach Reichtum, der praktisch nie gezeigt wird.

Man kann es allerdings nur schätzen, denn vielfach sind die Bestände gar nicht aufgearbeitet. Die im Dunkeln sieht man nicht. Selbst Museumsdirektoren wissen oft nicht genau Bescheid – oder wollen nichts verraten. Eine komplette Erfassung wäre jedenfalls ein aufwendiges, kostspieliges Unterfangen.

Im Dortmunder Ostwall-Museum ist die Lage allerdings in diesem Punkt günstiger. Hier kennt man auch die „unsichtbaren“ Kunstwerke recht genau. Vor etwa zwei Jahren gab’s einen herben Wasserschaden im Stammhaus. Folge: Das Depot musste an drei Behelfs-Standorte ausgelagert weiden, in denen die sorgsam verpackten Kunstwerke in drangvoller Enge verwahrt werden. Die Adressen sind natürlich geheim, fotografieren ist dort strikt untersagt.

Die Dortmunder haben die Umzüge notgedrungen zur gründlichen Inventur genutzt. Rosemarie Pahlke, stellvertretende Museumsleiterin: „Aufräumen ist immer gut. Jetzt kennen wir uns aus.“ Dabei konnte man die Bilder nach Dringlichkeit ordnen: Welche müssen zuerst restauriert werden?

Wasserschaden zur Inventur genutzt

Rund 1200 Bilder und Skulpturen besitzt das Ostwall-Museum. Hinzu kommen fast 4000 graphische Blätter, die wegen ihrer Lichtempfindlichkeit meist drunten bleiben. Nur rund zehn Prozent der Bestände können ständig gezeigt werden.

Dortmund macht daraus eine Tugend: Seit zwei Jahren zeigt das Haus im Rotations-Verfahren immer wieder andere Werke, die aus dem Depot geholt werden. Titel der Reihe, die etwas Licht in die Finsternis bringt: „Sammlung in Bewegung“. Bis zum 4. März ist Teil III zu sehen, Museumsleiter Kurt Wettengl bereitet Teil IV vor und verspricht weiterhin Qualität: „Es lohnt sich immer noch.“

Gibt es auch Depot-Stücke, die er am liebsten abgeben würde? Wettengl verneint entschieden: „Alles hat seinen Wert!“ Selbst Kunstrichtungen, die heute weniger geschätzt werden, könnten später einmal Furore machen. Auch gelte es, das Museum mit seiner eigenen Sammlungsgeschichte als Ort des Gedächtnisses zu erhalten.

Ans Thema Depot knüpfen sich Nebenaspekte. Zu denken wäre an NS-Raubkunst, nach der immer intensiver gefahndet wird – oft auf Betreiben von Anwälten, die für die Erben tätig wrden. Was mag sich in dieser Hinsicht noch in deutschen Depots befinden? Museen in Hagen, Wuppertal und Duisburg sind mit derlei Rückgabe-Forderungen konfrontiert worden, Dortmund (noch) nicht.

Filzanzug und Lollis in der Werkstatt

Ein weites Feld ist just die Restaurierung. Selbst bei guten Bedingungen können im Depot auf Dauer Schäden entstehen. Das Ostwall-Museum hat wiederum Glück im Unglück. Erstmals gibt es hier eine feste Stelle für eine Restauratorin. Anke Klusmeier versieht den spannenden Dienst zwischen Chemie, Materialkunde, Handwerk und Kunstgeschichte. Derzeit überprüft sie einige monochrome Bilder mit Argusaugen auf winzige Schadspuren. Zuweilen trügt der Schein: Ein Bild von Anselm Kiefer zeigte arge Kratzer. Recherchen ergaben freilich, dass der Künstler sie willentlich erzeugt hat.

Spezielle Sorgen bereitet „Fluxus“-Kunst der 1960er Jahre, die sich aus Stoffen des Alltags nährte. So musste in Dortmund ein löchrig gewordener Filzanzug von Joseph Beuys „geflickt“ werden. Für ein Bild von Wolf Vostell, zu dem Dauerlutscher gehören, brauchte man Ersatz. Die Lollis waren schmierig ausgelaufen. Allerdings gibt es kaum noch Lutscher, die den „historischen“ Exemplaren entsprechen. Viele Süßwaren-Firmen mussten passen. Eine konnte schließlich helfen.

Eine Dauerlösung ist das verstreute Dortmunder Depot schon wegen der weiten Wege nicht. Eine Rückkehr in den Ostwall-Keller ist ausgeschlossen. So hoffen die Museumsleute auf den großen Wurf: Falls der frühere Brauereiturm „Dortmunder U“ eines Tages zum Museum umgebaut würde, wäre wohl auch die Depotfrage gelöst.

________________________________________________________

INFO

In Siegen wird der Platz schon knapp

  • Weiteres Beispiel: das Museum für Gegenwartskunst in Siegen, das von Eva Schmidt geleitet wird. Hier enthält das Depot u. a. Teile einer wertvollen, stetig wachsenden Privatsammlung. Der Platz wird allmählich knapp.
  • Siegen hat ein reguläres Depot mit idealen Bedingungen: konstante Temperatur (18 bis 20 Grad), optimale Luftfeuchtigkeit von 58 Prozent.
  • Im Regelfall lagern hier beispielsweise auch Bilder des Hagener Malers Emil Schumacher, die allerdings derzeit (bis zum 20. Mai) im Hause ausgestellt sind.
  • Weitere Spitzenstücke im Depot sind einige Großformate von RupprechtGeiger. Sie verschwinden dort freilich nicht für Jahrzehnte, sondern werden immer mal wieder(als Leihgaben) irgendwo präsentiert. (bw/bke)

 




Anschwellende Einsamkeit – Dortmunder Museum vergleicht Edvard Munch mit Beispielen heutiger Kunst

Von Bernd Berke

Dortmund. Wir wollen nicht lästerlich werden, aber der Vergleich ist nun einmal in der Welt und bietet sich an. Unter Fußballfans kursierte einst das Scherzwort „An Gott kommt keiner vorbei – außer Stan Libuda.“ Halbwegs analog zum Gleichnis vom Dribbel-Künstler könnte für neuere Malerei gelten: An Munch kommt keiner vorbei – höchstens annähernd ebenbürtige Genies. Alle anderen Künstler sollten sich mit dem grandiosen Werk des Norwegers befasst haben.

Solche Vorgaben haben die Bildersuche zur neuen Dortmunder Munch-Schau wohl zugleich erleichtert und erschwert. Einerseits finden sich zahllose zeitgenössische Arbeiten mit mehr oder weniger klaren Bezügen zu Munch (1863-1944), andererseits könnte man sich in dieser Flut der Möglichkeiten verlieren und zur Beliebigkeit neigen: Irgendwie wird es schon zueinander passen. Diese Gefahr weht auch die Ausstellung mit dem schicken Pop-Titel „Munch revisited“ an, die den modernen Klassiker mit teils hochkarätiger heutiger Kunst (inklusive Installationen und Videos) zusammenführt.

Aus räumlichen Gründen zeigt das Team des Ostwall-Museums seine Auswahl imMuseum für Kunst und Kulturgeschichte. Für größtmögliche Sicherheit der Bilder sei gesorgt, alle Auflagen der Leihgeber seien erfüllt, hieß es gestern wohlweislich – spätestens seit dem Munch-Raub in Oslo eine Pflichtübung.

Nicht jeder Zusammenhang ist zwingend

Der Rundgang gliedert sich in drei farbig markierte Bereiehe: Rosa steht für „Mann und Frau“, Grün für „Mensch und Landschaft“, Violett für „Einsamkeit und Melancholie“. Dehnbare und dauerhafte Themen, fürwahr. Kuratorin Rosemarie Pahlke hatte die Idee, Munch mit der Gegenwart zu koppeln, vor sieben Jahren – ein gereiftes Konzept also. Sie versichert, dass sie bei vielen Recherchen auf direkte Verweise von Munch zur jetzigen Zeit gestoßen sei. So habe sich Georg Baselitz (in Dortmund: sein Angstbild „Anxiety II“, 1999) bewusst am Norweger orientiert und präge heute seinerseits die skandinavische Szene.

Nicht immer verlaufen die historischen Linien so eindeutig. Beispiel: Nicht nur Edvard Munch hat Häuser als einsame Liegenschaften dargestellt und somit psychologisch aufgeladen, sondern natürlich auch spätere Künstler wie André Butzer, Peter Doic oder Jörg Sasse. Diese Selbstverständlichkeit stiftet also keinen zwingenden Zusammenhang. Den kann man konstruieren, es könnte aber auch anhand unendlich vieler anderer Werke gelingen.

An manchen Stellen vibriert geradezu die Luft

Bei den Landschaften scheint gelegentlich eine Ausstrahlung von Kälte oder eine „nördliche“ Anmutung genügt zu haben, um sie beherzt neben Munch zu hängen. Trotz solcher Einwände ist die Ausstellung ein Ereignis, sie eröffnet vorwärts wie rückwärts allerlei Zugänge Munch und „Nachfahren“.

Die ganz berühmten Gemälde Munchs, wie etwa eine Version von „Der Schrei“, hat Dortmund nicht bekommen, doch Hauptmotive („Madonna“, „Melancholie“, „Pubertät“) sind immerhin als Graphik-Varianten zu sehen. Und vor Munch-Bildern wie „Mädchen mit rotem Hut“ oder „Krankes Mädchen“ kann man lange verweilen, sie gehen uns noch nah.

An manchen Stellen vibriert die Luft zwischen den Werken, so beim Dialog von Munchs illusionslosem Paarbildnis „Käte und Hugo Perls“ (1913) mit Eric Fischls Entgegnung oder Fortschreibung „Bathroom Scene No. 2″ (2003). Heillose Entfremdung zwischen Mann und Frau, im Abstand von 90 Jahren und doch bestürzend verwandt, allenfalls noch um ein paar Kältegrade klirrender.

Weniger künstlerischer als gesellschaftlicher Befuind: Man erlebt hier die Gegenwart vielfach als Steigerung dessen, was Munch visionär gefasst hatte. Antony Gormleys Figur, deren Kopf in einem Haus steckt, lässt Munch’sches Alleinsein noch mehr ins Absurde anschwellen. Und Maria Lassnig oder Louise Bourgeois treiben verzweifelte Einsamkeit voran bis in schmerzliche Fragmentierung der Körper, wie sie selbst ein Edvard Munch nur schemenhaft ahnen konnte.

• Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund, Hansastr. 3. Vom 30. Januar (Eröff. 15Uhr) bis1.Mai. Di-So 10-18, Do 10-20 Uhr. Eintritt 6 Euro. Katalog 29,80 Euro.

 




Fern vom Streit der Welt meditieren – Ausstellung „Comment rester zen / gelassen bleiben“ am Dortmunder Ostwall

Von Bernd Berke

Dortmund. Mit dem Wort „meditativ“ ist man oft schnell bei der Hand. Kaum geht’s mal ein wenig stiller zu im Getöse der Welt, so gebraucht man das Etikett gern. Jetzt aber sorgen im Dortmunder Ostwall-Museum 15 Künstler aus der Schweiz für ausgiebige und tiefere Kontemplation.

„Comment rester zen / gelassen bleiben“ heißt die zuvor in Paris gezeigte Schau mit Videos, Tafelbildern, Objekten und Installationen, die auf denkbar sanftmütige Weise mancherlei auratisch oder spirituell getönte Zustände beschwört. Kurator Michel Ritter vom Centre Culturel Suisse in Paris will denn auch ganz entschieden den Blick „nach innen“ richten und größtmöglichen Abstand nehmen von der (medialen) Allgegenwart der Gewalt. Die brennende Aktualität dieser Anti-Position muss man nicht langwierig erläutern: Die Folter-Bilder und das Enthauptungs-Video aus dem Irak spuken dieser Tage in allen Köpfen.

Mit höheren Weihen des Zen-Buddhismus hat das Motto der Ausstellung nur bedingt zu tun, der Begriff ist vielmehr in die französische Alltagssprache eingeflossen und bedeutet ungefähr: „So beruhige dich doch.“ Der deutsche Untertitel lautet schlichtweg: „Gelassen bleiben.“

Eine Anleitung zur Weltflucht? Oder das Aufrufen neuer Kräfte aus eigenen Seelengründen? Es dürfte jedenfalls zum besonderen Erlebnis werden, beispielsweise aus dem hektischen Getriebe der Einkaufszone in diese Ausstellung zu kommen: In einer Raum-Installation von Sylvie Fleury darf man sich als Besucher gar auf eine (beheizbare) Meditationsmatte legen, über asiatisch beschriftete Wandbehänge nachsinnen oder ein ebenso geheimnisvolles Video betrachten.

Einem aus Textilstoff gefertigten Schamanen namens „Baba“ (geschaffen von Vidya Gastaldon) wird man hier begegnen oder auch einem „leibhaftigen“ weißen Buddha, der sich monumental zur Ruhe gelegt hat, jedoch aus ganz ungewichtigem Styropor besteht. Nic Hess hat dieses Denk-Mal einer unverhofften Leichtigkeit errichtet.

Allüberall walten die ewigen Mysterien: Jürg Hassler und Hannes Bossert erkunden in einem Videofilm die Erdkräfte unter unseren Füßen, Daniele Buetti vergegenwärtigt mit einem Licht-Objekt Energieströme, als sei’s ein Sternenfeld. Sarah Glaisens Film, in dem ein Stück Eis unendlich langsam schmilzt, dauert drei Stunden. Und Ceal Floyer führt – gleichfalls filmisch – vor, wie Tinte, die aus einem Stift ausfließt, ganz allmählich einen immer größeren Kreis-Fleck erzeugt. Wer da genügend Geduld mitbringt, könnte in eine Art Trance geraten.

David Lamelas erhob sich im Fesselballon über die Ebenen und Häuser der schweizerischen Stadt Fribourg. Die Bilder von der langsamen Fahrt wirken so beruhigend wie alles Weitere in dieser Schau, die so leicht „konsumiert“ werden und doch in ungeheure Fernen führen kann. Danach sollte man man gaaaanz besänftigt sein.

