Wertegemeinschaft? Man heuchelt sich so durch! – Notizen aus der Inneren Coronei (3)

Stempel drauf: der Autor kurz vor der Entwertung. (Foto: Herholz)

Von Karl Kraus stammt der Satz: „Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner schaut es zurück.“ Genau diese Erfahrung mache auch ich in meiner Eber-Einzelbucht während der Pandemie noch häufiger als sonst.

Aber ferner schauen nicht nur einzelne Wörter zurück, sondern auch Begriffshubereien, ganze Sätze und der sowieso überall anzutreffende Holy Shit aus Politik, Medien und Religionen.

The Orange One

Womit man gleich bei ihm wäre: diesem von Evangelikalen mit Bräunungscreme gesalbten Donald Trump. Den hat die Sorge um sein Land so krank gemacht, dass er darüber zuletzt sogar graue Haare bekam. Über Nacht. Und Maske trägt er jetzt auch. Wie oft habe ich gedacht, dem müsste mal einer die Maske vom Gesicht reißen? Aber nun, da er sich sogar eine zweite aufgesetzt hat, würde das ja nichts mehr bringen. Immerhin bleiben jetzt große Teile seines Gesichts verdeckt. Fake America great again.

Aberglaubensgemeinschaften

Apropos Fake: Kürzlich las ich vom „Sektenbeauftragten der katholischen Kirche“. Müsste das nicht „Sektenbeauftragter für die katholische Kirche“ heißen? Mit zwei zurzeit noch lebenden Päpsten jedenfalls überbietet diese Sekte durch Vielfalt jede anderswo herrschende Einfalt und schrammt nur knapp an einer diesseitigen Heiligen Dreifaltigkeit vorbei.

Müdes Lachen, hellwach

Der Kalauer, schrieb einst Wolfgang Hildesheimer, sei der müde gewordene Witz. Mich aber hält er schön wach.

Überall Würstchen

In Köln, der nördlichsten Stadt Italiens, haben sie zurzeit große Probleme, weil die kommende Karnevalssession unter dem Motto „Nur zesamme sin mer Fastelovend“ gefährdet ist. Ach, irgendwie sitzen wir doch alle in einem Boot. Zum Glück nicht in einem vor Sizilien. Aber vielleicht reicht es zumindest im Frühjahr 2021 doch noch für ein solidarisch-interkulturelles „Alaaf un‘ Nacktbar!“. Dazu Bratwurst mit Senf, am besten vom Schlachter Tönnies, denn wo Tönnies draufsteht, ist oft auch Würstchen drin.

„Division Sausages: Die Nummer 1 …“ (Tönnies‘ Homepage)

Clemens Tönnies zählt zu den reichsten Menschen der Welt und soll ein Vermögen von zwei Milliarden Euro angehäuft haben. Man muss schon sehr viel Schwein … haben, um so viel Geld beim Ausnehmen von Schlachtvieh und Werkverträglern zu ergattern. Alles legal, ich weiß. Anderenfalls würden es Gabriel & Co. mit flammendem Lobbyisten-Schwert sicher schon richten. Müssen sie aber gar nicht. Vor knapp vierzehn Tagen ist bei Tönnies endlich der Bereich ‚Blutverarbeitung‘ wieder in Betrieb genommen worden. Das lässt doch für alle hoffen.

Die Träume der Soldaten

..,Blutverarbeitung‘ …, da fällt mir ein: Im Osten machen wir auch wieder mobil. Der MDR berichtet: „Der EU- und Nato-Partner Ungarn hat eine erste Lieferung von Leopard-2-Kampfpanzern erhalten. Deutschland plant in den nächsten Jahren Waffenlieferungen für mehr als 1,7 Milliarden Euro nach Ungarn.“ Bisher hat die Waffenschmiede Krauss-Maffei-Wegmann allerdings nur vier gebrauchte Leopard zu Schulungszwecken an Ungarn verscherbelt, doch der ungarische Verteidigungsminister gerät schon jetzt ganz aus dem Häuschen: „Der Traum vieler Panzersoldaten geht heute in Erfüllung.“

Ab 2023 erhält Ungarn dann 44 neue Leopard 2A7. Und feste dabei als Zulieferer ist – Kölner, merkt auf! – die Rheinmetall Group aus Düsseldorf. In deren Pressearchiv kann man nachlesen: „Rheinmetall ist bei dem Vorhaben Partner von Krauss-Maffei Wegmann (KMW). KMW hatte im Dezember 2018 von den ungarischen Landstreitkräften den Auftrag zur Lieferung von 44 neu gefertigten Kampfpanzern Leopard 2A7+ und 24 neu gefertigten Panzerhaubitzen PzH2000 erhalten.

