Panorama europäischer Baukultur: Diözesanmuseum Paderborn zeigt herausragende Gotik-Ausstellung

Das Diözesanmuseum Paderborn zeigt eine große Gotik-Ausstellung. Eingangsbereich der Ausstellung. Foto: Werner Häußner

Das Diözesanmuseum Paderborn zeigt eine große Gotik-Ausstellung. Hier der Eingangsbereich der Schau. (Foto: Werner Häußner)

Von Licht und Farbe durchflutete Räume, himmelwärts gelenkter Blick, filigrane, schwerelose Architektur: Die gotische Kathedrale fasziniert bis heute Betrachter und Besucher; die Interpretation dieses so revolutionär scheinenden Baustils füllt Bände. Die gotische Kathedrale, deren Entwicklung Ende des 12. Jahrhunderts beginnt, ist zum Inbegriff „mittelalterlicher“ Architektur geworden und hat in der Kulturgeschichte vielfältige Deutungen erfahren. Eine große Ausstellung widmet sich nun in Paderborn einem markanten Beispiel für diese Epoche.

Das Erzbischöfliche Diözesanmuseum stellt bis 13. Januar 2019 den Paderborner Dom in den Zusammenhang der Baukultur des 13. Jahrhunderts in Europa. 170 Leihgaben aus 80 renommierten europäischen Museen stellen Verbindungen her – zwischen der gotischen Baukunst Frankreichs und Westfalens ebenso wie zwischen dem Paderborner Bau und den geistig-theologischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufbrüchen im „Jahrhundert der Kathedralen“.

Anlass für die Ausstellung ist das Jubiläum der Weihe des hochromanischen Doms, den Bischof Imad vor 950 Jahren errichten ließ. Dessen Nachfolgerbau, der heute zu sehen ist, bezieht sich in seinen Dimensionen auf den Imad-Dom und betont damit die Kontinuität, obwohl der gotische Bau, so das Vorwort des voluminösen Ausstellungskatalogs, der erste Dom war, der nicht „aus Anlass der Zerstörung des Vorgängers erfolgte, sondern aus einem bewusst gefassten Entschluss, eine größere und modernere, d.h. gotische Kathedrale zu errichten“.

Zentrales „Ausstellungsstück“ ist der heutige Dom selbst. An ihm lassen sich die innovative Architektur- und Formensprache ablesen, die um 1215 unter direktem französischem Einfluss in Paderborn zu einem modernen Bau führte, der regionale spätromanische Traditionen selbstbewusst mit der neuen Formensprache verbunden hat. Dies sei, wie Museumsdirektor Christoph Stiegemann betonte, kein Zeichen von Provinzialität. Heute sehe die Forschung das Eigenständige der westfälischen Gotik nicht als Mangel, sondern als bewusste Entscheidung, gotische Formen in spätromanische Architekturkonzepte umzuschmelzen.

Älteste erhaltene Architekturzeichnungen

Wie war es möglich, Formen der französischen Gotik aufzugreifen und der heimischen Bautradition anzupassen? Darauf antwortet eines der herausragenden Stücke der Ausstellung: Die Reimser Palimpseste stehen als älteste erhaltene Architekturzeichnungen für ein Medium, das in wenigen Jahrzehnten sämtliche Bau- und Planungsverfahren revolutionierte. Nun konnten die Bauleute komplexe geometrische Architekturformen konzipieren und weiträumig kommunizieren. Die Zeichnungen machten die Formen skalierbar: Es entstand Architektur en miniature; gotische Formelemente ließen sich auf kunstvolle Goldschmiedearbeiten, Elfenbeinschnitzereien oder Reliquiare anwenden. In der Ausstellung steht für solche gestalterische Möglichkeiten das einzigartige Heiliggrabreliquiar aus dem Schatz der Kathedrale von Pamplona, das bisher noch nie in Deutschland gezeigt wurde; ebenso die originalen Fragmente des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Schreins der heiligen Gertrud von Nivelles.

Die Momumentalskulpturen am Hauptportal des Paderborner Domes. Foto: Werner Häußner

Die Momumentalskulpturen am Hauptportal des Paderborner Domes. (Foto: Werner Häußner)

Die Ausstellung verdeutlicht auch, dass die Gotik „mit einer völlig neuen Wirklichkeitserfahrung“ (Stiegemann) einhergeht. Sehen und Schauen als wesentliche Träger von Erfahrung spielen dabei ebenso eine Rolle wie die beginnende Individualisierung des Menschen, die sich in der Konzeption etwa von Heiligenfiguren ablesen lässt. Der berühmte „Kopf mit der Binde“ des Naumburger Meisters, eine der 15 herausragenden Leihgaben aus dem Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseum Mainz, zeigt lebensnahe Mimik: Das um 1240 entstandene steinerne Antlitz lässt sich als verhaltenes Lächeln, aber auch als wehmütiger Blick deuten und gibt der Bedeutungsforschung bis heute Rätsel auf.

