Die besondere Kraft des Körpertheaters – ein sommerliches Festival in Essen

Jos Houben

Die Kunst des Lachens: Jos Houben (Foto: Giovanni Cittadini Cesi)

In Großbritannien ist der Begriff „physical theatre“ eine feste Größe für alles, was sich bewegt, also weder reiner Tanz noch reines Schauspiel ist. Körpertheater – wenn man so will. Die Folkwang-Hochschule ist ein Beispiel für die Lehre dazu. Im Essener Maschinenhaus findet (erst) seit 2012 die „Internationale Plattform Physical Theatre“ statt.

Begründet wurden die Tage internationalen Ausdrucks von Fabian Sattler (Vorstand des Maschinenhauses) und Thomas Stick (Studiengang der Universität Folkwang). Unter dem Titel „Full Spin“ entstand eine Festivalatmosphäre, wie man sie sonst kaum noch kennt. Rund um den Ort der Veranstaltungen konnte man abhängen, KünstlerInnen treffen, mit anderen nach- oder vorbereiten. Alle eingeladenen Gruppen waren vor Ort und teilten ihre Erfahrungen mit dem Publikum, das überwiegend aus jungen Leuten bestand.

Vom 1. bis 5. Juli zeigten Gruppen aus ganz Europa, dass dieses „Genre zwischen den Stühlen“ inzwischen überall eine feste Größe ist. Interdisziplinär, multimedial – so nennen es die meisten Off-Theater noch in ihren Anträgen auf Förderung.

Ganz eigener „Stallgeruch“

Sie sind selten geworden, die Festivals mit einem eigenen „Stallgeruch“. Hier wird nicht der post-akademischen Versuchsanordnung gehuldigt, werden keine Forschungsansätze in Performances umgesetzt, sondern man erlebt pures Körpertheater, das es seit Jahrhunderten gibt und keinen Staub angesetzt hat. Im Gegenteil.

Physical Theatre in Essen

Pia Alena Wagner mit Ensemble (Foto: Mats Südhoff)

Das Gast gebende Institut ist naturgemäß auch vertreten. Nachwuchskünstler aus dem Studiengang Physical Theatre der Folkwang Universität der Künste zeigten zwei 35-Minuten-Stücke. Zum einen sah man einen Versuch, clowneskes Handwerk zu vermitteln, wobei sogar nicht vor der roten Nase zurückgeschreckt wird. Leider war dieses Spiel um einen Popcornautomaten in nostalgischem Kirmeswagenkitsch von einem technischen Fauxpas begleitet, der die agierende Akteurin in verzweifelte Improvisationen trieb. Eine gute Übung, kann an sagen, der Abend bleibt für sie unvergesslich. Am Ende brutschelten dann doch ein paar Maiskörnerchen.

Bewegungen mit Botschaft

Pia Alena Wagner zeigte im Anschluss ihr Stück „GUT“. Das war es auch. Vier Musiker in Bademänteln, auf Sessel flätzend, begleiten eine Text und Performance-Mischung mit der jungen Frau, die mit ihrem Bewegungsrepertoire immer wieder überraschte, die witzig und intelligent daher kam und es gar schaffte, eine Botschaft zu vermitteln: „Was ist gut? Was ist schlecht? Was ist mit der Menschheit los? Warum denke ich öfter darüber nach, ob ich gut aussehe, als darüber, was wohl mit Kindern in einer eingestürzten Textilfabrik geschieht? Aber was bringt es schon, sich zu zerfleischen? Zusammen sind wir stark! Oder geht es wieder nur um mich? Was zu tun ist? Keinen blassen Schimmer.“  Alles wirkte lässig – wie das gesamte Festival.