Was macht Ungarn mit den deutschen Panzern?

Was macht Ungarn nur mit all den Panzern? Laut Faktenfinder der Tagesschau hat der Antidemokrat, Antisemit und Gegenaufklärer Viktor Orbán schon im Juli 2018 vor allerlei Anti-Christen gewarnt: „In Europa läuft gerade ein Bevölkerungswechsel. Teilweise deswegen, damit Spekulanten, (…), viel Geld verdienen können. Sie möchten Europa zerstören, weil sie sie sich davon große Profite erhoffen. Anderseits haben sie auch ideologische Motive. Sie glauben an ein multikulturelles Europa, sie mögen das christliche Europa nicht, sie mögen die christlichen Traditionen Europas nicht, und sie mögen Christen nicht.“

Ja, wenn das so ist. Da ist es nur recht und billig, dass bundesdeutsche Rüstungskonzerne Viktor Orbán bei der Verteidigung des Abendlandes unter die Arme greifen und die EU dazu äußerst hörbar schweigt. Sonst wüchse ja nicht zusammen, was zusammengehört.




„Wie die Karnickel“: Eine Papst-Äußerung mit weitreichenden Folgen

Herrje! Jessas! Dschieses! Da ist aber der Rauch des Satans in die druckdichte Kabine des päpstlichen Flugzeugs eingedrungen! Hat doch das Oberhaupt der Katholiken verkündet, dieselben müssten sich nicht „wie die Karnickel“ vermehren…

Bergoglio, das war missgetan! Denn ungeachtet möglicher weitreichender moraltheologischer Schlussfolgerungen aus dem tierischen Vergleich meldete sich prompt der Zentralverband Deutscher Rasse-Kaninchenzüchter zu Wort: Die Fortpflanzung deutscher Rasse- und Zuchtkaninchen erfolge in geordneten Bahnen. Sexuelle Ausschweifungen träfen nur auf freilebende Tiere zu!

Um Himmels willen! Das Karnickel - ein Problemtier? (Foto: pixabay/SpiritBunny)

Um Himmels willen! Das Karnickel – ein Problemtier? (Foto: pixabay/SpiritBunny)

Wir folgern aus dieser Expertise: Die langohrigen Mümmelmänner – ach so, es gibt auch kurzohrige? – mögen sich vielleicht in der argentinischen Pampa unkontrolliertem Geschlechtsverkehr mit anschließend überhöhten Geburtenraten hingeben; in Deutschland geht das unter dem Lehramt der Züchter keinesfalls! Und da die Kirche mit den knuffigen Schnüfflern schon mal Pech hatte – die Bibel ordnete sie fälschlich den Wiederkäuern zu –, möchte man dem Heiligen Vater zurufen: Schuster, bleib bei deinen Leisten!

Leisten? Oh! Soeben meldet sich die Interessengemeinschaft Deutscher Qualitätsschuh: Diese mittelalterliche Aussage sei wohl nicht mehr angebracht. Ob ich etwa beabsichtige, die zeitgemäße Herstellung von Fußbekleidung willentlich und wissentlich zu diffamieren. Die moderne, orthopädisch auf dem neuesten Stand befindliche Schutzhülle für menschliche Fortbewegungsorgane komme in ihrer elektronisch gesteuerten Produktion selbstverständlich ohne „Leisten“ aus. Hm – ein übler Fehlgriff. Man sollte nachdenken, bevor man Metaphern nutzt. Ist doch eigentlich klar wie Kloßbrühe, oder?

Moment mal! Kloßbrühe? Da reklamiert die Arbeitsgemeinschaft ostthüringischer Kloßhersteller Kompetenzen für sich. Hätte ich mich jemals der fachgerechten Zubereitung der mitteldeutschen Spezialität oder ihrer bayerischen und k.u.k.-Varianten gewidmet, wüsste ich, dass es ein Kennzeichen des Qualitätskloßes sei, nach dem Kochvorgang eine verunklarte Brühe zu hinterlassen. Und die „dumpling control commission“ der EU meldet sich mit der Information zu Wort, dass die Kloßbrühe nach der 1997 in der Drucksache 97/D/44-238-sh17it von der Kommission festgelegten und für die Gastronomie verbindlichen Standardkochzeit nach ISO 38447 einen Trübungsgrad von -2,4 dump aufweisen müsse. Zum Vergleich: Das Wasser, in dem Politiker zu fischen pflegen, dürfe nach dem Ethikkodex des Europäischen Parlaments keinen Trübungsgrad über -7,8 dump aufweisen. Der Transparenz wegen.

