Eisiges Kammerspiel mit einem Hauch Poesie – Roberto Ciullis „Othello“ bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen

Desdemona (Dagmar Geppert) liebt Othello (Jubril Sulaimon). Der jedoch hegt Zweifel ob ihrer Treue. Foto: Franziska Götzen

Nein, ganz ohne Verdi geht es dann doch nicht. In Roberto Ciullis „Othello“-Inszenierung, die das Shakespeare-Drama zu einem hoch verdichteten, eisigen Kammerspiel einer besseren Gesellschaft stilisiert, sorgt wenigstens Desdemonas „Ave Maria“ aus Verdis gleichnamiger Oper für Wärme und Trost, für bebendes Leidenskolorit und innigen Erlösungston.

Zu sehen war die Produktion jetzt noch einmal, nach ihrer Premiere am Mülheimer Theater an der Ruhr (September 2018), bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen. Zu Ehren eines großen Bühnenmagiers, dessen Deutungen oft voller Poesie sind, sich aber mit Gesellschaftskritik nicht zurückhalten.

Ciulli lässt am Beginn des Dramas Desdemonas Vater auftreten. Ein feiner älterer Herr mit Fliege, der polternd sein Kind verstößt, weil es Othello, einen Schwarzen, heiratete, im Bann von dessen Hexenmeister-Künsten. Klaus Herzog spielt diesen kaltherzigen Papa, als hochnäsigen Vertreter einer gehobenen Mittelschicht, die allerdings geradezu mafiose Züge trägt. Zu ihm gesellt sich ein aalglatter Cassio, in weißem Anzug, ständig rauchend und von Fabio Menéndez in übler Machomanier gezeichnet.

Der fieseste Schmierlappen aber ist ohne Zweifel Jago, ein Intrigant im Nadelstreif, der mit einer Floskel wie „Ich sehe schwarz“ dem Alltagsrassismus dicht auf den Fersen ist, der zum anderen eine virtuose Perfidie an den Tag legt, die bei seinen Abtritten stets in einem dahingeheuchelten „Ich empfehle mich“ gipfelt. Steffen Reuber mag in dieser Rolle nicht die große, gottabgewandte Dämonie umhüllen, doch sein sorgsam eingefädelter Plan, Othello das Monster der Eifersucht einzupflanzen, lässt das Publikum allemal frösteln.

Jagos Gattin, trotz kleidender Eleganz schon etwas abgewrackt wirkend, darf Petra von der Beek vor allem als willfährige Gehilfin spielen, eiskalt bis in die hochtoupierten Haarspitzen. Bevor sie am Ende die große Intrige aufdecken kann, wird ihr Mann sie erwürgen. Eine Tat, nicht zuletzt begangen aus einer lang gepflegten Hassliebe heraus.

Bring mir Beweise! Othello und der fiese Intrigant Jago (Steffen Reuber). Foto: Franziska Götzen

Für Othello aber hat von diesen zwielichtigen Gestalten keiner etwas übrig. Die Anfeindungen sind von gewaltiger Wirkmacht, denn die Hauptrolle ist mit einem Schwarzen besetzt. Jubril Sulaimon, vor Nigerias Militärdiktatur Anfang der 1990er Jahre nach Deutschland geflohen, in der Tasche ein Schauspielexamen seiner Heimat, fand 1992 ein erstes Engagement in Essen, wirkte an mehreren Bühnen des Ruhrgebiets, und tritt nun also als Othello im Mülheimer Theater auf. Hier gibt er nicht den strahlenden Helden, vielmehr einen Menschen, der zumeist defensiv reagiert, in seinem Eifersuchtsschmerz jedoch zu großen Ausbrüchen fähig ist. Dann entfalten seine Worte vom bevorstehenden Urchaos, von einer Rache, die alle verschlingen werde, eine ungeheure Macht. Mitunter fällt er ins muttersprachliche Idiom, wenn er dem Zorn noch mehr Gewicht verleihen will.