Ostwall-Museum, Dortmund. Vom 16. Mai (Eröffnung 11.30 Uhr) bis 11. Juli. Di/Mi/Fr/So 10-17, Do 10-20, Sa 12-17 Uhr. Eintritt 3 Euro, kein Katalog.




Ein Netzwerk der Kunst und sein Mittelpunkt – Sammlung Krian im Dortmunder Museum am Ostwall

Von Bernd Berke

Dortmund. Das Dortmunder Museum am Ostwall öffnet sich jetzt einem großen Kreis miteinander befreundeter Künstler. Auch wenn diese Leute mittlerweile in alle Windrichtungen der Szene verstreut sind, so hat das Netzwerk doch einen Mittelpunkt just in Dortmund.

Der als Künstler, Sammler und Galerist („da entlang“ an der Kaiserstraße) umtriebige Erich Krian hat hier in Jahrzehnten eine umfängliche Kollektion aus diesem Zirkel angehäuft. „Die Sammlung hat sich sozusagen ereignet, sie war kein erklärtes Ziel“, sagt er zu den oft spontanen Gaben oder Tauschgeschäften unter Freunden. Gewiss werden einige aus diesem „munteren Haufen“ (Krian) heute um 17 Uhr zur Eröffnung kommen.

Was sonst bei Krian daheim dicht an dicht hängt und steht, kann sich nun am Ostwall gehörig ausbreiten. Etwa die Hälfte des Gesamtbestandes ist zu besichtigen. Auch für das Sammler-Ehepaar Krian dürfte dies ganz neue Einblicke in die nunmehr luftig präsentierte (und mit einem Katalog erschlossene) Kollektion bedeuten.

Mit seiner Frau Regina, die Design studiert hat und als Sonderschullehrerin arbeitet, hat sich Erich Krian bislang stets über Sammlungs-Zuwächse geeinigt. Tochter Jenny konnte wohl kaum anders: Auch sie hat mit dem Sammeln begonnen. So weit das Familiäre, das die Schau letztlich mitprägt.

Rund 200 Arbeiten von 40 Künstlern sind zu sehen: Kommilitonen, Mitstreiter, Weggefahrten Krians. Für ihn ist es mithin irgendwie auch eine Besichtigung des eigenen Lebenslaufes – und zumeist eine Begegnung mit jenen Künstlern, die er in seiner Galerie vertritt. Die Ostwall-Ausstellung dürfte den Marktwert kaum schmälern.

Der 1948 geborene Krian begann seinen Weg an der Werkkunstschule in Dortmund und war an der Düsseldorfer Akademie Schüler der Größen Rupprecht Geiger und Gotthard Graubner. Andere Künstler zieht’s nach solchen Weihen in die weite Welt, Krian entschied sich für die Rückkehr nach Dortmund.

Vierzig Künstler können wir hier nicht nennen. Manche haben inzwischen weithin von sich reden gemacht, so etwa Ulrich Langenbach, Willi Otremba, Peter Telljohann, Günther Zins oder Katharina Grosse.

Über wenige Kämme lassen sie sich eh nicht scheren. Man spricht in derlei Fällen gern etwas wolkig von „Positionen“ der Kunst. Vielfältig die Ansätze, durchweg acht- und haltbar die Qualität. Im Erdgeschoss sind eher zurückhaltende Arbeiten zu sehen, im oberen Stockwerk darf mehr Farbe walten. Man sehe selbst. Derweil denken die Krians über eine dauerhafte Heimstatt für ihren Fundus nach und erwägen eine Stiftung fürs Dortmunder Museum.

„Der erste Blick“. Sammlung Krian. 9. November 2003 bis 11. Jan. 2004. Di/Mi/Fr/So 1017, So 10-20, Sa 12-17 Uhr. Eintritt 3 Euro, Katalog 25 Euro.




Blicke in den Abgrund – „The Gap Show“ mit zeitkritischer Kunst aus Großbritannien in Dortmund

Von Bernd Berke

„Mind the Gap“ lautet der allgegenwärtige Stolper-Warnhinweis in der Londoner U-Bahn. Das bedeutet etwa: „Achtung, Spalte!“ Oder auch: Kluft, Riss. Wie kommt es nur. dass man da – sofern politisch bei Sinnen – schnell an gesellschaftliche Verwerfungen denken kann, an die Risse im Gefüge, an die Kluft zwischen Klassen?

Im Thatcherismus haben sich die Gräben so tief aufgetan, dass es bis heute schmerzlich spürbar ist. Wohl deshalb haben britische Filmemacher und Künstler die „harten“ sozialen Themen nie aus dem Blick verloren. Das beweist erneut jene „Gap Show“, die 16 junge Künstler von der Insel mit neuesten Arbeiten etlicher Genres (Tafelbild, Video, Fotos, Installationen) im Dortmunder Ostwall-Museum ausrichten.

Gleich im Lichthof erklingt das berühmte „God Save the Queen“. Auf vier Bildschirmen sieht man dazu die Kutsch-Anfahrt der Königin zum Pferderennen in Ascot. Das Filmmaterial stammt aus verschiedenen Jahren. Effekt: Das Ritual wird betont, nur die Farbe der Kleider und Hüte wechselt. Ein eher mild-ironischer Zugang, den uns Mark Wallinger eröffnet.

Gruppen-Sauforgie mit Stinkefinger und Erbrechen

Hernach geht es zwischen Drastik und hintergründiger Poesie vielfach deutlich ernster zu. Die Schottin Janice McNab präsentiert eine Gemäldeserie im Gefolge des fotorealistischen Stils. Es sind Bilder von Opfern chemischer Vergiftungen im industriellen Alltag, so auch bei der Mikrochip-Produktion. Viele Frauen haben Fehlgeburten erlitten, sie selbst sind fast allesamt früh gestorben.

Die Künstlerin hat zu Leb- und Leidenszeiten lange Gespräche mit ihnen geführt. Unspektakulär und ohne allen Voyeurismus, doch umso eindringlicher stellt sich das stille Elend bildlich dar. Schleichendes Unglück…

Szenen einer sozialen Verwahrlosung inszeniert Paul M. Smith mit sich selbst. Für eine Fotoreihe hat er seine eigene Gestalt vervielfacht. Sozusagen als „Klon“ veranstaltet er eine wüste Gruppen-Sauforgie mit Stinkefinger, blank gezogenen Hintern, prolligem Gegröle und finalen Erbrechen. Schriller Ekel!

Bizarre Apparate für Notzeiten

Vielleicht steht die Welt direkt am Abgrund und wagt nur nicht hineinzusehen. Diese Künstler tun es, oft mit entsetzt geweiteten Augen: Paul Seawrights Fotografien zeigen rostig-vergitterte Szenerien und „verbrannte Erde“ aus dem Nordirland-Konflikt. Ein unbewohnbarer Planet. Unscheinbar, doch äußerst dringlich wirken die kleinen Bleistiftzeichnungen von Euan Macdonald. Man sieht Häuser, Autos, Menschen im Moment der Explosion. Gespenstisch lautlos und ganz selbstverständlich wirkt das gewaltsame Zersplittern. Kann man denn gar nichts mehr dagegen tun?

Offenbar fürs notdürftige Überleben hat Mark Hosking seine bizarren Apparate gezimmert: eine Art Fahrrad mit allerlei Wasserkanistern. Oder eine Spiegelvorrichtung zum Kochen mit gleißend gebündeltem Sonnenlicht. In der „Dritten Welt“ gibt es derlei ideenreiche Abfall-Wirtschaft längst. Kluge Leute sagen, es seien Vorboten weltweit drohender Verhältnisse. Bei der documenta in Kassel sollen solche Menetekel in Kürze eine zentrale Rolle spielen. Die Dortmunder „Show“ bietet weit mehr als nur einen bitteren Vorgeschmack.

Vom 26. Mai (Eröffnung 1 1.30 Uhr) bis zum 25. August. Geöffnet Di/Mi/Fr/So 10-17. Do 10-20, Sa 12-17 Uhr. Eintritt 5 Euro. Katalog 18 Euro.




Invasion der harmlosen Gestalten – Renate Göbel zeigt ihre rundlichen Papp-Figuren im Dortmunder Ostwall-Museum

Von Bernd Berke

Dortmund. Für Festlegungen ist die Künstlerin Renate Göbel (Jahrgang 1934) kaum zu haben. Nein, ihre Skulpturen aus Papiermaché oder Polyester (haltbare Freiluft-Variante) seien „nicht nur ernst gemeint“. Dann also eher ironisch? Wieder lautet die Antwort: „Nicht nur…“

Na, klar doch: Zwischentöne sind angesagt bei der neuen Ausstellung des Dortmunder Ostwall-Museums. Zumindest die Farbgebung der Plastiken löst diesen Anspruch geschmackvoll ein. Allein diese mild schimmernden Violett-Klänge!

In seltener Fülle wird das Schaffen der Renate Göbel von 1967 bis in die jüngsten Tage dokumentiert. Über 70 Skulpturen kommen hier zusammen, außerdem einige Zeichnungen und Reliefs.

Weil die Künstlerin vor allem „Menschen mit Volumen“ mag und stets beim Figürlichen verharrte, begegnet man hier allerlei wohlbeleibten Gestalten. Gleich eingangs sitzt jene rundliche Dame als „Beifahrerin“ im Benz-Cabrio – nun raten Sie mal, wer die Ausstellung gesponsert hat.

Hier begegnet man auch einem mit Katalogen gerüsteten Papp-Paar, das just ein Museum besucht. Doch der Hintersinn ist begrenzt. Es ist halt eine richtig nette Sommer-Schau, sozusagen tauglich für jeden Stadtpark, ohne sonderliche Irritationen.

Oh, stumme Invasion: Sie stehen, liegen, sitzen, hocken fast überall. In einem Raum gruppieren sich Figuren aus diversen Werkphasen zu einer Party, ein anderer Bereich wirkt (schummrig abgedunkelt) wie ein schwülstiges Boudoir, ein dritter ist Schauplatz eines familiären Treffens. Aber was heißt hier treffen und beisammen sein? Im Prinzip freundlich-adrett hergerichtet, benehmen sich manche dieser Wesen doch ein klein wenig neurotisch – vielleicht so wie wir alle?

Nachsicht für die kleinen Neurosen

Vielfach halten sie sich an Gegenständen fest (Telefone, Zigaretten, Aktenkoffer, Bücher), als könnten sie sich nur so ihre Haltung bewahren. Seltsam geneigt oder gebeugt stehen manche Gestalten da. Und sie alle scheinen selbst mitten in einer Gruppierung still für sich zu bleiben.

Doch es herrscht keine Bitterkeit. Man mag an Niki de Saint Phalles gutgenährte, fröhlich-bunte „Nana“-Weiber denken – auch so eine Künstlerin, die ihren Einfällen beinahe ermüdend treu blieb. Jedenfalls bringen derlei Rundungen stets die Aura heiterer Harmonie mit sich. Auch besagte Neurosen fallen humoriger Toleranz anheim.

Ungleich bissiger war Renate Göbels Frühwerk. Aus den 60er Jahren stammen etwa jene grotesken Badestrand-Reliefs. Da sieht man noch schrundige Körper-Oberflächen, bizarr aufgesteilte Brüste, fürchterliche Grins-Münder. Solche kleinen Schreckenskabinette strafen naive Träume aus dem Urlaubskatalog Lügen. Damals ging’s noch frontal zur Sache.

Renate Göbel. Ostwall-Museum, Dortmund. Eröffnung heute, 16 Uhr; bis 26. August. Di-Fr und So 10-17, Sa 12-17. Eintritt 4 DM, Katalog 20 DM.




Von vielen Strömungen mitgerissen – Plastische Arbeiten von Bernhard Hoetger im Ostwall-Museum

Von Bernd Berke

Dortmund. Es klingt nach vorsichtiger Distanzierung: Als „schillernde und irrlichternde Gestalt“ bezeichnet Museums-Chef Ingo Bartsch den Künstler, dessen Werke er nun ausstellt. Es geht um Bernhard Hoetger, 1874 im damals selbständigen Hörde (heute Teil von Dortmund) geboren, 1949 verarmt in der Schweiz gestorben.

30 Bildhauerarbeiten Hoetgers präsentiert nun das Ostwall-Museum. „Unverfängliche“ Exponate habe man für den straffen Querschnitt ausgewählt, betont Bartsch.

Gäbe es denn auch verfängliche? Im Grunde schon. Denn Hoetger war nicht nur – von 1934 bis zum Parteiausschluß 1938 – Mitglied der NSDAP, sondern suchte sich auch künstlerisch anzupassen. So entwarf er, in Zusammenarbeit mit einem SS-Architekten, gar ein „Deutsches Forum“ mit Hakenkreuz-Grundriß. Wahrlich kein Ruhmesblatt. Sarkasmus der Geschichte: Die NS-Presse lehnte die Pläne als gar zu anbiedernd und opportunistisch ab, und 1937 brandmarkten die Nazis Hoetger in der Schand-Ausstellung „Entartete Kunst“ als Vertreter der mißliebigen Moderne.

Tatsächlich war Hoetger zuweilen auch Avantgardist, wie er sich denn überhaupt von allen möglichen Strömungen der Kunst und des Kunstgewerbes mitreißen ließ. Büsten in ägyptischer Manier sind daher ebenso zu sehen wie Tier- oder Buddha-Figuren, die gelegentlich die Kitschgrenze streifen. Zumindest ein Ausstellungsstück läßt Hoetgers zeitweilige Bereitschaft zum Mitmachen erahnen: Die Bronzeskulptur „Empor“, just aus dem „großdeutschen“ Olympiajahr 1936, enthält einiges vom Geiste Leni Riefenstahls oder Arno Brekers.

Doch Hoetger, stets starken Schwankungen der künstlerischen Inspiration ausgesetzt, hat auch durchaus anregende Kunst geschaffen, so etwa die zugleich verschmitzt und vergeistigt wirkende Porträtbüste der Paula Modersohn-Becker oder eine hexenhafte „Moorfrau“.

Die Stadt Dortmund erhielt Hoetgers Nachlaß, aus dem die jetzige Ausstellung bestritten wird, im Jahre 1962. Erst 1979 konnte das Ostwall-Museum den Bestand an Gipsformen und Abgüssen übernehmen. In den 17 Jahren dazwischen muß so manche Hoetger-Arbeit zum Schmuck in örtliche Behördenstuben gewandert sein. Einen genauen Überblick dazu hat Museumsleiter Bartsch bis heute nicht.