Anders der Ausdruck des Engels aus dem Pariser Louvre: Sein entspanntes Lächeln vermittelt einen Eindruck von ruhevoller Heiterkeit, ohne einen Zug ins jenseitig Verklärte anzunehmen. Auch die monumentalen Apostel am Hauptportal des Paderborner Doms nehmen die Züge der neuen Individualität und einen emotionalen Ausdruck an. Sie treten dem Betrachter überlebensgroß als Person, nicht mehr nur als Repräsentanten einer Idee entgegen, wurzeln aber in ihrer Gestaltung aus der Fläche noch in älteren Traditionen: auch sie ein Beispiel selbstbewusster Eigenständigkeit.

Stein und Holz werden nebeneinander verwendet, da die Farbfassung das Material der Skulpturen verborgen hat. Eine jüngst durchgeführte dendrochronologische Untersuchung hat ergeben, dass die Eiche, aus der die beiden Figuren der Bistumspatrone Kilian und Liborius über den Portaltüren geschnitzt wurden, zwischen 1212 und 1224 gefällt wurde – ein wichtiges Datum für die ansonsten quellenmäßig nur dürftig abgedeckte Baugeschichte des gotischen Doms.

Projektleiterin Petra Koch-Lütke Westhues hat die Schau in sechs Stationen aufgeteilt. Sie beginnt mit dem Vorgängerbau, dem 1068 fertiggestellten romanischen Dom von Bischof Imad. Die Wandlungen von der ältesten Paderborner Bistumskirche aus der Zeit Karls des Großen bis hin zum heutigen Dombau veranschaulichen dreidimensionale Animationen. In den Blick rücken die baufreudigen Oberhirten aus der einflussreichen Familie Bernhards II. zur Lippe. Veranschaulicht werden die technischen Innovationen, die den Bau der Kathedralen erst ermöglichten, und die rationalisierten Abläufe an der Großbaustelle mit der Organisation der verschiedenen Gewerke.

Für die Liturgie der Zeit und die Funktion der Kathedrale als Haus Gottes, für das Wechselspiel zwischen öffentlich-repräsentativer Feier der Eucharistie und privater Frömmigkeit stehen exemplarische Leihgaben, aber auch die digitale Rekonstruktion des im 17. Jahrhundert abgebrochenen gotischen Lettners des Paderborner Doms. Eines der Kunstwerke ist ein um 1250 entstandenes Elfenbeindiptychon aus dem Museum für byzantinische Kunst in Berlin mit Szenen aus Passion und Auferstehung Jesu Christi; ein anderes ist die erlesene Goldschmiedearbeit aus der Domschatzkammer Essen, das Armreliquiar des heiligen Cosmas. Dieses Stück in Form eines silbernen Arms trägt auf den Spitzen der Finger einer eleganten Hand ein Türmchen mit gotischen Zierformen. Die um 1300 entstandene Kostbarkeit belegt, wie gotische Architekturelemente als Dekor in zum Teil winzigen Maßstäben in die Kunst übertragen wurden.

Doch die gotische Kathedrale war nicht nur steingewordenes Zeugnis des Glaubens und Abbild des himmlischen Jerusalem. Ein pointierter Katalogbeitrag von Bruno Klein verdeutlicht, in welch komplexe Deutungszusammenhänge die gotische Kathedrale im Lauf der Jahrhunderte eingebunden war. Er geht auch auf ihre Funktion im Rahmen der erblühenden städtischen Gesellschaften ein, in der sie eine dynamische Rolle als „Projektionsfläche besonders vieler und keineswegs einheitlicher Erwartungen“ fungierte. Darin sieht Klein den eigentlichen Grund für die Entwicklung dieses markanten Bautyps.

Die Dombauten als große Gemeinschaftsleistungen erfüllten eine aktive Funktion in religiösen, sozialen, politischen und künstlerischen Aushandlungsprozessen – und ihre Zeit ging, so die These, zu Ende, als sich die Gesellschaften zu weit ausdifferenzierten und „ein einzelnes Bauwerk nicht mehr die Interessen aller zum Ausdruck zu bringen vermochte“. Ein Aspekt, den eine Ausstellung nur sehr abstrakt darstellen kann, der aber in der Betrachtung der gezeigten Kunstwerke nicht aus dem Blick geraten sollte.

„Gotik. Der Paderborner Dom und die Baukultur des 13. Jahrhunderts in Europa“. Bis 13. Januar 2019 im Erzbischöflichen Diözesanmuseum Paderborn. Geöffnet Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr. Der Eintritt kostet neun, ermäßigt sechs Euro. Der Katalog mit 800 Seiten und 740 Abbildungen kostet in der Ausstellung 39,95 Euro. Info: www.dioezesanmuseum-paderborn.de/gotik

 




Den Papst in der Tasche: Warum Paderborn (wahrscheinlich) in die Bundesliga aufsteigt

Aus fußballerischen Gefilden ist Bemerkenswertes zu vermelden: Nicht nur, dass überwiegend katholisch geprägte Städte die Schlussrunde der Champions League weitgehend unter sich ausmachen (Madrid, München); auch beim Aufstieg in die Erste Bundesliga sind sie führend.