Und Desdemona? Sie mag Othello wirklich lieben, in aller Unschuld, und in Cassio nicht mehr als einen Freund sehen. Doch Dagmar Geppert staffiert ihre Rolle mit beinahe gelangweilter Distanz aus, mit wenig Empathie. Tiefe Empfindung erwächst allein in Verbindung mit eben jener Verdi-Musik, die diesem Drama im Konversationston eine ganz eigene Färbung verleiht. Allerdings kann sie die gekünstelte Lounge-Atmosphäre von Ciullis Inszenierung nicht wirksam aufbrechen.

Die Poesie des Todes: Am Ende wird Othello mit diesem Tuch Desdemona erdrosseln. Foto: Franziska Götzen

Zum kunstvoll Kalten gehört ein rotes Sofa, das vorn den sonst ziemlich leeren Raum dominiert, den Gralf Edzard Habben gestaltet hat. Hinten befindet sich ein Punchingsack, starkes Symbol aus dem Boxermilieu, in dem es Mann gegen Mann geht, und nicht intrigant hintenherum. Erst zuletzt, mit Desdemonas und Emilias Tod, findet Ciulli einen bildgewaltigen Hauch von Poesie. Ein riesiges weißes Tuch bahnt sich, vom Gebläse getrieben, den Weg. Othello wird es, ebenso wie seine einst geliebte Frau, um sich schlingen – und sie damit erdrosseln.

Der fahle Beifall am Schluss, sich allmählich steigernd, er mag vielleicht großer Betroffenheit geschuldet sein.

„Othello“ ist am Mülheimer Theater an der Ruhr noch einmal zu sehen, am 15. Juni (19.30 Uhr).




Rasendes Protokoll des Verfalls: Roland Schwab inszeniert Giuseppe Verdis „Otello“ am Aalto-Theater Essen

Das Prinzip des Bösen: Nikoloz Lagvilava als Jago in der Essener Neuinszenierung von Giuseppe Verdis "Otello" in Essen. Foto: Thilo Beu

Das Prinzip des Bösen: Nikoloz Lagvilava als Jago in der Essener Neuinszenierung von Giuseppe Verdis „Otello“ in Essen. Foto: Thilo Beu

Der Jubel über den Sieg ist falsch und schal. Mag sein, dass der hochmütige Muselmane zerschmettert am Grund des Meeres liegt. Aber der Mann, den die tarngrünen Truppen da hereinschleifen, ist alles andere als der kraftstrotzende Sieger. Er ist ein Gezeichneter: Otello, halbnackt, kaum fähig, sich auf den Beinen zu halten, schreit ein dünnes „Esultate“ heraus und wankt hinkend von der Bühne. Ein strahlender General sieht anders aus.

Und der andere, der Fähnrich, der so gerne Hauptmann geworden wäre, dem Otello aber einen anderen vorgezogen hat? Der vernebelt in Roland Schwabs neuer Inszenierung von Verdis vorletzter Oper am Aalto-Theater in Essen erst einmal den Raum. Dann zerbricht er eine schwarze, löchrige Fahne – das Banner des Aufruhrs, des Verderbens? Jago schnippt mit dem Finger und das Inferno bricht aus. Er ist, das macht Schwab von Anfang an klar, der Regisseur des Bösen. Sein Prinzip: „Ich bin nichts anderes als ein Kritiker.“ Der Geist, der stets verneint.

Die „Feuer der Freude“ tauchen die Szene in gespenstisches Orange. Später fährt auf der karg-schwarzen Bühne von Piero Vinciguerra im Hintergrund ein Dschungel hoch. Cassio wankt in die Röte hinter den Palmen; Napalmbrand oder Höllenfeuer, von Jago entzündet. Francis Ford Coppolas Apocalypse Now oder Stanley Kubricks Full Metal Jacket lassen grüßen.