Was zum Lachen reizt

Ein Highlight war sicherlich die Soloperformance oder Lecture Demontration (oder wie immer man es nennen will) des Belgiers Jos Houben. Er bildet Schauspieler aus und berät Comedy- und Opernensembles, Zirkusschulen, Tanzakademien, Universitäten, Zauberer. Seit 2000 ist er Ausbilder an der »École Jacques Lecoq« Paris. Er zeigt in seiner Show Mittel, die zum Lachen führen, einfach, archaisch, allesamt nicht neu und dennoch verblüffend, als sähe man diese Slapstick oder Situationskomik zum ersten Mal. Erfrischend einfach und mit großer Wirksamkeit zeigt der schlaksige Mann, wie leicht es ist, die Lachmuskeln zu animieren, wenn man es kann, wenn man Menschen beobachtet und eine Bewegungstechnik hat, die die kleinen Unfälle des Lebens zu einer großen Story machen kann.




„Heiligtümer“ in Europa – Performance-Reise geht zu Ende

Aus Litauen, Polen, Malta und der Türkei kommen die Partner von der Dortmunder Gruppe artscenico e.V. Gemeinsam führen sie bis Ende 2011 das Performance Projekt „SANCTUARY“ durch, das mit Mitteln der EU-Kulturförderung finanziert wird. Bereits zum zweiten Mal konnte die Dortmunder Künstlergruppe die Jury der EU mit einem schlüssigen und innovativen Konzept überzeugen. Insgesamt 108 Projekte werden von der EU mitfinanziert, 6 davon aus Deutschland, eins davon aus Dortmund.

Kein Wasser runterschütten

Nach der Ruhr2010-Produktion „Kein Wasser runterschütten“ in Essen, folgte Malta als Station der Recherche um Schutzräume und Heiligtümer. „Die Malteser sind anders“, hört man dauernd. Die Insel selbst ist ein Schutzraum, zu dem auch zahlreiche Afrikaner fliehen. Direkt gegenüber liegt Libyen. artscenico versucht, den Atem der Insel zu begreifen, veranstaltet Workshops, zu denen kaum jemand kommt, dreht einen Kurzfilm über Hasen und Tänzerinnen und wird am Ende mit neuen Erkenntnissen abreisen.

Das fasst Kameramann Frank Mählen eigenwillig in etwa so zusammen: „Die meisten Touristen auf der Insel sind Briten. Sie sagen: Malta ist wie England, nur in warm. Sie sind äußerlich leicht zu erkennen, denn sie bräunen ihren Körper so wie sie ihre Steaks braten: Medium. Kopf und Schultern krebsrot, der Rest weiß wie die Kreidefelsen von Dover… Da Malta mal zu England gehörte, fahren die Autos hier links. Das ist zum Teil lustig. Du steigst zum ersten Mal hier in ein Auto und stellst fest, he, der hat gar kein Lenkrad! Weniger lustig ist es wenn man versucht die Straße zu überqueren. Man blickt, wie man es in der Schule gelernt hat, zuerst nach links. Dann setzt man einen Fuß auf die Straße, blickt nach rechts, und schafft es gerade noch lebend zurück auf den Bürgersteig. Der Bus kam von rechts! Mittlerweile bin ich so verunsichert, dass ich beim Überqueren einer Straße leicht mit einem „Wackeldackel“ verwechselt werden könnte. Da mein Gehirn einfach nicht begreift woher die Autos kommen schaue ich einfach permanent in alle Richtungen!“

Litauischer Wald

Wald in Birstonas/Litauen

Im Mai hat artscenico das Projekt “Sanctuary Litauen” zu einem einmaligen Erlebnis machen dürfen. Die Künstlerinnen und Künstler lebten im Wald, in einem Hotel, das sie zu ihrem Aufwärmnest gemacht haben. Sie haben Wald und Wiesen erkundet, auf Dächern und in abgestürzten Gängen gedreht. Sie haben in ehemaligen Kantinen, in leer stehenden Holzhäusern, auf Hügeln, in Erdlöchern und auf Bäumen geprobt. Am Ende sahen 300 Zuschauer aus dem Dorf Birstonas die Performances.

Lodz ist schön

“Sanctuary” in Lodz (Polen) war ein aufregendes Erlebnis, eine kreative Mischung aus „wirklichem Leben“ und künstlerischen Interventionen. Die Partnerinstitution, die Academy for Human Economics und das the Patio Art Center, haben mit Künstlern aus ganz Polen eine Ausstellung vorbereitet und durchgeführt. Zusammen mit Tanzstudenten wurden Try-outs, Proben und letztlich Performances entwickelt.

performance in Lodz (Margarita Nagel)

Die Premiere im Patio Art Center bestand aus Ausstellung und Performance in einem einmaligen Wechselspiel, synergetisch und inspirierend, für Künstler und Publikum gleichermaßen.

