Zum Tod von Dirk Bach: Nun sind viele Bühnen ärmer

Sein adipöses Äußeres – 110 Kilogramm auf 168 Zentimeter Körperhöhe verteilt – nährte schon lange die Befürchtung, dass es um die Gesundheit des Dirk Bach ergänzungsbedürftig bestellt sein muss. Im Laufe der Jahre mehrte sich die Zahl seiner Doppelkinne bedenklich, hätte er eine Halskette getragen, wäre ein Lesezeichen praktisch gewesen, um diese wiederzufinden. Er nahm fröhlich jede sich anbahnende Anspielung auf sein umspannendes Gewicht vorweg („Ich bin dick im Geschäft“) und verkörperte im wahren Wortsinne die verschmitzt hintersinnige gute Laune eines wahrhaft knuddeligen Typen. Dirk Bach starb mit nur 51 Jahren, sein Tod macht die Gilde der deutschen Komiker ärmer und nimmt der Schauspielerei einen außergewöhnlichen Künstler.

Dirk Bach begann seinen Berufsweg, den er leidenschaftlich angriff, 1980 mit einer Rolle im „Prometheus“ von Heiner Müller, die er in verklärender Erinnerung als „erhaben“ gefühlt hat. Klar, und das war Dirk Bach, er musste unter anderem auf einem zwei Meter hohen Stahlstuhl sitzen. Er, der nie Schauspielerei an Instituten gelernt hatte, spielte in London, Amsterdam, Brüssel und sogar in New York. Dirk Bach nahm den Max Ophüls-Preis entgegen und wurde 1992 festes Ensemble-Mitglied am Kölner Schauspielhaus. Er sprach Kafka ebenso grandios wie „Urmel aus dem Eis“ und konnte mit seiner „Dirk Bach-Show“ selbst Gottschalks Late-Night-Quoten übertreffen. Er genoss die ungeteilte Förderung durch Alfred Biolek, wurde von Franz Xaver Kroetz als Darsteller gewünscht und für den bereits zitierten „Prometheus“ hatte ihn Hansgünther Heyme erkoren.

Was indes in Erinnerung bleibt, sozusagen der assoziative Schnellschuss zur Namensnennung, das ist die künstliche Hochebene über dem australischen Dschungel, auf der das grellbunte Würfelchen (assistiert von Sonja Zietlow) kongenial aufgeschriebene Läster-Dialoge über C-Promis mit dahinscheidendem Ruhm kübelt und liebenswert-hämisch den finalen Rettungsruf „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“ skandiert. Nur diese beiden und ihre teils ätzenden Gespräche über die Schar würdearmer Selbstdarsteller/innen im grünen Basement machte die merkwürdige Show so attraktiv. Vermutlich wird sie nun „dermaßen an Bach“ verloren haben, dass sie als wahres TV-Leichtgewicht verkümmern dürfte.

Seine privaten Engagements bei „Amnesty international“, im Tierschutz oder sein hartnäckiges Ringen um die gleichberechtigte Anerkennung homosexueller Paare gehören ebenso zu dieser kleinen, aber wesentlich (ge)wichtigeren Person als gemeinhin angenommen wird. Dirk Bach – daheim im Millowitsch-Theater ebenso wie im Dschungelcamp – hat alle seine Bühnen zu früh verlassen. Und er war auf jeder (wie es das Fachorgan „Die Deutsche Bühne“ schrieb) „mit sich selbst identisch“.

Heute morgen schlug ein WDR5-Hörer vor, Dirk Bach möge posthum mit dem diesjährigen Fernsehpreis geehrt werden, dessen Gala heute Abend stattfindet. Ich schließe mich diesem Hörerwunsch an.




Im dunklen Bauch der Sprache: Orffs „Prometheus“ bei der Ruhrtriennale

Selten ist man einer fremden Sprache so ausgesetzt wie an diesem Abend: Vielleicht kennen einige das Gefühl, wie schwierig es auf Reisen sein kann, sich in einem unbekannten Zeichensystem zurechtzufinden. Doch die Erfahrung, im dunklen Bauch einer ehemaligen Industriehalle zu sitzen und zwei Stunden mit der fremdartigen Melodie des Altgriechischen von Carl Orffs „Prometheus“ konfrontiert zu werden, ist relativ einzigartig. Die Ruhrtriennale ermöglicht den eigentümlichen Selbstversuch noch bis zum 27. September in der Kraftzentrale des Landschaftsparks Duisburg Nord.