Doppeltes Opfer Otello

Roland Schwab interessiert sich nicht so sehr für die feinen psychologischen Verästelungen einer Eifersucht, die ihre fahlen Fäden in die Seele von Otello bohren, auch nicht für den schrecklichen Mechanismus, mit dem der Nihilist Jago sein tödliches Garn spinnt. Er zeigt keinen Krieger auf dem Höhepunkt seines Erfolgs, der dann durch einen Gespinst, fein wie das Taschentuch seiner Desdemona, zu Fall gebracht wird. Bei ihm ist Otello ein doppeltes Opfer – das seines furchtbaren Traumas, befeuert durch einen ebenso furchtbaren Widersacher. Die Oper ist ein rasendes Protokoll des Verfalls, der sich von Akt zu Akt steigert, um am Ende in unheilvoller Lethargie auf einem Designer-Sessel zum Erliegen zu kommen.

Gitterwerk einer traumatisierten Kriegerseele: Gaston Rivero auf der Bühne von Piero Vinciguerra zu Verdis "Otello". Foto: Thilo Beu

Gitterwerk einer traumatisierten Kriegerseele: Gaston Rivero auf der Bühne von Piero Vinciguerra zu Verdis „Otello“. Foto: Thilo Beu

Liebe, Eifersucht, der Außenseiter, der in seiner Frau einen Anker in der Welt gefunden hat: Diese Motive werden am Aalto-Theater sekundär. Im Vordergrund stehen die psychischen Folgen des Grauens, das den Krieger einholt. Es fängt die Seele in kaltglänzenden Lamellenrollos – eine Assoziation zur französischen „jalousie“, der Eifersucht –, es bannt Otello zwischen die Stäbe eines inneren Gefängnisses.

Dahinter wird die Gesellschaft in kitschigen, im Halbdunkel verschwimmenden Bildern sichtbar. Sie weicht ängstlich zurück, wenn Otello wie ein neurotisches Zootier an den Drähten entlangtigert. Dann gibt das Gitterwerk den Blick frei auf blutglänzende Körper, die in den verzweifelten Wiederholungszwängen kranker Seelen zucken und sich winden: Otello, vervielfältigt. Ikonen psychischer Verderbnis, in Blitze des Wahnsinns getaucht. Dämonisch klares Licht – Manfred Kirst und sein Team leisten Großartiges – und giftige Nebel lösen einander ab.

Projektion des Objekts einer Macho-Begierde

Und Desdemona? Das neue Ensemblemitglied Gabrielle Mouhlen, blond, lange Beine, steckt in einem ungeheuer schnulzigen Hochzeitskostüm, als sie wie von ungefähr im Hintergrund der Bühne auftaucht, wenn das Orchester die wundervolle Cello-Einleitung zum Duett „Già nella notte densa“ anstimmt. Gabriele Rupprecht (Kostüme) will die Figur mit diesem Aufzug nicht denunzieren, sondern kennzeichnet sie als Projektion: eine nur vordergründig reale Gestalt, in der sich alles zusammenfasst, was der Macho vom Objekt seiner Begierde, von der Projektionsfläche seiner Fantasien erwartet. Wenn „Venus leuchtet“, hockt Desdemona wie ein Incubus auf dem liegenden Otello – ein geschmackloses Bild, das genau in diesem Moment unheimlich sinnhaft wird: Der Mann der Siege erliegt der Macht seiner unbewussten Vorstellungen.

