Vom Fluch frühen Ruhms: Der Pianist Jan Lisiecki im Konzerthaus Dortmund

Jan Lisiecki (17) gab im Konzerthaus Dortmund seinen Einstand in der Nachwuchsreihe "Junge Wilde" (Copyright: DG/Mathias Bothor)

Scheu vor seinem Publikum kennt Jan Lisiecki offenbar nicht. Mit volltönender Stimme, die im Konzerthaus Dortmund auch ohne Mikrofon bis in die letzten Reihen dringt, erläutert der 17-jährige Pianist kurz sein Programm, bevor er sich an den Flügel setzt. Das wirkt souverän und weckt Sympathien, die der Blondschopf als neuer Nachwuchskünstler in der Reihe „Junge Wilde“ ohnehin auf seiner Seite haben dürfte.

Ein Kinderspiel ist Lisieckis Auftritt deshalb noch lange nicht. Denn er stellt sich im gleichen Moment übergroßen Erwartungen, geweckt von der künstlich aufgeregten Werbekampagne einer Plattenindustrie, die den im kanadischen Calgary geborenen Sohn polnischer Eltern so hartnäckig wie bedenkenlos als „Wunderkind“ vermarktet. Da wird das „ausgereifte und poetische Spiel“ des Kanadiers bejubelt, da wird ohne nähere Begründung der Name einer Jahrhundertkünstlerin wie Martha Argerich in den Raum geworfen, als dränge sich dieser abstruse Vergleich auf. Welche Hypothek dies für die Zukunft eines jungen Musikers bedeutet, interessiert wohl sekundär.

Auf der Konzerthaus-Bühne wirkt Lisiecki erfrischend unbefangen. Nicht belehrend, sondern locker und charmant wendet er sich an sein Publikum. Als er am Flügel Platz nimmt, verwandelt er sich vom Moderator in einen Träumer. Mit feinen Fingern und viel Poesie versucht er sich an einige Préludes des Franzosen Olivier Messiaen heran zu tasten. Diese Clarté weist stark zurück in Richtung eines Claude Debussy. Der von Glaubensgewissheit erhellten Musik Messiaens, von manchen zu Unrecht der Nähe zum Kitsch verdächtigt, tut dieser Zugriff nur bedingt gut.

Johann Sebastian Bachs Partita Nr. 1 B-Dur sei das Schlüsselwerk für die Konzeption der ersten Programmhälfte gewesen, hatte Lisiecki im Vorfeld erklärt. Um Klarheit der Stimmen und tänzerischen Schwung bemüht, leidet seine Interpretation unter schwankendem Zeitmaß. Ludwig van Beethovens 24. Klaviersonate, lyrisch und zurückhaltend im Tonfall, kommt Lisiecki mit seinem zarten Zugriff nicht bei. Die Themen gewinnen keinen eigenen Charakter, keine glaubhafte Entwicklung. Hoffen lassen die „Variations sérieuses“ von Felix Mendelssohn Bartholdy: Da der Variationssatz hier den Weg vorgibt, kann Lisiecki ihm mit Hingabe folgen und einiges an Feuer entwickeln.

Frédéric Chopins Études op. 25 verdeutlichen noch einmal Lisieckis Schwierigkeiten, sinnstiftende musikalische Bezüge zu schaffen. Die Mittelteile der überwiegend in ABA-Form komponierten Etüden klingen bei Lisiecki wie herausgeschnitten, stehen isoliert neben dem Rest des Werks. Beachtliche Fingerfertigkeit kann der junge Pianist jedoch demonstrieren, was ihm den herzlichen Applaus seiner Zuhörer sichert.

In den Tagen nach seinem Dortmunder Einstand tourt Lisiecki durch Japan, tritt dann in Deutschland, Italien, Kanada und New York auf. Sein Terminkalender ist zum Bersten gefüllt. So geht es wohl zu in der Welt des frühen Ruhms und der gut gefüllten Kassen. Wen kümmert es da schon, wer am Ende die Zeche zahlt.





Guldas gesammeltes Granteln – Arrogante Plätschereien eines Weltklasse-Pianisten

Von Bernd Berke

Schon die dick aufgetragene Lobhudelei im Vorwort läßt ahnen, wo es langgeht: Dieses Buch über den Pianisten Friedrich Gulda ist eine Art Kult- und Opfergabe. Es handelt sich um Zusammenschnitte aus Gesprächen Guldas mit dem österreichischen Journalisten Kurt Hofmann.

Letzterer nimmt sich vollkommen zurück, der Text besteht nur aus den endlos aneinandergereihten Antworten Guldas. Hofmann verrät uns nicht einmal, auf welche Weise er sie protokolliert hat. Jedenfalls sieht es so aus, als a habe der Künstler reden dürfen wie ein Wasserfall, durch keinerlei Gegenfragen oder gar kritische Einwände gebremst. Offenbar hat er sich das ausbedungen, bevor er Hofmann die Huld seiner Äußerungen erwies.

Im Gegenzug hat Gulda-Verehrer Hofmann auch einige Griffe in des Tastenmeisters privates Fotoalbum tun dürfen. Doch wen interessiert es zu sehen, wie es beispielsweise „im Haus des Präsidenten des Gulda Fanclubs in Buenos Aires“ (Bildzeile) herging?

Manchmal möchte man am liebsten dazwischenfahren: „Bilde Künstler, rede nicht!“ Wieviel schöner ist es doch, Gulda Beethoven-Sonaten spielen als ihn salbadern zu hören. Denn was sich der Pianist da selbstgefällig zusammengrantelt und daherschwätzt, ist teilweise schwer erträglich. Da sortiert er als selbstherrlicher Richter jede Menge klassisch-musikalischer Prominenz in „oben“ und „unten“ ein, kaum jemand findet Gnade vor seinen Augen. Da thront Gulda selbst unter den allergrößten Genies („Damit muß ich leben, genau so wie der Michelangelo oder der Beethoven“) und natürlich turmhoch über der Zunftkonkurrenz („Sogar der Brendel … ist gegen mich immer abgestunken“, „Der Horowitz … hat mir immer weniger gefallen“) – von seiner PublikumsVerachtung zu schweigen.

Eines der Hauptthemen ist selbstverständlich Guldas Wanderschaft zwischen den Welten des Jazz und der Klassik, worauf sich der Meister sowieso viel zugute hält. Kaum jemand sonst habe halt einen derart weiten Horizont, daß er in beiden Musikrichtungen Weltklasse sei. Auch sein Verhältnis zur Weiblichkeit gerät in den eitlen Redestrom. Textprobe: „So habe ich mir bei der dritten Hauptfrau gesagt, sie soll sich als gleichberechtigte Partnerin fühlen.“ Und seine politischen Ansichten, etwa über die Folgen der Revolte von 1968, sind ebenso simpel-verkürzt wie unerheblich. Da will einer über alles und jedes reden. Und das ergibt nur stellenweise Sinn. Meist aber ist es (unfreiwillig?) komisch.

„Friedrich Gulda (Aus Gesprächen mit Kurt Hofmann)“. Langen-Müller Verlag, 232 Seiten, 38 DM.