Carl Orff/Lemi Ponifasio: Prometheus © Paul Leclaire

Carl Orff/Lemi Ponifasio: Prometheus © Paul Leclaire

Doch wie geht man nun damit um? Abwehr ist kein probates Mittel, denn wer ohne die Bedeutung der Worte zu verstehen nicht leben kann, der wird sich langweilen. Eher empfiehlt es sich, zumal vom Komponisten so intendiert, die Sprache als eine Art Musik, als rhythmisches Element auf sich wirken zu lassen. Denn tatsächlich entfaltet sie gerade im Zusammenspiel mit Orffs wuchtiger Musik (Musikalische Leitung: Peter Rundel) eine vibrierende Kraft und transportiert all die archaischen Emotionen wie Wut, Hass, Grausamkeit und Schmerz in einer stilisierten Form.

Überhaupt zeichnet sich die Inszenierung des samoaischen Regisseurs Lemi Ponifasio durch hohes Stilbewusstsein aus: Der Boden ist mit indirekt beleuchteten Glasplatten ausgelegt unter denen grünlich das Wasser schimmert. Der gewaltige Raum der Kraftzentrale wird bis zur hintersten Wand bespielt, so dass die Tänzer der MAU Company aus Neuseeland dort hinten verschwindend klein erscheinen. Prometheus selbst (Wolfgang Newerla) ist mitnichten an einen Felsen gefesselt: Er sitzt im Vordergrund auf einer schlichten Holzbank und deklamiert während sein Alter Ego (Ioanne Papalii/MAU) in der Mitte des Raumes auf einer Art beleuchtetem Operationstisch der Qualen harrt, die da kommen mögen. Das weitere Personal von Hephaistos bis Hermes ist in martialische dunkle Kostüme geschnürt, die Frauen wirken wie Amazonen. Die Okeaniden tragen hellblonde Perücken und durchsichtige Gewänder und sind die nahezu einzigen, die wirklich singen dürfen.

Die eigentümlich stillen Tänze der MAU Company tragen leise Gesten in den von lauten Tönen wiederhallenden Saal, meist bleibt der Blick an ihren bloßen Füßen hängen, auf denen sie über das Glas mehr schleichen als gehen.

Das nimmt sich so ganz anders aus als bei der Uraufführung des Orffschen Werks 1968, von der der Kritiker Werner Oehlmann seinerzeit im Tagesspiegel schrieb: „Der Regisseur Gustav Rudolf Sellner und der Bühnenbildner Teo Otto überrennen den Zuschauer geradezu mit einer Fülle vitalen Theaters, mit einem Überfluss an Formen und Farben, Kostümen und Masken“. Hier dagegen: Kein Hephaistos, der Ketten schmiedet und Keile durch Prometheus Brust treibt. Keine Flügelrösser, nirgends. Stattdessen gibt es kaum Interaktion zwischen den Figuren, sie deklamieren den Text, aber sie beziehen sich nicht aufeinander. Doch hier geht es auch nicht um Menschen, sondern um Götter. Trotzdem: Der Freiheitskampf des Prometheus, der den Menschen das Feuer brachte und nun von Zeus dafür bestraft werden soll, sein Aufbegehren, sein Stolz, seine Unbeugsamkeit und auch seine Siegesgewissheit, dass er eines Tages von seinen Qualen gerettet werde: Für all das hat Wolfgang Newerla nur ein Ausdrucksmittel zur Verfügung: Altgriechisch! Verdammt dazu, auf seiner Bank zu sitzen, kann er sich nur ab und zu die Kehle befeuchten, was aussieht, als trinke er einen – Ouzo…

Das dramatische Element dagegen übernehmen Raum, Licht, Musik und die Füße der Tänzer. Und ein Publikum, von dem Hingabe gefordert ist. Gewähren wir die Gnade? Das muss jeder selbst entscheiden…

18., 21., 23., 25. und 27. September
Kraftzentrale, Landschaftspark Duisburg-Nord
www.ruhrtriennale.de




Zuerst die Musik, dann die Worte – das neue Programm der Ruhrtriennale

Heiner Goebbels, neuer Intendant der Ruhrtriennale. Foto: Triennale

Wenn der Intendant eines internationalen Festivals von Haus aus Komponist ist, kann es kaum verwundern, dass die Musik eine Hauptrolle im Programm spielt. Wie bei der Ruhrtriennale, deren Leitung Heiner Goebbels für die nächsten drei Jahre übernommen hat. Die Vorstellung seiner ersten Spielzeit hat nun beredtes Zeugnis davon gegeben. Oper, Konzert und Tanz stehen im Mittelpunkt. Und selbst die Theaterproduktionen entbehren kaum des Tönenden.