Bis 25. August im Ostwall-Museum. Di-So 10-18 Uhr, Katalog 10 DM, Eintritt diesmal frei.




Richard Serra gab Dortmund da Ja-Wort

Von Bernd Berke

Dortmund. Großes Aufatmen gestern Nachmittag in Dortmund. Der durch Stahlplastiken weltbekannte Künstler Richard Serra (55) hat der Stadt sein Ja-Wort gegeben.

Vermutlich ab 7. Juli können seine großformatigen Zeichnungen im Ostwall-Museum ausgestellt werden.

Serra war erstmals in der Westfalenmetropole. Er ist nahezu berüchtigt dafür, daß er sich Museums-Räume sehr kritisch anschaut, bevor er seine Werke hergibt. Spannend genug: Er sagt entweder ja oder nein. Kompromisse gibt es nicht.

Drei Dortmunder Orte kamen in Frage: Der Kunstverein schied sofort aus, weil er für die überdimensionalen Zeichnungen zu klein ist. Das Harenberg-Hochhaus fiel für tonnenschwere Plastiken gleichfalls aus dem Rennen. Serra gefällt zwar die Architektur des ,,City-Centers“, doch sie paßt, wie er gestern spontan befand, nun mal nicht zu seiner Art von Kunst. Auch hätte die Statik wohl Probleme bereitet.

Also ruhten alle Hoffnungen auf dem Ostwall-Museum. Und hier gefiel Serra sogleich der Lichthof, der schon so viele Künstler vor ihm überzeugt hat. Ingo Bartsch, der Leiter des Hauses: „Bei dieser Entscheidung ist mir ein Stein vom Herzen gefallen.“

Am Ostwall also wird Serra von Juli bis September eine Gruppe von acht riesigen Zeichnungen (jeweils ca. 2,50 mal 4 Meter) zeigen, und zwar – man muß es sich auf der Zunge zergehen lassen – zwischen den Stationen Lissabon und Rom. Die Schau unter dem Titel „Weight and measure“ (Gewicht und Maß) firmiert als Gastspiel des örtlichen Kunstvereins im Museum.

Serra, dessen Stahlskulptur „Terminal“ am Bochumer Hauptbahnhof bundesweit zuden imponierendsten zählt, ist und bleibt Plastiker, auch wenn er zeichnet. Mit dicken Schichten aus schwarzer Ölkreide verleiht er dem Papier eine in die dritte Dimension drängende, geradezu körperhafte Material-Qualität.

Kunstvereins-Leiter Burkhard Leismann hegt unterdessen weiter gehende Hoffnungen: „Wenn der Kontakt zu einem solchen Künstler erst mal hergestellt ist, kann noch mehr daraus werden.“

 




Geduldig wie ein Gärtner die Kunst wachsen lassen – Walter Witteks Stahlskulpturen und Bilder im Ostwall-Museum

Von Bernd Berke

Dortmund. Zwei Tonnen wiegt der verwitterte Stahlwürfel, aber er schwebt in der Luft. Aus dem Boden ragt eine beängstigend geschärfte und polierte Spitze. Sie scheint nur darauf zu warten, daß der Kubus herunterfällt. Wäre das ein brutales Aufspießen! Doch es wird nicht geschehen. Vor der Hängung des Würfels hat man im Dortmunder Ostwall-Museum die Statik eingehend überprüft.

Es bleibt aber ein diffuses Gefühl der Bedrohung, wenn man sich unter diese Installation des Künstlers Walter Wittek (51) begibt. Steckt diese Furcht in einem selbst, oder verbirgt sie sich im Kunstwerk? Jedenfalls springt sie vom Objekt auf den Betrachter über – wie eine Elektrizität, die einem die Nackenhärchen aufrichtet.

Eine Fülle von Hintergedanken

Doch Wittek will uns eigentlich keine Angst einjagen. Eine andere Arbeit mit den gleichen Material-Zutaten wirkt ganz feierlich: Diesmal wird die Stahlspitze vom verrosteten Rechteck ummantelt und behütet. Das Ganze steht in einer halbrunden Nische und ähnelt einem Altar. Wiederum anders aufgestellt, können diese Stahlskulpturen aber auch Gedanken an Raketen oder Projektile nahelegen.

Oder sie setzen ökologischen Nebensinn frei. Das Arrangement mit dem Titel „Endlager“ soll gar demnächst tatsächlich in einem solchen versenkt werden. Wittek will die Teile in die Atomstätte von Ahaus bringen, von der er befürchtet, dass sie insgeheim als Endlager geplant sei. Drunten könnten die Stücke verstrahlen und selbstverständlich nie mehr ausgestellt werden. Die Aktion wäre nur via Monitor zu besichtigen.

Zwischen Endlager und Erdmittelpunkt

Hinter Witteks Arbeiten stehen überhaupt jede Menge Hintergedanken. Natürlich in erster Linie künstlerische Überlegungen (etwa zum Gegensatz zwischen Last und Leichtigkeit), aber auch philosophisch inspirierte Vorstellungen.

Die diversen Stahlspitzen, die er in Dortmund postiert hat, bedeuten auch den „Nabel der Welt“. Hintergrund ist eine antike, im Apollontempel zu Delphi als sogenannter „Omphalos“ (Wortverwandtschaft: Phallus, also das männliche Glied) Gestalt gewordene Idee der alten Griechen, es müsse einen Erdmittelpunkt geben. Schon damals hatte das einen mystischen Beigeschmack, denn es war allenfalls eine Sache für Eingeweihte. Solche absichtlich herbeigeführten Unschärfen durchziehen Witteks Werke. Sie scheinen eben jenes verborgene Zentrum zu umkreisen, von dem wir höchstens noch eine Ahnung besitzen.

Ganz konkrete Erlebnisse kommen als Anstöße hinzu: Als Kind erlebte Wittek in Dortmund den Bau des „Florian“-Fernsehturms, dessen Silhouette abends manchmal vom Stahlwerk her überglüht wurde. Auch daher also eine Vorliebe fürs Ragende und der Hang zum Stahl.

Schöpfungen mit Staub und Rost

Dieser Künstler ist kein Mystifax, er arbeitet durchaus handfest. In enger Kooperation mit einem Betrieb, der sonst Druckwalzen herstellt, entwirft er an seinem Wohnort Vreden (bei Borken) die stählernen Plastiken. Wittek, der vor seinem Nürnberger Kunststudium eine Lehre als Stahlgraveur absolvierte, versteht eine ganze Menge vom Handwerk. Und er hat immense Geduld. Auf das Werden seiner „Staub-Bilder“, die gleichfalls in Dortmund zu sehen sind, hat er rund zehn Jahre gewartet. So lange hat es nämlich gedauert, bis sich die Flocken der Zeit so aufs Papier gelegt und verwischt hatten, daß die Fläche geheimnisvoll grau meliert aussah.

Keine Spur vom schnellebigen, geldgierigen Kunstbetrieb. Wittek sieht langmütig zu, wie die Dinge allmählich entstehen und wachsen. Oder er wartet ab, wie sie Patina ansetzen und vergehen; wie zum Beispiel Stahl auf die Dauer rostet und dann auch für rotbräunliche Stempel-Abdrücke auf Bildern taugt. Zwischendurch wird der Rost sogar regelmäßig mit Wasser begossen. Im Garten der Kunst gedeihen eben auch solche „Pflanzen“.

Walter Wittek. Stahlskulpturen. Staub- und Rost-Bilder. 29. Januar bis 12. März. Museum am Ostwall, Dortmund. Di-So 10-17 Uhr. Katalog 30 DM.

 

 

 

 

 




Zur Bundesgartenschau in Dortmund: Zwischen den Blumen ein Kunst-Reservat

Von Bernd Berke

Dortmund. Am Rande der Bundesgartenschau hat auch die Kunst ihr Reservat. Während die Kosten für die „Blümchen-Olympiade“ stetig kletterten, hatte die Stadt den Etat für diese „Begleitkunst“ von 500.000 auf 300.000 DM gekappt. Erstaunlich, daß man auf diese Weise fünf renommierte Künstler für das Buga-Projekt „Naturraum — Kunstraum“ gewann, u.a. Fabrizo Plessi. der auf der letzten documenta Furore machte.

Ursprünglich sollte sich das Projekt auf konkrete Stadtgestaltung beziehen, anfangs war auch noch der jetzige Unnaer Stadtkünstler Dieter Magnus mit von der Partie. Im in Laufe der Zeit wurde man jedoch grundsätzlicher und wollte erst einmal generell das Verhältnis von Natur, Mensch. Kunst und Künstlichkeit klären. Planskizzen und Vorarbeiten sind nun im Ostwall-Museum zu besichtigen, doch im Westfalenpark, wo die Ideen materielle Gestalt annehmen sollen, sieht man vorerst fast gar nichts.

Das liegt zum einen daran, daß man eh keine fertigen Dinge hinstellen wollte, sondern das allmähliche Werden und Wachsen der Natur-Kunstobjekte vorführen wollte (Schlagwort: „Work in progress“). Auch wollte man nicht wahllos den Park „möblieren“, sondern — beginnend am Buschmühlen-Eingang in Richtung Emscher — einen begrenzten Ausschnitt gestalten. Zum anderen aber häuften sich auch die Probleme. So wurde Herman Priganns begehbarer „Torfturm mit Schilf“ bereits von Buga-Besuchern zerstört. Der Künstler ist so verbittert, daß er erwägt, die traurigen Reste seiner Arbeit eingezäunt zu lassen und auf einem Schild sarkastisch zu kommentieren.

Fabrizio Plessi mußte sich lange in Geduld fassen, bevor — just gestern — vom Hoesch-Konzern (Besitzer des Geländes neben der Gartenschau) die Genehmigung für den Stahlkubus „Die Karyatide der Welt“ eintraf — nach vielen Änderungswünschen. Jiri Hilmar (Gelsenkirchen), der im Ostwall-Museum natürliches und bearbeitetes Holz miteinander kontrastiert, will im Park „Das Dorf für Ungeziefer, Pilze und Pflanzen“ entstehen lassen. Sein Projekt ist aus Krankheitsgründen noch nicht gediehen.

Christiane Möbus hat eine durchbohrte Steinskulptur an die „renaturierte“ Emscher gestellt. Durch das Loch könnte Wasser gurgeln, es entstünde dann ein „kleiner Nebenfluß“ (Objekttitel). Hermann Kassel (Essen) hat seinen „Gang aus Holzstämmen und zwei Stahlpyramiden“ fast vollendet.

Einstweilen muß man sich hauptsächlich mit den etwas kargen Ideen-Darlegungen im Ostwall-Museum (bis 28. Juli, di. bis so 10—18 Uhr) begnügen und die Phantasie spielen lassen. Man kann nur erahnen, daß Ostwall-Leiter Ingo Bartsch und Projektchef Holger Ehlert eine spannende Kunst-Natur-Erkundung im Sinn hatten.




Qualität am Ostwall reicht für zwei Museen – Dortmunder Museum zeigt Werke aus Eigenbesitz

Von Bernd Berke

Dortmund. In Dortmund muß ein weiteres Museum her. Diese Forderung steht schon seit Jahrzehnten im Raum. Nachdem die Stadt in der Nachkriegszeit vorübergehend sogar Köln und Düsseldorf den Kunst-Rang abgelaufen hatte, verschlief man in den 60er und 70er Jahren die Entwicklung der Museumslandschaft total. Nach und nach wuchsen allerorten neue Kunsthallen aus dem Boden – nur nicht hier.

Daß die Sammlung des Ostwall-Museums es längst verdient hätte, angemessen und auf Dauer präsentiert zu werden, wird mit der neuesten Ausstellung des Hauses schlagend deutlich. Die Schau „Eine Sammlung im Wandel“ zeigt etwa 150 der wichtigsten Werke aus dem Eigenbesitz. Es könnten ohne Qualitätsverlust noch weitaus mehr sein, doch dafür fehlt am Ostwall der Platz. Insgesamt besitzt das Museum rund 500 bis 600 Originalkunstwerke (einschließlich Plastik) und etwa 2500 graphische Blätter.

Ostwall-Direktor Ingo Bartsch sieht die Präsentation denn auch als Diskussionsanstoß für kommende Beratungen im Kulturausschuß der Stadt. Dort wird man sich demnächst mit dem „Museums-Entwicklungsplan“ zu befassen haben. Dieser Plan sieht das Haus am Ostwall als Kunsthalle für Wechselausstellungen vor und will die ständige Sammlung an anderer Stelle unterbringen, möglichst in einem Neubau. Kulturdezernent Gerhard Langemeyer dämpfte gestern freilich allzu große Zuversicht: Vorrang genieße in Dortmund die Umgestaltung der Stadt- und Landesbibliothek, dann komme ein Bau für Konzerte und Kongresse auf dem Gelände der Westfalenhallen erst dann sei das Museum an der Reihe.

Die Ausstellung zeigt unterdessen, daß Kernbestände der Sammlung nicht etwa auf freihändige Ankäufe zurückgehen (was der Etat auch nie erlaubt hätte), sondern auf Stiftungen und Dauerleihgaben mit Vorkaufs-Option. Neuestes Beispiel dafür ist die „Sammlung Cremer“, die rund 1000 Objekte umfaßt und von der – als erster „Appetithappen“ – jetzt ein Joseph Beuys-Raum zu sehen ist. Im Herbst soll ein erster großer Querschnitt durch diese Sammlung vorgeführt werden. Bemerkenswert auch die Dauerleihgaben aus der Darmstädter „Sammlung Ströher“ mit Arbeiten des Informel (Bernard Schultze, KO Götz u.a.), die hervorragend etwa zu den zwei Bildern von Emil Schumacher passen, die in Dortmund vorhanden sind.

Expressionismus, Informel, Zero, Fluxus, Kunst der 80er Jahre. Diese Stichworte markieren Schwerpunkte der Dortmunder Kollektion, sie stehen auch gleichsam für die archäologischen Schichten der Sammlungstätigkeit. Es beginnt mit dem für Dortmund geradezu epochalen Ankauf der „Sammlung Gröppel“ im Jahr 1957 und reicht bis zum Erwerb der Sammlung Feelisch (1988). Die Zusammenstellung wird so auch zu einer Hommage an die ehemaligen Leiter des Museums, Leonie Reygers und Eugen Thiemann.

