Wenn jede Kunst es mit der anderen treibt – Wuppertaler Pop-Institut zeigt in Hamburg Ausstellung über Andy Warhol und „Velvet Underground“
Von Bernd Berke
Hamburg/Wuppertal. Unter der Decke schweben Cassetten-Recorder mit Kopfhörern, beim Aufschlagen eines Buches entfaltet sich eine dreidimensionale Suppendose aus Papier. Fotos zeigen ekstatisch verzerrte Gesichter im Stroboskop-Gewitter, Platten und Plakate animieren zu Rockmusik-Räuschen, es laufen bizarre Filme und Videos. Wohin sind wir denn da geraten? In die ehrwürdige Hamburger Kunsthalle.
Die große Andy Warhol-Ausstellung vor Jahresfrist in Köln war ein Publikumsrenner. In der Euphorie fiel aber kaum auf, daß ein wichtiger Werkaspekt des berühmten Pop-Künstlers total vernachlässigt wurde: seine intensive Beziehung zur Rockszene. Warhol wollte gar, auch weil er auf diesem Feld erhöhte Öffentlichkeit sowie Geschäfte witterte, mit seinen Künstlerkollegen Claes Oldenburg und Jasper Johns selbst eine Rockband gründen, die freilich ein Flop wurde. Seine Zusammenarbeit mit der rockgeschichtlich höchst bedeutsamen Gruppe um Lou Reed und John Cale, „The Velvet Underground“, wurde dann Legende. Genau diesem Thema widmet sich jetzt in der Hamburger Kunsthalle eine Ausstellung, die als NRW-Export gelten kann und später u. a. nach Köln wandern soll. Die Exponate stammen überwiegend aus dem Wuppertaler Institut für Popkultur („InPop“), einer bundesweit einmaligen Forschungs- und Sammlungs-Stelle.
Es ist eine Ausstellung der Kreuz- und Quer-Verbindungen, deren Knäuel letztlich nur mit Hilfe des Katalogs entwirrbar ist. „Pop goes Art“ (Pop-Musik nähert sich der Kunst) heißt der Titel, er würde auch umgekehrt stimmen: „Art goes Pop“. Noch verzwickter wird die Sache, weil Warhol und „Velvet Underground“ sich Ende 1965 im Zeichen der amerikanischen „expanded cinema“-Bewegung kennenlernten, so daß auch noch das — im Bann von LSD-Erfahrungen — auf Grenzüberschreitung und Bewußtseinserweiterung gerichtete Avantgarde-Kino ins Spiel der Medienvielfalt kommt. Durch die Person John Cale spielten schließlich Einflüsse von dessen Lehrmeister John Cage, also der fortgeschrittenen „E-Musik hinein. Salopp könnte man sagen: Da trieb es jede Kunst fröhlich mit jeder anderen.
Geradezu kultischen Charakter bekam die Mixtur 1966 mit der von Warhol, Velvet & Co. realisierten MultimediaShow „The Exploding Plastic Inevitable“, die u. a. minimalistische Filmtechniken, Diaprojektion und ohrenbetäubende Musik zu einer irrwitzigen Melange verquickte. Die kommerzialisierte Verschmelzung von Pop und PopArt markiert dann jene Ikone der 60er Jahre, Andy Warhols änzüglich-phallisches Bananen-Cover für die LP „The Velvet Underground & Nico“.
Uwe Husslein (31), Leiter des Wuppertaler Pop-Instituts, der in der Hamburger Kunsthallen-Phonothek einen idealen Partner für die Ausstellungspremiere sieht, will zweierlei erreichen: „Rock-Schauen wie diese könnten neue Besucherschichten ins Museum locken“. Andererseits öffne der Name Warhol wie ein Zauberwort dem Rock die Türen etablierter Museen und rücke diese Musik als ernstzunehmendes Kulturphänomen in den Blick.
Trotz des eingangs erwähnten Aufwands läßt die Schau natürlich nur einen Hauch der Aufbruchstimmung aus den 60er Jahren verspüren. Um solchem Mangel abzuhelfen, gehört zum Rahmenprogramm auch eine multimediale (und drogenfreie) „Rausch-Party“ mit der Ruhr-Rock-Siegerband „Rausch“ aus Köln. Ganz spontan im Hier und Jetzt will man dann womöglich den Geist wiederaufleben lassen, der einst Warhol und die „Velvets“ bei ihren Shows beseelte.
„Pop Goes Art“. Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall, direkt am Hauptbahnhof. Bis 3. Februar 1991. Katalog-Box mit Mini-CD, Luftballon usw. 45 DM.