„Porno“ in der Tiefkühltruhe

Vor einigen Tagen war im geschätzten Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein länglicher Essay zu lesen, der die pornographische Sichtweise als die prägende Perspektive unserer Tage dingfest zu machen suchte. Die Herangehensweise der harten Pornographie, so war zu lesen, bestimme längst auch weite Teile der Hochkultur. Und das nicht nur insgeheim.

"Nackt" in der Tiefkühltruhe (Foto: Bernd Berke)

„Nackt“ in der Tiefkühltruhe (Foto: Bernd Berke)

Es mag etwas Wahres daran sein: Besonders Kino und Theater, doch auch die bildenden Künste müssen sich offenbar notgedrungen irgendwie zur globalen pornographischen Dominanz verhalten, sei’s harsch ablehnend, krampfhaft ignorierend, hintersinnig konterkarierend oder gleich hingebungsvoll affirmativ.

Bevor die Debatte ausufert, werde ich lieber konkret: Heute stand ich vor einer Kühltruhe im Supermarkt und wurde abermals gewahr, dass natürlich auch die Warenwelt sich pornographische Anspielungen zu eigen macht. Nicht nur, dass allüberall Plakate prangen, die bis in die 1970er Jahre nur unter der Ladentheke gehandelt worden wären; nein, auch vermeintlich harmlose Nahrungsmittel werden einem erotisch bis pornös schmackhaft gemacht. Da geht es manchmal nur noch um Sääääxxxx.

Und was heißt hier überhaupt harmlos! Der Hummer (um niemand anderen geht es) hat ja eh schon einen gewissen Ruch als Luxusnahrung der Begüterten und als Bestandteil jenes zynischen Wortspiels „Welthummerhilfe“. Jetzt habe ich eine Packung entdeckt, die sich mit der lockenden Überschrift „Der ,nackte‘ Hummer“ schmückte. Vergesst die neckischen Gänsefüßchen. Oh, Schweinskram über Schweinskram! Man denke nur: ein nacktes Tier! Da fällt einem doch Robert Gernhardts Reimklassiker ein: „Der Wal vollzieht den Liebesakt / zumeist im Wasser. Und stets nackt.“

Aber mal halbwegs im Ernst. Wahrscheinlich sollen wir glauben, dass nach dem Genuss dieses Schalentiers lustvolles Flachlegen angesagt ist. Oder etwa nicht?

Am den Wein- und Sektregalen bin ich dann nur noch abgewendeten Blickes vorüber gewankt. Wer weiß, was sich die Ferkel dazu wieder haben einfallen lassen…




Soziale Miniaturen (9): Pornosammler

Sein Spitzname klingt so ähnlich wie „platsch!“ Als würde da jemand steinschwer ins Wasser plumpsen. Unrettbar und doch irgendwie brunzlustig.

Einem wie ihm gibt man früher oder später einen solchen Spitznamen. Er gehört zu jenen, die wohl nie mit einer Frau leben werden. Schwul ist er wahrscheinlich nicht, sondern ein manischer Onanist. Ein bekennender. Nein, ein herausprustender.

Mag sein, dass man ihn früher einen „Hagestolz“ genannt hätte. Obwohl man sich einen solchen eher mager und ausgedörrt vorstellt. Er hingegen ist füllig, früh aus jeder Form geraten. Wie wird er altern? Wie ist er als Kind gewesen?

Es ist schon einige Jahre her. Lange bevor das Internet in alle Öffnungen eingedrungen ist, hat er eine Sammlung von Pornoheften und Filmchen aufgehäuft – offenbar zimmerfüllend, wenn man seinen verdrucksten Andeutungen glaubt. Alles auf Wachstum angelegt, auch deshalb kläglich gesellschaftskonform. Auf der Arbeit spricht er tagtäglich davon. Schnubbelnd. Anders kann man das ebenso stolze wie verlegene Gegluckse kaum nennen.

Da er mit seiner Hilfstätigkeit erbärmlich wenig verdient, muss er einen wesentlichen Anteil seines Lohnes dafür aufbringen. Ein armer Teufel.

Die Kollegen feixen. Klopfen ihm gönnerhaft auf die Schulter. Mensch, du bist ja einer! Dann sagt er immer seine Formel, die alle von ihm hören wollen: „Hauptsache gemütlich!“

Da wird noch einmal final abgelacht.

Man kann ihm nicht böse sein. Man kann ihn nicht für voll nehmen. Man wendet sich sehr schnell anderen Themen zu.




Doppelter Kitzel mit Nazi und Porno

Will man öffentliches Ärgernis erregen oder wenigstens Aufmerksamkeit wecken, so bieten sich zwei Zutaten an: Irgendetwas mit Nazis – oder irgendetwas mit Sex. In diesem Sinne ist es günstig, wenn beides sich mischt. Idealtypisch lässt sich das jetzt am Fallbeispiel des Echos auf die Autorin Ariadne von Schirach studieren.