Gabrielle Mouhlen (Desdemona) und Gaston Rivero (Otello). Foto: Thilo Beu

Gabrielle Mouhlen (Desdemona) und Gaston Rivero (Otello). Foto: Thilo Beu

Gabrielle Mouhlens stets mit kühlem Metall versetzte Stimme, im Piano nicht schmeichelnd oder schmelzend, passt zu dieser unwirklich unerotischen Desdemona. Die Taschenlampen, mit denen die Venezianer im dritten Akt auftreten, sind einmal kein abgelebtes Versatzstück des Regietheaters, sondern lassen die Katastrophe vorscheinen, in die Otello, wild um sich schlagend, hineintaumelt. Desdemona, sein letztes, klischeehaftes Ideal, einziger Halt im verletzlichen Winkel seiner verhärteten Seele, ist im vierten Akt gefangen zwischen den kaltsilbernen Lamellen der klackend sich schließenden Jalousien. Der Mord ist kein Vorgang äußerer Realität: Er ereignet sich unsichtbar im grellen, gegen die Zuschauer gerichteten Scheinwerferlicht. Danach kauert ein gebrochener Mann in der entsetzlichen Leere seiner Existenz: „Otello fu.“ Es gibt ihn nicht mehr. Und Jago hinterlässt zynisch eine teuflische Spur von Schwefeldampf.

Weitergeführte Kriegs-Metaphorik

Roland Schwab führt in seiner Otello-Version mit schlüssiger Konsequenz die Kriegs-Metaphorik fort, die er bereits in seiner Augsburger Inszenierung von Bedřich Smetanas selten gespieltem „Dalibor“ (demnächst ist die Oper auch in Frankfurt zu sehen) – dort noch ein Stück zu gegenständlich – eingesetzt hat. Das Essener Aalto-Theater hat damit eine beachtliche Alternative zu Michael Thalheimers nachtschwarzem Psychodrama an der Deutschen Oper am Rhein geschaffen, das im April wieder in Düsseldorf zu sehen ist – dort als ausweglose Geschichte zweier Außenseiter im Raum einer Paranoia, die selbst ein harmlos-naives Requisit wie das Taschentuch zum Existenz zerstörenden Fanal vergrößert. In Essen spielt das „fazzoletto“ auch eine Rolle – als zynisches Signal, das Otellos fiebrige Wahnwelt anheizt, bis die finale Zersetzung beginnt.

Enttäuschende Performance des Dirigenten

Essen hätte also eine fulminante Premiere erleben können, wäre da nicht die enttäuschende Performance des italienischen Dirigenten Matteo Beltrami gewesen. Er glättet Verdis Dramatik zu einem lyrisch grundierten Moderato, das wie ein fauler Kompromiss zwischen einem faden Gounod und einem zahnlosen Massenet wirkt: Der brachiale Orchesterschlag zu Beginn ohne Schärfe, die Piani ohne Drohung, das Fortissimo ohne Aufruhr und Katastrophenahnung. Die Artikulation des Orchesters ohne Bestimmtheit, ohne zupackende Erregung. Der Wechsel zwischen angespanntem Drive und gefährlich dräuender Entspannung ohne Biss. Die schwärmerischen, sehnsuchtsvollen, aufbrausenden, leuchtenden Momente des Duetts Otello – Desdemona im ersten Akt glattgebügelt zu einem gefällig-unverbindlichen Moderato.

Blässliche Akkuratesse also im Graben zu starken Bildern auf der Bühne. Dazu kein fokussierter Ton des Chores: Jens Bingert mag sein Bestes gegeben haben, aber die federnden Tänzchen am Dirigentenpult bleiben ohne Resonanz, und über die Präzision zieht sich so mancher Schleier. Beltramis leidenschaftsloses Verdi-Exerzieren hat bereits nicht in „Il trovatore“ und noch weniger in „Rigoletto“ überzeugen können. Ein Rätsel, warum man sich für diese wichtige Premiere wieder auf einen derartigen Mangel an Profil eingelassen hat.

Jago triumphiert auch als Sänger

Von den männlichen Protagonisten sichert sich der Jago von Nikoloz Lagvilava auch vokal den Triumph: Sein durchsetzungsfähiger Bariton basiert auf einer sicheren Stütze ohne doppelten Boden atemtechnischer Tricks, behält in der Höhe Rundung und Fülle und schillert in der Tiefe in einer satt-gefährlichen Farbe. Die Duette mit Otello strotzen vor Kraft, ohne dass dem Ton Gewalt angetan würde. Der Mann kennt keinen durch sfumature abgetönten Zweifel; auch sein „Credo“ ist ein Bekenntnis ohne Zwischentöne. Dieser Jago ist keine philosophische Gestalt, sondern ein abgebrühter Verbrecher.

