Bedauernswerte Promis leiden an Provinzstädten – und erst recht am Ruhrgebiet

…und ich dachte schon: Alle Achtung, diesmal mokieren sie sich nicht übers Ruhrgebiet. Doch weit gefehlt.

Die FAZ-Sonntagszeitung (FAS) lässt seit jeher kaum eine Gelegenheit aus, den „Pott“ unentwegt hochwitzig zu brandmarken. Darin konkurrieren sie gelegentlich im weniger edlen Wettstreit mit der „Süddeutschen Zeitung“. Wahrscheinlich zahlen diese Metropolen-Fuzzis (drastischere Bezeichnungen auf Anfrage) gern so hohe Mieten und Kaufpreise, wenn sie sich anschließend nur aufs hohe Ross setzen können.

Hand aufs Herz: Einen solchen Städteanblick kann man doch einem Model oder Sternchen nicht zumuten! (Foto, vom Dortmunder Florianturm herab: Bernd Berke)

Hand aufs Herz: Einen solchen Städteanblick kann man doch einem Model oder Sternchen nicht zumuten! (Innenstadt-Foto, vom Dortmunder Florianturm herab: Bernd Berke)

So auch diesmal in einer Kolumne, die ich von Zeit zu Zeit recht gern lese. „Herzblatt“ heißt sie, befindet sich im FAS-Zeitungsbuch „Leben“, wird zumeist von Jörg Thomann geschrieben und greift aberwitzige Fehlleistungen der „gelben“ Klatschpresse auf. Was „Bunte“, „Frau im Spiegel“, „Das Neue Blatt“, „In“, „Gala“, „Closer“ und Konsorten so abliefern, spottet oft jeder journalistischen Beschreibung. Da wird zuweilen so dreist geflunkert und manipuliert, dass es nur so seine Art hat. Nicht selten ist’s zum Brüllen komisch.

Diesmal knöpft sich Thomann Beziehungsgeschichten von Fußballstars vor. Bei André Schürrles „Liebes-Aus“ (wie es in derlei Blättern stets heißt) wird gemutmaßt, dass seine Ex-Partnerin mit dem Wechsel von London nach Wolfsburg nicht einverstanden gewesen sein könnte. Aus der Weltstadt in die tiefste Provinz – da schmollen halt die verwöhnten Models, die in aller Regel an der Seite prominenter Kicker auftreten. Klar. Möglich wär’s.

An der Stelle dachte ich: Die werden doch jetzt nicht den Supergag verschenken, dass Schürrle just von Wolfsburg nach Dortmund gewechselt ist? Nur ruhig Blut. Thomann nimmt lediglich einen kleinen rhetorischen Umweg. Er erwähnt die Soap-Darstellerin Sila Sahin, die mal mit dem vormaligen BVB-Spieler Ilkay Gündogan liiert war und jüngst einen Spieler von Hannover 96 geheiratet hat, aber lieber weiter in der phantastischen Weltstadt Berlin wohnen will.

Zitat Sila Sahin: „Ich war ein Jahr in Dortmund. Und das war nicht so eine schöne Erfahrung…“ Das muss als Begründung reichen. Worauf Jörg Thomann zusammenfasst: „Wolfsburg, Dortmund, Hannover: Wer erzählt die Geschichten junger Fußballspieler, die mit ihren kreuzunglücklichen Partnerinnen in deutschen Provinzstädten festhängen?“ Ja, wer erzählt die?

Merke: (Promi)-Beziehungen nehmen naturgemäß nur einen glamourösen und somit glücklichen Ausgang, wenn sie in Berlin, Hamburg, München oder bestenfalls noch Frankfurt oder Düsseldorf sich entfalten dürfen. Von London, Paris, Madrid oder Barcelona ganz zu schweigen. Wollen Paparazzi etwa in Bochum oder Gelsenkirchen auf der Lauer liegen? Sagt selbst!

Damit hat FAS-Thomann für diesmal sicherlich sein Pulver in Richtung Revier und sonstiger Graumaus-Städte verschossen, oder? Keineswegs. Er legt noch mal genüsslich nach. Häufig höre man Bezeichnungen wie „Wahl-Pariser oder Wahl-Berliner, Wahl-Wanne-Eickeler eher nicht so.“ Mensch, Jörg. Das war ein Volltreffer! Womit des Schenkelklopfens über die doofen Menschen, die freiwillig im Ruhrgebiet leben, kein Ende mehr sein dürfte.