Dass der 1. FC aus der rheinischen Domstadt Köln dabei ist, durfte man erwarten. Nun aber klopft auch die Mannschaft aus der westfälischen Domstadt Paderborn ans Tor des Oberhauses, um mal kreuzbrav im Jargon der landläufigen Sportberichterstattung zu bleiben. „Stand jetzt“ (auch so eine Floskel) müssen sie sich nicht einmal durch die Relegation quälen, um sich zu qualifizieren.

Tabellen lügen nicht

Tabellen lügen nicht

Zu dieser gelinden Sensation fallen einem schnell diverse Sprüchlein ein. Sicherlich haben demnach die Kölner und Paderborner Kicker „den Papst in der Tasche“. Leute, die ihnen weniger wohl gesonnen sind, mögen spotten: „Mit die Doofen is’ Gott.“ Und was dergleichen gackernder Spontanblödheit mehr wäre.

Auffällig ist es jedenfalls, dass zwei solch ausgeprägt katholische Kommunen in die höchste deutsche Spielklasse vordringen. Eigentlich fehlt jetzt noch Preußen Münster, doch die dümpeln irgendwo derart weit unten herum, dass wir lieber nicht genauer nachschauen wollen. Hält der gegenwärtige Trend an, so darf man aber wohl fest damit rechnen, dass sich statt dessen segensreiche Teams aus Altötting und Telgte einen Weg nach ganz oben bahnen werden.

„Geld schießt keine Tore!“ heißt es (meist fälschlich), wenn Missgunst auf die reichsten Vereine mit den teuersten Stars sich Luft schaffen will. Wer aber netzt für Paderborn ein? Wir wollen da lieber nicht weiter spekulieren, sonst wär’s am Ende noch lästerlich. Vielleicht hat ja die Flügelzange, äh, die parallele Heiligsprechung zweier Päpste noch einmal die letzten Reserven mobilisiert, hat somit mehr Doppelpässe und Flanken gelingen lassen als sonst. So rein mental jetzt.

P.S.: Bliebe noch nachzutragen, dass die Protestanten aus Hamburg, Braunschweig und Nürnberg aufs Högschte abstiegsbedroht sind. Noch Fragen?




Damit noch Spuren bleiben

Wer ist eine „Kultfigur“ von Paderborn? Nein, jetzt mal nichts Katholisches. Eher so auf dem Felde der schönen Künste.

Museumsleiterin Andrea Wandschneider sagt mit Nachdruck, Willy Lucas habe allemal das Zeug dazu. Sie und Markus Runte (Museum für Stadtgeschichte) haben mit großem Fleiß dafür gesorgt, dass dieser Künstler nun gleich an drei Ausstellungsorten (siehe Anhang) der Stadt gewürdigt wird, und zwar nahezu für ein halbes Jahr. Zur Eröffnung erklang eine eigens komponierte musikalische Uraufführung, Torsten Brandes’ „Fünf Lieder zu Bildern von Willy Lucas“.

Anlass solcher Anstrengungen, die sicherlich auch dem Stadtmarketing aufhelfen sollen, ist der 125. Geburtstag des Malers, der am 20. Februar 1884 im nahen Bad Driburg zur Welt gekommen ist und den außerhalb zweier eng umgrenzter Regionen heute kaum jemand kennt. Selbst dort hat wohl nur ein spezieller Kreis von Interessenten seinen Namen je gehört.

Die eine dieser beiden Gegenden liegt just rings um Paderborn, wo Lucas Kindheit und Jugend verbracht hat, die andere ist Düsseldorf, wo er von 1904 bis 1906 an der Kunstakademie studiert und etliche Stadtansichten geschaffen hat; wie denn überhaupt Stadtbilder sein bevorzugtes Genre gewesen sind.

Im Zuge des dreifachen Paderborner Ausstellungsprojektes ist auch ein Werkverzeichnis entstanden. Rund 600 Bilder werden als Gesamtwerk veranschlagt, von denen etwa 470 dingfest zu machen sind. Die allermeisten finden sich in Privatsammlungen verstreut, so gut wie nichts ist in Museumsbesitz – mit Ausnahme von Paderborn sowie Einzelstücken in Büren (Wewelsburg) und im Düsseldorfer Stadtmuseum. Dieser Umstand spricht nicht gerade für eine immense Wertschätzung auf dem Kunstmarkt. Immerhin: Im Angebot gewisser Galerien kursieren teils dummdreiste, teils halbwegs geschickte Fälschungen. Sollte dies ein indirekter Hinweis auf schmerzlich vermisste Mangelware sein?