Gaston Rivero hält in den Ausbrüchen, in denen sich seine Realität immer unverrückbarer verschiebt, in Kraft und Nachdruck mühelos mit. Aber seine Rolle braucht die gebrochenen Momente, die Palette emotionaler Farben von der Erinnerung an einstigen Seelenfrieden über die unkontrollierbare Glut bis hin zur tonlosen Erschöpfung des Endes. Da fehlen der soliden Mittellage dann die Farben des Sarkasmus; da flackert der Lyrismus des Duetts mit Desdemona; da fehlen in „Dio! Mi potevi scagliar …“ die Schmerzenstöne über den verlorenen inneren Halt.

Carlos Cardoso macht mit strahlendem Timbre und einer präsenten Emission auf sich aufmerksam; sein Cassio ist auch als Figur gelungen. Dass Bettina Ranch im Finale nur aus einem blechernen Off erklingt, ist schade, aber konsequent; ihre Präsenz auf der Bühne ist eher die einer Aufseherin als die der mitfühlend-ahnungslosen Gefährtin. Dmitry Ivanchey als Rodrigo, Tijl Faveyts als Lodovico, Baurzhan Anderzhanov als Luxusbesetzung für Montano und Karel Martin Ludvik als Herold ergänzen das Ensemble.

Weitere Vorstellungen: 8., 20., 27. Februar; 9. März; 7., 18. April; 12. Mai; 28. Juni 2019.
Info: https://www.theater-essen.de/spielplan/a-z/otello/




Othello im globalen Krieg: Premiere am Bochumer Schauspielhaus

v.l. Jago (Felix Rech) und Othello (Matthias Redlhammer). Foto: Thomas Aurin/Schauspielhaus Bochum

v.l. Jago (Felix Rech) und Othello (Matthias Redlhammer). Foto: Thomas Aurin/Schauspielhaus Bochum

„Vergesst Romeo & Julia, das neue Traumpaar heißt Othello & Desdemona“, der Popsong auf der Bühne des Schauspielhaus Bochum macht sogleich klar, dass man es mit einer typischen Inszenierung von David Bösch zu tun hat.

Doch die Othello-Light-Version funktioniert gut, denn aus heiterem Liebesgeplänkel wird schnell Ernst. Jagos Intrige und die zunehmende Verrohung durch immer beiläufigeres Morden verleiht dem Stück Tiefenschärfe und zieht die Zuschauer in Bann.

Bösch und sein Bühnenbildner Falko Herold haben die Handlung in einer Art zerschossener Fabrikhalle angesiedelt. Ein Kriegsschauplatz irgendwo in der Welt, den General Othello befehligt und wohin ihm sowohl sein militärischer Stab als auch seine geliebte Desdemona folgen. Ausstaffiert in Backpacker-Outfit (Friederike Becht als Desdemona) bzw. Cocktailkleidchen (Xenia Snagowski als Emilia, Jagos Frau) finden sich die Familienangehörigen in der Fremde wieder und zeigen die Attitüde von Amerikanerinnen, die es in irgendeine Bananenrepublik verschlagen hat – Balkan? Vietnam? Irak? Zumindest die Jukebox spielt heimatliche Klänge und die Hochzeit wird mit viel buntem Konfetti gefeiert.

