Ein Held wird versteigert – „Peer Gynt“ im Bochumer Prinzregenttheater

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Helge Salnikau spielt Peer Gynt (Foto: Sandra Schuck/Prinzregenttheater)

Der Auktionator spricht die hereinströmenden Gäste persönlich an. Gleich beginne die Versteigerung von Erinnerungsstücken Peer Gynts, vom Rentier bis zum Papierschiff. Zudem komme eine Skulptur des Helden aus Fleisch und Blut unter den Hammer.

„Peer Gynt – Memorabilia 1867 bis heute“ heißt die Auktion in dem Vierpersonenstück, das Romy Schmidt als ihre jüngste Regiearbeit nun auf die Bühne des Bochumer Prinzregenttheaters stellt. Doch der Zweieinhalbstündler, der hier gespielt wird, ist nach wie vor „Peer Gynt“. Und stammt von Henrik Ibsen, mehr oder weniger.

Der Wert der Liebe

Vielleicht war es ja so: Romy Schmidt, die neue Chefin des Prinzregenttheaters, fragte sich, wie man dieses Stück heute dem Publikum „verkaufen“ könnte. Da es ja durchaus um Werte geht, letztlich um den unermesslichen Wert des Geliebtseins, kam sie auf die Idee mit der Memorabilia-Versteigerung als Rahmenhandlung. Die Lose und ihr Aufruf markieren nun Abschnitte der Handlung, und diese preiswerte Methode ist sicherlich auch den begrenzten finanziellen Möglichkeiten des Hauses geschuldet.

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Corinna Pohlmann ist als Aase, Solveig, Ingrid, die Grüngekleidete und Kapitän zu sehen. Im Hintergrund: Ismail Deniz als Versteigerer (links), Helge Salnikau. (Foto: Sandra Schuck/Prinzregenttheater)

So beginnt der Abend mit verwobenen Aktionssträngen: Zum einen sind da der grandiose junge „Nichtsnutz“ (Helge Salnikau) und seine Mutter (Corinna Pohlmann), die ihn schilt, weil er sich um nichts kümmert und die reiche Bauerntochter Ingrid verschmäht. Zum anderen ist da der etwas sinistre Auktionator (Ismail Deniz), der immer wieder unterbricht, Rentier, Festtagstrollschwanz oder Solveigs Blumenkranz als Lose aufruft und sie dann einem anonymen Telefonbieter aus Norwegen zuschlägt.

So geht das eine ganze Weile, garniert mit einigen amüsanten Kabbeleien. Corinna Pohlmann schlüpft je nach Bedarf in die Rollen von Solveig, Ingrid, Trollprinzessin und Schiffskapitän.

Unglaublicher Körpereinsatz

Vierte Person auf der Bühne ist Yotam Schlezinger, Sidekick in den Auktionsszenen und daneben zuständig für Musik (Gitarre) und Sound. Herzige Schlager („Dreams are my reality“) und einige Male Motive aus Griegs Bühnenmusik sind mit gutem Sinn für Proportion eingearbeitet, kurzum: Das Konzept wird schnell deutlich und hat Unterhaltungswert.

Letztes Versteigerungslos, um auch das noch zu erzählen, ist der verarmte, gealterte Herumtreiber Peer Gynt selbst, für den die immer noch liebende Solveig 15.000 Euro auf den Tisch legt und ihm so das Leben rettet. Das konnte man sich natürlich denken, da er ja als letzte Position auf der Liste stand. Immerhin hat sie ihm zum Schätzpreis bekommen, quasi ein Schnäppchen.

Helge Salnikau zeigt in der Titelrolle einen unglaublichen Körpereinsatz, erklimmt wiederholt scheinbar mühelos ein steiles, im Zentrum des Spielraums errichtetes Gebilde aus Gerüststangen (Bühne und Kostüme: Sandra Schuck). Mal steht es für eine Berglandschaft, mal für eine Behausung, je nachdem. Sein mimisches Repertoire indes bleibt übersichtlich. Für die selbstverliebten Schwärmereien des jungen Helden scheint ihm nur ein Gesichtsausdruck zur Verfügung zu stehen, während ihm die differenzierte Zeichnung des alten Mannes nach der Pause besser gelingt. Doch bleibt das unerfreuliche Gefühl, dass Romy Schmidts Inszenierung an der Durchzeichnung dieses doch auch prototypischen Menschen Peer Gynt wenig Interesse entwickelt hat.

Zu preisen ist in jedem Fall der Fleiß der Darsteller, die während der gesamten Aufführung mit nur kurzen Unterbrechungen auf der Bühne stehen oder aus dem Zuschauerraum heraus agieren. Insbesondere Corinna Pohlmann zeigt mir vielen flotten Rollen- und Bekleidungswechseln echte Kondition. Ihr und ihren Kollegen galt sicherlich der größte Teil des freundlichen Beifalls.