Ich gebe mich geschlagen. Keine Sprachbilder mehr! Schluss mit unsachgerechten Metaphern. Es ist einfach zum Mäusemelk …. Oh, Mist! Wer ist am Telefon? Das Komitee zum Schutz von Quadrupeden? Es sei inhuman, Kleinsäuger der schmerzhaften und entwürdigenden Prozedur des Melkens zu unterwerfen? Ich solle mich doch besser an Turbokühe halten?

Moment, es klingelt. Die Post bringt ein Einschreiben. Absender: Niedersächsischer Hochleistungsrind-Zuchtverband. Wie ich auf die dämliche Idee käme, das zeitgemäße Qualitätsmilchrind werde noch „gemolken“? Vielmehr werde die Milch zitzenfreundlich durch Delactosierungsgeräte auf dem neuesten Stand der Technik schonend aus dem milchführenden Drüsen- und Eutergewebe entfernt! Lieber Papst Franziskus, ich reiche Eurer Heiligkeit die Hand: Was biological correctness betrifft, haben wir noch viel dazuzulernen.




Den Papst in der Tasche: Warum Paderborn (wahrscheinlich) in die Bundesliga aufsteigt

Aus fußballerischen Gefilden ist Bemerkenswertes zu vermelden: Nicht nur, dass überwiegend katholisch geprägte Städte die Schlussrunde der Champions League weitgehend unter sich ausmachen (Madrid, München); auch beim Aufstieg in die Erste Bundesliga sind sie führend.

Dass der 1. FC aus der rheinischen Domstadt Köln dabei ist, durfte man erwarten. Nun aber klopft auch die Mannschaft aus der westfälischen Domstadt Paderborn ans Tor des Oberhauses, um mal kreuzbrav im Jargon der landläufigen Sportberichterstattung zu bleiben. „Stand jetzt“ (auch so eine Floskel) müssen sie sich nicht einmal durch die Relegation quälen, um sich zu qualifizieren.

Tabellen lügen nicht

Tabellen lügen nicht

Zu dieser gelinden Sensation fallen einem schnell diverse Sprüchlein ein. Sicherlich haben demnach die Kölner und Paderborner Kicker „den Papst in der Tasche“. Leute, die ihnen weniger wohl gesonnen sind, mögen spotten: „Mit die Doofen is’ Gott.“ Und was dergleichen gackernder Spontanblödheit mehr wäre.

Auffällig ist es jedenfalls, dass zwei solch ausgeprägt katholische Kommunen in die höchste deutsche Spielklasse vordringen. Eigentlich fehlt jetzt noch Preußen Münster, doch die dümpeln irgendwo derart weit unten herum, dass wir lieber nicht genauer nachschauen wollen. Hält der gegenwärtige Trend an, so darf man aber wohl fest damit rechnen, dass sich statt dessen segensreiche Teams aus Altötting und Telgte einen Weg nach ganz oben bahnen werden.

„Geld schießt keine Tore!“ heißt es (meist fälschlich), wenn Missgunst auf die reichsten Vereine mit den teuersten Stars sich Luft schaffen will. Wer aber netzt für Paderborn ein? Wir wollen da lieber nicht weiter spekulieren, sonst wär’s am Ende noch lästerlich. Vielleicht hat ja die Flügelzange, äh, die parallele Heiligsprechung zweier Päpste noch einmal die letzten Reserven mobilisiert, hat somit mehr Doppelpässe und Flanken gelingen lassen als sonst. So rein mental jetzt.

P.S.: Bliebe noch nachzutragen, dass die Protestanten aus Hamburg, Braunschweig und Nürnberg aufs Högschte abstiegsbedroht sind. Noch Fragen?




Piccoli als Papst: Man muss wohl etwas katholisch denken

Ein Film, der mit einer Beerdigung beginnt – das ist normalerweise ein „Tatort“. Bei „Habemus Papam“ wird jedoch ein Papst beerdigt, und zwar Johannes Paul II. Die bekannten Dokumentaraufnahmen führen in einen Spielfilm ein, in dem es um einen fiktiven Papst geht, der von den Kardinälen im Konklave gewählt wird, der sich aber vor der Größe der Aufgabe fürchtet und flieht. „Ein Papst büxt aus“ heißt deshalb in Deutschland der (misslungene) Nebentitel.

