Eros erwacht im Prager Frühling – Kino: „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“
Von Bernd Berke
Dortmund. Der „Prager Frühling“, der vor 20 Jahren blühte und Befreiung vom Stalinismus verhieß, ließ die Menschen in der Tschechoslowakei nicht nur in politischer Hinsicht kurz durchatmen. Er setzte, wie jede zur Wirklichkeit drängende Utopie, auch erotische Energien frei.
In dem Bestseller-Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“, den der Exil-Tscheche (und Dortmunder Nelly-Sachs-Preisträger ’87) Milan Kundera 1984 im Westen veröffentlichte, bildet diese Spielart der „Politik des Privaten“ einen Hauptstrang der Handlung, aber eben nur einen. Die Versuchung, das Erotische bei einer Verfilmung des Romans bildwirksam dominieren zu lassen, ist natürlich gsoß. Zum nicht geringen Teil ist ihr auch der US-Regisseur Philip Kaufman erlegen. Sein Film läuft heute an.
Zwangsläufig kommen die weit ausgreifenden essayistischen Passagen der Vorlage, in denen Kundera – scheinbar spielerisch leicht – mit philosophischen Begriffen jongliert, zu kurz. Den Figuren in den Mund gelegt, wirkt Gedankentiefe leicht gestanzt.
Mit der Leichtigkeit des Seins ist das so eine Sache: Im flüchtigen Leben, so Kundera, ist keine Entscheidung nachträglich korrigierbar, alles zieht daher „leicht“ vorüber – gar zu leicht mitunter. Wirkliches Gewicht und Erdenschwere bekämen die menschlichen Handlungen erst bei ständiger Wiederholung und ewiger Wiederkehr. Dies Modell wird in Buch und Film am Beispiel von Liebesbeziehungen durchgespielt: Der Prager Chirurg Tomas (Daniel Day-Lewis) bevorzugt die Leichtigkeit flüchtiger Beziehungen und fühlt sich da am besten von seiner Lieblings-Gespielin Sabina (Lena Olim) verstanden. Ganz anders die Kellnerin (und spätere Fotografin) Teresa (Juliette Binoche), die nach einer Reihe bedeutungsschwerer Zufälle in Tomas‘ Leben tritt und der er – fortgesetzten Seitensprüngen zum Trotz – letztlich treu bleibt; im Schweizer Exil, bei der Rückkehr ins „brüderlich“ besetzte und fast kafkaesk bedrückende Prag oder auch in ländlicher Idylle fernab der tschechischen Hauptstadt.
Ihren eigentlichen Schwerpunkt bekommen die erotischen Wechselfälle durch die politische Aufbruchstimmung, dann durch den alle Hoffnung niederwalzenden Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen. Tomas hat einen aufsässigen Artikel verfaßt, Teresa hält Untaten der Besatzer fotografisch fest. Beide geraten ins Fadenkreuz der Bespitzelung.
Kaufman findet für den Widerstand gegen die Okkupation die stimmigsten Bilder; er fügt – bester Teil des 170-Minuten-Films – die Figuren in dokumentarische Schwarz-Weiß-Sequenzen von 1968 ein, vermittelt viel von der ohnmächtigen Wut, die den sowjetischen Panzern entgegenbrandete. Die erotischen Szenen sind zwar mit Hingabe gespielt und mit Einfühlung aufgenommen, lassen aber nur den halben Kundera ahnen. Etliche Sequenzen haben darüber hinaus einen fatale Tendenz zum Geschönten und ausgesucht „Malerischen“.