Operettenhaft: Stück über Katastrophe auf Zeche Radbod

Von Bernd Berke

Hamm. Der 12. November 1908 war einer der schwärzesten Tage in der Geschichte des Revierbergbaus. Um 4.20 Uhr früh kostete eine gewaltige Schlagwetter-Explosion 350 Bergleute das Leben. Ort der Katastrophe: Zeche Radbod in Bockum-Hövel, dem heutigen Hammer Ortsteil.

Alfons Nowackis Revier-Ballade „Auf in den Westen, wo schwarz ist das Gold“ macht den schrecklichen Vorgang, an dem Bergwerksbosse die Hauptschuld trugen, zum Dreh- und Angelpunkt eines Ruhrgebiets-BiIderbogens mit Szenen aus dem Alltag der „Kumpel“.

Im Schatten der Unglückszeche von 1908, nämlich im Saalbau Bockum-Hövel, hatte am Freitagabend die Inszenierung des Westfälischen Landestheaters (WLT) Premiere. Sei es, daß die Castroper Truppe die Werbetrommel zu leise rührte, sei es, daß Frei-Haus-Unglücke im Fernsehen sich heute mehr aufdrängen als die Vorgeschichte der eigenen Region – die Veranstaltung fand jedenfalls vor halbleeren Rängen statt.

Nowackis Stück birgt Gefahren. Hauptsächlich die, in Revierkitsch zu verfallen. Dagegen ließe sich anspielen: derb, direkt, aggressiv. Bernd Krzistetzkos WLT-Einstudierung wirkt – ganz im Gegensatz zur Essener Uraufführung im Januar 1984 – über weite Strecken operettenhaft.

Die Geschichte einer polnischen Familie, die zu Beginn des Jahrhunderts mit goldenen Verheißungen ins Revier gelockt wird und dort zwischen Ausbeutung und Ausländerfeindlichkeit heimisch werden muß, wird – alles in allem – zu gefällig vorgetragen. Immerhin gibt es Szenen des Innehaltens, bei denen Zorn und Trauer aufblitzen. Bevor sich solche Momente wirklich verdichten können, ist jedoch oft schon das nächste schmissige Lied angestimmt.

Episode bleibt auch jene Gerichtsszene, die man neu hinzugefügt hat und in der die Ursachen der Radbod-Katastrophe ganz im Sinne der Unternehmerseite unter den Tisch gekehrt werden. Der Ausgang freilich steht schon beim ersten Wort fest, und zwar nicht im Brechtschen Sinn, so daß nun etwa das „Wie“ dieser Ungeheuerlichkeit schärfer hervortreten würde. Vielmehr schnurrt die Szene spannungslos ab, statt daß sie entwickelt wird und Bruchstellen offenlegen kann.

Aus dem Ensemble ragen Rose Hegenscheidt und Moritz Dürr deutlich heraus, die ahnen lassen, daß in Nowackis durchschnittlichem Stück dennoch Sprengstoff steckt.




Das Revier als Heimat und Hölle – Ruhrgebiets-Ballade „Auf in den Westen, wo schwarz ist das Gold…“

Von Bernd Berke

Essen. „Rote Erde – Land unserer Träume, rauchende Schlote sind unsere Bäume“. Der Liedtext von Wilhelm Steffens, den das sechsköpfige „Schauspiel-Mobil“ der Essener Bühnen vorträgt, könnte als bloße Revier-Romantik mißdeutet werden. Und tatsächlich enthält Alfons Nowackis Ruhrgebiets-Ballade „Auf in den Westen, wo schwarz ist das Gold…“, am Samstag im Essener Ruhrlandmuseum uraufgeführt, auch solche Anklänge.

Die musikalisch untermalte Textcollage aus Originalzitaten (Dokumente und Bergmanns-Dichtung) zeigt, daß das Revier seit seiner Geburtsstunde auch Heimat ist – Heimat, die jedoch zur Hölle werden kann: Am 12. November 1908 starben auf der Bockum-Höveler Zeche „Radbod“ 350 Bergleute. Es hätten weit weniger sein können, hätten sich nicht die Bergwerksbosse dazu entschlossen, die Rettungsarbeiten vorzeitig abzubrechen und den Schacht luftdicht zu verschließen, um Sachwerte vor einer drohenden Explosion zu retten. Auf diese Katastrophe kommt die „Ballade“ immer wieder zurück.

In sieben dichtgefügten Szenen aus den Gründerjahren des Reviers – schauspielerisch fesselnd dargeboten – wird deutlich: Der Tod im Bergwerk ist allgegenwärtig, er prägt die Menschen, die im Pütt arbeiten. Der harte Alltag läßt die an Goldgräber-Mentalität appellierenden Verlockungen, die das Revier anfangs verheißen hat, schnell vergessen.

Die Produktion hat auch ihre Schattenseiten: Die Texte, die Alfons Nowacki zusammengestellt hat, tendieren leider vielfach zu einer gewissen Heroisierung des Bergmanns als eines Helden, der dem Tod täglich ins Auge sieht. Zwar kommen auch ironisch-drastische Darstellungen der Ausbeutungsverhältnisse vor, doch die Tatsache, daß sich die Arbeiterschaft dagegen organisiert hat, wird äußerst stiefmütterlich behandelt. Wehmut dominiert über Gebühr.

Zehnmal wird die (trotzdem sehenswerte) „Ballade“ im Ruhrlandmuseum gezeigt, danach gastiert man in der „Zeche Carl“ und geht schließlich auf Tournee durchs Revier.