WDR-Film „Wildes Ruhrgebiet“: Wie Pflanzen und Tiere frühere Industrieflächen erobern

Die bundesweit größte Wanderfalken-Kolonie hat sich im Ruhrgebiet angesiedelt. Diese Raubvögel, die auch auf Tauben aus sind, mögen halt hohe Schlote, aus denen kein Rauch mehr kommt.

Derlei erstaunliche Eroberung aufgegebener Industrie-Areale ist beileibe kein Einzelfall. Etliche Tierarten haben – um nicht einmal zu kalauern – ihr Revier im Revier gefunden; zumindest für eine gewisse Zeit, häufig auch dauerhaft. Das Ruhrgebiet als „Platz für Tiere“ – wenn Bernhard Grzimek das geahnt hätte…

Zwischen rostendem Stahl: Rotfüchse haben sich mitten im früheren Hüttenwerk (Landschaftspark Duisburg Nord) angesiedelt. Hier finden sie bessere  Schlupfwinkel als im Wald. (Foto: © WDR/Light & Shadow GmbH)

Zwischen rostendem Stahl: Rotfüchse haben sich mitten im früheren Hüttenwerk (Landschaftspark Duisburg Nord) angesiedelt. Hier finden sie bessere Schlupfwinkel als im Wald. (Foto: © WDR/Light & Shadow GmbH)

Da sind beispielsweise die Füchse, die sich im stillgelegten Duisburger Stahlwerk sicherer fühlen können als in vermeintlich „freier Natur“. Unterdessen haben Steinmarder – sonst Felsenbewohner – eine aufgelassene Gießereihalle für sich entdeckt. Da ist der Flussregenpfeifer, der riesige Brachflächen zu erobern weiß, die durch den Abriss von Industriebauten entstanden sind. Anders, als es sein Name vermuten lässt, braucht er nicht zwingend ein Gewässer.

Findig waren auch die Kreuzkröten, die vor der Industrialisierung in den Auenlandschaften der Ruhr gelebt haben und sich nun auf Kohlehalden verlegt haben. Wenn diese in absehbarer Zeit vollends begrünt sein werden, müssen sich die Tiere allerdings wieder auf Wanderschaft begeben.

Der (hauptsächlich von einem NDR-Team um den Regisseur Christian Baumeister erstellte) WDR-Fernsehfilm „Wildes Ruhrgebiet“ (morgen, 13. Dezember, 20.15 Uhr; bis zum 20. Dezember außerdem in der Mediathek) zeigt in teilweise hinreißenden Bildern frappierende Kontraste zwischen rostenden Industriekolossen, öden Brachlandschaften und einer quasi unverwüstlichen Natur, die sich Räume in dieser geschundenen Landschaft zurückerobert. Das hat schon seinen ganz eigenen Reiz, den man in anderen Gegenden nicht kennt.

Pflanzliche Pioniere wie Birken und tierische Neuland-Eroberer wie eben Füchse und Marder machen den Anfang, alsbald folgen andere Arten und es entstehen ungeahnte Biotope. Das geht dann etwa nach und nach so vor sich: Pflanzen überwuchern alte Gleisanlagen, es folgen Insekten, die sich an den Pflanzen gütlich tun, sodann wollen Igel die Insekten vertilgen und locken schließlich Tiere an, die ihrerseits Igel fressen.

Sprachlich ist der 45 Minuten lange TV-Beitrag zuweilen redundant, hin und wieder auch etwas volltönend geraten („Das Comeback der charismatischen Vögel“). Doch der in Dortmund geborene Sprecher Dietmar Bär, der schon bessere Texte hatte, verhütet immerhin Schlimmeres.

Auch wenn man von der einen oder anderen Wiederkehr bzw. Neuansiedlung schon gehört hat, bleibt der Film lehrreich. Er kündet von den nie versiegenden Selbstheilungskräften der Natur, die sich sogar noch auf vergifteten Böden festkrallt, und sei’s in Gestalt der Ödlandschrecke. Mit grausig gestimmter Phantasie vermag man sich demnach vorzustellen, wie es nach einer Katastrophe oder Apokalypse aussehen könnte.

Doch denken wir lieber ans Positive. Selbst Bergsenkungsseen, die ja eigentlich aus Schädigungen der Natur hervorgegangen sind, haben sich (etwa in der Dortmunder Hallerey) zu beschaulichen kleinen Paradiesen entwickelt, in denen nicht nur Lachmöwen ein ideales Brutgebiet vorfinden.

Ganz zu schweigen vom grandiosen Projekt einer Renaturierung der einstigen Fluss-Kloake Emscher, die sich über weite Strecken schon wieder als lieblicher Bach durch diese Region schlängelt und eine entsprechende Flora und Fauna nach sich zieht. Nicht oft können Filme mit so vielen sinnfälligen Hoffnungszeichen aufwarten.