Zutaten der Erinnerung – Klaus Modicks Roman „Klack“ zoomt die frühen 1960er heran

„Au Backe!“ – „Zieh Leine!“ – Das sagt doch heute kein Mensch mehr. Richtig. Klaus Modicks Roman „Klack“ führt uns zurück in die Jahre 1961 und 1962, also geradewegs in die Zeit zwischen Erstarrung und keimender Aufbruchshoffnung, zwischen Adenauer und Beatles.

Das Titel gebende „Klack“-Geräusch kommt von einer billigen Agfa-Clack-Kamera, die der Ich-Erzähler namens Markus damals auf der Kirmes gewonnen und mit der er fortan Szenen und Vorfälle aus seinem damaligen Alltag festgehalten hat – eigentlich nach bloßem Zufallsprinzip und gleichsam aus der Hüfte geschossen, aber dennoch, über die Jahrzehnte hinweg, selbst im Misslingen vielsagend.

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Markus steckt in der tragikomischen Klemme zwischen Kindheit und Pubertät, er wächst in einer norddeutschen Provinzfamilie auf. Die Oma hält strikt auf Anstand und Sitte, schon Grass’ „Blechtrommel“ gilt ihr als scheußliche Pornographie. Der Vater (Apotheker) faselt unentwegt vom staunenswert zähen „Iwan“, will aber ansonsten vom Krieg nichts Genaues mehr wissen. Die Mutter fügt sich in die Hausfrauenrolle. Die ältere Schwester Hanna macht offenbar heimlich ihre ersten erotischen Erfahrungen; erst recht, als ein französischer Untermieter in die Dachkammer einzieht.

Im Grunde geht’s ihnen ja schon wieder gold. Nicht nur deswegen fühlt man sich hin und wieder im Duktus an Walter Kempowski erinnert. Auch mögen germanistische Seminare sich künftig am Vergleich mit Gerhard Henschels ähnlich gestrickten Büchern („Kindheitsroman“, „Jugendroman“) abarbeiten. Hier wie dort darf man sich an Generationsgenossenschaft wohlig wärmen, wohldosierte Zeitkritik aus sicherer Entfernung inbegriffen.

Die eigentliche, recht übersichtliche Handlung kommt in Gang und Markus’ Seele in Wallung, als nebenan, ins Haus, das ohnehin als „Schandfleck“ gilt, Italiener einziehen. Sie wurden seinerzeit in der bräsigen Wohlstandsrepublik Deutschland weithin als Schwächlinge des Zweiten Weltkriegs und „Spaghettifresser“ verunglimpft. Es ist lang her, doch vielleicht gar nicht so weit weg.

In diesem Falle gibt es noch mehr Empörungsstoff: Der italienische Vater, der (was sonst?) eine Eisdiele eröffnen will, ist Kommunist und spielt Gitarre, die halbwüchsige Tochter Clarissa hängt ihren roten (!) Schlüpfer sichtbar an die Wäscheleine. Unerhört, findet Markus’ Großmutter und lässt – ausgerechnet in jener Zeit des Berliner Mauerbaus – eine hohe Trennwand zwischen beiden Grundstücken hochziehen.

Markus selbst hingegen verguckt sich bebend in die süße Clarissa. Überhaupt sagen ihm jetzt italienische Lebensart und Sangeslust in höchstem Maße zu. Doch dieses Neigung, so glaubt er, muss er in seinem Herzen verschließen.

Womit denn noch ein paar Klischees angeklungen wären.

Was noch passiert, ist insgesamt nicht allzu überraschend. Man fühlt sich zwar ganz leidlich unterhalten, aber niemals sonderlich gefordert, auch nicht durch die eingestreuten Reflexions-Partikel über den Wirklichkeitsgehalt der Fotografie und die trügerische Erinnerung.

Doch halt! Am Ende besteht der Witz der munteren Erzählung wohl gerade darin, dass so gut wie nichts geschehen ist.

Wie zum Ausgleich trägt der Oldenburger Klaus Modick (Jahrgang 1951), ein angenehm bodenständiger und „geerdeter“ Autor, in seiner Geschichte das Zeitkolorit geradezu pastos auf. Er wird nicht müde, Moden, Musiktitel, Konsumgewohnheiten oder Redensarten jener Jahre anzuhäufen, als müsse er den Zeitrahmen der Handlung eigens immer wieder beglaubigen. Zur Not steht hier immer ein Kofferradio bereit, aus dem der passende Schlager plärrt. Im Extremfall hören sich Modicks Sätze schon mal so überaus umständlich an: „Hanna, schnieke rausgeputzt mit schwarzem Dralonrolli, dreiviertellanger, eng anliegender, am Saum geschlitzter schwarzer Caprihose, schwarzen Pumps und schwarzem Popelinemantel, eilte zur Tür.“ Im Neckermann-Katalog standen wahrscheinlich auch nicht mehr Details.