Was aber macht Willy Lucas zur Kultfigur? Seine regionale Verwurzelung? Auch das kann es eigentlich nicht sein, denn er hat ein rast- und ruheloses Leben geführt – mit allein sieben Umzügen innerhalb von Düsseldorf, mit etlichen Reisen nach Holland, Italien, Schweden und Frankreich (erster von vielen Paris-Aufenthalten anno 1906) sowie schließlich Vagabunden-Jahren im süddeutschen Raum.

Lucas war auch kein Mann des „Betriebs“, sondern ein Eigenbrötler. Es gibt keine nennenswerte Briefe oder Tagebuchaufzeichnungen, auch Künstlerfreundschaften sind nicht bezeugt. Überdies kümmerte sich niemand sonderlich um seinen Nachlass. Hie und da haben eventuell Werke anderer Maler auf ihn gewirkt. So könnte man beispielsweise meinen, dass seine Schneebilder oder die Heuschober-Darstellungen von Monet (Originale derzeit u. a. in Wuppertal) beeinflusst seien. Doch die Unterschiede sind eklatant.

So beschleicht einen angesichts anheimelnder Ortsansichten oder dito Landschaften der Verdacht, Lucas habe zwischen naturalistischen Impulsen und (arg verspätetem) Impressionismus vielleicht keine Kraft zur eigen- oder widerständigen Idee aufgebracht, sondern sei ein (allerdings sehr redlicher, ehrbarer, grundsolider) Handwerker der Kunst gewesen. Leicht ist man in derlei Fällen mit dem Wort „provinziell“ bei der Hand. Es wäre allerdings infam.

Da ist wahrscheinlich doch noch mehr, etwas schwer Greifbares, Auratisches. Haben seine besten Schöpfungen nicht doch eine sehr persönliche Ausstrahlung, sozusagen einen stillen Glanz von Innen? Hat er denn nicht die spätromantische Stimmungsmalerei seines Frühwerks überwunden und seine Bildsprache von anekdotischen und geschwätzig-narrativen Elementen befreit? Kann man bei ihm nicht gar den einen oder anderen Vorschein der Neuen Sachlichkeit erblicken?

Sich selbst hat er in seinen Bildern entschieden zurückgenommen. Überhaupt erscheint die Menschengestalt bei ihm nur andeutungsweise. Jeder bloßen „Feinmalerei“ und erst recht jedem ichstarken Auftrumpfen war er sichtlich abhold. Soll man melancholisch werden angesichts eines derart spurenarm versickerten Künstlerlebens? Doch was soll man dann erst übers Dasein der unendlich Vielen, der beschwiegenen Mehrheit sagen?

Willy Lucas ist jung gestorben, im Frühjahr 1918 in Garmisch, da war er gerade einmal 34 Jahre alt. Mit dem Ersten Weltkrieg hatte sein zeitiger Tod nichts zu tun. Der Militaria-Liebhaber hätte (wie so viele verblendete Künstler jener Zeit) bebend gern als Soldat in die Schlachten ziehen wollen, doch ließ man ihn nicht. Der kinderlose, 1916 von einer betuchten Kölnerin geschiedene Außenseiter litt bereits seit 1911 an Tuberkulose, später wohl auch an Kehlkopfkrebs. Eines der letzten Bilder flammt dermaßen unirdisch auf, dass man es als visonär erschauernden Blick ins Jenseits deuten könnte.

Ins profane Leben holt einen dann vielleicht der (leckere) „Willy Lucas Apfelkuchen“ zurück, den eine örtliche Bäckerei quasi als offizielle Spezerei zur Ausstellung feilbietet. Hat Lucas denn Apfelkuchen besonders gemocht? Die schlichte Wahrheit: Man weiß es nicht. Hätte aber gut sein können…

Willy Lucas – Zum 125. Geburtstag. Bis 5. April 2010. Geöffnet Di-So 10-18 Uhr.

Die drei Ausstellungshäuser in Paderborn:

Städtische Galerie, Am Abdinghof 11 (Schwerpunkt: Rheinische Motive)
Museum für Stadtgeschichte (Adam und Eva-Haus), Hathumarstraße7-9 (vor allem Bilder aus der Paderborner Region)
Städtische Galerie in der Reithalle / Schloss Neuhaus, Im Schlosspark 12 (Schwerpunkt: Reisen in Süddeutschland und Europa).

Internet: http://www.willy-lucas.de

Bild: Museumsleiterin Andrea Wandschneider erläutert Lucas-Bild (Foto: Bernd Berke)




Die Welt besteht aus Zahlen – eine anregende Ausstellung in Paderborn

Paderborn. „Am Anfang war das Wort”. Wirklich? An dem biblischen Satz könnte man zweifeln, wenn man diese Ausstellung gesehen hat: „Zahlen, bitte!” zeigt unsere Welt als Ansammlung berechenbarer Verhältnisse. Wie schon der alte Grieche Pythagoras gesagt haben soll: „Die Zahl ist das Wesen aller Dinge.”