Michel Piccoli als Papst. (Foto: Prokino)

Michel Piccoli spielt diesen erwählten alten Kardinal Melville, und natürlich spielt er ihn sehr gut. Das jedoch reicht leider nicht, um die etwas eindimensionale Geschichte über mehr als 100 Minuten zu tragen. Liebe und Sex und Kinder und alle daraus möglicherweise resultierenden Spannungen können bei diesem Thema nicht vorkommen. Da hilft auch der ganz und gar ungläubige Psychoanalytiker nicht weiter, den die Kirchenführer hinzuziehen, und entsprechend zieht sich die Handlung in die Länge. Sicher finden sich einige amüsante Szenen in Nanni Morettis Film, aber eben nur einige.

In Entstehungsland Italien war der Streifen ein großer Kinorenner. Vielleicht, weil die Hauptstadt Rom und der Vatikan eine so herausragende Rolle spielen, aber sicher auch, weil man wohl etwas katholisch denken muss, um uneingeschränkt Gefallen an einem Kirchenthema wie diesem zu finden.




Ratzingers Heimaturlaub blieb frei von Demut

„Der Papst mag uns“ titelt die „Welt“ nachgerade erleichtert frohlockend. Schön, dass er „uns“ mag, aber wer fragt denn, ob wir alle ihn mögen. Das allein aber ist nicht das wirklich Verwirrende am Besuch des eigentlich hauptberuflichen Brückenbauers, sondern es sind „unsere“ Reaktionen auf ihn, die so ungeheuer befremdlich wirken.

Da war zunächst eine aufregende und schwer nachvollziehbare öffentliche Debatte darüber, ob denn dieser achte und bislang dienstälteste deutsche Papst im deutschen Parlament parlieren dürfe. Da es ausdrücklich erlaubt ist, dass ein jeder, eine jede Abgeordnete einer jeden Partei das dümmste Zeug zu reden, warum bitte sehr nicht auch der deutsche Oberhirte? Da bereits nachweislich nichtdeutsche Staatslenker mit nachträglich als kriminell betrachteter Energie im deutschen Parlament parlieren durften, warum denn nicht ein deutscher Papst?

Danach spekulierten Kirchenlenker, Parteienlenker, Philosophen und allerlei denkende Köpfe darüber, was wohl Wegweisendes Ratzinger (in Sachen Ökumene, Zölibat, Priester-Geschlecht, Haltung seiner einzig wahren Kirche zu vielerlei Fragen der Gesellschaft) während des Heimatbesuches von sich geben werde. So viel, wie da an vorauseilender Exegese in noch nicht gehaltene Reden und noch nicht gepredigte Predigen hinein gedeutet wurde, so wenig kam bei alsdann gehaltenen Reden und gepredigten Predigten heraus. Der Brückenbauer redete so, wie man auch als Politiker geredet hätte, vielsagend, nichtssagend, deutungsreich.

Nun, „Bild“ bejubelte seine Zeile von 2005 („Wir sind Papst“), Springer ließ am Berliner Hochhaus das Magnum-Plakat für seine Magnifizenz hissen und des Verlages „Welt“ jubiliert resümierend, dass dieser Ratzinger „uns mag“.

Ich mag nicht damit beginnen, das alles aufzuzählen, was der Pontifex uns hätte sagen müssen oder sollen, damit ein paar mehr als die rein Gläubigen ihn danach hätten mögen können. Nur eines: so ein dickes „Mir tut das furchtbar leid, und ich werde mein Pontifikat dazu nutzen, dass jeder scharf bestraft wird, der das wieder tut!“ in die Richtung zahlreicher Misshandelter wäre doch ein Anfang gewesen. Ein Anfang, dass der achte deutsche Papst dazu selbst in der Lage ist, was Päpste allzu nachhaltig von ihren Schäfchen erwarten: Demut.




In schweren Zeiten – Nach dem Tod von Papst Johannes Paul II.

Ganz gleich, ob man die Ansichten des Papstes geteilt hat oder nicht: Seinen irdischen Tod hat Johannes Paul II. mit einer Fassung und Würde auf sich genommen, die wohl nur aus tiefstem Glauben heraus zu verstehen ist. Vor dieser Haltung müssten sich selbst hartgesottene Atheisten verneigen und sich fragen, wie es denn um ihre eigenen „Gewissheiten“ bestellt ist – jetzt und in der Stunde des Todes.

