Wenn das Böse einmal in der Welt ist – Pedro Almodóvars Film „La mala educación“ (Die schlechte Erziehung)

Von Bernd Berke

Kommt nach vielen Jahren ein alter Schulkumpel vorbei und sagt mal wieder „Hallo“. Man erkennt ihn kaum noch. Eine Überraschung, aber keine umwerfende. Freilich: Beim spanischen Kult-Filmemacher Pedro Almodóvar erwächst daraus in „La mala educadión“ (Die schlechte Erziehung) eine abgründige Geschichte.

Dieser Ignacio, der da unversehens auftaucht, ist angeblich Schauspieler geworden und begehrt gleich eine Kino-Rolle von seinem Schulfreund Enrique, mittlerweile ein bekannter Filmregisseur.

Freund? Beileibe nicht nur. Denn als Zöglinge eines erzkatholischen Internats waren die beiden einst heftig ineinander verliebt. Dies wird wieder aufgewühlt, als Enrique nun ein Manuskript liest, das Ignacio aus der Tasche gezogen hat: Die Erzählung „Der Besuch“ (und somit auch Almodóvars Film) führt zurück in jene Schulzeit.

Pater Manolos verderbliches Wirken

Diese Erzählung schildert, wie Pater Manolo, ihr heimlich auf Knaben versessener Literaturlehrer, die beiden Jungs rabiat voneinander getrennt hat, um den kleinen Ignacio innerlich bebend anhimmeln zu können. Daraus quellen hier Ur-Szenen des Bösen, mit denen das Leben aller Beteiligten ein für allemal vergiftet wird, als sei der Teufel am Werk.

Fortan liegt auf ihren Biographien buchstäblich kein Segen mehr. Denn damals haben die Jungen und letztlich auch der Geistliche (der denn auch später Buchverlegen wird) ihren Glauben an Gott verloren. Und nun entfaltet sich das, was einst schon der Großdichter Dostojewski erkannte: Wenn Gott tot ist, dann ist – philosophisch betrachtet – „alles erlaubt“. Lüge, Treulosigkeit, Mord. Almodóvar häuft Fragen auf diesen Befund: Wie weit kann man unter solchen Umständen gehen, was kann man selbst ertragen? Aber auch, etwas konkreter: Ist Enriques Besucher wirklich der Ignacio von damals?

Strammstehen oder Liebliches singen

Zwischen die für Almodóvar typischen Bonbonfarben, die nur vage konturierten Identitäten, die gleitenden Rollenwechsel und Geschlechter-Travestien sickert also einige Düsternis und Schwärze. Dass die Kirche im Schatten des Diktators Franco viel Unheil angerichtet hat, bildet einen straffen Themenstrang des spanischen Kinos (Buñuel, Saura), an den hier angeknüpft wird.

Die Jungs müssen vor den Patres entweder stramm exerzieren (Liegestütz) oder ihnen etwas Liebliches vorsingen. Klebrig genug. Doch solche Kleriker sind nicht das einzige Problem. Das Verhängnis zeigt sich hier abermals allgemeiner, existenzieller, es dringt in alle Ritzen und zeugt sich fort.

Das dunkle Kino als Zufluchtsort

Regisseur Enrique, in mancher Hinsicht wohl eine Art Selbstbildnis Almodóvars, überwindet seine anfängliche Schaffenskrise, indem er den Ignacio-Erzählstoff mit der Kamera erkundet. Also wird auch noch eine irrlichternde Film-im-Film-Studie darüber geliefert, welche Wahrheit(en) das Kino nur umkreisen und welche es vielleicht ergründen kann. In mehreren Szenen und Zusammenhängen erscheint Hier der dunkle Kinosaal als Zuflucht für jene Stunden, in denen man die Wirklichkeit gar nicht mehr aushält. Wahrlich ein unstet flimmernder Trost.

 




Alptraum zwischen Mutter und Tochter – Pedro Almodóvars Film „High Heels“

Von Bernd Berke

Köln. Wer danach lechzt, daß sich Pedro Almodóvar mit seinem Film „High Heels“ (= hochhackige Damenschuhe) erneut einer sexuellen Obsession überläßt, wird enttäuscht sein. Anders als in dem Sado-Maso-Opus „Fessle mich“, hat der Spanier diesmal nicht erotische Abgründigkeiten ausgereizt. Sein neues Werk ist der grelle Alptraum von einer Mutter-Tochter-Beziehung.

Selbstbewußt-starke Mutter (Marisa Paredes als schillernde Sängerin und Diva) macht Karriere in Mexiko und läßt Tochter Rebeca allein beim Vater in Spanien aufwachsen.

Als sie 15 Jahre später endlich nach Madrid zurückkehrt, ist Rebeca (Victoria Abril) längst eine Frau, trägt selbst jene hochhackigen Schuhe – und ist mit dem Ex-Liebhaber der Mutter verheiratet. Da brennt die Lunte des Generationen-Konflikts alsbald lichterloh.  Satte bis schreiende Feuertöne zwischen Rot und Gelb beherrschen denn auch den Film. Es ist, als sei ein Ingmar Bergman, auf dessen MutterTochter-Geschichte in der „Herbstsonate“ hier einmal angespielt wird, in die Glut des Südens geraten.

Almodóvars Personen sind alles andere als in sich gefestigte Charaktere. Sie benehmen sich eher wie flüchtige chemische Elemente in rasch wechselnden Verbindungen. Auch die Mutter-Tochter-Beziehung wird so gleichsam durch alle Aggregatzustände getrieben. Die Kamera drängt sich dann oft brutal — schräg von oben her — an die Gesichter heran, als wolle sie ihnen ihr Geheimnis entreißen.

Doch wer ist wer? Da gibt es einen Transvestiten, der im Nachtclub die Glamour-Auftritte der Mutter frappierend nachahmt. Das Gesicht hinter der Travestie-Schminke wiederum sieht dem des Untersuchungsrichters, der später den Mord an Rebecas Mann aufklären soll, verdächtig ähnlich. Dieser gleicht seinerseits einem anonymen Fixer.

Derlei Mehrdeutigkeit stiftet denn auch lauter Kreuz- und Querverbindungen zwischen den Menschen, doch diese sind nur vorübergehende, gleichsam hysterische Zufälle. In einer Fotoladen-Szene reicht die bloße Verwechslung zweier Abholfilme schon fast aus, um ganze Lebensschicksale zu verwirren und zu vertauschen. Kein Wunder, daß die Frauen – um einen früheren Almodóvar-Titel zu zitieren – sich ständig „am Rande des Nervenzusammenbruchs“ bewegen und oft zu Beruhigungstabletten greifen.

Noch ein Rand ist immer nah: der zum Kitsch. Da quellen vielfach Tränen, da gibt’s sogar Ballett im Frauenknast. Aber gerade in solchen Szenen bleibt Almodóvar souverän: Nahezu kühl nutzt er die Gefühlswerte, die im Trivialen stecken, ohne aber vollends abzugleiten.