Viele kokettieren ja gern mit ihrer Unkenntnis auf diesem Felde: „In Mathe war ich immer schlecht!” Doch 2008 ist nun mal hochoffiziell zum „Jahr der Mathematik” ausgerufen worden. Und nicht nur der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger mahnt seit längerem, diesen Teil der Kultur bloß nicht zu vernachlässigen. Also ist tätige Reue fällig: Auf nach Paderborn, auf ins Heinz Nixdorf Museum!

Da merkt man rasch: Was immer uns ästhetisch erfreut, hat letztlich mit Zahlen zu tun. Der Aufbau schöner Kristalle, die Symmetrie der Tiere, überhaupt die Schauspiele der Natur – mathematisches Regelmaß. Musikalische Klänge – im Grunde lauter Zahlenwerk. Gemälde und Architektur nach dem „goldenen Schnitt” – kaum denkbar ohne rechnerische Basis.

Reichlich Gelegenheit
zum Ausprobieren

Immer wieder gibt es Gelegenheit zum Mitmachen und Ausprobieren, vor allem im „Zahlenzirkus”, der Kinder begeistern soll. Doch diese auch für Erwachsene anregende Schau begnügt sich nicht damit, Staunen und Spieltrieb zu bedienen. Mit sinnlichen Belegstücken dringt sie hie und da auch etwas tiefer in die Materie ein.

Es gibt knappe Einführungen in Geheimnisse der so genannten irrationalen und der komplexen Zahlen, auch die Kreiszahl Pi oder Fibonacci-Zahlenreihen werden näher betrachtet. Man begegnet den großen Rechenkünstlern und Zahlenjongleuren der Geschichte. Hinzu kommen völkerkundliche Exkursionen: Ganz unterschiedliche Zahl- und Zählsysteme gab es auf dem Erdenrund. Im alten Babylon etwa pflegten die Menschen ein 60er-System, dessen Relikte uns heute noch durch Stunden- und Minuteneinteilung geläufig sind. Und das gedankliche Vordringen in den Null- und Minus-Bereich ist ein echtes geistiges Abenteuer.

Vollends verblüffend ist die in Paderborn gezeigte „Unendlichkeitsmaschine”, deren erstes Zahnrad sich noch sichtlich schnell bewegt. Es übersetzt seine Kraft aufs nächste, das sich schon deutlich langsamer dreht. Und so weiter, bis das letzte Rad erreicht ist. Für eine einzige Rotation, so die mathematische Vorausberechnung, würde es 2,3 Billionen Jahre brauchen. Bis dahin ist manches vorbei.

Besonders alltagsnah ist die Abteilung, die sich dem Zufall (sprich: Wahrscheinlichkeitsrechnung) und dem Glücksspiel widmet. Spielgeräte, (gezinkte) Würfel und die alte ARD-Lottotrommel (bis 1965 in Gebrauch) sind Blickfänge.

Beim Glücksspiel wird
es häufig kriminell

Stellenweise wird’s hier kriminell. Oft gab es Versuche, das Zahlenglück zu überlisten, beispielsweise mit Magnetwellen per Handy die Roulettekugel zu lenken. Der Croupier musste sie allerdings vorher ausgetauscht haben. Mathematisch betrachtet, kommt jede Zahl auf Dauer in etwa gleich häufig, ob beim Lotto oder am Spieltisch. Würde man theoretisch ewig spielen, wäre ein Reingewinn unmöglich. Man muss eben rechtzeitig aufhören.

Schon zu Beginn der Schau wird man – noch auf der Rolltreppe – mit einem gesprochenen Countdown empfangen: 5, 4, 3, 2, 1, 0. Am Schluss erfährt man noch einmal in geballter Form, dass schier alles zählbar zu sein scheint und daher auch gezählt wird. Statistiker haben errechnet, dass im Schnitt stets 0,7 Prozent der Weltbevölkerung volltrunken sind. Diverse Geräte vermessen nicht nur die ganze Erde oder den Stromverbrauch, sondern es gibt auch Zählwerke, die Springseil-Umdrehungen ermitteln.

Eine mathematisch inspirierte Kunst-Installation rechnet schließlich Gestalt und Bewegungen der Besucher in wabernde Zahlenwolken um und zeigt sie auf der Leinwand – fürwahr ein seltsamer Blick in den „Spiegel”.

„Zahlen, bitte! – Die wunderbare Welt von null bis unendlich”. Heinz Nixdorf MuseumsForum, Paderborn, Fürstenallee 7 (umfangreiches Begleitprogramm – Tel.: 05251/30 66-00). Eintritt 4 Euro, Familie 8 Euro. Bis 18. Mai. Di-Fr 9-18, Sa/So 10-18 Uhr. Internet: http://www.hnf.de/

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AM RANDE:

Ein Gedankenspiel der Ausstellung betrifft das so genannte „Hilbert-Hotel”: Angenommen, ein Hotel hätte unendlich viele Zimmer, aber dann kämen auch unendlich viele Gäste. Wie kann man sie unterbringen? Wir verraten nur dies: Das Zauberwort heißt „Zimmerwechsel”.

