„Achtung, Achtung! Hier ist die Sendestelle Berlin“: 100 Jahre Rundfunk als Massenmedium

Aus frühen Radiozeiten: historische Rundfunkempfänger im Radiomuseum Hans Necker zu Bad Laasphe. (Aufnahme von 2007: Bernd Berke)

Am 29. Oktober 1923 beginnt die Geschichte des Rundfunks als Massenmedium in Deutschland. Auf „Welle 400 Meter“ ist der Sprecher Friedrich Georg Knöpfke zu hören, wie er mit getragenem Pathos „Achtung, Achtung! Hier ist die Sendestelle Berlin, im Vox Haus“ ansagt. In Nordrhein-Westfalen und dem besetzten Ruhrgebiet startet die Radiogeschichte jedoch erst ein Jahr später.

An jenem Oktobertag, Punkt acht Uhr abends, teilt der Direktor der „Funkstunde Berlin“ den 253 Personen, die bereits eine Hör-Lizenz besaßen, mit, „dass am heutigen Tage der Unterhaltungsrundfunkdienst mit Verbreitung von Musikvorführungen auf drahtlos-telefonischem Wege beginnt. Die Benutzung ist genehmigungspflichtig. Als erste Nummer bringen wir: Cellosolo mit Klavierbegleitung, Andantino von Kreisler, gespielt von Herrn Kapellmeister Otto Urack, am Flügel Herr Fritz Goldschmidt.“

An diese erste Sendung erinnert sich Otto Urack in einem dreißig Jahre später entstandenen Interview: „… am Tag vorher hatten wir schon ein Programm zusammengestellt von einer Stunde und dieses Programm wurde am 29. Oktober vormittags nach dem Abgeordnetenhaus probeweise übertragen. Nach Ende des Konzert habe Hans Bredow, damals Staatssekretär für das Telegraphen-, Fernsprech- und Funkwesen im Reichspostministerium, angerufen: „Kinder, das hat gut geklungen, wir fangen an.“ Urack erinnert sich: „Als wir uns erkundigten, wann wir anfangen sollten, sagte er: Heute Abend.“

Anregung für ein „freudloses Volk“

Bredow erkennt weitsichtig, dass sich der „Rund-Funk“ für jedermann als neues Massenmedium eignet. Vorher hatte es nach ersten militärischen Experimenten ab 1920 die Ausstrahlung von Wirtschaftsnachrichten für Banken und von aktuellen Mitteilungen für Journalisten und Presseorgane gegeben. Bredow umreißt die Aufgabe der neuen technischen Möglichkeit, Worte und Musik zu übertragen: Der Rundfunk solle einem „freudlosen Volk“ Anregung und Freude bringen, es durch künstlerisch und geistig hochstehende Vorträge aller Art unterhalten. Er sollte mit seinen Sendungen der geistigen Verarmung der Bevölkerung entgegenwirken, für Erholung und Zerstreuung sorgen und die Arbeitsfreude steigern.

Der erste Käufer einer Lizenz ist der Berliner Zigarettenhändler Wilhelm Kollhoff. Nur mit der Hörgenehmigung kann er sich einen Radioapparat bei Telefunken bestellen. Aber schon ein halbes Jahr nach dem Start des Rundfunks überschreitet die Zuhörerzahl der Funk-Stunde die Marke von 100.000. Schnell gründen sich weitere Rundfunkanstalten: Noch 1923 der Südwestdeutsche Rundfunkdienst in Frankfurt (SWR), 1924 der Mitteldeutsche Rundfunk in Leipzig, die Deutsche Stunde in Bayern in München, die Nordische Rundfunk AG (Norag) in Hamburg und in Bremen. Da im besetzten Ruhrgebiet kein Sender eingerichtet werden darf, sendet die Westdeutsche Funkstunde AG (WEFAG) ab 10. Oktober 1924 aus Münster. Erst 1925 werden die „Nebensender“ Dortmund und Elberfeld eingerichtet; der Münsteraner Sender ein gutes Jahr später nach Köln verlegt. Die Reichs-Rundfunk-Gesellschaft in Berlin fasst 1925 die regionalen Sender unter einem Dach zusammen. Da war die Zahl der Rundfunkteilnehmer schon auf über eine Million angestiegen.

Fußball live im Radio

Das Interesse an der technischen Neuentwicklung ist gewaltig. Noch 1924 findet in Hamburg die erste Funkausstellung statt. 1925 strahlt der Nordische Rundfunk mir Richard Hughes‘ „Gefahr“ das erste Hörspiel in Europa aus. Am 1. November kommentiert Bernhard Ernst erstmals live ein Fußballspiel im Radio – eine Begegnung von Preußen Münster und Arminia Bielefeld; im folgenden Jahr schon gibt es die erste Live-Übertragung eines Länderspiels (Deutschland – Niederlande) aus Düsseldorf. 1927 ordnet die Internationale Weltfunkkonferenz in Washington Frequenzen und Wellenbereiche weltweit.

