„Verträgen halte Treu'“ – Kann Castorf den „Ring“?

Er macht’s. Er, das ist Frank Castorf, Intendant der Berliner Volksbühne, Regie-Berserker und Stückezerfledderer. Er wagt sich ans Größte, Hehrste des musikalischen Theaters – also an Richard Wagners gewaltige, episch breite Trilogie „Der Ring des Nibelungen“. Kann er’s? Vor allem: Schafft er’s ausgerechnet am würdevollen Weihetempel namens Bayreuth? Die da das Sagen haben, Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier, rufen ein klares „Ja“.

So steht es also fest: 2013, im Jahr des 200. Geburtstags von Richard Wagner, inszeniert ein Beinahe-Grünschnabel in Sachen Opernregie den mächtigen Vierteiler des Genius. Was nicht unbedingt ein Problem sein muss: Christoph Marthaler, Christoph Schlingensief oder Werner Herzog waren auch nicht unbedingt die geborenen Opern-Deuter – auf dem Grünen Hügel lieferten sie Achtbares. Andererseits: Die Filmemacher Lars van Trier (Melancholia) und Wim Wenders (Der Himmel über Berlin) hatten vor dem „Ring“ bereits kapituliert, einen entsprechenden Bayreuther Auftrag dankend zurückgegeben.

Nun also Frank Castorf. Er ist im Revier kein Unbekannter. 2004 hatte der DGB den Einjahresintendanten ganz unsolidarisch vom Ruhrfestspielhof Recklinghausen gejagt. Weil das Publikum weggeblieben war. Niemand wollte sehenden Auges in eine Image-Katastrophe schlittern. Ein Regisseur aus (Ost)-Berlin, der gerne suburbanes Elend auf die Bühne wuchtete, war zuviel des Üblen.

Richard-Wagner-Büste im Garten auf Bayreuths Grünem Hügel, in grimmiger Erwartung.

An Opern wiederum hat sich Castorf bisher zweimal versucht. Giuseppe Verdis Eifersuchtsdrama „Otello“ brachte er 1998 in Basel heraus. Er geruhte, die Konventionen und Illusionen des Musiktheaters zu zerstören. Alles lief beiläufig ab, nichts berührte. 2006 folgten in Berlin „Die Meistersinger von Nürnberg“. Jedenfalls ein bisschen davon – mit Schauspielern und einem „Chor der werktätigen Volksbühne“, mit Textbrocken aus Ernst Tollers Revolutionsdrama „Masse – Mensch“.

Kann Castorf also den Ring in Bayreuth? Er wird sich an jede Note, jede Silbe halten müssen, sonst wird ihn der „Wagnerianer“  ins ewige Walküren-Feuer verbannen. Doch er hat einen Vorteil: Er ist, nach Wenders‘ Absage, der Retter in der Not. Ohnehin ist die Zeit knapp, einen anständigen Ring aus dem Boden zu stampfen. Im übrigen: Nach dem „Tannhäuser“, den Sebastian Baumgarten heuer in der Biogasanlage verortete, kann’s kaum schlimmer kommen.

Den wohl größten Skandal auf dem Grünen Hügel hat sowieso Patrice Chéreau zu verantworten. Dessen „Jahrhundertring“-Deutung (1976) datierte in Zeiten der Frühindustrialisierung – mit entsprechend antikapitalistischem Einschlag. Störungen im Festspielhaus und Debatten nach den Aufführungen, die bisweilen in Prügeleien kulminierten, waren das Ergebnis. So gesehen, soll Castorf ruhig kommen. Bayreuth ist bereit.

 

 




Patrice Chéreaus Huldigung an die Worte – festliche „Phädra“-Inszenierung zur Eröffnung der RuhrTriennale

Von Bernd Berke

Bochum. Das Wort klingt ja nicht so schön, doch die Eröffnung der RuhrTriennale in der Bochumer Jahrhunderthalle war fürs Revier ein, nun: ein wahres „Event“. Oder halt ein Ereignis. NRW-Ministerpräsidenf Steinbrück und Kulturstaatsministerin Weiss nahmen ebenso in recht knapp bemessenen Sitzschalen Platz wie etwa WDR-lntendant Pleitgen oder auch TV-Plauderer Biolek.