Es ist abermals Zeit, das große Wort zu zitieren, mit dem Papst Johannes Paul II. 1978 zu Beginn seiner Amtszeit ein Signal setzen wollte: „Habt keine Angst!“ Denn es kommen wahrlich schwere Jahre auf die katholische Kirche und auf ihren künftigen Oberhirten zu.

Große Aufgaben für den Nachfolger

Es wird für jeden Nachfolger eine ungeheure Aufgabe sein, aus dem Schatten des verstorbenen Pontifex herauszutreten. Karol Wojtylas historischer Einfluss ist unbestreitbar. Gewiss, nicht nur einzelne Persönlichkeiten machen Geschichte. Doch hätte der Papst seinerzeit nicht die polnische Oppositionsbewegung Solidarnosc auf so kluge Weise (ebenso behutsam wie wirksam) ermutigt, so gäbe es vielleicht heute noch eine Sowjetunion und eine DDR.

Auch stand Johannes Paul II. für Schritte zur Versöhnung mit den anderen Weltreligionen und für eine entschiedene Friedenspolitik ein. Wichtig war vor allem sein Einspruch gegen den Irak-Krieg. Andernfalls hätten fundamentalistische Kräfte der islamischen Welt mit noch mehr Furor vom „Kreuzzug“ reden können. Zudem wäre seine unbedingte Parteinahme für das werdende Leben in ein ungutes Zwielicht geraten. So aber verdient sie – über allen Streit hinaus – tiefen Respekt.

Wie ein Pop-Star, aber auch ein strenger Geist

Zuweilen gab sich dieser Papst wie ein Pop-Star, dessen Charisma auch junge Leute faszinierte. Er konnte allerdings auch ein äußerst strenger Mahner sein, der etwa in Nicaragua dem kritischen Katholiken und Sozialisten Ernesto Cardenal den Segen verweigerte und dem Schriftsteller stattdessen eine barsche Strafpredigt hielt. Doch auch der Materialismus und die Gier der westlichen Welt waren ihm zuwider. Erst recht, als sie auch in reinem Heimatland Polen Einzug hielten und die Menschen vor den neuen Super.“ märkten statt vor den Kirchen Schlange standen.

Sein Nachfolger wird Felder vorfinden, die Johannes Paul II. als Ödland hinterlässt. So gilt es, endlich die erstarrten oder ausgesetzten Reformen des II. Vatikanischen Konzils fortzuführen. Manche sprechen gar von einer „Gegenreformation“, die der polnische Papst im Sinn gehabt habe. Hier haben sich Konflikte angestaut, die nichts Gutes verheißen, ja eine Kirchenkrise größeren Ausmaßes befürchten lassen.

Bleibende Kraft des Glaubens

So muss der katholische Klerus ganz dringlich das Verhältnis zu den weiblichen Gläubigen klären. Fragen zur Empfängnisverhütung, zur Abtreibung und zum Zölibat sollten neu erwogen werden. Mehr noch: Die Gesten in Richtung anderer Religionen waren wertvoll, letztlich aber nur halbherzig. Nach wie vor verneint der Vatikan das gemeinsame Abendmahl mit protestantischen Christen.

Karol Wojtyla hat geradezu übermenschliche Anstrengungen unternommen, um die katholische Kirche nicht einer modernistischen Beliebigkeit auszuliefern. Unter seinem Pontifikat haben Geheimnisse und Mysterien des Glaubens wieder einen höheren Stellenwert erhalten. Tatsächlich kann man sich fragen, ob eine allzu bereitwillige Weltläufigkeit nicht zwangsläufig in Widerspruch zum Kern der Religiosität, zu Andacht, Einkehr und Jenseitigkeit geraten muss.

Wie immer ein neuer Papst und die Kurie sich hierzu stellen mögen: Es bleibt eine Gratwanderung. Wie weit kann und darf die Kirche den Menschen in ihrem Alltag entgegenkommen? Andererseits: Wie sehr muss sie es tun, damit die Kirche eine lebendige Gemeinschaft bleibt oder wieder wird?

Auch und gerade in der Amtszeit Wojtylas hat sich der Erosionsprozess zumindest in Europa beschleunigt. Viele Gotteshäuser stehen nahezu leer, manche müssen deshalb geschlossen, verkauft oder sogar abgerissen werden.

Hingegen zeugen wachsende Gemeinden in Südamerika, Asien und Afrika von bleibender Kraft des Glaubens und der Hoffnung. Ist es undenkbar, dass der nächste Papst aus den südlichen Breiten kommt?

                                                                                                           Bernd Berke