Eine Sendung aus den Pioniertagen des Rundfunks hat bis heute überlebt: Mehr als 3.500 Mal war seit 9. Juni 1929 das Hamburger Hafenkonzert zu hören, das am Sonntagmorgen ausgestrahlt wird. In dieser Zeit werden Sendeanlagen in ganz Deutschland ausgebaut, auch die Radiogeräte entwickeln sich stürmisch weiter. Der Röhrenempfänger mit Lautsprecher erobert den Markt. Die Nationalsozialisten erkennen den Nutzen des Rundfunks für propagandistische Zwecke. Die selbständigen Rundfunkgesellschaften werden aufgelöst.

Joseph Goebbels sieht in dem Medium „das aller modernste und … aller wichtigste Massenbeeinflussungsinstrument, das es überhaupt gibt“. Der „Volksempfänger“ sollte den Rundfunk weiter popularisieren. Führerreden werden übertragen, Kriegsberichtserstattung nimmt breiten Raum ein. Die pathetische Hymne aus Franz Liszts „Les Préludes“ ist bis heute vergiftet durch den Missbrauch als Ankündigung für Sondermeldungen von der Front.

„Radio Hamburg“ und der WDR

Nach dem Krieg bauen die Alliierten den Rundfunk schnell wieder auf. Schon am Tag der Besetzung Hamburgs, am 4. Mai 1945, beginnt „Radio Hamburg“ mit dem Sendebetrieb im unzerstörten Funkhaus unter der Aufsicht britischer Offiziere. Im Herbst 1945 wird in allen Zonen ein Vollprogramm ausgestrahlt. In der Sowjetzone entstand aus dem „Berliner Rundfunk“ der künftige, staatlich gelenkte Rundfunk der DDR mit fünf Programmen. Im Westen entwickeln die Briten mit dem am 1.  Mai 1948 lizenzierten Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) die spätere Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit einem Verwaltungsrat, bestehend aus Vertretern aller gesellschaftlichen Gruppen, als Kontrollgremium.

Die neu entstandenen Landesrundfunkanstalten schließen sich 1950 zur ARD zusammen. Am 25. Dezember 1952 fällt nach zwei Versuchsjahren der Startschuss für ein reguläres Fernsehprogramm. Die erste „Tagesschau“ einen Tag später können nur 1000 Haushalte empfangen. Am 1. Januar 1956 entstehen aus dem NWDR die beiden selbständigen Rundfunkanstalten NDR und WDR mit seinem Hauptsitz in Köln.

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Die „Geburtstagssendung“ des WDR: https://www1.wdr.de/radio/wdr3/thementag-hundert-jahre-radio-102.html?wt_mc=mail.wdr.newsletter.Happy+Birthday%2C+liebes+Radio.link

Im Technoseum Mannheim ist noch bis 12. November 2023 die Sonderausstellung „Auf Empfang! Die Geschichte von Radio und Fernsehen“ zu sehen: https://www.technoseum.de

In Königs Wusterhausen bei Berlin erinnert das Museum Funkerberg u.a. an die Sendestelle, von der 1920 das erste Rundfunkkonzert ausgestrahlt wurde: https://museum.funkerberg.de/

Historische Rundfunksendungen sind u.a. hörbar auf https://www.swr.de/swr2/wissen/archivradio/

 




Adieu, Mittelwelle! – Der Deutschlandfunk hat alte Radios arbeitslos gemacht

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Das ist das gute Stück: Philips Sirius, gut 65 Jahre alt und bis Ende letzten Jahres noch Deutschlandfunk-Empfänger (Foto: Pfeiffer)

Dieses Radio ist älter als ich. Tante Else und Onkel Otto haben es um 1950 herum gekauft, so weit ich weiß, ein Philips Sirius, hochmodernes Bakelit-Gehäuse in Schwarz und Nußbaumoptik. Die Ultrakurzwelle gab es zunächst nur als Nachrüstsatz, ein zum Zwecke der Belüftung durchlöchertes Blechkästlein im Gehäuseinneren, in dem zwei Röhren vor sich hinglühten, ohne daß indes je UKW mit dem Radio empfangen worden wäre. Irgendein entscheidendes Drähtchen muß da fehlen; aber um UKW soll es hier ja auch nicht gehen.

Nein, ich möchte an dieser Stelle und aus gegebenem Anlaß der Mittelwelle einige traurige Gedanken hinterherwerfen, genauer gesagt der Frequenz 549 KHz, auf der der Deutschlandfunk seit dem Jahreswechsel nicht mehr sendet. Die Langewelle hatten sie vorher schon abgeschaltet, aber die war eh nur etwas für ganz hartgesottene Dampfradio-Aficionados.