Die Künstlernamen die man am Ostwall präsentieren kann, sind natürlich Legion: August Macke, Pechstein, Kirchner, Rohlfs, Nolde, Max Beckmann, Grosz, Dix, Max Ernst, Käthe Kollwitz, Günter Uecker und Wolf Vostell seien nur als Beispiele genannt. Klar ist: Für diese Ausstellung sollte man sich mindestens einen halben Tag freihalten oder am besten gleich mehrmals kommen.

„Museum am Ostwall Dortmund. Eine Sammlung im Wandel“. 13. Januar bis 17. Februar 1991. Broschüre zur Ausstellung 15 DM. Ein neuer Sammlungskatalog entsteht.




Der Kaiser und seine Leibgarde fürs Jenseits – Dortmunder Ostwall-Museum zeigt Abglanz der Ausgrabungs-Sensation aus China

Von Bernd Berke

Dortmund. „Unsere Wagen sind perfekt gebaut / Unsere Pferde sind in bester Form / Unsere Wagen sind völlig in Ordnung / Unsere Pferde sind ganz robust“. So beschwörend machte man sich im alten China Mut. Es handelt sich um die Anfangszeilen eines chinesischen Jagdgedichts aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. Sie stehen auf einer Steintrommel, die eines von insgesamt nur 92 Exponaten der „Terrakotta-Schau“ im eigens renovierten und teilweise eilends umgebauten Dortmunder Ostwall-Museum ist.

Die robusten Pferde kann man in Dortmund lebensgroß besichtigen. Flankiert von den berühmten Tenakotta-Kriegern (noch nie waren so viele außerhalb Chinas zu sehen), bildet das Ensemble im Lichthof einen derart imposanten Auftakt zum Rundgang, daß alles weitere eigentlich nur noch Beigabe ist; dies auch im Wortsinne, handelt es sich 5 doch bei vielen Stücken um Grabbeigaben.

Im Zentrum der archäologischen Schau, die freilich auch ältere Exponate bietet, steht der „Erste Kaiser“ Qin Shi Huang Di, der von 221 bis 206 v. Chr. herrschte. Dem Despoten gelang es von der alten Kaiserstadt Xi’an aus, mit eiserner Hand die Basis für ein einheitliches chinesisches Reich zu schaffen, das in seinen Grundzügen bis ins Jahr 1911 Bestand hatte. Shi Huang war es auch, der den Bau der „Großen Mauer“ beginnen ließ.

In Xi’an sind seit 1974 Tausende von Kriegern, Rossen und weiteren Grabbeigaben entdeckt bzw. ausgegraben worden. Einen fernen Abglanz dieser archäologischen Weltsensation kann Dortmund nun mit Unterstützung des „Initiativkreises Ruhrgebiet“ exklusiv zeigen. Das umfangreiche Begleitprogramm, u. a. mit Vorträgen und Theatergastspielen aus China, unterstreicht den Rang der Ausstellung. Ein extra engagierter Wachdienst läßt auf hohe Kosten (man munkelt von über vier Millionen Mark) und Besorgnis um die Unversehrtheit der Figuren schließen.

Für die Herrichtung der gigantischen unterirdischen Begräbnisstätte des „Ersten Kaisers“ sollen seinerzeit rund 700 000 Zwangsarbeiter eingesetzt worden sein. Die Terrakotta-Krieger samt Pferden waren dabei als eine Art Leibgarde fürs Jenseits gedacht. In Dortmund werden sie und die anderen Exponate aber nicht als dichte Ansammlung archäologischer Fundstücke, sondern vielmehr als ästhetische Objekte zum optischen Genuß freigegeben. Um zahlreiche Exponate hat man enorm viel leeren Raum belassen – fast wie in einer Ausstellung moderner Skulpturen. Der „luftige“ Effekt wird freilich durch den zu erwartenden Massenandrang von Besuchern wieder aufgehoben werden.

Spartanische Hartfaserplatten als Podeste tun das ihre, den Blick ausschließlich auf die Exponate zu lenken. Neben den dominierenden Terrakotta-Figuren sind u.a. Bronzen, Keramiken, Architekturteile und Eisengeräte aus den Epochen vor und nach der Qin-Dynastie zu sehen. Ihre Bedeutung erschließt sich aber erst bei Lektüre des Katalogs. Zwei „Nebenausstellungen“ in Seitennischen sind der chinesischen Schrift bzw. Fotos der chinesischen Mauer gewidmet.

Übrigens: Von der politischen Situation im heutigen China, das ja nicht eben ein Hort der Freiheit ist, war gestern mit keinem offiziellen Wort die Rede.

„Jenseits der großen Mauer – Der Erste Kaiser von China und seine Terrakotta-Armee“. Dortmund, Ostwall-Museum. 12.8. bis 11.11., tägl. 10-20 Uhr. Katalog 38 DM. Eintritt 10 DM. Karten erstmals auch im Vorverkauf: Bestellungen nur schriftlich unter Angabe des gewünschten Besuchstages an: China-Projekt der Rheinisch-Westfälischen Auslandsgesellschaft, Geschwister-Scholl-Str. 22, 46 Dortmund 1.




Gonschiors Farb-Forschungen

Von Bernd Berke

Dortmund. „Hoch an der Zeit“ sei es und geradezu eine „befreiende Tat“, findet Ostwall-Museumsdirektor Ingo Bartsch, daß ein Mann wie Kuno Gonschior endlich eine erste große Retrospektive bekomme. Schließlich verfolge dieser Künstler seit 30 Jahren ebenso beharrlich wie bewundernswert sein Konzept einer elementaren „Malerei-Malerei“, sprich: einer Erforschung der Grundlagen von Malerei mit deren eigenen Mitteln, vor allem der Farbe.

Der 55jährige Gonschior selbst, 1977 auch schon mal documenta-Teilnehmer, empfindet späte Genugtuung. Bisher seien seine Arbeiten – ganz im Gegensatz zu anderen Regionen – von Revier-Museen wenig beachtet worden. Im Hagener Osthaus-Museum gab es 1979 nicht den erhofften Durchbruch, und die Städtische Galerie Lüdenscheid, die ihn 1989 vorstellte, hat nicht die räumlichen Möglichkeiten großer Kunsthallen. Nun also Dortmund als Start-Station einer Wanderausstellung, die u.a. nach Berlin weiterreist, wo der in Bochum lebende Gonschior Professor an der Hochschule der Künste ist.

Was gibt’s zu sehen? Salopp gesprochen: nichts als Farbe; doch diese immer wieder neu und anders. Ein Vor-Bild war Josef Albers, Klassiker der Moderne aus Bottrop; vermutlich standen anfangs auch die französischen „Pointillisten“ Pate, die im Gefolge des Impressionismus die Bildfläche in lauter Farbpunkte auflösten. Auf Grund mathematisch-physikalischer Untersuchungen zur Farbtbeorie, deren Erkenntnisse er aber zunehmend frei umsetzt, erarbeitet sich Gonschior seine meist zweidimensionalen Farb-„Räume“.

Beispiel im Lichthof: Vier riesige, flache Farb-„Horizonte“, deren zahllose gelbe oder blaue Pinselschläge bei längerem Hinsehen seltsam changieren und eine Art imaginäres Violett um sich herum erzeugen. Oder: Auf einer bewußt laienhaft gemalten Serie (Titel: „Piccadilly“) bilden sich – kalkulierte Häßlichkeit – rings um die spitz aufragenden Farbtupfer schmutzig-dunkle Flecken aus den öligen Bestandteilen der Malmaterie.

Vergleichbare allmähliche Wandlungen gibt es bei vielen Bildern des Kuno Gonschior. Auch die Vernachlässigung technischer Feinheiten ist Programm: Manchmal drückt Gonschior Schlieren direkt aus der Tube auf den Bildträger. Der Ausdruck zählt, nicht kühle Meisterschaft.

Der Künstler wünscht vor allem, daß man ausgiebig hinsieht: „Lieber vor nur drei Bildem je einige Minuten stehen, als durch die ganze Ausstellung eilen“, empfiehlt er. Vorgaben läßt er nicht gelten. Bei seinen Bildern könne man ruhig jederlei Assoziation haben. Botschaften irgendwelcher Art seien nicht beabsichtigt: „Die Bilder sind, was man sieht.“ Nicht mehr und nicht weniger.

Die Farbfindung jedenfalls erweist sich für Gonschior seit 1959 als schier endloser Prozeß. Eintönig aber ist das nicht: Mal gibt es Op-art-Effekte wie bei den vibrierenden Leuchtfarben-Bildern der 60er Jahre, mal hügelige Farb-Landschaften, mal den losgelösten Farb-Rausch, dann („schwarze Serie“ der 70er Jahre) sozusagen auch Farb-Depressionen. Farbe kann, man lernt es hier, für eine ganze, höchst eigene Welt stehen.

Kuno Gonschior. Arbeiten von 1959 bis 1990. Ostwall-Museum, Dortmund. Bis 11. März. Katalog 30 DM.




Grenzgänge zwischen Wörtern und Bildern – Ausstellung „In other words“ im Ostwall-Museum

Von Bernd Berke

Dortmund. Am Anfang war das Wort. Oder waren die Bilder doch vorher da? Gleichviel: Derlei Uralt-Fragen müssen wir nicht lösen, um uns mit Buchstaben-Gebilden der Kunst zu befassen. Für die neue und sehr interessante Ausstellung des Dortmunder Ostwall-Museums genügt zunächst der wache Blick.

Später kann man dann z. B. auch ein Englisch-Wörterbuch zu Rate ziehen, denn die meisten der Text-Bilder sind in dieser Sprache „abgefaßt“. Zehn der 13 vorgestellten (und teils recht prominenten) Künstler(innen) stammen aus den USA oder leben dort. Dort hatte Anna Meseure vom Ostwall-Museum auch die Idee zu dieser Präsentation, dort fiel ihr auch der Titel ein: „In other words“ (Mit anderen Worten).

Die bildhaften Sprach-Inszenierungen reichen vom Lachreiz (Richard Prince mit Witztexten auf einfarbigen Untergründen) bis zur vertrackten Philosophie, von plakativen Wörterlandschaften bis in jene Grenzbezirke, wo das Bild in „konkrete Poesie“ übergeht. Den Hauptstrang der Auswahl benennt das Schlagwort Konzept-Kunst. Dieser kopfbetonten Richtung, die sich neuerdings wieder besser gegen entfesselte Malwut behauptet, ist die Kunst-Idee allemal wichtiger als deren Ausführung in Werkgestalt.

In Dortmund steht freilich nicht die radikale Richtung der Konzept-Kunst zur Debatte, die sich mit Einfâllen beschied. Auffallend: Fast alle Künstler (Ausnahme: Ben Vautier) bedienen sich nicht der Schreibschrift, sondern unpersönlicher Formen wie etwa des Druckes oder gar der elektronischen Darbietung. Zeichen der Entfremdung?

Für plakatives, aber gleichwohl hintersinniges Vorgehen steht Les Levine, der zusätzlich reale Plakatwände im Stadtgebiet gestaltet hat. „Hasse dich selbst“, „Verführe dich selbst“ – solche Botschaften prangen einem da wie Werbung entgegen, intimste Regungen öffentlich machend.

Strenger und recht nah bei der Sprachwissenschaft (Linguistik) angesiedelt, sind die Arbeiten von Thomas Löcher, der Wortfelder zur eigenständigen Ordnungswelt/Weltordnung „stapelt“ oder auflistet – Sprache als reines Denksystem. Sprache aber auch als Lebens-Zeichen: On Kawara schickte aus verschiedenen Weltecken Ansichtskarten oder Telegramme: „I’m still alive“ (Ich lebe noch), lautet die lakonisch-postalische Mitteilung.

Mit Neonröhren stellt Maurizio Nannuci seine Kunstschriften in den Raum. Sie kriechen als Wortschlangen am Boden oder deckenwärts, sie erstrahlen als abstrakte Vierecke an der Wand, wobei der eigentliche Wortlaut aus Farblinien erst errätselt werden muß. Nancy Dwyer formt Lettern zu hohen, röhrenartigen Blöcken: „Your Face“ (Dein Gesicht) steht da wie ein ehernes Monument der Meditation.

Die früheste Arbeit stammt von Joseph Kosuth und verschränkt irritierend drei Ebenen der Realität: „One and three chairs“ (1965) besteht aus der wortwörtlichen Lexikon-Definition eines Stuhls, einem echten Stuhl und dem Foto eines Stuhls.

Übrigens: Endlich wieder eine veritable Kunst-Ausstellung im Ostwall-Museum und kein kulturhistorischer Exkurs! Letzteres gehört (wofür man sich am Ostwall auch stark machen will) ins Museum für Kunst und Kulturgeschichte an der Hansastraße.

(Bis 15.10., di-so 10-18 Uhr, Katalog 38 DM).




Wenn die Literatur in Bilder gefaßt wird – „Buchillustration 1900-1945″ im Ostwall-Museum

Von Bernd Berke

Dortmund. Buchillustration kann so betrieben werden: Der Künstler läßt sich intensiv auf den betreffenden Text samt seiner historischen Bedingungen ein und versucht, den „Geist“ des Buches auszudrücken. Er kann sich aber auch oberflächlich am Inhalt des Geschriebenen orientieren und es im Sinne „seiner“ gewohnten Kunstrichtung umsetzen.

Für beide Vorgehensweisen finden sich Belege in einer Ausstellung, die sich gar nicht recht ins sonstige Programm des Dortmunder Ostwall-Museums einfügen will und eigentlich eher ins Haus für Kunst und Kulturgeschichte gehört hätte: „Literatur und Zeiterlebnis im Spiegel der Buchillustration. 1900-1945″ (bis 27. August, di-so10- 18 Uhr, Katalog 39 DM).

Rund 200 ausgestellte Bücher werden in Dortmund ergänzt durch selten präsentierte Graphik (Kirchner, Barlach, Pechstein, Beckmann u. a.) aus den Ostwall-Magazinen. Von diesen Künstlern findet man dann auch jeweils Buch-Illustrationen.