Der doppelte Kitzel ergibt sich hieraus: Die 28-Jährige ist Enkelin des NS-„Reichsjugendführers” Baldur von Schirach und legt nun mit „Der Tanz um die Lust” (Goldmann, 384 Seiten, 14,95 Euro) ein Buch über den pornographischen Blick vor. Nur scheinbar paradox: Sie schreibt pornographisch gegen allgegenwärtige Pornographie an.

Eine Kernthese, ausgebreitet in einer Haltung zwischen Erzählung und Essay: Das Prinzip „Porno” dominiert immer mehr und besetzt unsere Phantasien dermaßen, dass wir kaum noch zu wirklicher, selbstbestimmter Erotik finden. Ein diskussionswürdiger Ansatz. Ariadne von Schirach garniert ihn mit drastischen Passagen etwa rund um „Nippelklammern”, „Wichswettwerbe” und die daseinsfromme Formel „Ficken als Gebet”. Geschenkt. Letzteres gab es im Grunde bereits, biblisch besungen, im „Hohelied der Liebe”.

Die ätherisch attraktive Autorin kann wahrlich nichts dafür, dass sie Enkelin eines NS-Verbrechers ist. Sie hat ihn nie kennengelernt und distanziert sich sehr glaubhaft von ihm. Was der offenkundig klugen Frau ebenfalls bewusst ist: Ob sie will oder nicht – die prekäre Verwandtschaft lenkt so manchen gierigen Blick auf ihr Buch, das sie Ende letzter Woche in Berlin-Mitte vorgestellt hat. Dort also, wo sie ihre diagnostischen Beobachtungen gemacht hat, wo es angeblich so brodelt wie nirgendwo sonst in der Republik – und wo allerhand blasierte Großfeuilletonisten gern die rasch wechselnden Trends für die „digitale Bohème” ansagen. Wieviel davon wohl in Westfalen und anderen Provinzen ankommt – und in welcher Verdünnung?

Bezeichnend ist jedenfalls der zuweilen lechzende Medien-Hype, den „Der Tanz um die Lust” angestoßen hat, sprich: (Nicht nur) der Boulevard stürzt sich auf das Buch, seine Urheberin und ihren schrecklichen Großvater, der auch für Judendeportationen in Wien verantwortlich war.

„Bild” versteigt sich zu der bebenden Familien-Frage: „Was hätte der Opa der Autorin wohl dazu gesagt?” Dazu gibt’s online eine kleine Fotostrecke mit dem „Reichsjugendführer” Baldur von Schirach – mal allein, mal mit seinem Idol Hitler. Fehlt eigentlich nur noch eine hirnrissige Einlassung à la „Wenn das der ,Führer‘ wüsste . . .”

Doch auch die eher gediegene Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung leckt sich gleichsam lüstern die Lippen und steigt so ins Thema ein: „Sie ist jung, blond und die Enkelin eines Großnazis . . .” Alle Achtung, der Satz sitzt. Und steht. Nur: In der „Tageszeitung” (taz) heißt es, dass Braun ihre natürliche Haarfarbe sei. Wie irritierend.

Die Deutsche Presseagentur (dpa) sucht derweil das schaurig geile Geschehen einzuordnen und sichtet eine „Pornodebatte”, die in Berlin schon seit einiger Zeit „kultiviert” werde. Als untrügliche Beweise werden angeführt: ein „intellektuelles Porno-Filmfestival” im letzten Jahr und Thomas Brussigs neues Buch „Berliner Orgien”. Oh, Mann! In der Hauptstadt scheinen sie’s ja heftig zu treiben. Wahrscheinlich ist deswegen der neue Bahnhof schon marode.

Aber das Schlimmste kommt wohl noch: Gar nicht auszudenken, was die britischen Boulevard-Blätter aus all dem machen, wenn sie’s spitz kriegen. Nazi-Themen greifen sie sowieso mit Vorliebe auf. Erst recht (siehe oben) in todsicherer Traum-Kombi mit Porno. Da wäre man lieber des Englischen unkundig.

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INFO

  • Ariadne von Schirach wurde 1978 in München geboren – rund vier Jahre nach dem Tod ihres Nazi-Großvaters.
  • Mit 14 Jahren flog sie wegen diverser jugendlicher Verfehlungen (Blasphemie, Alkohol) aus dem Internat. Das Abi schafft sie später trotzdem.
  • Studium (u. a. Philosophie) zunächst in München, dann in Berlin.
  • Ihr Großvater Baldur von Schirach (1908-1974) war ab 1928 Führer des NS-Studentenbundes, ab 1931 „Reichsjugendführer”, ab 1933 „Jugendführer des Deutschen Reiches”, später Gauleiter in Wien. 1946 bei den Nürnberger Prozessen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 20 Jahren Haft verurteilt.