Lodz hat ein ähnliches Schicksal hinter sich wie das Ruhrgebiet. Hier dominierte die Textilindustrie. Der Ort ist seit langem in einem Prozess des Strukturwandels. Viele ehemalige Industriegebäude beherbergen heute Kunst.

Andere Seiten der Medaillen – Reise in die Türkei

Wenn man seine  Klischee-Bilder auf Reisen mitschleppt, muss man für Übergewicht nichts bezahlen. Kommt man mit weniger Gewicht zurück, klärt das den Blick und der Platz ist frei für Erkenntnisgewinn. Der Verein artscenico setzt sein Projekt fort, fährt nach Ören in die Südtürkei und erlebt eine Gruppe von Menschen, für die Gemeinschaft so selbstverständlich ist wie die Gurke im Cacik.

Basar in Ören

Vorbei an einer Anlage, die am Fuße der Berge liegt und anmutet wie die Kokerei Zollverein, über Serpentinen und schwach beleuchteten Landstraßen, weist ein Schild auf das Hotel hin, das eigens für das Projekt „Sanctuary“ von der türkischen Partnerorganisation „Happy Kids“ aus Ankara angemietet wurde. Dass es direkt am Meer liegt, erlebt man erst am Morgen. Der „heilige Ort des Rückzugs“ hat Fühlnähe zum Wasser. Letzte Reste des Buffets, Kellner, die jeden Augenblick einzuschlafen drohen und Zimmertemperaturen von über vierzig Grad – keine guten Startbedingungen für ein soziales Kunstprojekt.

Sie erleben dann über zwanzig türkische Teilnehmer der Expedition in interdisziplinäre Bereiche der darstellenden Kunst aus Ankara, Istanbul, Antalya, Izmir und anderen Orten. Menschen zwischen zehn und sechzig, Angestellte, Manager, Ärzte, Studenten, Schülerinnen, Behinderte, Filmemacher, Sozialarbeiter – sie bilden eine Gemeinschaft und das Wort „Arkadas“ (Freund) hört man oft. Das beste Englisch sprechen die Kinder, andere bemühen sich, uns ein paar türkische Worte beizubringen.

Publikum zur Performance am Meer in Ören

Auf einem Berg versammeln sich die Sanctuary-Teilnehmer zu einem Mahl mit Talblick. Die aus dem Hotel mit einem alten Chevrolet-Pickup angelieferten Kellner grillen und bereiten vor. Ein Esel wandert durchs hyper-idyllische Bild, Kühe und Bullen werden vorbei getrieben, schwarze Ziegen schauen beim Grillen zu. Ein kleiner, alter Mann aus dem Dorf wird auf einen Stuhl gesetzt. Er ist fast blind. Kinder eilen herbei, um ihm zuzuhören. Er erzählt von sich und seinem Erblinden. Die Eselbesitzerin gesellt sich dazu. Ein anderer Dorfalter holt ein paar Dokumente und zeigt sie Ali, dem Leiter der türkischen Gruppe. Er ist Rechtsanwalt. Beide sitzen sie auf dem Dach der Wasserstelle – Rechtsbeistand unter Olivenbäumen. Oh my God!

Meer-Performance

Freitagnacht findet auf der Bühne am Strand des Ortes Ören eine Vorstellung statt. Gedichte von Hikmet werden deklamiert und gesungen. Das Publikum kennt die Texte. artscenico zeigt kurze Tanzfilme. Die Performance unter Beteiligung von Einheimischen, Urlaubern und der Gruppe um Ali beginnt im Meer, endet auf der Bühne – künstlerisches Neuland aus dem Ruhrgebiet. Bis um vier Uhr morgens wird darüber diskutiert, während ein paar Meter weiter das Meer seine Geräusche hinzufügt und der volle Mond das Licht.