Die Mittelwelle jedoch, satter Sound, nur mäßig verrauscht, ließ sich recht gut hören. Auch mit dem Radio von Tante Else und Onkel Otto, weshalb es hier zu ausdrücklicher Erwähnung gelangt. Der Deutschlandfunk war allerdings (tagsüber, bei Dunkelheit verbessert sich der Empfang) auch der einzige Sender, den man mit dem alten Schätzchen noch kriegte.

Es wäre wohl mal eine Kondensator-Kur erforderlich gewesen, bei der die alten teertriefenden Bauteile ausgelötet und durch neue ersetzt werden. Aber so weit ging meine Liebe nicht, und auch beim Ersatz des Magischen Auges zauderte ich. Es ist tatsächlich noch zu bekommen, aus amerikanischen oder russischen Armeebeständen und mit abweichender Typenbezeichnung (steht im Internet), und man muß am Röhrensockel nur zwei Drähte umlöten, weil die Heizung anders gepolt ist. Eine Zeitlang hatte ich das durchaus erwogen, aber nun, wo es nichts mehr zu empfangen gibt, hat sich das Thema erledigt.

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Auch im Graetz „Flirt“ herrscht seit dem 1. Januar Funkstille. (Foto: Pfeiffer)

Mittelwelle war das Original

Deutschlandfunk auf Mittelwelle, ich will den neuen Mißstand noch ein wenig beklagen, das war das Original. Der sparsame Umgang mit Tönen und Erkennungsmelodien, der (leider abgeschaffte) minimalistische 1000-Hertz-Piepser als Zeitzeichen zur vollen Stunde, die sonoren Männerstimmen, die stets erstaunlich verständlich blieben und im dunklen Klangbild ganz viel Autorität ausstrahlten – das alles gehörte unverzichtbar dazu, bildete gleichsam den Markenkern, ein unverwechselbares hochseriöses Ganzes.

Das UKW-Signal des Senders ist hingegen vielerorten schwach, auch in Dortmund. Es war ein Kampf (jawoll!), bis alle Radios in der Wohnung auf mittelwellenfreien Empfang umgerüstet waren. Es galt, optimale Positionen für Wurfantennen zu finden (eine hängt jetzt an der Wand, es ging nicht anders), im Wohnzimmer dient der Kabelanschluß nun auch zum analogen Radioempfang, und in einem Raum kommt gar ein neues, kleines Digitalradio zum Einsatz. Seine Lautsprecherqualitäten, dies am Rande, sind mäßig, mit guten Ohrhörern jedoch bietet es ein bis dato unbekanntes Stereoerlebnis. Auch beim Deutschlandfunk.

Das Internet hat seine Tücken

Es ging nicht mehr anders, sagen die Verantwortlichen des Senders, Mittelwelle sei nicht mehr zeitgemäß, viel zu teuer im Betrieb und auch vom Energiebedarf her. Sie verweisen auf Digitalverbreitung und Internet-Radio, und wahrscheinlich haben sie recht, wenngleich ich hinsichtlich der Energieeffizienz des Internets mit vielen, vielen Servern und Computern im Standby so meine Zweifel habe.

Und eigentlich ist sowieso der Kalte Krieg schuld, beziehungsweise dessen Ende. Früher nämlich, bevor die Mauer fiel, gehörte es zu den Aufgaben der Radiosender der „freien Welt“ (wie auch zu denen der Gegenseite), ihre Botschaften weit ins Feindesland hineinzutragen – direkt und (wenngleich oft verbotenerweise) ohne die Infrastruktur eines Internets empfangbar. Gleiches galt natürlich im stärkeren Maße noch für die Kurzwelle, auf der sich die Deutsche Welle weltweit und vielsprachig verströmte. Auch vorbei. Wenn nun aber wiederholt zu hören ist, daß autoritäre Staatenlenker ungeliebte Netzadressen sperren lassen, dann drängt sich der Gedanke auf, daß das freie Versenden des Rundfunks durchaus seine Vorteile hatte.

Adieu, Flirt

Abschließend möchte ich noch auf mein „Flirt“ zu sprechen kommen, genauer auf meinen eleganten „Flirt“ Sechs-Transistor. Wenngleich der Herstellername Graetz auf dem Gehäuse steht, vermute ich stark, daß die Innereien nicht aus Bochum, sondern (damals noch) aus Japan kamen. Solche kleinen Radios mit – eben – sechs Halbleitern im Inneren waren in den 60er Jahren sehr beliebt, klein, leicht und einfach zu bedienen. Sie bildeten eine erste Klasse von elektronischen Kompaktgeräten, die man problemlos mit sich führen konnte, um beispielsweise überall Bundesliga zu hören. Jetzt aber, wie gesagt, hört man eigentlich gar nichts mehr, höchstens noch einen ausländischen Sender, bei Nacht.