Goebbels ist im Ruhrgebiet kein Unbekannter, vielmehr – indirekt zumindest – ein Pionier all dessen, was sich die Triennale auf die Fahnen geschrieben hat. Denn seine Musik wurde von den Bochumer Symphonikern schon in der Jahrhunderthalle, also einer einst industriell genutzten Spielstätte, aufgeführt, als noch niemand an ein Festival mit ungewöhnlichen Aufführungsorten und Programmen jenseits des Mainstreams dachte.

Inzwischen hat sich die Triennale etabliert, wechselt alle drei Jahre der Intendant, und mit ihm ändern sich die Schwerpunkte. Goebbels sagt: „Uns geht es um die radikale Erneuerung des Musiktheaters. Dem Publikum wird Unerhörtes geboten, nicht das Repertoire der regionalen Bühnen. Wir wollen eine Kultur von allen für alle. Deshalb werden viele Mitwirkende aus dem Ruhrgebiet kommen.“

Begonnen wird mit einem Revolutionär unter den Komponisten, John Cage. Dessen „Europeras I/II“ sind in Goebbels Regie zu sehen. Ein musikalisches Konglomerat aus 64 Arien der europäischen Operngeschichte, geordnet nach dem Zufallsprinzip. Die Inszenierung in Bochums Jahrhunderthalle arbeitet mit 32 verschiedenen Bühnenbildern.

Carl Orffs „Prometheus“ folgt, in der Duisburger Kraftzentrale; ebenfalls ein Werk, das man auf gängigen Spielplänen vergeblich sucht. Ein „Sprach-Musik-Drama“ nennt Goebbels die Oper, deren Archaik sich schon durch die Besetzung mit einem 20köpfigen Schlagwerkensemble erschließt. Ähnlich perkussiv dürfte es auf der Halde Haniel in Bottrop zugehen – einer neuen Spielstätte –, wenn dort die japanische Gruppe Boredoms, verstärkt um Drummer aus der Region, Klangekstasen in die Nachtluft senden.

Der Blick auf den Tanz führt etwa zur Produktion „enfant“ für drei Maschinen, neun Tänzer und eine Gruppe Kinder in der Jahrhunderthalle oder zur Uraufführung der Performance „Le Sacre du Printemps“ des Choreographen Laurent Chétouane (Spielort PACT Zollverein).

Die Veranstaltungen, die unter der Rubrik Theater subsumiert sind, lassen nur selten die Musik außen vor. So ist „Life and Times – Episode 2“ eigentlich eine Musicalperformance des „Nature Theater of Oklahoma“ (PACT Zollverein). Romeo Castelluccis „Folk“ wiederum, zwischenmenschliche Formen wie Gemeinschaft, Trennung und Isolation diskutierend, arbeitet mit Bewegungsritualen und will die Grenzen zwischen Akteuren und Publikum aushebeln. Doch auch hier geht es nicht ohne Musik (von Scott Gibbons; zu sehen in der Gebläsehalle Duisburg).

Hinzu kommen klassische (Kammer)-Konzerte, Publikumsgespräche und Symposien. Das Thema „No education“ bezieht Kinder auf witzig-verspielte Art ins Programm ein. Sie werden sich alle Produktionen ansehen und am Schluss Preise vergeben – in selbst gewählten Kategorien. Tatkräftige Hilfe erhalten sie von der kanadischen Forschungsgruppe „Mammalian Diving Reflex“.

Dem Urteil der Jury dürfen wir ebenso gespannt entgegensehen wie dem Gesamtprogramm. Intendant Heiner Goebbels hat zwar auf ein übergeordnetes Thema verzichtet, doch trifft der Titel eines Opernlibrettos des 18. Jahrhunderts wohl den Kern: „Prima la Musica, poi le parole“. Zuerst die Musik also. Goebbels, darauf angesprochen, denkt nach und verweist auf den russischen Regisseurs Wsewolod Meyerhold.  Dessen Credo war: „Das Wichtigste … wofür ich kämpfe, ist die Untermauerung des Schauspiels mit einem musikalischen Fundament“.