An anderer Stelle können Besucher Stäbchen auf eine Fläche mit vorgezeichneten Linien werfen. Voraussage für die Summe aller denkbaren Zufallswürfe: Aus sämtlichen Schnittpunkten ergibt sich auf Dauer das Maß der Kreiszahl Pi. Verblüffend!




Helge – der Schamane des Unsinns / Programm „I Brake Together“: Auftakt zur langen Tournee in Paderborn

Von Bernd Berke

Paderborn. „Paaaderboorn – Bi-hie-lefeld – Minden.“ Der Kerl macht sogar aus den Ortsnamen seiner ersten Tournee-Stationen noch einen kleinen Song. Helge Schneider ist wieder unterwegs, und die Reise soll bis ins Jahr 2008 dauern.

Jetzt gab’s den Auftakt just im kreuzbraven Paderborn. Ein Testgelände abseits der kulturellen Hauptrouten. Helge treibt natürlich seine kleinen Scherze mit der Stadt. Mal nennt er sie „Kaff“, mal „kafkaesk“. Alles furchtbar nett gemeint. Daran, dass hier und andernorts nichts los ist, sei ohnehin nur Angela Merkel schuld, bemerkt er feixend.

„I Brake Together“ heißt sein neues Musikprogramm. Das kann man kaum übersetzen. Genau genommen, hieße es nicht „Ich breche zusammen“, sondern etwa „Ich bremse zusammen.“ Aber bei Helge Schneider darf man nicht zum Wortklauber werden. Kichernde Sinn-Zerstäubung ist seit jeher sein Pläsier.

Hauptsächlich besteht der Abend aus exzellent dargebotenen Jazz-Spielarten, Blues und traditionssattem Rock’n’Roll – meist in schön verjaulte Schräglage versetzt, was die Musik oft erst richtig auf den Begriff bringt.

Dass Helge (51) ein Virtuose auf vielen Instrumenten (Klavier, Saxofon, Trompete, E-Gitarre etc.) ist, hat sich herumgesprochen. Und wer einen Pete York in seiner (betagten) Begleitband hat, muss sich erst recht keine Sorgen um den Sound machen. Der seit den frühen 1960er Jahren aktive Drummer (Spencer Davis Group, Hardin & York etc.) bekommt auch bei Helge sein bärenstarkes Solo. Wow!

Vor allem aber lechzt das überwiegend junge Publikum nach Helge Schneiders Liedtexten und Überleitungen. Es giert nach herrlich hirnrissigen Titeln wie „Lady Suppenhuhn“ oder „Telefonmann“, die dieser Schamane des Unsinns schlichtweg gekonnt herunter-eiert. Sein neuer Hit vom „super-sexy Kä-Kä-Käsebrot“ zerrt einen biederen Tonfall („Käsebrot ist ein gutes Brot“ – das klingt wie aus den 50er Jahren) über alle Zwischenzeit hinweg ins Jetzt. Er bringt auch solche halsbreçherischen Sachen halbwegs heil um die Kurve.

Gipfelpunkt ist seine ingeniöse Parodie auf Udo Lindenberg. Da scheint tatsächlich „uns‘ Udo“ zu röhren – im schlingernden Dialog mit einem gewissen Helge Schneider. Der bringt es sogar fertig, beide Singstimmen (fast) auf einmal ertönen zu lassen. Und beim neuen Lied „Trompeten von Mexiko“ („sie laden dich ein“) spielt er dieses Blasinstrument und das Piano zugleich. Solche simultanen Zauberstücke macht ihm so leicht keiner nach.

Man spürt, dass er mittlerweile entspannt in sich ruht. Er muss sich und uns nichts mehr beweisen. Wo er ehedem schon mal etwas krampfhaft witzelte, lässt er’s heute durchweg locker laufen. Und es blitzen sogar Zwischentöne durch – allerhand Sottisen gegen Konsumwahn und TV-Flachsinn inbegriffen. Besser so. Heute ist heute, morgen improvisiert er gewiss wieder ganz anders. Und bei all dem wird dieser Chaot unversehens zum Perfektionisten.

Blöd ist er sowieso nicht. Es springen gar hinterhältige (Anti)-Weisheiten heraus. Etwa diese Erkenntnis über Einsamkeit, die auf Gelegenheiten lauert: Liebe bestehe doch oft darin, dass man jemanden „irgendwo abfängt“. Oder zum Ladenschlussgesetz: „Endlich kann man mal bis 20 Uhr pennen.“ Zur Weihnachtszeit mahnt er als oberstes Ziel „Zufriedenheit“ an. Was man jetzt überhaupt nicht gebrauchen könne, seien Leute, die „ins Tannenbaumzimmer rasen und in die Ecke pinkeln“. Ist doch wahr!