Die nachrichtlichen Großereignisse kommen gleichfalls vor, sofern ihre Folgen bis in den Alltag reichen: Mauerbau im August 1961, Sturmflut im Februar 1962, Kubakrise im Oktober 1962. Und unter allem schwelt im Kalten Krieg insgeheim die Angst vor der atomaren Vernichtung des ganzen Planeten… Wie klein und nichtig war dagegen der ganze Kram, über den man sich sonst so aufgeregt hat.

Klaus Modick: „Klack“. Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch. 223 Seiten, 17,99 Euro.




Bizarre Episoden aus der Provinz – „Garp (und wie er die Welt sah“) kommt ins Kino

Von Bernd Berke

Köln. Ein US-Pilot des Zweiten Weltkriegs kommt schwerverwundet ins Lazarett. Medizinische Sensation: Er kann sich kaum noch bewegen, hat aber bis zum Tod eine Dauer-Erektion.

Nach Verstreichen einer kurzen Schamfrist zieht Krankenschwester Jenny Fields Nutzen aus dieser stehenden Tatsache und schenkt bald darauf einem Knaben das Leben. Sie wollte ein Kind, aber keinen Vater. Sie brauchte Samen, aber keine „Wollust“, wie sie das verächtlich nennt. Diesem verwegenen Einfall des Bestsellerautors John Irving verdankt „Garp“ sein Dasein. Die Verfilmung „Garp (und wie er die Welt sah)“, ein schon 1982 verfertigtes Werk von George Roy Hill („Der Clou“), kommt ab morgen in unsere Kinos.

Mutter Jenny und Sohn Garp sind zwar ein wenig „anders als die Anderen“, sprich anders als die weiße Mittelschicht in der tiefsten US-Provinz; doch wo etwa David Lynchs Film „Blue Velvet“ in eben diesem Milieu wahrhaft erschreckende Abgründe aufriß, bleibt die „Garp“-Verfilmung ein Kuriositäten-Kabinett. Was im Buch detailreich ausgeführt wird, ist hier herbeigezerrte Episode. Für Zusammenhalt in der diffusen Lebensgeschichte sorgen da nur jene seltsamen Wiederholungen: Eine Dirne taucht unvermittelt in verschiedensten Zusammenhängen auf; ein häßliches und neidisches Mädchen macht Garp – im Zehnjahresabstand zwischen Doktorspiel und Jugendliebe – mehrfach bei erotischen „Gehversuchen“ Schwierigkeiten.

Nachdem Garps Pubertät, die hier praktisch nur aus Sexualnöten besteht, überstanden ist, fangen Jenny und er aus heiterem Himmel an zu schriftstellern. Sie verfaßt eine Feministinnen-Bibel gegen die ekle männliche Wollust, er furchtbar traurige Kurzgeschichten. Sie gründet ein Asyl für vergewaltigte Frauen (einige haben sich zu Ehren eines geschändeten Mädchens die Zungen herausgeschnitten). Guter Geist des Hauses ist ein Transsexueller, Ex-Sportskanone, nun aber Frau aus ganzer Seele. Freizeit-Ringkämpfer Garp (liebenswert dargestellt von Robin Williams) gründet auch etwas: eine Familie.

Und so reiht sich, 131 Minuten lang, eine gewollt-bizarr wirkende Episode an die andere. Nicht alle Szenen sind übel, aber sie ergeben keinen Film, den man empfehlen müßte. Vielfach wird es geradezu zwanghaft anzüglich, z. B. wenn Garps Frau, Lehrerin von Beruf, mit einem ihrer Zöglinge fremdgeht. Der steht auch im Auto auf „oral“ – bis der harte Ruck bei einem Auffahrunfall ihm das ein für allemal verleidet.

Der zum Vorspann laufende Beatles-Song „When I’m SixtyFour“ (Wenn ich 64 bin) kann hier nur als Ironie verstanden werden. Die Hauptpersonen sterben plötzliche und gewaltsame Tode. Im Film wirkt das wie ein schlecht motivierter Wutanfall gegen die Figuren.