 

Alle Einzelheiten zum Programm finden sich unter http://www.ruhrtriennale.de




Ein deutscher Alptraum – Heiner Müllers „Germania 3 – Gespenster am Toten Mann“ in Bochum uraufgeführt

Von Bernd Berke

Bochum. „Mach’s leicht!“ soll der Dramatiker Heiner Müller (1929-1995) dem Regisseur Leander Haußmann geraten haben. Haußmann war schon zu Lebzeiten Müllers ausersehen, dessen Stück „Germania 3 – Gespenster am Toten Mann“ in Bochum zur ersten Bühnengeburt zu verhelfen. Nun hat der gewaltige, ungeheuerliche Text das Scheinwerferlicht erblickt. Und siehe da: Er birgt unverhoffte Spiellust, zugleich aber unaufhörlichen Schmerz.

Die alptraumartige Collage zur deutschen Historie erfaßt – einem reißenden Strom vergleichbar – Bruchstücke der germanischen Sagenwelt und schwemmt auf ihrem Weg in die Gegenwart z.B. auch Wagner, Nietzsche, Hitler und Ulbricht mit sich. Heerschau unter den Gespenstern und Untoten der Geschichte. Und so viel Mord, daß das Blut in Bochum gelegentlich mit der Schöpfkelle ausgeteilt wird. Absurde Menschenopfer allenthalben, ob in Stalingrad oder an der deutschen Mauer. „Gott ist ein Virus“, der die der Welt schon in den Griff bekommen werde, heißt es im zynischen Prolog.

Dreieinhalb Stunden Chaos

Ein bunter Harlekin (Steffen Schult) geleitet uns durch das dreieinhalbstündige Chaos. Mal mit verzweifeltem Witz, mal kleinlaut verzagend. Haußmann hat sich – Müllers Ratschlag folgend – nicht der Düsternis hingegeben, sondern den Text mit einer Unzahl von szenischen EinfäIIen geradezu übersät. Vielerlei Spielformen werden in diesem Unter-Welttheater erprobt. Manche Figuren bewegen sich wie mechanische Marionetten oder agieren in verfremdender Zeitlupe, dann wieder wird heftiger Theaterdonner oder auch unbändiger Unsinn entfesselt. Auch wenn es im Detail noch nicht durchweg „stimmt“: So muß man eine solche Collage anpacken, sie verträgt es durchaus.

Mit Nebelmaschine, Schneekanone und höllischem Krach werden wir – nach einer blutrünstigen Ansprache Josef Stalins (Gennadi Vengerov) – in den Zweiten Weltkrieg versetzt, die nahezu nackte Bühne ist alsbald ein Schlachtfeld mit rieselndem Schutt und raunenden Geistern. Bewegende Bilderfolgen hat Haußmann für die spukhaften Verwandlungen und das Gleiten geschichtlicher Zustände gefunden. Da mutiert der kroatische SS-Mann von 1945 zum kroatischen Gastarbeiter anno 1960, oder die drei hinterbliebenen Frauen Bertolt Brechts zum Hexentrio à la Shakespeares „Macbeth“.

Die Sequenz mit den resoluten Brecht-„Witwen“ (Margit Carstensen, Traute Hoess, Irene Christ) gehört, ebenso wie eine abstruse DDR-Party der 50er Jahre, zu den Glanzpunkten. Doch stets kann solche Komik in ihr brutales Gegenteil umschlagen. Wenn etwa zum Brecht-Gedicht von den „finsteren Zeiten“ plötzlich ein seltsames elektrisches Reptil über den Bühnenboden schnürt, so ist dies grausiger, als man sagen kann. Haußmann entkräftet das Vorurteil, er kaspere nur mit dem Theater herum. „Mach’s leicht!“ Das hat er getan. Aber er hat es sich nicht leicht gemacht.

Hitler säuselt eine jiddische Melodie

Gesungen wird viel. Auf der Ziehharmonika werden die Hymnen von BRD und DDR intoniert, der besiegte Hitler (Heiner Stadelmann) säuselt gar eine jiddische Melodie, später gibt es „Kein Bier auf Hawaii“. Gipfel ist ein realsozialistisches Traktoristenlied, das zum Putzen des eisernen „Schollenfressers“ ermuntert. An ihren Liedern sollt ihr sie erkennen. Es klingt oft zum Verrücktwerden komisch…

Tags darauf wurde Heiner Müllers 1969 uraufgeführter „Prometheus“ (Regie: Marold Langer-Philippsen)“ nachgereicht. Man mag in der Anverwandlung des antiken Mythos‘ dies mitlesen: Kultur- und Lichtbringer Prometheus wird letztlich von einer Staatsmacht (Göttervater Zeus) an den Felsen geschmiedet.