Doch der Honeymoon währt kurz, denn Jagos Intrige vergiftet die Atmosphäre, in seinem Netz verfangen sich nach und nach alle. Desdemona untreu? Es ist nichts daran und doch scheinen die Beweise sie zu überführen. Felix Rech gibt den Jago als gefühlskalten Machtmenschen, für den Töten eine alltägliche Angelegenheit bedeutet, die nebenbei erledigt wird. Obwohl es ihm natürlich lieber ist, wenn andere dabei Hand anlegen und er sie nur anstiftet. Nach so einer Exekution macht er sich erst mal in aller Ruhe ein Bier auf. Irgendetwas hat das Kriegshandwerk wohl mit ihm angerichtet, so dass er zur Empathie nicht fähig ist. Oder liegt es ihm deswegen, weil Mitleid ihm nicht im Wege steht? Eine Folterszene, in der Leutnant Cassio (Florian Lange) mit der Plastiktüte über dem Kopf geschlagen und gedemütigt wird, erinnert stark an die Bilder aus dem Abu Ghraib-Gefängnis und an den Folterskandal der US-Armee im Irak.

Othellos Hochzeit mit Desdemona (Friederike Becht). Foto: Thomas Aurin/Schauspielhaus Bochum

Othellos Hochzeit mit Desdemona (Friederike Becht). Foto: Thomas Aurin/Schauspielhaus Bochum

Doch auch Matthias Redlhammer als Othello, der von seiner militärischen Mission aus einigermaßen edlen Motiven überzeugt ist, wird zum Berserker: Zwar hat Jagos Lüge ihn vergiftet und die Eifersucht lässt ihn rasen, doch ist auch bei ihm der Firnis der Zivilisation dünn. Er mordet im Rausch der Leidenschaft, vielleicht weil er an zivile Gesetze nicht mehr gewöhnt ist. So exekutiert er die eigene Frau, Desdemona, die er doch über alles liebt. Ein Mann des Kriegsrechts, der mit Streitigkeiten im Frieden gar nicht adäquat umgehen kann.

Diese Lesart verleiht dem ansonsten kurzweilig dargebotenen Shakespeareschen Drama, das wie immer auch witzige Szenen kennt, eine gesellschaftliche Reflexionsebene. „Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt“, der Satz von Napoleon Bonaparte trifft hier auf erschreckende Weise zu.

Karten und Termine:
www.schauspielhausbochum.de




Shakespeare als Kind und als Karnevalist – Berliner Theatertreffen: Verdruss mit dem Klassiker, Glück mit Jelinek

Von Bernd Berke

Berlin. „Wow, sterben! Echt?“ So spricht sonst keine Julia von Shakespeare, so quatschen vielleicht Comic-Figuren oder „Szene“-Typen. Doch wenn eine Regisseurin wie Karin Beier sich das alte Liebesdrama in Frank Günthers Übersetzung vorknöpft, wächst Julia der Schnabel anders.

Es stand zu befürchten, daß das Berliner Theatertreffen nach seinem Senkrechtstart (die WR berichtete) ins Trudeln geraten würde. Tatsächlich legte die Düsseldorfer Version von „Romeo und Julia“ keine sonderliche Ehre ein. Der Beifall des kundig-kritischen Berliner Publikums im Schillertheater (als Staatsbühne bekanntlich weggespart) war Pflichtübung, mit Buhrufen für die Regie versetzt.

Karin Beier, die schon in der freien Szene mit Shakespeare umsprang und dann von Volker Canaris ans Düsseldorfer Schauspielhaus geholt wurde, setzt das berühmte Paar (Matthias Leja, Caroline Ebner) in eine Szenerie aus industriellen Fertigteilen. Sieht aus wie unter ’ner Autobahnbrücke. Hier können sich die jungen Leute mal richtig austoben – mit Disco-Tanz und Kung-Fu-Kampf.

Eine ganze Spielzeugkiste wird ausgekippt

Einmal hüpft sogar ein lustiger Aufziehfrosch daher. Eine Mixtur aus schöner neuer Fitness-Welt und Spielplatz. Beiers bunte Bühne spielt „Pelle, Petz und Pingo“. Doch solch allzu grelle Farbigkeit wird auf Dauer grau.