Die Lecture-Performance (oder so)

Mein Fehler. Ich habe mir den falschen Platz gesucht: Damit sich die später Eintreffenden nicht an mir vorbei schieben müssen, hatte ich mich in die Mitte einer Stuhlreihe gesetzt statt an den Rand. Und weil der Sprecher so prominent ist und ich ihn aus nächster Nähe bestaunen wollte, auch noch ganz vorne. Da sitze ich nun und kann nicht anders. Könnte ich anders, hätte ich mich nach ca. zwanzig Minuten geschlichen, und zwar in der Überzeugung, dass der Vortrag später sicher gut geworden wäre, ich aber mal wieder zu ungeduldig war. Aufgrund dieses Schuldbewussteins wäre der prominente Dozent in meiner Achtung gestiegen. Eingeklemmt aber zwischen LeidensgenossInnen bleib ich sitzen, hauptsächlich, um keinen Massenexodus loszutreten. Also erleide ich die ungekürzte Fassung eines Dramas. Und zwar in Großaufnahme – mit allen mimischen und gestischen Feinheiten.

Ihr braucht übrigens gar nicht runter zu scrollen, um herauszufinden, um wen es geht: Ich sag’s nicht. Weniger um ihn nicht zu blamieren, als vielmehr mich selbst, die ich eine brillante Performance nicht als solche erkannt habe. Schließlich hat der Mann Ausstellungen in namhaften Institutionen, und Texte in namhaften Publikationen. Im Kontrast zum analytischen Umfeld, in dem seine Prosa erscheint, wirken seine Beiträge immer so anekdotisch und assoziativ, dass ich diesen Mut zur Abweichung für Konzept gehalten und daher die Gelegenheit ergriffen hatte, den als Autor und Künstler gehandelten Verfasser leibhaftig zu sehen.

Der Abend fängt vielversprechend an, nämlich mit der Erzählung eines GaUs: Kurz vor Fertigstellung eines Katalogtextes war sein Computer eines Morgens nicht mehr aufgewacht und auch durch hartnäckige Wiederbelebungsversuche nicht wiederherzustellen. Der Mann wird meines ungebremsten Mitgefühls teilhaftig und durch Tränen umflorte Augen sehe ich ihn mit DIN A-1 großen Bögen zusammengeklebter Seiten wedeln, von denen er Passagen vorliest. Ich kann nicht ganz folgen, habe ständig den Eindruck, zentrale Erläuterungen zu verpassen und ärgere mich über meine Unkonzentriertheit. Der Zusammenhang der thematisch abwechslungsreichen Textauszüge will sich mir nicht erschließen, zumal jede Episode nach wenigen Sätzen durch ein abruptes „whatever“ endet.

Rezipient gibt sich Mühe.

Ja, er spricht Englisch, wir befinden uns schließlich in einer international renommierten Kunsthochschule, und daher wäre mir das nicht weiter aufgefallen.
Wenn er denn Englisch spräche. Sein derzeitiger Lebensmittelpunkt („lives and works in NY“ – of course) scheint ohne nennenswerte Folgen für seine Sprachkompetenz geblieben zu sein. Wahrscheinlich wünschen die englischsprachigen Studierenden ebenfalls, er möge Deutsch sprechen – das wäre auch für sie einfacher.
Ein konsequent auf die imposanten Collagen gerichteter Blick und eine Art selbstversunkener Sprachmelodie vereinfachen die Rezeption nicht.

Spätestens seit der Schilderung irgendeines Morgens danach, da er beabsichtigte, sich vom Boden zu erheben, infolge erhöhter Alkoholzufuhr aber schließlich davon absah und stattdessen Katzenfutter verzehrte, dämmert mir, dass ich wohl besser meine Erwartung korrigieren und vom Vortrags- in den Performance-Modus umschalten sollte.