Für die oben skizzierte „Einfühlungs“-Methode stehen – ungeachtet großer historischer Abstände – etwa so kongeniale Illustrationen wie Jacques Callots Kupferstiche zu E. T. A. Hoffmann, Alfred Kubins Zeichnungen zu Erzählungen von Edgar Allan Poe oder Max Liebermanns Bilder zu Heinrich Heines „Rabbi von Bacharach“.

Für die andere Art, die oft eher einer Entfernung vom als einer Annäherung an den Text gleichkommt, finden sich vor allem Belege aus dem Umkreis des Jugendstils, der den verschiedensten Buchvorlagen fast unterschiedslos seinen „Zeitgeisf‘-Stempel aufdrückte.

Zur Sammlung des Bad Homburger Juristen Ulrich von Kritter, der die Exponate für Dortmund selbst ausgewählt hat, gehören Buch-Illustrationen vieler bekannter Künstler. Neben den Genannten sind dies u. a. Lovis Corinth, Conrad Felixmüller, George Grosz, John Heartfield, Th. Th.Heine, Frans Masereel und A. Paul Weber. Nur in den seltensten Fällen freilich werden Original- und Erstausgaben präsentiert, meist handelt es sich um neuere Editionen.

Die Ausstellungsstücke sind in Dortmund weder typologisch noch stilistisch und auch nicht durchweg chronologisch geordnet. Auch wirken die Ausstellungssäle mit ihren Vitrinen (das sinnliche Vergnügen des Blätterns in den Büchern ist natürlich nicht möglich) geradezu klinisch nüchtern wie ein Labor.

Am besten, man konzentriert sich auf einzelne Stücke und sieht großzügig über das Ambiente hinweg. Dann kann man auch hier viele kleine Entdeckungen machen und historische „Linien“ ziehen, mitunter auch im direkten Verßleich. Welch ein Unterschied etwa zwischen Ernst Ludwig Kirchners Leidensbild von Chamissos Schattenverkäufer „Schlemihl“ und Emil Preetorius‘ gefälliger Bebilderung des gleichen Buchs.

Die nächste Ausstellung im Ostwall-Museum, dem Stil des Hauses wohl wieder gemäß, wird übrigens das Verhältnis zwischen Bild und Text sozusagen umkehren. Sieht man jetzt Bilder inmitten von Schriften, sind’s ab 10. September „Schrift-Bilder“ – Kunstwerke, die sich in irgendeiner Form mit Buchstaben befassen.




Traditionelle Kunst im Griff des Marktes – Zwei Dortmunder Museen zeigen Kunst kanadischer Eskimos und Indianer

Von Bernd Berke

Dortmund. Der „Schild für moderne Krieger“ ist zwar noch mit ein paar schütteren Indianerfedern geschmückt, doch seine Panzerfläche besteht aus plattgetretenen Bierdosen amerikanischer Sorten. Die Berührung mit der „weißen“ Zivilisation hat die traditionelle Kultur der Indianer durchsetzt oder gar verschlungen.

Die pluralistische Vielfalt, die aus dieser Berührung entstanden ist, hat offenbar viel von Verwirrung und Beliebigkeit. Das ist eine Beobachtung, die man ab Samstag bei der großen Dortmunder Doppelausstellung (Titel: „Im Schatten der Sonne“) mit zeitgenössischer Indianer- und Inuit (Eskimo)-Kunst aus Kanada machen kann.

Zwei Dortmunder Museen teilen sich Präsentation und Kosten. Im Museum für Kunst und Kulturgeschichte werden rund 140 Arbeiten von Inuit-Künstlern gezeigt, im Museum am Ostwall etwa 110 Bilder und Objekte indianischer Künstler. Grundlegender Unterschied: Die Inuit leben im höchsten Norden Kanadas so isoliert, daß sie noch kaum in den breiten Strom der Westkunst geraten sind; ganz anders die Indianer, die ersichtlich auch neuere Stimmungen der internationalen Kunstszene verarbeiten, zitieren und verwandeln, so daß sie sich oft in einem ZwitterBereich zwischen Tradition und Moderne bewegen. Jedenfalls verstehen sie sich zunehmend als individuelle Künstler im westlichen Sinne, was übrigens auch preistreibend gewirkt hat.

Viele Arbeiten wirken seltsam geglättet

Die Arbeiten der Inuit-Künstler sind erst durch touristische Souvenir-Nachfrage in den Kreislauf des „gefräßigen“ Kunstmarktes gekommen. Zahlreiche Exponate, auch wenn sie sich auf Traditionsthemen wie Jagd, Tiergeister und Schamenentum beziehen, wirken denn auch wie für den Markt geglättet oder strahlen gar eine Art „Spielzeugcharakter“ aus. Sogar die Mini-Skulptur eines Menschen am Galgen, gefertigt aus Walroßstoßzahn (ein bevorzugtes Material), wirkt eher niedlich. Ob grellbunte Wandbehänge, „naive“ Zeichnungen oder Tierfiguren – die Kraft authentischer Volkskunst fehlt den meisten Stücken. Dekorativ-Undämonisches Überwiegt, die Ausstellung ist gut und leicht konsumierbar.

Am Ostwall freilich werden die Ansprüche des Betrachters, da es sich hier um ein reines Kunstmuseum handelt, womöglich steigen – und vielfacht unerfüllt bleiben. Auch hier drängt sich nämlich bei manchen Exponaten der Eindruck für den Markt zubereiteter Folklore auf, so daß man alsbald in Zweifel gerät, ob man die Ausstellungsstücke nicht lieber unter ethnolologisch-dokumentarischen Gesichtspunkten würdigen und „interessant“ finden soll. Einige Werke werden aber auch höheren Ansprüchen gerecht, so etwa Ron Noganoshs erwähnter Kriegsschild, oder – Beispiel für eine zahlreich vertretene „Öko-Kunst“ – eine Weltkugel, deren Substanz per Wasserhahn in ein Klo ausläuft. Spannend z.B. auch die magischen Installationen von Edward Poitras („Eisenbogen“), die ihre Kraftfelder fast in Beuys’scher Art aufbauen.

Die Auswahl für beide Ausstellungen besorgte das Canadian Museum of Civilization, dessen gigantischer Neubau (zweitgrößtes Museum auf dem nordamerikamschen Kontinent) im Juli 1989 in Ottawa mit eben jener Ausstellung eröffnen wird, die jetzt bei uns zu sehen ist. Insofern handelt es sich um eine Dortmunder Weltpremiere.

Bis 26. Februar 1989 im Museum am Ostwall und im Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Hansastraße — Katalog (640 Seiten) 58 DM.




„Eisenzeit“ im Museum: Die schwere Leichtigkeit – Skulpturen von Ansgar Nierhoff am Dortmunder Ostwall

Von Bernd Berke

Dortmund. Ohne Kräne, Gabelstapler und viel, viel Muskelkraft wäre bei dieser Ausstellung gar nichts gegangen. Künstler Ansgar Nierhoff: „Wir mußten unglaublich schuften.“ Im Dortmunder Ostwall-Museum hat die „Eisenzeit“ (Ausstellungstitel) begonnen. Der Schwere des Materials entsprach der Aufwand beim Aufbau.

Der gebürtige Mescheder, jetzt in Köln lebende Ansgar Nierhoff (47), ist längst weithin renommiert, erinnert sich aber noch heute dankbar daran, daß es der Ex-Chef des Ostwall-Museums, Eugen Thiemann, war, der anno 1968 – als erster Museunisleiter überhaupt – eine Nierhoff-Arbeit ankaufte.

Nierhoffs geschmiedete und gebrannte Eisen- und Stahl-Arbeiten tragen stets deutliche Spuren der an ihnen verrichteten Arbeit. Doch es ist, obgleich oft in Stahlwerken entstanden, alles andere als das, was man sich vielleicht unter „Kunst der Arbeitswelt“ vorstellt.

Die „Eisenzeit“-Stücke reagieren sehr bewußt und genau auf den jeweiligen Raum, auf die jeweilige Umgebung. In Saarbrücken. wo sie zuerst zu sehen waren (dort wurde die Ausstellung vom neuen Essener Folkwang-Chef Georg-W. Költzsch betreut), wirkten sie, da in einem einzigen Riesensaal präsentiert, ganz anders, nämlich direkter aufeinander bezogen. In Dortmund hingegen muß der Betrachter, sich durch eine Raumfolge vorarbeitend, solche Bezüge selbst schaffen. Immerhin erleichtert der Aufbau der Ausstellung, die auch das rückwärtige Freigelände des Museums einschließt, die Wege, indem sie Strecken, Schneisen und Achsen vorgibt und auf diese Weise „Sogwirkungen“ ausübt, denen man nachgehen kann.

Frappierend die Mehrwertigkeit vieler Arbeiter: Je nachdem, von welcher Seite man sich nähert, wirkt etwa eine stählerne „Tor“-Situation als bedrückende Verengung oder als Öffnung und Weiterung. Einige Objekte stehen als „in sich gekehrte“, blockhafte Fügungen im Raum, andere zeigen, welche Leichtigkeit Nierhoff seinem „kolossalen“ Material abgewinnen kann. Die Arbeit „Zu einem Block“ (1987), Teile, die zu einem Ganzen zusammenzustreben scheinen, ist – der schweren Stofflichkeit zum Trotz – Vergegenwärtigung einer Bewegung, nicht die eines Lastens.

„Eisenzeit“ ist also auch das Leichte, das bekanntlich so schwer zu machen ist. Aus Museumsräumen werden Spielräume der Phantasie. Wunsch des Ostwall-Leiters Ingo Bartsch: Er möchte, falls das finanziell machbar ist, mindestens ein Exponat für Dortmund ankaufen.

(Eröffnung Sonntag, 11.30 Uhr; bis 21. August – Katalog 36 DM).




Phantomkünstler und Autosalon im Museum – „Stellproben“ am Dortmunder Ostwall

Von Bernd Berke

Dortmund. Vorsicht! Wer zur Ausstellung „Stellproben“ (Eröffnung Sonntag, 11.30 Uhr; Dauer bis 12. Juni) ins Dortmunder Ostwall-Museum geht, könnte in einige Sinnfallen tappen.

Die Irritation beginnt gleich hinter dem Eingangsbereich. Vier nagelneue Exemplare einer bayerischen Marke lassen für einen Moment das Gefühl aufkommen, in einen Autosalon geraten zu sein. Doch die knallroten Fahrzeuge, noch dazu auf rotem Teppich, sind eine Installation und stammen aus der Ideenwerkstatt des Franzosen Ange Leccia, der schon bei der letzten „documenta“ die autombile Waren-Ästhetik in museale Umgebung verpflanzte; damals freilich bediente er sich der Stuttgarter Nobelmarke. Die vier Ostwall-„Schlitten“, die übrigens nur mit Mühe durch die schmalen Museumspforten paßten, wirken auf den ersten Blick wie ineinander verkeilt. Doch die vermeintliche Blockade täuscht. Alle könnten sogleich losfahren.

Die Verwirrung setzt sich – noch weitaus subtiler – damit fort. daß man noch nicht einmal ohne weiteres sagen kann, wieviele Künstler eigentlich an der Dortmunder Ausstellung beteiligt sind. Und das kommt so: „Four American Artists“ (vier amerikanische Künstler) lautet der Titel einer Folge von vier Räumen und eines schmalen Extra-Katalogs. Doch wer nun mit aufgesetzter Kennermiene behauptet, Werke von dem und jenem habe er bereits irgendwo gesehen, blamiert sich gründlich. Denn die vier US-Künstler gibt es gar nicht, sie sind allesamt eine Erfindung des Belgiers Guillaume Bijl. Für die perfekte Illusion einer US-Gruppenausstellung hat Bijl, der auf der nächsten Kunst-Biennale in Venedig verbreten sein wird, vier Künstler-Namen samt Phantom-Biographien ersonnen und sich vier „Stil-Masken“ aufgesetzt. Das funktioniert. Man mag kaum glauben, daß die Arbeiten (ein Raum zeigt z. B. minimalistische Kunst, der nächste pop-artistische Spiele mit „trivialen“ Objekten) von einem einzigen Künstler herrühren. Fehlt eigentlich nur noch, daß Bijl vier Konten fürs Künstlerhonorar einrichtet.

Sehr genau muß man auch bei dem in Düsseldorf lebenden Stefan Demary hinschauen, um nicht dem Trug zu verfallen. Er verfremdet im Detail: Da fährt ein Legostein-Auto gegen alle physikalisehen Gesetze durch eine Wand, ein Schachspiel besteht – nun spielt mal schön! – nur aus schwarzen Figuren, ein gepunkteter Hund stiert Wandflecken an, die so aussehen, als gehörten sie zu seinem Fell – und Kanzler Kohl trägt eine Zusatzbrille verkehrt herum.

Hinter diesen winzigen Manipulationen wirkt eine Installation des Belgiers Luc Deleu um so wuchtiger, gewaltiger. Wie von einer Gigantenfaust hingeschmettert: ein raumfüllendes Chaos aus Dutzenden von stehenden, liegenden, gestürzten Altglascontainern (man muß sich regelrecht an den grünen Dingern vorbeidrücken). Der Müllbehälter als Müll, als Wegwerf-Gegenstand. Übrigens: Besucher, so bitten die Museumsleute, sollten kein Altglas mitbringen. Eine weitere Idee konnte der Künstler aus finanziellen Gründen in Dortmund nicht verwirklichen, sie wird nur als Skizze auf dem Deleu-Katalog angedeutet. Burgzinnen vergleichbar, wollte der Belgier rund um das Dach des Ostwall-Museums 608 Verkehrszeichen (No. 205 = Gefahrenstelle) anbringen. Gar so schlimm ist es denn doch nicht: Das Museum ist kein gefährlicher Ort, es wirbelt nur ein bißchen unsere Sehgewohnheiten durcheinander.