Prometheus (Steve Karier) steckt in einer kafkaesken Zwangs-Apparatur, die karge Bühne mit metallischem Gerüst wirkt wie eine apokalyptische Werkshalle. Durch die dauernde Gefangenschaft der Hauptperson hat das Stück einen engen Radius, man müßte also desto mehr auf die Sprache achtgeben. Hier aber werden die Worte der ersten halben Stunde mit diktatorischem Gleichschritt buchstäblich zerstampft. Da mögen sich – in wechselnden Rollen – Joana Schümer, Andreas Edelblut und Samuel Zach noch so stilwillig mühen, die Sache ist damit schon weitgehend hinüber.

Termine: „Germania 3″ am 30. Mai, 11., 16. und 26. Juni / „Prometheus“ am 30. Mai, 8., 14. und 15. Juni. Karten: (0234) 3333-111.




Nach mancher Qual doch noch Glanzlichter – Ruhrfestspiel-Ensemble fünf Stunden lang im „Depot“

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Gleich vier neue Produktionen stellte jetzt das Ensemble der Ruhrfestspiele vor – und das erstmals in seiner neuen Spielstätte, einem ehemaligen Straßenbahndepot.

Das Depot ist ein vorzüglicher Ort fürs Theater. Es umfaßt eigentlich drei Spielstätten, so daß zur Einweihung zwei Stücke zeitlich parallel gegeben werden konnten (im „Magazin“ und in der „Werkstatt“). Das fünfstündige Mammutprogramm startete jedoch im Theatersaal des früheren Tramschuppens, und zwar mit „Prometheus und Herakles 5″ von Heiner Müller. An diesem gewichtigen Brocken hat man sich überhoben. Mag sein, daß die wahre Fließbandarbeit des Ensembles, deren erste Ergebnisse hier im Zusammenhang zu sehen waren (künftige Aufführungen erfolgen separat), einen Großteil jener Energie aufgesogen hat, die Müllers Aischylos-Bearbeitung kosten müßte.

Wolfgang Lichtensteins Inszenierung konzentrierte kaum, brachte wenig „auf den Punkt“. Im Prometheus-Teil (Hauptrolle: Bernd Köhler) mühte man sich, nicht immer sinnvermittelnd, mit Müllers hochkomplizierter, klassizistischer Sprache ab. Dann kam Herakles 5 (Meinhardt Zanger) mit Blaumann und Schutzhelm, befreite den Lichtbringer Prometheus und setzte zu einem Solo über die Reinigung des Augias-Stalls an, das wohl als Kabinettstückchen zu werten wäre, mit dem Beginn aber so gut wie nichts mehr zu tun hatte. Durch den allzu jähen Sturz auf die Alltagsebene wurden kaum fruchtbare Widersprüche aufgetan. Statt sich dialektisch zu entfalten, geriet das ganze Stück gleichsam in Schieflage.

Weiter ging’s mit „Die Wende“, einer mit Bochumer Opel-Arbeitern entwickelten Produktion, Szenen zum Thema Arbeitszeitverkürzung. Da zeitgleich „Antreten zum Doppelbeschuß“ (Produktionsleitung: Jürgen Fischer) lief, mußten sich die Besucher entscheiden. Meine Wahl fiel auf den „Doppelbeschuß“. Die Qual folgte prompt. Neckische Vergleiche gewisser Beate-Uhse-Produkte, die den Pershing-Raketen in punkto Stab-Form ähneln, mit eben jenen Atomwaffen, waren da noch das – in jeder Hinsicht – Harmloseste. Die gemeinsam mit Oberhausener Gewerkschaftern erarbeitete Szenenfolge läßt zwar hie und da „die Muskeln spielen“, erwägt gar Generalstreik gegen Stationierung, bleibt aber im Grunde bieder. Über die zentrale, immer wiedergekäute These „Kapitalismus = Krieg“, an der gewiß „etwas dran“ ist, kommt das nicht hinaus. So bleiben gut gemeinte Ansätze flach und eindimensional.

Doch noch ein versöhnender Ausklang: Im Hauptsaal beendet die 100-Minuten-Revue „Wer andern eine Grube gräbt“ (Leitung: Wolfgang Spielvogel) den Marathon. Schwachpunkte fallen hier weniger ins Gewicht. Mit insgesamt 20 „Nummern“, Texten so unterschiedlicher Autoren wie Loriot, Franz Xaver Kroetz oder Peter Alexander (seine Bergmannsschnulze „Schwarzes Gold“ wird der verdienten Lächerlichkeit preisgegeben), werden immer wieder Glanzlichter gesetzt. Vielleicht liegt in solchen Produktionen eine ganz spezielle Stärke und Zukunft des Ensembles.