Platz für Liebe gibt’s hier natürlich nicht, nur für einen Zoo von wirren Gefühlen. In der gemeinhin als Balkonszene bekannten Sequenz schweben Romeo und Julia auf zwei Schaukeln und plappern wie Papageien. So etwas färbt ab. Auch ernstere Sätze klingen später kindsköpfig.

Leider sonnenklar, was Karin Beier uns beibiegen wollte: daß heutige Jugendliche die alten dramatischen Gefühle nicht mehr aufbringen können. Doch muß sie dazu ihre ganze Spielzeugkiste vor uns auskippen?

Sonderbar, wie sich die Handlung schließlich ins Hoffnungslose wendet. Vielleicht erklärt sich der schroffe Wandel so: Kind lacht. Kind weint. Und wird auch wieder lachen. Aber warum hat man diese Talentprobe gleich zum Berliner Theatertreffen eingeladen? Man hätte Karin Beiers weitere Entwicklung abwarten sollen.

Weißer Mercedes, schnurlose Telefone

Mit ihrer Auswahl von Shakespeare-Umsetzungen hatte die Jury der Theatertage eh keine glückliche Hand. Das zeigte auch Michael Jurgons‘ Schweriner „Othello“-Inszenierung, vorgeführt im Haus des Berliner Ensembles. Das Stück erstickt unter karnevalistischen Einfällen. Vordergründige Modernismen der kaum noch erträglichen Art kommen hinzu. Der eifersüchtige Othello (Dirk Glodde), im Übermaß geschminkt wie ein „Sarotti-Mohr“ und meist äffisch in seinem Gehabe, fährt schon mal im weißen Mercedes vor, und es wird eifrig mit schnurlosen Telefonen hantiert. Man führt DDR-Uniformen spazieren, ein Transvestit sächselt wie einst der verhaßte Staatschef Walter Ulbricht. Wenn ein Regisseur dermaßen Shakespeare nicht für voll nimmt, fällt es auf ihn selbst zurück. Überzeugend freilich der Intrigant Jago (Thorsten Merten), sympathisch-hemdsärmelig und kumpelhaft. Diesem Keri kann man es kaum übel nehmen, wenn er die Militaristen des Stücks gegeneinander hetzt.

Die Sprachmaschine wirft Deutsches aus

Mit einem ungeheuer schwierigen Text von Elfriede Jelinek plagte sich anderntags im Ballhaus Rixdorf zu Berlin-Neukölln ein sechsköpfiges Frauenensemble des Deutschen Schauspielhauses Hamburg (Regie: Jossi Wider): Jelineks „Wolken. Heim.“ versucht sich an sprachlicher Tiefen-Analyse prekären „Deutschtums“, anhand einer Textcollage von Hölderlin bis zum RAF-Bekennerschreiben. Die Zusammenstellung macht nationale Macken dingfest, sperrt sich aber gegen theatralische Umsetzung.

Desto staunenswerter. was die Hamburger daraus gewinnen. Die im Original nicht dialogisch aufgeteilte Textmasse wird zur Partitur für sechs Frauenstimmen, zur bösen Sprach-Maschine, die mit bedrohlichem Singsang immerzu erschreckend Deutsches auswirft. In Anna Viebrocks Bühnenbild zwischen Führer-Bunker, Kaserne und teutonischer Gemütlichkeit verleihen Darstellerinen wie Ilse Ritter und Marlen Diekhoff dem Stoff große Dringlichkeit. Die anwesende Autorin bekam rauschenden Applaus. Da war es wieder: das Glück des Gelingens im Theater.