Darin bestätigen mich die mit bewundernswerter Konsequenz eingehaltenen Sprechpausen, während der er die Bögen nach weiteren lesenswerten Passagen durchsucht. Auf DIN A-1 kann das dauern. Aber nicht erst seit Cage wissen wir um die bewusstseinserweiternden Folgen des auf die eigenen akustischen Hervorbringungen verwiesenen Publikums. Diszipliniert bemühe ich mich also um die Überwindung der Trennung von Subjekt und Objekt, indem ich Performer und Performte, äußeres Geschehen (überschaubar) und inneres (zunehmende Unruhe) als Werk begreife und beflissen meine passive Erwartung warenförmigen Kunstkonsums reflektiere.

Rezipient gibt auf.

Die anderen Insassen verfahren ähnlich. Zwar verzeichne ich ein leichtes Ansteigen des Verbrauchs alkoholischer Getränke (Biertrinken bei Lectures ist hier normal. In diesem Ateliergebäude kommen die Zuhörenden schließlich direkt von der Arbeit und machen es sich daher erst mal gemütlich), aber anders als bei theorielastigen Events wie Symposien und dergleichen ist die dort unablässige Pflege sozialer Netze per Telefon zumindest nicht sichtbar.

Der einzige, der bereits nach zehn Minuten mit dem Sortieren des Posteingangs beginnt, ist der Rektor der Schule. Der zweite anwesende Professor hingegen hat im gleichen Zeitraum die erste Flasche Bier beendet und unterbricht anschließend, eine der choreografisch wirkungsvollen Schweigephasen mit der Frage, ob er vielleicht eine Frage stellen solle. Hält er etwa die konsequente Brechung unserer Wahrnehmungsgewohnheiten für ein Zeichen mangelnder Vorbereitung? Aber gern dürfe er das, freut sich der Redner, geht dann aber auf die ihm angebotenen Stichworte offenbar nicht zur vollsten Zufriedenheit des Professors ein, der daraufhin voll Adrenalin induzierter Dynamik hochschnellt und den Raum verlässt.

Prof gibt sich auch Mühe.

Nee, Jungs, so geht’s nicht, denke ich. Überlegt euch besser vorher, und vorher besser, wen ihr einladet, und sitzt es dann aus. Meine Polemik war voreilig, denn schnell kommt die Koryphäe wieder rein, in der Hand eine zweite Bierflasche, offenbar entschlossen, sich den Vortrag schön zu trinken.

Die StudentInnen sehen das entspannter. Zustimmendes Lachen erklingt, als der Referent von seiner Ambition berichtet, wissenschaftliche Texte in dafür vorgesehenen Magazinen zu unterzubringen, seinen diesbezüglichen unwissenschaftlichen Bemühungen und der daraus abgeleiteten Erkenntnis, gewisse US-amerikanische Kunstfreunde hätten doch irgendwie Recht: Texte haben in „Kunst“ nichts verloren, und wenn doch, komme es nicht so sehr drauf an, was drin stehe, solang das Layout stimmt. The medium sei nämlich the message.

Während die kunstschaffende Fraktion Nachsicht übt, hat der vor mir platzierte Rektor inzwischen bemerkt, dass sein diskretes Texten den Vortragenden nicht direkt anfeuert. Er lässt das Telefon verschwinden und versteinert fortan zusehends. Als ihm unwillkürlich missbilligende Laute entweichen, sieht sich seine Begleiterin zu de-eskalierendem Tätscheln veranlasst.

Dieweil ich noch immer die konzeptuelle Stringenz dieses Erwartungen unterminierenden Auftritts bewundere, steigert sich der Redner zum Finale. Nachdem er mit Blick auf die Uhr („by the way, what time is it?“) feststellt, dass das Ende naht („oh, seven, that’s good“ – es war acht, aber wer stellt schon gern zweimal jährlich die Uhr um?), woraufhin die chronisch zitternden Finger beim Umklammern einer Zigarettenpackung zur Ruhe kommen, endet er mit einer längeren Erklärung hinsichtlich der Gründe seiner leichten Desorientierung, wobei er das interpunktierende „whatever“ durch rhythmisches „sorry“ ersetzt. Viel gereist, viel Partys nebst der damit einhergehenden Belastungen – und dann die Sache mit dem entschlafenen Computer … Mein oben beschriebene Mitgefühl weicht der gehässigen Überlegung, der Schaden der verlorenen Dateien sei eventuell geringer als befürchtet.