Das Publikum in der ausverkauften Paderhalle ist lachlustig. Die Fans goutieren ja praktisch alles, was Helge so treibt. Doch enthusiastisch steigert sich der Beifall nur stellenweise. Vielleicht liegt’s ander mitunter bedächtigen ostwestfälischen Wesensart?

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HINTERGRUND

Platte, Buch, Kinofilm und Tournee

  • Helge Schneider kommt jetzt in diversen Medien auf uns zu:
  • Die CD zur Tournee „I Brake Together“ kommt am 19. Januar 2007 heraus.
  • Kürzlich ist sein neues Buch „Die Memoiren des Rodriguez Faszanatas“ erschienen.
  • Am 11. Januar 2007 startet Dany Levys Kino-Tragikomödie „Mein Führer“ – mit Helge Schneider in der Rolle Adolf Hitlers…
  • Die langwierige Tournee führt u. a. nach Mülheim (16. und 17. Dez. 2006), Essen (15.2.2007) – und erst im Herbst 2007 nach Gelsenkirchen, Olsberg, Attendorn, Hamm, Dortmund und Hagen.

 




6000 eingewanderte Wörter – Paderborner Professor Broder Carstensen sammelt Belege für Anglizismen-Wälzer

Von Bernd Berke

Paderborn. Surfen bleibt Surfen. Der Versuch, die englische Sportbenennung mit dem Monsterwort „Brettsegeln“ einzudeutschen, darf als gescheitert gelten. Gescheitert sind auch die meisten anderen Versuche, die Flut von Anglizismen (Wortübernahmen und Entlehnungen aus dem Englischen) einzudämmen.

Bei vielen Worten merkt man inzwischen gar nicht mehr, daß sie von der britischen Insel oder aus den USA stammen. Der Paderborner Anglistik-Professor ler Carstensen (56), seit 20 Jahren eifriger Sammler von Angliszismen, arbeitet derzeit an einem Wörterbuch, mit dem er 6000 „eingewanderte“ Wörter anhand von 80 000 Beispielen (vor allem Belege aus Zeitungen) dokumentieren will.

Dem Wälzer, der in drei Jahren in einem Berliner Verlag herauskommen soll, wird man unter anderem entnehmen können, daß das Wort „Streß“ von einem kanadischem Arzt im Umlauf gesetzt wurde oder daß der Ausdruck „understatement“ (etwa: „Untertreibung“) seit 1956 im Schriftdeutsch gebräuchlich ist.

Das bislang jüngste englische Wort, das Eingang ins Deutsche fand, ist wieder ein sportlicher Begriff, nämlich „Aerobic“. Prof. Carstensen zur WR: „Für schnelle Verbreitung hat das ,Sportstudio‘ gesorgt, als Sydne Rome ihre ,Aerobic“-Kostprobe gab“. „Aerobic“ habe damit die Bezeichnung für den Spukgeist in der fränkischen Zahnarztpraxis, „Chopper“, als aktuellste Neuprägung abgelöst.

Doch nicht nur im Tagesgeschehen recherchierte der Paderborner Professor, sondern auch in der Geschichte: „Die ersten Wörter wurden schon im 13. Jahrhundert aus dem Englischen ins Deutsche übernommen.“ Durch Handelskontakte kamen vor allem via Lübeck und Hamburg Worte aus dem Seefahrtsbereich aufs Festland, zunächst „Boot“, dann „Lotse“, „Kutter“, „Schoner“ und andere, denen man heute die Herkunft kaum anhört.

Eine weitere Welle britischer Wendungen bereicherte das Deutsche zur Zeit der Shakespeare-Übersetzungen. So ist etwa der Ausdruck „Morgenluft wittern“ aus der direkten Übersetzung einer Shakespeare-Zeile hervor gegangen. Vollends öffneten sich die Sprachschleusen mit der britischen und amerikanischen Besatzung nach dem Zweiten Weltkrieg. Selbst so „deutsch“ klingende technische Fachtermini wie „Halbleiter“ oder „Flüssigkeitskristall“ erweisen sich als Lehnübersetzungen aus dem Englischen.

Während in der Schweiz und in Österreich der Gebrauch englischer Wörter weitgehend mit dem in der Bundesrepublik übereinstimmt, sind die Unterschiede zur DDR groß. Aus naheliegenden Gründen überwiegen dort russische Fremdwörter. Seltsamerweise gibt es dort aber eine englische Bezeichnung für „Brathähnchen“, die bei uns unbekannt ist. nämlich „broiler“. Das Hacksteak-Brötchen „Hamburger“, das sich auch im zweiten deutschen Staat „kulinarisch“ wie sprachlich einbürgerte, versuchte man – wohl auf halbamtlichen Wege – durch „Grilletta“ zu ersetzen.