Schöpfungsgeschichte der ewigen Eifersucht: Roma-Theater Pralipe spielt Shakespeares „Othello“

Von Bernd Berke

Mülheim. Über die ganze Bühne verstreut liegt Herbstlaub. Vergänglichkeit der Natur. Doch auf den Blättern kauert – wie zu Zeiten biblischer Schöpfung – ein nackter „Adam“. Später zieht er sich an und schminkt sein Gesicht weiß. Als Zivilisationsmensch mit der „richtigen“ Hautfarbe taugt er fortan zu schmutzigen Intrigen: Sein Name sei Jago. Unter dem Laub liegen anfangs die Opfer Othello und Desdemona. Sie wühlen sich daraus hervor, tollen wie die jungen Hunde miteinander. Doch ihr Glück ist von kurzer Dauer.

Das Roma-Theater „Pralipe“, das eine feste Heimstatt m Mülheim gefunden hat, spielt Shakespeares „Othello“ (Regie: Rahim Burhan) – in Roma-Sprache. Als Zuschauer sollte man also vorher das Stück (wieder) gelesen haben.

Besagter Jago (Sami Osman) also richtet sich hier den ungeschminkten Othello (Nedjo Osman) gleichsam als Spielfigur zu, die er nach Belieben lenken und in Eifersuchts-Wahn treiben kann. Und wenn „Othello“ in seinem Furor einmal nachzulassen droht, haucht Jago ihm sozusagen neuen Odem ein.

Überhaupt verquickt man das Drama mit der Schöpfungsgeschichte. Das verleiht der Sache etwas Naturwüchsiges, Unausweichliches. Verführer Jago reicht seinen Mitspielern knallrote Sünden-Äpfel. Wenn er das gleichfalls rote Tuch in die Hand bekommt, mit dem er den Schein-Beweis über Desdemonas angebliche Untreue führen kann, läßt er es schlangengleich wedeln. In ihm steckt offenbar ein teuflisches, seit Anbeginn der Welt herrschendes Prinzip.

Manches Bild wird durch Auf- und Abblenden nur kurz angerissen, wie eine flüchtige Erscheinung. Szenen, die auf Gesellschaft hindeuten, werden weitgehend ausgespart. Als Mitwelt der drei Hauptpersonen tauchen immerhin schon mal Figuren mit Hüten auf, die den Kriminalfilmen der „Schwarzen Serie“ entstiegen sein könnten. Ohne Kino-Vorbilder ist denn auch manches nicht denkbar, besonders der höchst gekonnte Umgang mit Licht und Schatten gemahnt an Filmästhetik.

Ansonsten konzentriert sich „Pralipe“ ganz auf die Zweipersonen-Auftritte. Diese Konflikte spielt man mit einem Nachdruck und einer Emphase, die uns fremd geworden ist. Vielfältig die Bewegungsformen: Mal wird das Fassen und Lassen zwischen Othello und Desdemona ballettös und in quälender „Zeitlupe“ dargestellt, mal grundieren kultische Handlungen und Ding-Magie das Geschehen. Zeichen aus einem anderen Kulturzusammenhang. Soll man sie nach unseren Maßstäben beurteilen?

Das Gesten-Repertoire ist hingegen ziemlich fest umrissen, ja standardisiert. Sehr schwer zu sagen, ob es sich da um Begrenztheit der Mittel oder um bewußte Stilisierung handelt. Doppelgesichtig auch das Bühnengeschehen insgesamt. Da gibt es ergreifende, oft weit in die Bühnentiefe gestaffelte Bilder. Doch solche Momente sind stets absturzgefährdet. Links lauert bodenloser Tiefsinn, rechts flacher Kitsch. Es ist eine Gratwanderung.

Zudem findet kaum Entwicklung statt. Statt einer Tragödie, die sich ja irgendwie entfalten müßte, sehen wir eher eine Art Wehklage von Anfang an. Schon sehr bald bebt Othello mächtig vor Zorn – früh verschenkte Kraft. Es folgt ein ständiges Auf und Ab zwischen Erregung und Beruhigung, das wellenförmig durch die ganze Aufführung hindurchgeht.

Freundlicher Beifall des (theaternahen) Publikums.