Der alltägliche Sprachf*ck

Manchmal möchte man sich am liebsten aus allen Mail-Verteilern streichen lassen und sämtliche Newsletter abbestellen, Verzeihung: canceln. Man hat dann einfach keine Lust mehr auf den gängigen Sprachmüll, der sich jede schnellvergängliche Modenarrheit einverleibt und sie sogleich unverdaut ausspeit.

Nur ein paar Beispiele aus einer einzigen Stunde, man stelle sich das addiert oder gar potenziert über Tage und Wochen hinweg vor: Da faselt eine psycho- und soziologisch orientierte Vereinigung etwas von „transgenerationaler“ Weitergabe von Erfahrungen. Klingt schon mal ziemlich wichtigtuerisch und pseudo-wissenschaftlich.

Wie überaus stolz sind sie auf ihre paar Bröckchen Latein oder vor allem Englisch, dass sie immerzu damit um sich werfen müssen. Keine Einladung mehr ohne ein „Save the Date“ im Betreff, keine nochmalige Erinnerung, die nicht „Reminder“ hieße.

Aber es geht noch deutlich blödsinniger, wie denn überhaupt die hier zitierten Beispiele vergleichsweise nur halbwegs schlimm, ja nachgerade harmlos zu nennen sind. Sie fallen nur in der Häufung auf.

Kurz nach den Transgeneratoren hat sich ein renommiertes Museum zu Wort gemeldet – mit Erwägungen darüber, wie Gedanken in die Köpfe kommen. Und wie hieß der Vorgang im überaus geil angepunkten Jargon? Na, „Hirnfick“ natürlich. Um auf dem angesagten Niveau zu bleiben: Was habt ihr denn gedacht, ihr Wi**ser?

Ein anderes Kunstinstitut, nicht minder bekannt und ebenfalls im Ruhrgebiet angesiedelt, tat derweil im allerbesten Denglisch kund, man launche eine neue App. Und ein Verband lud großspurig zum Innovation Day. Wie wollen wir das verbale Gehabe nennen? Etwa Sprachfick?

P.S.: Mooooment! Soeben ereilt mich noch eine Nachricht mit der Überschrift: Festival „Innovative Citizen“ macht Gäste zu „Makern“. Auch nicht schlecht, oder? Ich mach‘ dich zum Maker…

 




Werbung hinterrücks? – Och nö…

Gewissermaßen ein unmoralisches Angebot (Screenshot)

Gewissermaßen ein unmoralisches Angebot (Screenshot)

Und wieder mal erreicht uns eine aber auch gar zu freundliche kommerzielle Anfrage.

Damit die Leser(innen) der Revierpassagen Wort für Wort nachschmecken können, wie das nach Ansicht mancher PR-Fuzzis so laufen soll, dokumentieren wir das Ansinnen als Screenshot.

Ach so, übrigens: Die Antwort lautet NEIN. Und nochmals NEIN. Denn wir publizieren selbstverständlich lieber nach eigenem Gusto und mit offenem Visier.

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Hinweis / Bedienungsanleitung
Den Screenshot vergrößert man so wie alle Bilder, die hier erscheinen:
Ein erster Klick aufs Bild isoliert das Motiv vom zugehörigen Text. Es steht also allein für sich. Ein weiterer Klick auf dieses Motiv ruft sodann eine vollformatige Darstellung auf.




Neckische Gewinnspiele und sonstige PR-Aktionen? – Nö, hier jedenfalls nicht!

Nur noch mal zur kurz Klarstellung:

Nein, die Revierpassagen werden keine Pressemitteilungen zum „Speed-Dating“ „ausgeben“, wie es ein unbedarfter Anrufer uns jetzt angesonnen hat.