Befragt, ob denn die deutsche Sprache ang6sichts der vielen Anglizismen allmählich verschwinden werde, antwortet Broder Carstensen lakonisch: „Ach, I wo!“




200 Meter Bauzaun als Kunstwerk – und Joern Schlund träumt schon von einem Liebesbrief an der Spitze des Florianturms

Von Bernd Berke

Kassel/Dortmund. Joern Schlund (47) will dem großen Kasseler Kunstspektakel documenta die Schau stehlen. Er wird – mit finanzieller Unterstützung einer Dortmunder Firma – knapp 200 Meter Bauzaun zum gigantischen Kunstwerk umgestalten. Schlunds Aktion soll genau zehn Tage vor Eröffnung der documenta, die am 19. Juni ihre Pforten öffnet, gestartet werden und 20 Tage lang dauern. Die WR stellt das Projekt als erste Zeitung vor.

Das „Objekt“ befindet sich direkt gegenüber dem Kasseler Hauptbahnhof. Der agile Künstler und Pädagoge aus Geseke bei Paderborn wird den langen Bauzaun, hinter dem zur Zeit ein Großkaufhaus hochgezogen wird und der ansonsten als Werbefläche dient, in mühsamer Einmannarbeit bemalen. Daß er dabei mitten im Großstadtrummel agieren muß, stört den Aktionskünstler nicht. Im Gegenteil: Er ist schon gespannt auf Reaktionen aus der Bevölkerung, die er vor Ort mit einer Videokamera aufzeichnen will. Gefaßt erwartet er auch aggressive Äußerungen der Passanten. Schlund hat bereits unschöne Erfahrungen hinter sich. Bei früheren Aktionen gingen seine Produkte auch schon mal in Flammen auf.

Was wird auf den Bretterwänden zu sehen sein? Schlund hat vor, sie weiß zu bekleben und auf die so entstandene Fläche zarte Pastellfarben aufzutragen. Neben die sparsam verwendeten Farbelemente setzt er dann jeweils Worte, zu denen er durch den Philosophen Martin Heidegger inspiriert wurde. So werden den Passanten in Rie-senlettern Worte wie „Sein“ oder „Einsicht“ entgegenleuchten.

Was bezweckt Joern Schlund damit? „Die von mir gestalteten Wände dienen – im wahrsten Wortsinn – als ,Vor-Wand‘ zum Gespräch“, erläutert Schlund, der kürzlich einen Lehrauftrag der Siegener Universität, Fachbereich „Kunst und Kommunikation“, erhielt. Was er sichtbar herstelle, sei weniger wichtig als das, was sich daraus an Gesprächsmöglichkeiten ergebe. Außerdem gehe es ihm um Verunsicherung, er wolle altgewohnte Sehweisen in Frage stellen.

Traum des Künstlers: „Ich würde sehr gern an der Spitze des Dortmunder Fernsehturms ein großes Tuch befestigen, auf dem steht: ,Ich liebe dich!‘ Das wäre mit Sicherheit Stadtgespräch.“ Auf jeden Fall wolle er heraus aus der Isolation und Sicherheit des Museums“. Immerhin: Eine Aktionsidee, die sich im Musentempel verwirklichen ließe, hat Schlund auch schon parat. Er könnte sich vorstellen, mit seiner gesamten Wohnungseinrichtung in einem Museum Quartier zu nehmen, sozusagen als lebendes Ausstellungsstück. Schlund: „Ich würde da ganz normal leben, würde mir auch meine Butterbrote im Museum schmieren und nachts dort schlafen.“

Direkte Aussagen zum politischen Tagesgeschehen liegen Joern Schlund fern. Dennoch begab sich der Geseker schon des öfteren in die Konfrontation. So schrieb er zum Jahr des Kindes auf eine Plakatwand:. „Kinder sind lieb“ und auf die Rückseite „Verhaut die Kinder!“ Auf das Pflaster einer vielbefahrenen Straße pinselte er: „In hundert | Jahren gibt es keine Autos mehr.“ In beiden Fällen erntete er nicht nur Verständnis…

Schlund legt Wert darauf, daß er keinem Vorbild nacheifert: „Ich bin kein Imitator. Weder Leonardo da Vinci noch Joseph Beuys sind für mich Maßstab. Wenn Beuys sich zum Beispiel l mit Bienen befaßt, kann ich nur sagen, daß er diese Insekten nicht gepachtet hat. Ich könnte morgen eine Aktion mit Bienen machen, und es wäre doch etwas ganz anderes als bei ihm“, sagt Joern Schlund selbstbewußt. Auch wolle er nicht, wie es das Gesetz des Kunstmarkts fordert, seinen Werken und Aktionen ein ganz bestimmtes Markenzeichen aufdrücken, so daß jeder gleich erkennt: „Sieh da, ein Spätwerk von Schlund“.

Der Dortmunder Günter Stecker, dessen Firma bundesweit etwa 1500 Werbetafeln vermietet, unterstützt als Mäzen Schlunds riesige „Tafelmalerei“ in Kassel – Kostenpunkt: etwa 8000 DM). Stecker gewinnt dem Happening noch einen anderen Reiz ab: „Für mich ist das, als bekäme die Werbung einen Kuß von der Muse“.