Gemeinsame Ausstellung der Kunstmuseen im Revier rückt offenbar näher – Wegweisende Idee des Hagener Osthaus-Chefs Michael Fehr

Von Bernd Berke

Hagen. Die Idee des neuen Chefs im Hagener Osthaus-Museum, Dr. Michael Fehr, die Kulturkräfte der Region mit einer gleichzeitigen Eigenbesitz-Ausstellung aller 17 Kunstmuseen des Ruhrgebietes zu bündeln, nimmt konkrete Gestalt an. Die SPD-Fraktionsvorsitzenden der Revierstädte haben sich bei einer Zusammenkunft in Duisburg für ein solches Vorhaben ausgesprochen. Interesse signalisierten auch die Regierungspräsidenten und das NRW-Kultusministerium.

Damit ist der Plan, in den auch der Kommunalverband Ruhrgebiet einbezogen werden soll, auf bestem Wege zur Realisierung. Wunschtermin: Ende nächsten Jahres.

Wie Michael Fehr gestern im Gespräch mit der WR erläuterte, könne die „Kunstsammlung Ruhrgebiet“ (Arbeitstitel des 17er-Projekts) zugleich eine große Revision der Bestände und langfristig ein Umdenken in der Sammlungspolitik einleiten. Man müsse endlich über die jeweiligen Kirchtürme hinausblicken und nicht mehr in jeder Stadt – zwangsläufig mehr schlecht als recht – alle Nachkriegs-Kunstrichtungen sammein, sondern sich spezialisieren (und somit besser profilieren). Beispiel: „Dortmund und Hagen verfügen über die meisten Werke von Expressionisten. Es wäre sinnvoll, wenn andere Museen Einzelbilder dieser Stilrichtung hierher geben“. Umgekehrt könnten sich das Dortmunder und das Hagener Muséum von Stücken trennen, die nicht zu ihren Sammlungschwerpunkten passen.

Daß derlei Tauschaktionen eine ungeheuer schwierige Sache sind, weiß Fehr. Doch immerhin hätten Dortmunder Museumsleute schon Neigung zu solchen Transaktionen erkennen lassen. Komplizierter sei es schon mit dem Lehmbruck-Museum in Duisburg und dem Folkwang-Museum in Essen, die sich ihrer bundesweiten Bedeutung höchst bewußt seien und daher das Augenmerk weniger auf die Region richteten. Fehr glaubt aber, daß mit dem Generationswechsel an der Spitze einiger Reviermuseen (neue Chefs in Dortmund, in Hagen, demächst auch in Essen) einiges in Bewegung kommt. Fehr bezieht in seine Überlegungen übrigens beide großen Dortmunder Museen mit ein, also das Museum am Ostwall und das Museum für Kunst und Kulturgeschichte an der Hansastraße.

Vorerst bleiben Tauschgeschäfte der skizzierten Art Utopie. Doch der vorübergehende Wechsel von Exponaten für die Dauer der Ausstellung „Kunstsammlung Ruhrgebiet“ könnte die verhärteten Strukturen bereits lockern.

Fehr, der in Hagen mit einem Minimal-Ausstellungsbudget von 50 000 Mark im Jahr wirtschaften muß, schätzt die Kosten für das revierweite Mammut-Unternehmen auf rund 750 000 Mark und rechnet fest mit Landeszuschüssen. Er verweist dabei auf die Düsseldorfer „Kunstsammlung NRW“, die mit Millionen aus dem Landesetat aufgebaut worden sei. Ersehnter Nebeneffekt des Ausstellungs-Projekts: ein 17bändiger Bestandskatalog, also ein umfangreicher Führer durch die Kunstmuseen des Reviers.

In Sachen Katalogisierung liegt derzeit einiges brach. Fast alle Ruhrgebietsmuseen, so Fehr, sind mit ihrer Inventarisierung Mitte der 70er Jahre stehengeblieben. Die Finanzmisere ließ eine Fortschreibung bisher nicht zu. Unterdessen träumt Fehr auch schon von einem Katalog, der alle im Revier lebenden Künstler vorstellt. Der Hagener Museumsmann: „Was Köln kann, sollten wir auch können“.




Die Kunst, die niemals fertig ist – Arbeiten von Arthur Köpcke in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Bei diesem Künstler war wirklich alles im Fluß, auch die Schreibweise seines Namens: Arthur Köpcke, Koepcke oder KOpke (1918-1977), gebürtiger Hamburger, später dänischer Staatsbürger, hielt ab 1958 mit seiner Kopenhagener Galerie einen Stützpunkt der damaligen Kunstavantgarde.

Zur ästhetischen Vorhut gehörte Köpcke seit den 50er Jahren selbst, anfangs mit aktionsgeladenen, informellen Bildern, später mit Beiträgen zu Pop- und Konzept-Kunst. Stets hielt er sich dabei abseits von Gruppierungen, stand kaum je in „vorderster Linie“. War er auch kein Medienstar wie Joseph Beuys; dieser und viele andere „Kollegen“ zollten ihm Hochachtung.

Die erste größere Retrospektive des Köpcke-„Werks“ (mit dem Werk-Begriff muß man hier vorsichtig umgehen) ist jetzt, fast elf Jahre nach dem Tod des Künstlers, im Dortmunder Ostwall-Museum zu sehen (bis 10. April, täglich außer montags 10-18 Uhr). Ein kleinerer Teil der Arbeiten, überwiegend aus Privatbesitz, ist zuvor in der Berliner daad-Galerie gezeigt worden. Doch Dortmund sorgt für den eigentlichen Beginn einer „Tournee“, die noch nach Den Haag und Kiel führen wird.

111 Exponate führt der Katalog auf – man wird sie beim besten Willen nicht vollständig besichtigen können;,denn Köpcke läßt vor allem in seine Ideenskizzen und Material-Collagen ein ursprünglich-lebendiges Chaos einfließen. Wer allein die zahlreichen Bilder-Schriften (meist englische Texte) lesen wollte, müßte sich tagelang im Museum aufhalten. Auch beschäftigt Köpcke den Betrachter mit verzwickten Bild-Rebus-Rätseln, die freilich nach keiner Lösung, sondern nach Phantasie verlangen.

Die meisten Arbeiten Köpckes können nicht als abgeschlossen gelten, sie sind offen für Veränderung, sind eben „im Fluß“ (kunstgeschichtliches Etikett: „Fluxus“-Kunst). Zu Lebzeiten ließ Köpcke die Ausstellungsbesuche seine Kunst weiterführen. So wucherten etwa Köpckes Materialbilder, indem zahllose Besucher ihre Taschentücher oder Seifestücke daran hefteten. Ausdrücklich fordert der Künstler die Leute zu solchem „Frevel“ auf: „Sie nehmen nur teil, wenn Sie dieses Aktionsstück, dieses Prinzip fortsetzen, sonst sind Sie nur ein Zugucker.“

In Dortmund bleibt man „Zugucker“. Zwar darf man – auf Kopien einer Köpcke-Skizze – eine Sprechblase mit eigenen Spontan-Gedanken füllen, die Ergebnisse werden der Ausstellung beigefügt; doch ansonsten gilt: „Berühren verboten!“ Das ist natürlich ein Dilemma, wenn man (im verständlichen Interesse der Leihgeber) im Prinzip unfertige Kunst als fertige präsentieren muß. Und so ist denn unsere Beteiligung hier eher im abstrakt-gedanklichen Sinne gefragt: Schon im Lichthof empfängt den Besucher eine weiße Wand, auf der nur ein Köpcke-Spruch prangt: „Fill with your own imagination“ — Füll’s mit deiner eigenen Vorstellungskraft.




Neuer Leiter des Ostwall-Museums: „Kunst ist auch Politik“ – Ingo Bartsch skizziert sein Konzept

Von Bernd Berke

Dortmund. „Eine reizvolle Aufgabe“ erhofft sich der künftige Leiter des Dortmunder Museums am Ostwall, Dr. Ingo Bartsch (44), von seiner neuen Stellung, die er vermutlich im Februar oder März 1988 antreten kann. Bartsch, derzeit noch stellvertretender Chef des Museums Bochum, sagte gestern, er wolle „mit einigem Fingerspitzengefühl versuchen, die verhärteten Strukturen“ an dem Dortmunder Kunstinstitut „abzumildern“.

Er setze auf das pädagogische Geschick seiner Mitarbeiter. Durch didaktische Vermittlung sollten weitere Bevölkerungskreise an das Haus herangeführt werden. Gleichwohl bleibe sein Konzept offen auch für neue und neueste, womöglich noch nicht „abgesicherte“ oder gar verstörende Kunstströmungen.

Der neue Mann für Dortmund, ein gebürtiger Berliner, der an der dortigen Freien Universität studierte, investierte volle fünf Jahre in seine 1977 abgeschlossene Dissertation über die Malerei des italienischen Futurismus und ihre Bezüge zum Faschismus. Die Anfälligkeit dieser Avantgarde-Bewegung für autoritäre Strömungen gilt Bartsch als Beleg dafür, daß Kunst nicht vom gesellschaftlich-politischen Umfeld isoliert werden kann. Bartsch: „Kunst ist mehr als bloße Ästhetik“. Diese Einsicht werde sich in seiner Dortmunder Arbeit ebenso niederschlagen wie das Spezialinteresse für Italien.

Er freue sich, so Bartsch, mit dem Ostwall-Museum nicht nur ein reines Wechsel-Ausstellungs-Institut zu übernehmen, sondern auch für die Pflege einer ständigen Sammlung verantwortlich zu sein. Diese Kombination passe zu der Ausbildung, die er bis 1979 an der Kunsthalle in Baden-Baden erhalten habe.

Der Dortmunder Sammlungsbestand – mit den Schwerpunkten Expressionismus (Sammlung Gröppel) sowie Happening und Fluxus (Sammlung Feelisch) sei beachtlich, müsse jedoch „erweitert, ergänzt, konzentriert“ werden. Da der Ankaufsetat (für 1988 lediglich 200.000 DM) durch den beschlossenen Erwerb der Sammlung Feelisch auf Jahre hinaus weitgehend blockiert ist, will Bartsch öfter mal mit anderen Museen kooperieren und sich auch auf vorsichtige Suche nach Sponsoren begeben. Allerdings: „Sponsorentum ist grundsätzlich eine knifflige Angelegenheit.“ Es dürfe keinesfalls ein sachfremder Einfluß auf die Arbeit des Museums ausgeübt werden.

Einige Neuerungen am Museum, dessen Lichthof just einen schmucken neuen Innenanstrich bekommen hat, stehen bereits fest: Teile der Sammlung werden umgruppiert. Vor allem „Neue Wilde“ und größere Objekte müssen in die Magazine. Dafür werden im Untergeschoß Räume für Künstler-Aktivitäten frei, die sich vornehmlich auf die örtliche und regionale Szene stützen sollen.

Obgleich Ingo Bartsch dem Haus am Ostwall viel Gutes abgewinnen kann („schöne Raumabfolge“), würde er sich doch auf längere Sicht – genau wie Dortmunds Kulturdezernent Dr. Gerhard Langemeyer – einen zusätzlichen Neubau wünschen. Bartsch: „Dann könnte im alten Haus die ständige Sammlung präsentiert werden, und im neuen wäre Platz für Wechselausstellungen“.




Wenn Bildhauer zum Zeichenstift greifen – Ausstellung „Das andere Medium“ im Ostwall-Museum

Von Bernd Berke

Dortmund. Wenn Bildhauer zeichnen, so muß das nicht heißen, daß sie lediglich Vorskizzen für ihre dreidimensionalen Arbeiten entwerfen; auch nicht, daß sie ihre fertigen Skulpturen nachträglich auf Papier darstellen. Manche Bildhauer und Objektmacher entfernen sich vielmehr ganz bewußt von ihrem gewohnten Medium. Die Zeichnung wird dann eigenständiges Ausdrucksmittel, sie wird autonom.

Andere wiederum zeichnen vollkommen funktionale Vorlagen für Werkstätten, die die Ideen dann ins Material umsetzen. Und wieder andere zeichnen zwar Skulpturen, aber gleichsam als Utopien, an deren Verwirklichung (schon aus Kostengründen) oft gar nicht zu denken ist. So verzwickt und vielfältig ist die Sache. Daß solche Vielfalt auch sinnliches Vergnügen bereiten kann, zeigt jetzt im Dortmunder Ostwall-Museum die Ausstellung „Das andere Medium – Zeichnungen von Bildhauern“ (ab Sonntag bis 11. Oktober).

Eine Art Gütesiegel: Immerhin zehn der 30 in Dortmund vertretenen Künstler sind gegenwärtig documenta-Teilnehmer, sieben sind bei der vielbeachteten Münsteraner Ausstellung „Skulptur ’87“ dabei. Die Dortmunder Ausstellungsmacher Anna Meseure und Dietmar Elger haben fast alle Künstler persönlich aufgesucht und dabei Kontakte geknüpft, die für künftige Ausstellungsvorhaben einiges erhoffen lassen. So kamen viele Zeichnungen nach Dortmund, die noch nie außerhalb der Ateliers zu sehen waren.

Das breite, aber sinnvoll geordnete Spektrum reicht vom konstruktivistisch arbeitenden Hans Uhlmann (Zeichnungen aus den 50er Jahren) über Joseph Beuys bis hin zu „Leitfiguren“ der gegenwärtigen Szene wie etwa Thomas Virnich, Thomas Schütte und Magadalena Jetelová.

Eine Überraschung sind jene drei Arbeiten von Günther Uecker, die gänzlich von seiner bekannten „Nagel-Kunst“ abweichen. Daß aber sonst meist das bildhauerische Arbeitsprinzip eines Künstlers (mehr oder minder verhüllt) auch in Zeichnungen präsent ist, läßt sich gut am Beispiel Ulrich Rückriem studieren. Dessen Verfahren, Steinquader zu zerteilen und hernach wieder zusammenzufügen, taucht auch im Medium der Zeichnung auf; nur erzielt er den Effekt hier mittels Graphit und Klebestreifen. Ähnlich ist es beim verstorbenen Norbert Kricke, dessen totale lineare Reduktion gleichsam eine Urform des Zeichnens darstellt (und das Signet der Ausstellung abgibt), aber auch in seinen Bildhauer-Arbeiten wiederkehrt.

Den größten Erkenntnis-Gewinn hat man von der Ausstellung natürlich dann, wenn man die Zeichnungen mit Skulpturen der jeweiligen Künstler in Bezug setzen kann. Da jedoch andererseits der Eigenwert der zeichnerischen Arbeiten betont werden soll, hat man in Dortmund bewußt auf eine direkte bzw. fotografisch vermittelte Gegenüberstellung mit Bildhauerarbeiten und Objekten verzichtet.