Diese aufgekratzten PR-Fuzzis halten es nicht für nötig, sich auch nur ansatzweise über ihre Ansprechpartner zu informieren. Sie wollen nur, dass man begeistert, ja womöglich ekstatisch mitmacht, bei welchem Humbug auch immer. Und sie verstehen es gar nicht, wenn jemand ablehnt. Ihr Anliegen ist doch so cool, krass und fantastisch. Welches Zeug haben sie nur genommen? Vielleicht Speed?

Hauptsache Speed... (aber hier mal in sympathischer Ausprägung). (Foto: BB)

Hauptsache Speed… (aber hier mal in sympathischer Ausprägung). (Foto: BB)

Mag sein, dass ich in solchen Fällen am Telefon manchmal etwas ruppig geworden bin. Tschuldigung. Aber auf längere Dialoge hat man da einfach keine Lust. Speed-Dating? Nö. Höchstens Speed-Bashing! Oder besser noch: rapides Wegdrücking nutzloser Gespräche.

Schweigen wir lieber von jenen PR-Mäuschen, die schon mit passend naiven Stimmchen ihrem Job nachgehen. Jederlei Rückfrage irritiert sie in ihrem Tun. Im Pop-Bereich duzen sie einen sogleich frechweg. Einfach zurücksiezen, heißt die Devise.

Genug der sexistisch behauchten Boshaftigkeit. Was ich eigentlich sagen wollte: Wie jede(r) wissen kann, der/die ab und zu auf diese Homepage schaut, machen wir beispielsweise auch keine neckischen Gewinnspiele oder Kartenverlosungen, um zweit- bis drittklassige Bands zu promoten. Trotzdem kommen immer mal wieder Anfragen dieser Güteklasse. Mögen andere auf solch korrumpierende Weise Klicks generieren. Sicher, das ist hochkultureller Hochmut, was sonst?

Aber wie lautet noch jene goldene Grundregel des Journalismus, geprägt vom legendären TV-Moderator Hanns Joachim Friedrichs? Genau, man soll „Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten…“

Aber derlei Weisheit kursiert heute wohl nur noch in längst eingeweihten Kreisen. So hoch wollen wir ja auch gar nicht greifen. Es reicht fürs Erste schon, wenn etwas weniger Unsinn verzapft wird. Dann sehen wir weiter.




Die dreiste Markt-Strategie des Iman Rezai oder: Folter ist kein Mittel der Kunst!

Wäre Schweigen in diesem Fall eigentlich Gold? Warum dem Törichten eine öffentliche Plattform bieten?

Die Zeiten, in denen der Kritik das Wahre der Kunst von anderen Waren zu unterscheiden als Kernpflicht oblag, sind längst vorbei. Das System hat neben dem scheinbar reinigenden Meinungsgeblähe der Medien seinen eigenen Filter, um Qualität von, na sagen wir Scharlatanerie zu scheiden. Dennoch, wider den Stachel zu löcken ist im vorliegenden Fall einer unangenehmen Aktion von Iman Rezai angebracht, und zwar bewusst bildlos und linkfrei. Sie macht deutlich, dass eine neue Generation von Biografie-Designern am Werk ist, denen es vor allem um eins geht: PR. Und damit um Kohle. Hierbei sind die eingesetzten Mittel offensichtlich vollkommen zu Werkzeugen dieses Vermarktungssystems verkommen.

Das ist keine Kunst, das ist schlicht degoutant. Iman Rezai, 1981 im iranischen Schiraz geboren, im vergangenen Jahr Abschlusskandidat der Berliner Universität der Künste, tritt mit scheinbar provokanten Aktionen an die Öffentlichkeit. Neuester „Coup“: Er bietet – sofern es nicht ein Fake ist – dem geneigten Probanden zwischen dem 29.11. und 6.12. ein waschechtes Waterboarding an. Also diejenige Foltermethode, mit der das Opfer nicht getötet, sondern durch gewaltsames Untertauchen gequält und zermürbt wird. Diese menschenverachtende Perfidie kam während der Präsidentschaft George W. Bushs durch CIA und andere US-amerikanische Regierungsbehörden bei der Vernehmung von Terrorverdächtigen zum Einsatz und damit breiten Kreisen weltweit zu Bewusstsein.