Frankreichs gepriesener Theater- und Filmregisseur Patrice Chéreau, seit seinem Bayreuther „Ring“ (1976) eine Leitfigur der europäischen Szene, gastiert mit seiner Inszenierung von Jean Racines Tragödie „Phèdre“ (Phädra). Der Produktion des Pariser Odéon-Theaters eilt ein Ruf wie Donnerhall voraus.

Ein antikes Portal (ansonsten radikal schmucklose Bühne: Richard Peduzzi) genügt, um in der riesigen Halle eine altgriechische Szenerie zu beschwören. Die Darsteller agieren zwischen zwei Zuschauerblöcken. Man fühlt sich unversehens in eine Polis versetzt, auf einen Platz, wo Schicksale von öffentlichem Interesse verhandelt werden. Chéreau hat das 1677 (zur Barockzeit Ludwigs XIV.) entstandene, strikt moralische Stück auf seine antiken Quellen zurückbezogen, hat ältere Schichten freigelegt wie ein Archäologe. Und siehe da: Am Anfang war das Wort!

Seit Lessings berühmtem Verdikt gelten die französischen Klassiker Corneille und Racine hierzulande als steif und blutleer. Lange sind sie für uns hinter Shakespeares leidenschaftlichem Welttheater nahezu verschwunden. Doch die kunstreich gereimten Alexandriner der „Phädra“ klingen in Chéreaus textdienlicher Zurichtung lebendig und seelenvoll, wobei die strenge Form letztlich gewahrt bleibt. Zudem lässt die französische Sprache (per Kopfhörer gibt es eine taugliche Synchron-Übersetzung) weiten Raum für Pathos.

Aus weiter Ferne so nah rücken uns somit die ebenso prägnant wie dezent gewandeten Gestalten (Kostüme: Moidele Bickel): die Königsgattin Phädra (gesättigt mit Leiden: Dominique Blanc), welche ihren Stiefsohn Hippolyte (Eric Ruf) liebt, der wiederum der gefangenen Fürstin Aricie (Marina Hands) zugetan ist. Die rasende Rache des Königs Theseus (Pascal Greggory) wird fürchterlich sein.

Lichtkegel folgen den Figuren wie göttliche Rest-Illuminationen. Immer wieder blicken die Protagonisten entgeistert, Haare raufend zum Götterhimmel, dabei wohnt doch die Zerrissenheit längst in ihrer eigenen Brust. Liebe scheint eingezäunt in rigide Regeln, weshalb man über sie in Kategorien des Kampfes und der Überwindung denkt.

Dies ist eine Huldigung an die Worte. So stark und wirksam sind sie, dass sie allein es immer wieder vermögen, die Leiber zu magnetisieren, zu beugen, herumzureißen. Sprache kommt dermaßen klar, rein und wuchtig zur Geltung wie nur selten. In gewisser Weise hat man hier einen mächtigen Gegenentwurf zum in Deutschland oft üblichen Körper-Theater mit allerlei Deutungs-Mätzchen. Ob man es immer so haben möchte, ist eine andere Frage.

Chéreau und sein großartiges Ensemble zeigen uns mit hochlöblicher Sprechkultur ein Stück des Verschweigens und der abgerungenen Geständnisse, beides mit auswegloser Tragik beladen: Reden heißt bereits irren, Schweigen bereits ein Übel zulassen. Und die Worte scheinen schmerzvoll einem Urgrund der Sprachlosigkeit zu entsteigen.

Zurück ins Jetzt: Die Jahrhunderthalle, deren gläserne Front an ein Flughafenterminal gemahnt, erweist sich als rechter Ort fürs Abheben mit Bühnenkunst. In diesem Falle ist es großes, denkbar würdiges Festtagstheater, keines für alle Stunden.

Weitere Termine: 3., 4.. 7., 8., 9., 10. und 11. Mai. Karten-Hotline: 0700 / 2002 3456.