Der Applaus ist lang – fast zu lang, bekommt er doch etwas Tröstendes, geradezu Therapeutisches. Aber lieb, finde ich. Und kaum jemand ist gegangen. Denn trotz lebhaften Verkehrs zwischen Vortrag innen und Bierautomat außen kamen fast alle wieder rein. Nette Studierende.
Ziemlich unverzeihlich hingegen die zwei Hochschullehrer, die den Referenten nach Redeschluss allein erst sitzen, dann stehen und schließlich rausgehen ließen. Sowas macht man nicht. Ich glaub, die müssen an ihrem Kunstbegriff arbeiten.




Der kalte Traum des Mittdreißigers „Manfred K.“ – Performance zu „Maskenball“ von Harald Weiss ging zeitweise im Regen unter

Von Bernd Berke

Hamm. Strömender Regen im Hammer Maximilianpark. Vor einem künstlichen Teich stehen Kinderwagen, mit toten Blättern gefüllt. Eine bizarre Gruppe, ganz in Schwarz gekleidet, betritt eine Beton-Plattform im Innenkreis des Gewässers.

Die Gesten gefrieren wie auf einer Fotografie, dann folgt ein allgemeines Zurechtmachen, Lockern und Lächeln, das erneut erstirbt, usw. Schließlich zerstreut sich die Gruppe und schwärmt aus. Einer hält eine flammende Predigt, ein anderer zückt spitzelhaft-verstohlen ein Notizbuch, ein dritter trägt mit fahrigen Gesten einen Kassettenrecorder umher.

Dann geht nichts mehr. Petrus mag an diesem Abend keine Performance, der Rest des, simultanen Aktionstheater-Prologs zu Harald Weiss‘ „Maskenball (Vergib mir meine Träume)“ fällt ins Wasser, nachfolgendes Stück findet im Saale, genauer in der ehemaligen Waschkaue der Zeche Maximilian statt.

Endlich, nach einer Stunde Pause (in der die im Park weit verstreuten Requisiten eingesammelt und getrocknet worden sind) beginnt, zwischen Bistro-Stühlen, abschüssigem Steinwall und bildlos flimmerndem TV-Gerät, der Traum des Mittdreißigers „Manfred K.“ in 16 Bildern.

„Manfred“, er steckt voller Lebensangst und bewegt sich linkisch durch das Geschehen, schleppt nur kümmerliche Fetzen einer „Biographie“ mit sich herum, die sich zu Floskein („Eigentlich bin ich ganz verträglich“) verfestigt haben. Anfangs will er denn auch seine Träume aussperren, mit einem Schlüssel hetzt er herum, um alle Türen zu verschließen. Doch die Figuren, Frauen vor allem, dringen durch alle Fugen und beginnen ihr Eigenleben in Szenen wie „Maskenball“, „Party“, „Ausbruch“ oder „Hetzjagd“.

Die eng mit dem Geschehen verwobene Minimal-Musik von Harald Weiss (Komposition und Regie), vielfach ein bloßes Anschwellen, Hinschmelzen oder Daherplätscheren einer kaum differenzierten Tonfolge, ist von kühler Perfektion. Den Kontrast bilden Gefühlsausbrüche der menschlichen Stimme: Vom Atemhauch über Winseln und gestammelte Silbenstücke bis zum Schrei reichen die Modulationen.

Für diese sinnlichen Entäußerungen stehen vor allem die weiblichen Figuren, während der „letzte Mann“ (Szenentitel) sich ihnen im Caféhaus lediglich mit schweinischen Absichten nähert. Zu den phasenweise gefrierenden Zeitlupengesten kommen Synchronstimmen vom Tonband, das immer wieder abgebremst wird, so daß die Worte brummelnd in Schweigen übergehen. Das Gerede wirkt lachhaft verloren zwischen lauter Leere.

Die ganze Darstellung strahlt eine fremde Kälte aus, auch die komischen Effekte sind gänzlich durchkalkuliert, nichts bleibt dem Zufall überlassen. Die Traumwelt ist gleichsam eingezäunt. Sie war, so zeigt sich, nur eine Fernsehpause.