Betroffenheitsklauseln aus der Hobbykiste

Man kann sich den ganzen hobbytheoretischen Begründungssermon hinter Rezais Pseudo-Polit-Anliegen sehr gut vorstellen. Denn seine PR-Maschine läuft wie geschmiert. In etwa so? „Der Berliner Künstler Iman Rezai kreiert Ausnahmesituationen, in denen Kunstbesucher mit einer Realität konfrontiert werden, die sie ansonsten nur aus den Medien zu kennen glauben…“ Noch ein paar Betroffenheitsklauseln in Fremdwort-Teig geknetet: Fertig ist die „große Kunst“. Besuche man nur die Webseite. Abstruse Sentenzen ummanteln in der Produktwerbung den eigentlichen Zweck mit billigen kulturhistorischen Behauptungen, um die Ausstellung – lasse man sich den verschwurbelten Titel auf der Zunge zergehen – „Die performative Postmoderne als Ausdruck moderner Austerität im Zeitalter der Prekarisierung Edition 1 – Illusion H2O“, in deren Kontext die Aktion stattfindet, zu bewerben. Neben Rezai bespielen zudem fünf weitere Nachwüchsler den Bereich eines Hotels am Checkpoint Charlie. Schaut man sich deren Werk an, wird die Lage auch nicht unbedingt interessanter.

Aktionen für den Boulevard

Wie unendlich differenzierter hat es 2006 Santiago Sierra mit „245 Kubikmeter“ in der von ihm mit Abgasen von sechs Pkw gefluteten Synagoge Stommeln vorgemacht, dass man – schockierend – Kunstbetrachter auf freiwilliger Basis in Extremsituationen bringen kann. Aber hier liegt der Fall anders, weil sinntragend und historisch kontextualisiert und auf die Gegebenheiten hin lokalisiert. Iman Rezai hingegen setzt ausschließlich auf Boulevard. Hinter ihm steht eine Agentur mit Namen „The Coup“, die sich selbst mit den Sätzen „Wir verstehen weder Fashion, Lifestyle noch Kunst als Charitybranchen. Im Fokus steht der Mehrwert und folglich der Profit des Kunden“ anpreist. Und wenn das kein Witz ist, heißt es: Wir verhökern jeden Dreck auf dreckige Weise, wenn’s nur Profit einbringt. Es geht also ausschließlich um Publicity und ums Kasse machen. Wie anders erklären sich die zwei törichten Vorläuferaktionen, mit denen Rezai sich ins Gespräch gebracht hat.

Zwischenruf: Sollen wir uns allen Ernstes an den Zustand gewöhnen, dass Modefotografen als Künstler proklamiert und von ein und derselben Agentur wie Rezai im gleichen sprachlichen Duktus vertreten werden? Der Künstler und die Kunst als gelabelte Luxushandtaschen. Und wie verkommen sind eigentlich diese „Nachwuchskünstler“, dass sie auf jene unverschämte Weise mit gestylter Dummheit in den Markt drängen und sich von PR-Schleudern wie „The Coup“ ein Image und Sprachgewand verpassen lassen?