 




Sehnsucht des Fleisches – Patrice Chéreaus Film „Intimacy“

Von Bernd Berke

Immer mittwochs um zwei Uhr nachmittags besucht Claire den Barmixer Jay in dessen schäbiger Behausung. Hastig ziehen sie sich aus. Eine Zeitlang treiben sie’s wild miteinander. Bis zur Erschöpfung krallen sie sich ins Fleisch des Anderen. Ein existenzieller Vorgang. Doch danach geht sie wieder fort. Bis zur nächsten Woche.

Dieser Sex wird durch aufregende Anonymität befeuert. Doch in Patrice Chéreaus „Intimacy“ ist Fleischlichkeit nicht das Ziel allen Begehrens, sondern nur der Beginn. Der mit dem goldenen Berlinale-Bären gekrönte Film spürt dem Ungenügen an der bloßen geschlechtlichen Gier nach und sucht geradezu verzweifelt Wege, die von der schieren Lust zur Liebe führen könnten. Noch im wüstesten Getümmel der Körper nistet die kaum stillbare Sehnsucht, jemandem wahrhaftig anzugehören.

Sex lieber als Rausch denn als Fitness-Übung

Jay (Mark Rylance), aus eigenem Antrieb von Frau und Kindern getrennter Kettenraucher mit stets müden Augen und Bartschatten, ist der Welt überdrüssig. Sein einziger Fixpunkt sind jene Sextreffs mit Claire (Kerry Fox). Ihre Geschlechtsakte vollführen sie heftig, ernst und schweigsam. Wie innig ihr Tun ist, merkt Jay erst so recht, als er es mal mit einer Anderen probiert. Die erweist sich als Lifestyle-Schwätzerin, die den Sex für ihre Fitness einplant. Dann doch lieber den Rausch…

Zugleich wächst Jays Drang, mehr von Claire zu wissen. Eines Tages geht er ihr heimlich nach und findet heraus, dass sie abends in einem Kellerlokal Theater spielt – ausgerechnet das körperlich wie seelisch so zerbrechliche Mädchen Laura in Tennessee Williams‘ Stück „Die Glasmenagerie“. Jay kommt – für Claire von der Bühne aus nicht sichtbar – nun fast zu jeder Vorstellung. Er fragt ihren ahnungslosen Mann, einen Taxifahrer, nach ihr aus, scheint sich gar mit ihm anzufreunden. Eine Heimtücke, die später für bewegende Szenen sorgen wird, wenn dieser so gründlich betrogene Tropf die Wahrheit erfährt. Ein Untröstlicher mehr auf Erden.

Diese unruhigen Menschen im Transit-Zustand

Am Ende hat freilich niemand unmittelbar „gewonnen“. Sie alle haben eine lastende Erfahrung mehr, doch vielleicht auch die Aussicht auf ein ehrlicheres Leben. Etwaige Verbindungen sind noch mehr als zuvor gelöst; doch gelöst im Sinne größeren Freimuts tritt man diesem Befund nun auch entgegen.

Der in manchen Passagen mitreißende, gelegentlich etwas arg aufs Chaos versessene Film (er suhlt sich in Desaster, Suff und Drogen) zeigt allemal Menschen, die aus festen Zusammenhängen heraus geschleudert sind: Figuren im Transit-Zustand. Schon ihre Berufe (Barmixer, Taxifahrer, Schauspielerin) stehen für nächtliche Unbehaustheit.

Bisweilen führen ihre unebenen Wege ins seelische Niemandsland. Claires Theater-Freundin Betty (lächelnde Weisheit in Person: Marianne Faithfull) sagt, sie habe vor vielen Jahren den Tag durchlitten, an dem sie gleichsam selbst gestorben sei, weil eine große Liebe endete. Seither mache sie eben weiter mit dem Leben. Schmerzvoll zwar, doch auch gefasst.

Etliche Reißschwenks der Kamera vermitteln ansonsten innere Unruhe, ein rasendes Stolpern durchs schattenhafte Dasein. Gegen den Mahlstrom wehren sich die Menschen mit Ritualen, Eine Frau in Jays Bar bestellt seit Jahren immer den gleichen Drink, möchte jedoch stets gefragt werden, was sie denn diesmal wünsche. Weil sie wenigstens die Illusion von Selbstbestimmung haben will.