Ahnungen vom Wesen und Wirken der Pflanzen – Herman de Vries will unser Natur-Bewußtsein erweitern

Von Bernd Berke

Hagen. Museen zeigen oft das, was es s o nicht mehr gibt, aber vielleicht (wieder) geben sollte. Das Hagener Osthaus-Museum zeigt Pflanzen. Vorbotschaft drohender Zeiten, in denen wir die Natur nur noch in sorgsam behüteten Relikten, mithin nur als Vergangenes besichtigen können?

Nicht ganz. Der holländische Künstler Herman de Vries (58) sammelt seit Jahren Pflanzen auf Reisen und an seinem Wohnort im fränkischen Steigerwald, wo er noch eine erstaunliche Vielfalt vorfindet. Aus Marokko, dem Senegal und Indien hat er rund 2000 Beispiele (vornehmlich mit heilenden Wirkstoffen) mitgebracht und jetzt erstmals in solcher Fülle arrangiert: Die Ausstellung „Natural relations“ (Natürliche Beziehungen) hat in Hagen Premiere, geht dann weiter nach Holland und Dänemark.

De Vries erhebt keine Anklagen in Sachen Umwelt, er will uns ein sinnliches Naturerlebnis vermitteln, das man auch mit der Nase nachvollziehen soll. Im Museum verströmen nun botanische Boten fremder Länder betörend-exotische Würzdüfte, während das Steigerwald-Grün schon geruchsweise „deutsche“ Herbheit ahnen läßt.

Rauschmittel im „verschlossenen Paradies“

De Vries will keineswegs die wissenschaftliche Botanik außer Kraft setzen, wohl aber sie versöhnen mit verschüttetem, nicht-rationalem Wissen von Wesen und Wirkung der Pflanzen. Dies bedeutet zugleich den Versuch, die Grenzen zwisehen Wissenschaft, Kunst und Leben zu sprengen und schließt auch „geistbewegende“ (de Vries) Effekte ein, deren pflanzliche Urheber in einem ständig bewachten Gewächshaus gezeigt werden. „Das verschlossene Paradies“ (Werktitel) enthält – vom Tabak über Mohn, Stechapfel und „Traumwurzel“ bis zum Mescalin-Kaktus – Gewächse, die zur Erzeugung von Genuß- und Rauschmitteln taugen. Selbst eine vermeintlich harmlose Zierde wie die Buntnessel zählt übrigens dazu. Aufzucht in Hagens Stadtgärtnerei und Aufstellung im Museum mußten eigens vom Bundesgesundheitsamt genehmigt werden.

Der Künstler proklamiert nicht etwa den Gebrauch solcher Mittel. Im Gegenteil: Er glaubt, daß wir uns so weit von den „Ursprüngen“ entfernt haben, daß wir mit solchen Substanzen gar nicht mehr umgehen können. Gleichwohl hat de Vries einiges am eigenen Leibe erprobt und darüber Buch geführt: Es nennt alle Pflanzen(produkte), die er zu sich genommen hat – von Senf und Blumenkohl bis hin zu Drogen. Der Mensch – letztlich ein Produkt und Abkömmling der Pflanzenwelt?

Blüten, Blätter, Stauden, Samenkörner usw. hat de Vries auf langen Tuch-Bahnen ausgelegt, und zwar auf dem Fußboden, denn: Wachstum habe eben mit Boden zu tun; zudem hätten jene Pflanzen, die er auf Märkten erwarb, zu ebener Erde im Angebot gelegen.

Es gibt keine sprachlichen Hilfen, keine Bezeichnungen – und somit auch keine hinderlichen Wort-Barrieren. Die Funde sind lediglich numeriert. Informationen können später im Katalog (800 Seiten!) nachgeschlagen werden. In der Ausstellung selbst muß man die Sinne bemühen, schauen und schnuppern.

Die Pflanzenreihen sind nicht nach künstlich-ästhetischen Mustern sortiert. Mögliche „Aussage“: Natur, allein und für sich betrachtet, ist schön genug, ihr Formen- und Farben-Reichtum ist immens. Auch rückt die bloße Präsentation in einem Museum diese Exponate bereits in einen ästhetischen Zusammenhang. Doch nicht immer verzichtet de Vries auf nach- und ausdrückliche Kunst-Anstrengung: 108 Pfund Rosenblüten wandelten sich unter seiner Hand zum magischen Kreis namens „rosa damascena“.

Osthaus-Museum. Hagen, Hochstraße 73. Bis 24.9., di-sa 11-18 Uhr, do 11-22 Ubr, so 11- 16 Uhr, montags geschlossen. Eintritt 4 DM, Katalog 50 DM.