Übrigens: „documenta“-Besucher bekommen für einige in Kassel gezeigte Objekte in Dortmund gleichsam die Erläuterung „nachgereicht“. So etwa im Fall Albert Hien, dessen endlos in Spiralbewegung befindliche „Wurstmaschine“ in Kassel zu gehen ist. In Dort- mund hängen nun Vorzeichnungen dazu, und man sieht, daß Hien vom Kreislauf der Nahrungsproduktion, des Essens und der Ausscheidung ausgegangen ist.




Zeit der Rivalität ist längst vorbei – „30 Jahre Dortmunder Gruppe / Dortmunder Künstlerbund“ im Ostwall-Museum

Von Bernd Berke

Dortmund. Es hat schon etwas für sich, wenn die Museen einer Stadt nicht immer gleich auf Teilhabe an der ganz großen (und oftmals hochgeredeten) „Weltkunst“ oder „Westkunst“ aus sind, sondern über viele Jahre hinweg auch kontinierlich einheimische Künstler fördern. In Dortmund hat dies eine gute Tradition, die bis heute nicht abgerissen ist: 1957, also vor 30 Jahren, konnte die „Dortmunder Gruppe“ erstmals im Ostwall-Museum ausstellen, 1960 bekam der „Dortmunder Künstlerbund“ diese Gelegenheit.

In jenen Jahren standen die beiden (1956 gegründeten) Vereinigungen noch für ganz verschiedene Konzepte. Der „Bund“ widmete sich nämlich der gegenständlich-figurativen Kunst, während es die „Gruppe“ – dem damaligen internationalen Trend entsprechend – zur Abstraktion zog. Diese Anfangsjahre, aber auch die weitere Entwicklung und Gegenwart, sind Themen der Ausstellung „30 Jahre Dortmunder Gruppe / Dortmunder Künstlerbund“, die ab Sonntag (Eröffnung: 11.30 Uhr) bis zum 12. April im Ostwall-Museum zu sehen ist.

Die anfänglichen Rivalitäten beider Gruppierungen, die übrigens nie erbittert, sondern sozusagen in „friedlicher Koexistenz“ ausgetragen wurden, sind längst vorbei. In den 60er Jahren begann die gegenseitige Annäherung, heute „geht“ auf beiden Seiten praktisch jeder Stil, von einem Gruppenzwang will eh niemand etwas wissend. Fast ist man geneigt zu fragen, warum sie sich nicht alle zusammenschließen, um vielleicht eine noch stärkere .„Lobby“ bilden zu können.

Rund 60 Mitglieder haben die beiden Gruppen heute. 33 Künstler (dazu vier „Gäste“) sind mit insgesamt 130 Arbeiten in der Ausstellung vertreten. Eine Extra-Abteilung ist verstorbenen Mitgliedern gewidmet. Die im großen und ganzen recht sehenswerte Auswahl traf eine Künstlerjury, das Museum behielt sich ein Vetorecht vor. Gezeigt werden Bilder, Skulpturen, Objekte, Fotografien. Das Spektrum ist vielfältig.

Die Bilder aus den frühen Jahren sind vor allem historisch interessant. Zu nennen wären etwa Max Guggenbergers und Otto Honsaleks Trümmerlandschaften, die Dortmunds Zustand nach dem Krieg festhalten. Der Weg in die Abstraktion ist sehr prägnant am Beispiel von Theo Hölscher zu verfolgen: Seine „Landschaft mit Brücke“ (1925, das früheste Bild der Ausstellung) wandelt sich 1952 zu den geschwungenen Formelementen des Bildes „Hängebrücke XXIII“.

Die vermeintlich „typischste“ Ruhrgebietskunst, Hochofen-Motive nämlich, ist mit Bildern Theo Scheerbaums aus den 60er Jahren zwar präsent, aber Kohle und Stahl als bildprägende Realitäten bleiben in dieser Ausstellung Episode.

Hervorstechendes? Da wird sicherlich jeder Betrachter andere Akzente setzen wollen. Bemerkenswert scheinen mir zum Beispiel die abstrakten Arbeiten von Josef Wedewer, Heinrich Brockmeiers Bronzebüsten („Böll“), die Glasreliefs von Hilde Hoffmann-Schulte, Uschi Klaas‘ „Philososphische Skizzen“, die im Lichthof den ersten Blickfang bilden (Ausstellungsmacherin Anna Meseure: „Weil sie Power haben!“) und – höchst erstaunlich für einen Mann des Jahrgangs 1925 – Bilder wie „Der Stadtindianer“ (1986) von Robert Imhof.

Im Schwarz-Weiß-Katalog (10 DM) vermißt man bei vielen Bildern Angaben zur Entstehungszeit. Auch die Namenslisten der Gruppenmitglieder von einst und heute hätte vervollständigt werden sollen.




Leise Dialoge zwischen Fläche und Raumtiefe – der Münchner Maler Hubertus Reichert im Ostwall-Museum

Von Bernd Berke

Dortmund. Hubertus Reichert (34), in München lebender Künstler, beginnt seine Bilder mit gestisch weit ausschwingenden, spontan aufgetragenen Farbexplosionen. Dann übermalt er die „wilden“ Flächen zum Teil wieder – mit geometrischen, monochromen (einfarbigen) Feldern, Streifen, Linien und Ecken.

Geht man näher an die Arbeiten heran, sind die vorherigen Eruptionen unter der Übermalung noch stellenweise als Aufrauhungen oder Aufquellungen sichtbar – wie mühsam verdeckte Emotionen. Aber man kann das Ganze auch recht gut ohne psychologische Klimmzüge, nämlich unter rein künstlerischen Gesichtspunkten betrachten: als leise Zwiesprache von Fläche und Raumtiefe im Bildgefüge.

Vorskizzen fertigt Reichert nicht an. Wenn er ein Bild beginne, sagt er, wisse er nicht, wohin ihn das führe. Auch die „Übermalungen“ seien nicht etwa von Anfang an geplant, sondern sie ergäben sich erst aus dem Malprozeß selbst.

Man könnte versucht sein, ihn versuchsweise in die Tradition des Informel zu stellen. Doch dagegen wehrt sich Reichert ganz entschieden. Diese Richtung, so der ehemalige Schüler von Karl Fred Dahmen, habe ihn „noch nie interessiert“. Er will, daß die Leute hingucken und die Bilder für sich genommen wahrnehmen. In der Tat könnte man ebenso Verbindungslinien zur Farbfeldmalerei oder zum lustvoll-planlosen Action-Painting ziehen, ohne daß man Reichert dadurch besser gerecht würde.

Reicherts „Arbeiten auf Papier“, entstanden in den späten 70er Jahren, wirken hier fast wie Wandbemalungen; sie passen sich in Farbgebung und Komposition den weißen Museumswänden an, als wollten sie sich gleichsam vom Rand her in die Mauern zurückziehen. Auch die späteren (durchweg großformatigen und ausnahmslos unbetitelten) Acrylbilder drängen sich schon farblich dem Betrachter nicht auf. Reichert verwendet vielfach Industriefarben (Rostschutz) – dunkel verwaschene Rot- und Braun-Töne, in Schlieren verwehendes Hellgelb und Violett-Abstufungen herrschen vor.

Von souveräner Eigenständigkeit künden Reicherts Arheiten noch nicht. Es scheint, als suche er noch seinen Weg zwischen den verwirrend konkurrierenden Trends, als befinde er sich noch in abwartender Haltung, aber schon auf dem „Sprung“.

Hubertus Reichert. Dortmund, Museum am Ostwall. Bis 5. April. Täglich außer montags 10-18 Uhr.




Ostwall-Museum: Umschwung mit Kirchner

Von Bernd Berke

Dortmund. Spür- und sichtbarer Umschwung im Dortmunder Ostwall-Museum: Nachdem Ex-Museumschef Thiemann ausgeschieden ist, werden unter der Ägide seines kommissarischen Nachfolgers, des neuen Dortmunder Kulturdezernenten Dr. Gerhard Langemeyer, schon einige Wände neu getüncht; ein Ausstellungsraum im ersten Stock ward weihevoll mit weißem Vorhang gedämpft. Außerdem verfügt das Haus nunmehr über Luftbefeuchter – ein Umstand, der womöglich manchen potentiellen Leihgeber davon überzeugen könnte, daß sein Besitz in Dortmund gut aufgehoben ist.

Brandeilig, in nur drei Monaten, hat Langemeyers Team (Sonja-Anna Meseure, Dietmar Elger) seine erste eigene Ausstellung besorgt und lockt gleich mit einem großen Namen: 79 Arbeiten des „Brücke“-Künstlers Ernst Ludwig Kirchner, vorwiegend Aquarelle, Pastelle und Zeichnungen, werden ausgebreitet. Der Anteil des Eigenbesitzes beschränkt sich auf sechs Graphiken und drei Gemälde, die nun gleichsam von den Leihgaben „kommentiert“ werden. Letztere kommen u. a. aus Stuttgart, Hannover und Düsseldorf. Die Präsentation gliedert sich, von unvermeidlichen Überlappungen abgesehen, in vier Bereiche: Stadtlandschaften, natürliche Landschaften (Davos, Fehmarn), Tierdarstellungen und Menschenbilder (vor allem Frauenbilder und bäuerliche Figuren).

Man hat hier – in komprimierter Form – wesentliche Aspekte der Kirchnerschen Entwicklung vor sich. Der Umkreis des frühen Kirchner ist in einer Vorstudie zu seinem berühmten Bild „Die Maler der Dresdner Künstlergruppe Brücke“ präsent. Von Au1fbruchstimmung und Naturbezüglichkeit dieser Gruppe zeugen etwa Aktdarstellungen, die in freier Landschaft entstanden. Gerade anhand der Akte können Steilwandlungen nachvollzogen werden – von den fiebrigem, splittrig-aggressiven Bildern der Berliner Zeit (anonymisierender Bild-Titel: „Personen auf der Straße“) bis zu schwellend-ornamentalen Formen unter dem Einfluß Pablo Picassos. Auch die Beziehungen zu Frauen veränderten jeweils die persönliche und bildnerische Grundstimmung. Großartiges Beispiel dafür, wie Kirchner bereits durch subtile Schwarz-, Grau- und Weißabstufungen eine Tiefenstaffelung im Bildraum erzielt, ist die Arbeit „Nebel in den Bergen“ (1935/36).

21.12.86 bis 15.2. 1987. Täglich außer montags 10-18 Uhr; Heiligabend, 25.12. und Silvester geschlossen; am 26.12. und 1.1. von 10-18 Uhr geöffnet. Katalog 15 DM.




„Vom Bett aus“ – ein spezieller Ort der künstlerischen Inspiration

Von Bernd Berke

Dortmund. Wenn eine Ausstellung sich „Vom Bett aus“ nennt, denkt man an allerlei. In der gleichnamigen Schau dreier junger Künstler, die am Sonntag im Dortmunder Ostwall-Museum eröffnet wird und bis 24. Februar dauert, ist jedenfalls keine einzige Schlafstatt zu sehen.

Der Titel bezieht sich denn auch eher auf den zwischen Tag und Traum angesiedelten Zugriff auf die Bild-Wirklichkeit sowie auf die Veränderung der Wahrnehmung durch das Sehen und Immer-wieder-Sehen von Bildern. Gerald Domenig, einer der drei beteiligten Künstler: „Zwei Uhr früh… Vom Bett aus betrachte ich meine Abendmalerei an der Wand gegenüber.“ Domenig bezeichnet das Bett als „Ort der Inspiration“.

Domenig ist 1953 in Villach/Österreich geboren, seine Mitaussteller heißen Christian Hanussek (32) und Nicole van den Plas (42). Die drei kennen sich vom Kunststudium in Frankfurt, betrachten sich aber nicht als Künstlergruppe im eigentlichen Sinne.

Domenig drückt sich vornehmlich in der Nicht-Farbe Schwarz aus. Er spannt kraftvoll ungefüge, zuweilen gewaltsam und bedrohlich wirkende Flächen in akkurat gezogene Linien. Hanusseks Duktus erinnert eher an die heftige Linienführung der „Neuen Wilden“. Aber seine großformatigen Bilder gemahnen auch an monumentalisierte Körper-Studien für eine Kunstakademie. Mit leuchtenden Farben umrissen, tauchen auf verwaschenen Malgründen Menschenfiguren auf, die sich uralten Riten zu widmen scheinen – eine gelungene Verschmelzung archaischer, antikisierender und informeller Elemente.

Die Belgierin van den Plas gibt als einzige ihren Bildern Titel. Zur Not können sie auf das Ausstellungsmotto bezogen werden: „Guten Morgen“ und „Guten Abend“ beispielsweise. Ihre Motive zitieren zum Teil die Ikonographie altägyptischer Mythologie, die hier in einer ganz eigenständigen Bildsprache der (Post)-Moderne neu zu „sprechen“ beginnt.




Spaniens Klassische Moderne – Druckgraphik im Ostwall-Museum

Von Bernd Berke

Dortmund. Frauengestalten feiern frenetische Feste, eine Stierkampfszene wird zur grazilen Tanzfigur; Kröte, Hummer oder Ziegenschädel ergeben frappierend plastisch wirkende Stilleben-Kompositionen – kein Zweifel, das ist die Bildwelt Pablo Picassos. Sie steht jetzt im Mittelpunkt einer Ausstellung des Dortmunder Ostwall-Museums (bis l. August, kein Katalog), die sich der Druckgraphik aus Spaniens „Klassischer Moderne“ widmet und aus lang nicht mehr gezeigtem Eigenbesitz bestritten wird.

Die Blätter von Picasso, Dalí, Miró und Juan Gris wurden in den 50er und frühen 60er Jahren dem berühmten Kunsthandler Daniel Hanry Kahnweiler abgekauft. Seither ist ihr Marktwert schwindelerregend gestiegen.

In der Eingangshalle sieht man 23 Graphiken von Picasso – Demonstration der außerordeutlichen Vielfalt von Techniken, mit denen der Künstler in den 50er Jahren operierte. Dieser Vielfalt entspricht die Unterschiedlichkeit der Quellen, aus denen Picasso zitierend schöpft.