 




Rache ist auch keine Lösung – ein begeisternder „Orest“ im Bochumer Prinzregenttheater

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Schwarz ist die Heimaterde, rot das Blut – die neuen Herausforderungen haben Orest (Alexander Ritter) gezeichnet. (Foto: Martin Kaufhold/Prinzregenttheater)

Ein König, eine Königin, eine Tochter – der größte Teil des Personals steht schon am Bühnenrand, wenn das Publikum eintrifft. Nur einige Papierbahnen, die auf dem Boden liegen oder von der Decke hängen, deuten die Spielstätte zwischen den Rängen an, einziges Möbel im Bild ist ein Ledersessel. In großer Kargheit und strenger Fokussierung erwartet uns die Tragödie. Das Bochumer Prinzregenttheater zeigt „Orest“.

Orest, zur Erinnerung, Prinz aus dem antiken Mykene, wird nach seiner Rückkehr von Schwester Elektra dazu veranlasst, Stiefvater und Mutter zu erschlagen, weil die das Leben ihrer beider Vater auf dem Gewissen haben. Doch Volk und Gottheit akzeptieren die Bluttat nicht, den königlichen Geschwistern droht die Hinrichtung. Onkel Menelaos und Tante Helena sind auch keine Hilfe.

Die Mordtaten reihen sich, die Erdgeister zürnen. Vergebung und Erlösung, die den Wahnsinn stoppen könnten, sind nicht in Sicht. Einige wenige Videoeinblendungen am Ende des Stücks zeigen aktuelle Bombardierungen in arabischen Bürgerkriegsgebieten und sollen wohl andeuten, dass desaströses Rachedenken bis in unsere Zeit hinein seine Fortsetzung findet. Leider kein abwegiger Gedanke.

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Familienbild mit Mutter (von links): Orest (Alexander Ritter), Klytaimnestra (Hella-Birgit Mascus), Chrysotemis (Anna Purwa). (Foto: Martin Kaufhold/Prinzregenttheater)

Auch wenn der Titel des Stücks ein wenig abgespeckt hat, wenn in Bochum nur noch „Orest“ statt „Orestie“ gegeben wird, weckt er doch tiefe Ehrfurcht. Bedeutende Regisseure haben die tragische Geschichte des Atriden-Prinzen und seiner familiären Entourage nach den Übersetzungen von Sophokles, Aischylos oder Euripides in mitunter mehrtägigen Inszenierungen auf die Bühne gestemmt.

Und nun macht sich das kleine Prinzregenttheater anheischig, den ganzen Stoff in spärlicher (wiewohl stimmiger) Kulisse und gerade einmal hundert Minuten zu erzählen, zuzüglich Pause. Und das nicht als Klamauknummer à la „Shakespeares sämtliche Werke leicht gekürzt“, sondern als präzise, konzentrierte Analyse dessen, was beim Stamme der Atriden in die Katastrophe führte. Und vielleicht auch, was über den Einzelfall hinausweist.

Den Text für die neue Produktion des Prinzregenttheaters lieferte – das Programm spricht viel zu bescheiden von einer „Bearbeitung“ der antiken Vorlagen – John von Düffel, ausgewiesener Dramatiker mit erheblichem Renommee. Sein Text mit den prägnant kurzen, deutlichen Sätzen, die gleichwohl noch antikes Versmaß spüren lassen, ist ein radikaler Gegenentwurf zu den schmuckreichen, unendlich gewundenen und in hoher Emotion vorzutragenden (wenngleich oft auch sehr schönen) älteren Übersetzungen, die dem heutigen Publikum den Zugang zu Antikenstoffen nicht eben erleichtert – sofern Theater sich überhaupt noch die Mühe der Textvermittlung macht. In der kongenialen Umsetzung durch Regisseurin und Hausherrin Sibylle Broll-Pape sind seine Zeilen ein ausgesprochener Glücksfall.

Nicht zuletzt diesem „modernen“ Text ist es zu verdanken, dass die kompakte Nacherzählung des blutrünstigen Geschehens ihre Charaktere in unerwarteter Individualität zeichnet. Wir begegnen einer keineswegs verbrecherisch sich wähnenden Klytaimnestra (Hella-Birgit Mascus), die Verständnis für den Mord an ihrem Gatten Agamemnon einfordert, weil der (warum wird nicht klarer) es besser nicht verdient habe; wir erleben Orest (Alexander Ritter) als unglücklichen Zauderer und seine Schwester Elektra (Magdalena Helmig) als Aufwieglerin, deren Hass pathologische Züge zeigt. Stephan Ullrich gibt Aigisthos wie Menelaos als zynischer Machtmensch, Ana Purwa gefällt in der Rolle der kleinen Schwester, die das Richtige sieht und benennt, es aber nicht durchsetzen kann. Fünf Personen – mehr braucht es hier nicht.

Auf unseren Bühnen sind solche konzentrierten, der Schauspielkunst verpflichteten Inszenierungen selten geworden. Es ist dies die letzte Saison der Theaterleiterin Sybille Broll-Pape, die ab 2015 Intendantin in Bamberg wird. Das ist ein Grund mehr, die jüngste Produktion des Prinzregenttheaters nicht zu versäumen.

Herzlicher, anhaltender Applaus.

Weitere Vorstellungen: 23. September, 19.30 Uhr. 3. Oktober, 19 Uhr. 4. u. 31. Oktober, jeweils 19.30 Uhr.

www.prinzregenttheater.de, Tel. 0234 – 77 11 17