Richard Hamilton: Bilder jenseits von Ort und Zeit
Bielefeld. Richard Hamilton (86), einer der Urväter der Pop-Art, ist ein mitteilsamer älterer Herr. Zu jedem seiner Bilder fallen ihm allerhand liebevolle Details ein: Beispielsweise, wie seine Frau sich als Modell benommen hat (nämlich nicht immer fügsam).
Manchmal sind solche Anekdoten erhellend, oft aber auch nicht. Der Mann verrätselt seine Werke eben gern. Und dazu lächelt er weise.
Berühmt wurde der Brite 1956 mit einer Collage vom „trauten Heim“. Rund um ein ach so modernes Paar versammelte er in scheinbar wirrer, doch wohlberechneter Vielfalt vorgefundene Abbildungen von Konsumgegenständen. Schöne neue Wirtschaftswunderwelt. Irgendwo im Bild tauchte das Wort „Pop“ auf, das später einer ganzen Kunstrichtung den Namen gab. Wollte man ein wenig übertreiben, so könnte man sagen: Ohne Hamilton kein Andy Warhol und kein Roy Lichtenstein.
Vexierbilder aus Fotografie, Malerei und Computer-Schöpfung
Die Bielefelder Kunsthalle kommt nun auf den großen Anreger Hamilton zurück und nennt die Schau „Virtuelle Räume“. Die Werke der letzten 15 Jahre sind vielfach Vexierbilder, gemixt aus Fotografie, Malerei und Computer-Schöpfung.
Etwas ratlos steht Hamilton vor seinen Bildern: Selbst der Künstler vermag nicht mehr genau zu sagen, wo etwa eine fotografierte Fläche aufhört und wo die gemalte anfängt. Die Tarnung der Nahtstellen (unter anderem mit Spezialpulver) ist ihm also perfekt gelungen. Er hat nicht nur uns alle, sondern gleichsam auch sich selbst überlistet.
Hamilton trägt immer wieder neue Bedeutungs-Ebenen in ein Bildmotiv. Mit jeder Zutat oder Wegnahme wird die Darstellung anders „aufgeladen“. Eins von vielen Beispielen: Erst ist da nur ein Stuhl mit Tisch, dann kommt auf dem nächsten Bild der Reihe eine penibel konstruierte Raumgeometrie hinzu, schließlich sitzt eine nackte Frau auf dem Stuhl und telefoniert. Und weiter: Mal wird ihr Gesicht „herangezoomt“, dann sieht man sie in der Totale, immer aber schimmert ihre Haut wie Seide. Der Titel „Die Verkündigung“ weckt biblische Vorstellungen, setzt also einen Kontrast zur Banalität des Telefonats.
Erkenntnis durch fortwährende Verfremdung
Immer wieder neue Ansichten, andere Kombinationen. Vielschichtige Serien, fürwahr. Weitere Werke sind ähnlich gefügt, sie bergen stets überraschende „Sehfallen“ . Es ist bei Hamilton keine „Masche“, sondern ein Zugang zur Welt, der auf Erkenntnis durch fortwährende Verfremdung aus ist.
Hamilton, der im Zweiten Weltkrieg zeitweise als technischer Zeichner gearbeitet hat, war seither stets begierig auf neueste Ausrüstungen. Als einer der ersten Künstler überhaupt hat er mit anfangs noch schlappen Computern gearbeitet. Und bis heute hadert er damit, dass die Drucktechniken immer noch nicht vollkommen sind.
Wundersam, dass derart avancierte Verfahren zuweilen in Bilder münden, die Geist der Renaissance zu atmen scheinen. So hat Richard Hamilton Fotografien der Torbögen aus dem florentinischen Kloster San Marco innig verwoben mit zeichenhaften Kreuzweg-Kürzeln von Henri Matisse – und wiederum mit nackten Frauen, die ätherisch schön aus den Klostertüren schreiten. Drei Welten werden da zu einer Sphäre verschmolzen – jenseits von Ort und Zeit, daher fast schon überirdisch.
Richard Hamilton. Kunsthalle Bielefeld, Artur-Ladebeck-Str. – Bis 10. August. Di, Do, Fr, Sa, So 11-18, Mi 11-21 Uhr. Eintritt 7 Euro. Zwei kleine Kataloge zusammen 28 Euro.
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ZUR PERSON
Dies ist die Zukunft
- Richard Hamilton wurde am 24. Februar 1922 in London geboren.
- 1936 Job in der Werbeabteilung einer Elektrofirma
- 1941-1945 Arbeit als technischer Zeichner
- 1948-1951 Kunststudium
- 1952 Lehrauftrag für Silberschmieden, Typographie und Industriedesign
- 1956 Schau „This is Tomorrow“ (etwa: Dies ist die Zukunft) mit dem Bild, das später der Pop-Art den Namen gab.
- 1979 und 1992 umfassende Werkschauen in der Londoner Täte Gallery.
- 1997 Arnold-Bode-Preis der documenta
- 2007 Max-Beckmann-Preis.
(Der Beitrag stand am 14. Juli 2008 in der „Westfälischen Rundschau“)