Fingierte Guillotinen-Abstimmung

Doch zurück zur Sache: Das erste Mal fingierte Rezai im Internet eine Abstimmung über das Guillotinieren eines Schafs. Über 2,5 Millionen Klicks soll das eingebracht haben. Das Mordwerkzeug hat ein Sammler angeblich für 2,3 Millionen Dollar erworben. Anfang November verschickte er im Namen der der Neuen Nationalgalerie E-Mails, die behaupteten, Rezai habe den Server des Instituts unter Kontrolle gebracht. Täuschung wohin man schaut. Die Erregungsmaschinerie fand ihr Futter und der Schaumschläger seine billige Propaganda. Selbst gestandene Nachrichtenagenturen fielen auf den Blödsinn herein. Und nun dieses Wasserspielchen mit dem Publikum. Nein, das ist nichts. Das tut nur so, als ob es Kunst sei, dieses Deckmäntelchen niederer Interessen. Es ist ein albernes Spektakel für eine profitgeile Aufmerksamkeitsindustrie, das die niederen Instinkte einer ennuyierten Gesellschaft bedient, in der die Anliegen der künstlerischen Kritik und Aufklärung in Form rhetorischer Vehikel zum Rauschmittel des Glamours verkommen sind. Das einzig Kunsthafte an der Sache ist höchstens noch die Dreistigkeit, mit der Iman Rezai in den orchestrierenden Medien seine dürftige Karriere fingiert.




Guido und das Grubenpferd quälen das Ruhrgebiet

Es wird mal wieder höchste Zeit für eine kleine kulturhauptstädtische Nestbeschmutzung. Diesmal geht’s um die manchmal unscheinbaren, beim ersten Hinhören halbwegs harmlos klingenden, doch im Grunde reichlich bescheuerten Ausgeburten der Sprach- und Lifestyle-Designer.

Gut möglich, dass häufig auswärtige Agenturen oder sonstige „Kreative“ zum Zuge kommen, die unser Leben im Revier noch cooler ausschildern sollen – sicherlich stets im Vollgefühl vermeintlich avancierter Zeitgeistigkeit. Oder wissen sie etwa zynisch genau, dass sie uns nur die Brosamen ihrer Brainstormings hinstreuen?

Nicht nur in dieser Hinsicht ist der idr-Pressedienst des RVR (Regionalverband Ruhr) eine verlässliche Fundgrube. Die getreulichen Essener Chronisten verzeichnen allwochentäglich aktuelle „facts und events“ aus der Möchtegern-Ruhrstadt. Zuweilen sind es bloße Peinlichkeiten, die allerdings nie als solche erscheinen dürfen. Da sei der Regionalstolz vor.

Beispiele gefällig? Bitte sehr, willkürlich herausgegriffen und jederzeit beliebig vermehrbar:

Vor ein paar Wochen wurde stolz die bevorstehende Eröffnung des „Aquapark“-Spaßbades in Oberhausen vermeldet: „Mittelpunkt des neuen Spaßbades ist der 18 Meter hohe Nachbau eines Förderturms mit integrierter Fallrutsche.“ Auch andere „Gestaltungselemente“ – beispielsweise „Bubi, das Grubenpferd“ – erinnerten an die „Bergbaugeschichte der Metropole Ruhr“, heißt es weiter.

Erinnern. An die Bergbaugeschichte. Da kann man nur noch stammeln.

Mit solchen Reminiszenzen verglichen, kommt einem selbst Disneyland noch authentisch vor. Und man fragt sich fassungslos, wer sich solche kumpelhaften Putzigkeiten ausdenkt. Vielleicht hat ja mal wieder der „Mann mit dem Koks“ geholfen.

Just gestern liefen gleich zwei Kopfschüttel-Nachrichten ein.

Die eine besagt, dass an der Dortmunder Uni ein „Kompetenz- und Dienstleistungszentrum“ (was sonst?!) für Ingenieurwissenschaften entstehe. Und wie heißt das gemeinsam mit Bochum und Aachen betriebene Projekt? „TeachING-LearnING.EU“. Geht’s noch grauslicher?

In der Sparte „unfreiwillig lächerlich“ rangiert auch die zweite Mitteilung ganz oben. Ein neuer „Ruhr-Gastro-Guide“ fimiert unter dem – haltet euch fest! – unglaublich witzigen Namen GUiDO. Jawohl, ihr habt richtig gelesen. GUiDO. Hahaha!

Wenn das keine spätrömische Dekadenz ist, dann weiß ich auch nicht.