Im ersten Stock folgen eine Serie kubistischer Buchillustrationen von Juan Gris, sowie Arbeiten aus Salvador Dalís nachsurrealistischem Schaffen – fast „barock“ gestaltet, aber mit hintergründigen Einsprengseln von Traumgeheimnis. Beispiele für Joan Mirós scheinbar simple und naive Darstellungsart (darunter das in seiner archaischen Gewaltsamkeit erschütternde Pastellbild „Ehebruch“ von 1928) setzen den Schlußakzent.

Wiewohl in der Summe nicht eben üppig geraten, bietet die Ausstellung doch eine Reihe hinlänglich interessanter Anschauungsstücke abseits vom Hauptwerk der spanischen Meister.




Spaniens Kunst zwischen Tradition und Zeitströmung – Ausstellung zu den Dortmunder Auslandskulturtagen

Von Bernd Berke

Dortmund. Die Tradition lugt immer wieder hervor,aber auch das Zeitklima ist nicht spurlos an den spanischen Künstlern vorübergegangen. Zitate, vornehmlich aus der eigenen Kunstgeschichte (Miró, Picasso) oder der kolonialistischen Vergangenheit (Azteken-Symbole) werden heutigen Stilrichtungen anverwandelt – und natürlich hat auch die demonstrative Heftigkeit der „Wilden“ auf der iberischen Halbinsel ihre Protagonisten.

So wenigstens vermittelt es jetzt im Dortmunder Ostwall-Museum die Ausstellung „Spanien zum Beispiel – Junge Kunst der 80er Jahre“, die aus Anlaß der Auslandskulturtage annähernd 100 Arbeiten von Künstlern aus allen spanischen Regionen versammelt. Sollte die von der Stiftung „General Mediterranea“ organisierte Ausstellung repräsentativ sein (was beabsichtigt ist), so ließe sich danach schwerlich ausmachen, welche Stilauffassungen sich in Spanien durchsetzen werden, vielmehr werden Spannungsfelder sichtbar.

Die auf dekorative, ja fast folkloristische Wirkung angelegten Bilder von Gines Sanchez Hevia (Blumenstilleben, mythologische Motive) sind sozusagen Lichtjahre entfernt etwa von den LSD-HaIluzinationen von „Zush“, von Miquel Barcelos pastosem „Selbstbildnis in der Bibliothek“ oder von Alfonso Galvan, dessen „Triptychon Meeresgrund“ an schaurig-monströse Illustrationen zu gewissen Spielarten der Fantasy-Literatur erinnert.

Als ausgesprochene Blickfänger erweisen sich die plastischen Arbeiten von Andres Nagel aus San Sebastian. Sein „Vogel“ aus Polyester wird von Neonröhren durchbohrt, sein altägyptischer Kellner serviert im Touristenort, seine „Kartenleserin“ steckt als bizarre Figur mit schnorchelartigem Gesicht in einem windschiefen Tisch. Die gleichermaßen sentimentalen wie grotesken Skulpturen gehören zum Plakativsten, aber auch zum Anregendsten, was diese Ausstellung zu bieten hat.

Menchu Lamas großformatige Bilder fügen sich am deutlichsten ins international Gängige. Es könnten Umsetzungen der „Kopffüßler“ von Horst Antes in die Zeichensprache der „Wilden“ sein.

„Spanien zum Beispiel – Junge Kunst der 80er Jahre“. Ostwall-Museum Dortmund, bis 30. Juni. Öffnungszeiten Di. bis Sa. 9.30 bis 18 Uhr, So. 10 bis 14 Uhr.




Dem Zeitgeist hinterhergerannt – Werke von Bernhard Hoetger in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Wohl wenige aus dem Dortmunder Raum stammende Künstler dürften so sichtbare Zeichen ihres Wirkens gesetzt haben wie Bernhard Hoetger. Wer, bitte?

Bernhard Hoetger, am 4. Mai 1874, also vor 110 Jahren, im damals noch selbständigen Ortsteil Hörde geboren, Lehrjahre in Paris, Hauptwirkungsstätten Darmstadt und Worpswede/Bremen. Hoetger entwarf nicht nur die Bauten in der Bremer Böttcherstraße oder das „Cafe verrückt“ in der Künstlerkolonie Worpswede; um ein Haar wäre nach seinen Plänen auch noch Deutschlands erste und einzige „äyptische Stadt“ gebaut worden – im Auftrag des Keksfabrikanten Bahlsen, dessen Tod (1919) das monströse Projekt einer Arbeitersiedlung im Pharaonenstil allerdings scheitern ließ. Den Architekten, Designer und vor allem den Bildhauer Hoetger stellt jetzt das Ostwall-Museum mit einer Werkschau vor. Erstmals wird dabei auch der Nachlaß gezeigt, der 1962 in städtischen Besitz überging (bis 13. Mai, Katalog 24 DM).

Wer fast sämtliche Kunststile bis zur Mitte des 20. Jahrhunlerts nachgeahmt sehen möchte, der gehe jetzt ins Ostwall-Museum. Hoetger hat sich nach und nach – offenbar wahllos – Stilrichtungen „einverleibt“. Am Anfang stehen Einflüsse Rodins, dann dominieren Vorlieben für ägyptische, afrikanische, ostasiatische, gotische und expressionistische Kunstauffassungen. Die Ergebnisse haben nie unverwechselbare Gestalt; sie sind lediglich mal nah am Zeitgeist, mal weit von ihm entfernt. Wie abwegig Hoetgers Entwürfe gerieten, wenn sie sich auf keinen fremden Stil stützten, zeigt sein nichtssagendes Berliner Alterswerk.

In den 20er Jahren entstanden allerdings Werke, die sich annähernd auf der Höhe ihrer Zeit befanden: Möbel im Art Deco-Stil oder Plastiken, die, eigenartigerweise auf dem Wege der Beschäftigung mit afrikanischer Kunst, in Richtung „Neue Sachlichkeit“ wiesen. Doch Nachahmung – und das dokumentiert diese Ausstellung nachhaltig – hat Schattenseiten: Bemerkenswertes steht neben Unsäglichem. Damit ist nicht nur der „Schweinehund als Tischfeuerzeug“ gemeint, den man notfalls noch als witzige Kuriosität à la Dada durchgehen lassen könnte. Geradezu prekär ist Hoetgers Anpassung geworden, als die Nazis die Macht erschlichen. Hitler wollte das von Hoetger konstruierte Portal der Böttcherstraße abreißen lassen. Hoetger entfernte das mißliebige Dekor und ersetzte es durch eine Drachen-Szene im Dutzendstil.

_____________________________

Leserbrief: „Schnoddrige Polemik“

Sehr geehrter Herr Berke, ich bekomme erst jetzt Ihren Artikel über die Hoetger-Ausstellung im Museum am Ostwall in die Hand. So haben da nicht bloß mit schnoddriger, sondem auch mit böswilliger Polemik gearbeitet. Jedenfalls zeigt Ihr Text doch wohl, daß Sie über Entwicklungsvoränge bei Künstlern nicht besonders unterrichtet sind. Hoetger war, und das liegt in seiner Zeit, zu einer – suchenden – Existenz verureilt. Wenn einer sich bloß anpaßte, konnten niemals solche Qualitäten entstehen – die in vielen seiner Werke doch wohl unbestritten vorhanden sind. Nicht in allen – klar.

Jedenfalls kommt es mir so vor, als ob Sie sich in erster Linie spektakulär profilieren wollten – und nicht daran gedacht haben, daß die Stadt Dortmund (der ich sehr verbunden bin) in Sachen bildender Kunst doch eine starke Grauzone ist. Da wäre eher mit sachlicher Aufklärung gedient – die selbstverständlich auch Kritik beinhalten sollte.

Eva Niestrath-Berger, 58 Hagen-Helfe




Welt im Wartezustand – Werke von Ricardo Stein in Dortmund und Bochum

Van Bernd Berke

Dortmund/Bochum. Dortmunds Ostwall-Museum und das Museum Bochum, vor langen Jahren in einen ,,Museumskampf um die Sammlung Gröppel verstrickt, arbeiten jetzt einträchtig zusammen. Die gemeinsame Anstrengung beider Häuser läßt mit der Doppelausstellung ,,Isaac Ricardo Stein“ zwei Revierstädte in Sachen Kunst eng aneinanderrücken.

Wahrend Bochum etwa 160 Zeichnungen des 1951 in Freiburg geborenen jüdischen Künstlers zeigt, sind in Dortmund 80 Öl- und und Aquarell-Bilder zu sehen – zusammen ein repräsentativer Querschnitt durch das Werk des jungen Autodidakten Ricardo Stein, der schon erfolgreich in Paris, Bremen, Freiburg und Israel (von wo aus die Revier-Expositionen angeboten wurden) ausstellte. Die Dortmunder Ausstellung wird am Sonntag um 15 Uhr von NRW-Ministerpräsident Rau eröffnet.

Besonders in den früheren Werken gehören jüdische Überlieferung und kabbalistische Zahlenmystik unmittelbar zum Inventar. Eine Periode verhaltener Farbgebung aus Brauntönen und wie aus geheimer Quelle leuchtenden Gelb-Gold-Schattierungen wechselt mit plakativ and aggressiv kolorierten Bildern. Einige Motive werden immer wieder aufgegriffen: Die Heilige Schrift, Ziffern und hebräische Zeichen, das Judentum symbolisierende siebenarmige Leuchter oder Davidssterne, aber auch eincollagierte Geldscheine oder (Kindheitserinnerung) Spielzeug und das Motiv der Maske, somit die Verhüllung seelischer Not. Solche Requisiten werden miteinander zu (nicht immer kraft- und sinnvoll strukturierten) Ensembles verwoben. Zahlreiche Bildtitel, wie ,,Zerstörung“, ,,Selbstzerstörung“, ,,Verzweiflung“, ,,Enge“ oder ,,Irrenhaus“ suggerieren pure Unterbittlichkeit.

Darstellungen aus dem Bereich des Zirkus‘, der Maskerade, heben diesen Eindruck teilweise wieder auf: Sie zeigen den Künstler a u c h als Darsteller des Leidens. Dem irritierenden Zwischenzustand entspricht ein für Ricardo Stein typischer Bildaufbau. Vielfach geraten Objekte wie Personen in eine gleichsam schwerelose Schräglage – Häuser scheinen zu schlingern und zu kentern oder stehen sogar auf dem Kopf. Stein malte, wie ein Bild von 1963 im (dürftig geratenen) Katalog belegt, schon als 12Jähriger die Dinge meist kopfüber, also einige Zeit vor dem dafür bekannt gewordenen Georg Baselitz. Der Schlüssel hierfür findet sich in der jüdischen Tradition, nach der der messianische Erlöser dann kommt, wenn die Welt ,,sich umgedreht hat“. Ricardo Steins Bilder schildern eine Welt, die die Erlösung braucht, also eine Welt im Wartezustand.

Anhand der in Bochum gezeigten, in geradezu erdrückender Dichte gehängten Zeichnungen, lassen sich ähnliche Entwicklungen verfolgen. Eigentümlich, wie Weglassen und drastische Darstellungen nebeneinander stehen. Besonders bei einer Serie von Aktzeichnungen wird dies deutlich. Figuren, eingefangen in autistisch anmutenden Verrenkungen, starren an sich herab. Wo das Geschlechtsteil sein müßte, ist entweder Leere oder im Gegenteil eine überdeutliche, schreiende Wiedergabe des Geschlechtsmerkmals.Ein Anzeichen für starke Gemütsschwankungen: Die Angst ist entweder gar nicht da, oder sie wird herausgeschrien.

Ostwall-Museum Dortmund und Museum Bochum, Kortumstraße 147: ,,Isaac Ricardo Stein“. Gemälde in Dortmund (29.1. bis 11.3.), Zeichnungen in Bochum(28.1.bis 11.3.)




Bilderreise durch die Sowjetunion

Von Bernd Berke

Dortmund. Die Auslandskulturtage der Stadt Dortmund mit der Sowjetunion sind ab heute auch im Ostwall-Museum präsent, und zwar gleich mit einer Doppelausstellung über sowjetische Landschaftsmalerei der letzten Jahre sowie mit sowjetischen Plakaten aus der Zeit zwischen 1918 und 1982.

103 Landschaftsbilder von 78 Künstlern sind in der ersten Abteilung zu sehen. Schnell wird dem Betrachter deutlich, daß es hier weniger um künstlerische Genietaten oder zukunftsweisende Gestaltungen geht. Man kann aber anhand der Bilder in der Phantasie eine „Reise durch die Sowjetunion“ nachvollziehen.

Ganz bewußt wurden Werke aus allen 15 Sowjetrepubliken zusammengestellt, die lediglich gemeinsam haben, daß sie Landschaften zeigen. Fast sämtliche Stilrichtungen der Malerei sind vertreten: Impressionistische Bilder hängen neben expressionistisehen, eher kunstgewerblich anmutende Idyllen neben Beispielen abstrakter Formgebung oder solchen, die an westlichen Foto-Realismus erinnern.

Die Unterschiedlichkeit der Landschaften prägt sich auch den Bildern ein: Während Werke aus Georgien farben- und lebensfroh wirken, stellen Künstler aus Estland oder Moskau zuweilen auch schon mal Überdruß an der modernen Zivilisation und zerstörter Landschaft dar. Die meisten Werke haben eher trocken-akademischen oder Plagiatcharakter, vermitteln jedoch indirekt einiges über den Sowjet-Alltag.

Im oberen Stockwerk hängen 151 sowjetische Plakate, hauptsächlich Ankündigungen für Kino- und Theaterveranstaltungen. Während die Plakatkunst aus der Zeit kurz nach 1918 noch revolutionären Optimismus und Bewegung ausdrückt, erstarren auch hier die Formen mit der Zeit zu einem eher langweilig-einheitlichen Schulstil. Dennoch gibt es interessante Entdeckungen zu machen, so etwa das Originalplakat zum berühmten Eisenstein-Film „Panzerkreuzer Potemkin“ oder sowjetische Darstellungen zu westlichen Filmen (z.B. „Wir Wunderkinder“). Beide Ausstellungen sind bis zum 3. Juli geöffnet.