Hier sollte an sich Schluß sein, aber das Ende klingt mir jetzt zu depressiv. Denn die Verbreitung ist ja nur Form, viel wichtiger sind doch die Inhalte! Lob und Preis denn also für die fleißigen Nachrichtenmagazine morgens und mittags, für die Presseschauen und für die Diskussionen, in denen Teilnehmer tatsächlich noch ausreden dürfen. Und einen besonderen Dank für das historische „Kalenderblatt“, das nach den 9-Uhr-Nachrichten definitiv seinen optimalen Sendeplatz hat.

Aber auf Mittelwelle hat es eben auch sehr schön geklungen.




Radio mit und ohne Rausch(en)

Vor langer Zeit hatte ich mal so eine Phase. Es muss wohl in den frühen 1980er Jahren gewesen sein. Damals habe ich mich flammend für Kurzwellenradio interessiert.

Beileibe kein "Magisches Auge": Display eines Internet-Empfängers. (Foto: Bernd Berke)

Beileibe kein „Magisches Auge“: Display eines Internet-Empfängers. (Foto: Bernd Berke)

Man kann sich das heute nicht mehr vorstellen, auch ich selbst schaue ungläubig zurück: An etlichen Abenden saß ich fiebrig vor dem Weltempfänger, ja, ich schmiegte mich manchmal geradezu an den Lautsprecher oder in die Kopfhörermuscheln, um auch nur ja die schüttersten Signale aus der Ferne zu hören. Fein und feiner wurde die ganze Frequenzen-Skala durchgekurbelt, nein: behutsam abgetastet. Oh, du verheißungsvolles Rauschen im Äther!

Alsbald ging der Wahn so weit, dass ich gar zahlendes Mitglied in einem Kurzwellenclub wurde und intensiv die Verbandszeitschrift las, die Monat für Monat neue Frequenzen vermeldete und einen auch über höchst wandelbare Phänomene wie Sonnenflecken unterrichtete, die den Empfang beeinflussten. Das wuchtige Jahrbuch „Sender und Frequenzen“, überwiegend für den Kurzwellenempfang gedacht, lag ohnehin – über und über angefüllt mit Notizen – als tabellarische Bibel neben dem Receiver.

Stationen wie das omnipräsente Radio Moskau oder auch Radio Peking und das noch viel abstrusere Radio Tirana hat man bei all dem hassen gelernt. Mit ihrer lautstarken, viel- und falschzüngigen Propaganda überdeckten sie auf fast allen Frequenzbändern den Empfang anderer Sender. Doch auch der BBC World Service, die Voice of America oder die Deutsche Welle waren nicht das, was man hören wollte.

Wie gern hätte man statt dessen häufiger Botschaften etwa aus südamerikanischen, afrikanischen oder kleineren ostasiatischen Ländern empfangen. Doch der Erfolg war – trotz ziemlich kostspieliger Weltempfänger (von Grundig und Sony) – bescheiden, weil solche Sender, vor allem aus Geldmangel, nahe an der geringsten Schwundstufe operierten. Und wie groß war die Enttäuschung, wenn die spanische Grußformel „estimados oyentes“ (verehrte Hörer) nicht etwa auf lateinamerikanische Herkunft hindeutete, sondern doch wieder ein Fremdsprachenprogramm aus der Moskauer Ideologieküche war.

Dennoch blieb ich mit Ausdauer und Leidenschaft bei der Sache, obwohl die Resultate – aus heutiger Sicht – kümmerlich waren. Bei der Sendersuche überwogen allemal Quietschen, Pfeifen, Rauschen und Britzeln. Man hat es damals kaum anders gekannt. Nicht zuletzt haben Störsender zum tosend tinnitösen Geräuschchaos beigetragen.

Wie hat man aber innerlich geglüht und jubiliert, wenn man eine bislang noch ungehörte Station auf dem Radar hatte und obendrein zur vollen Stunde zweifelsfrei die Stationsansage hörte. Die Weltkarte lag stets in Reichweite und man hat eifrig Markierungen angebracht, wenn die akustische Terra incognita wieder etwas geschrumpft war. Man fühlte sich wie Magellan persönlich. Naja, vielleicht übertreibe ich etwas. Sehnsucht nach Ferne und Abenteuer hat aber gewiss mitgespielt. In ungemein gezähmter Form.

Hin und wieder habe ich mir auch die Mühe gemacht, an Radiosender zu schreiben und ihnen Empfangsberichte zu schicken. Angeblich waren die Leute dort sehr interessiert an solchen Rückmeldungen. Freudig erhielt man dann Bestätigungen aus Kanada oder Australien, einschließlich der sogenannten QSL-Karten, die als kleine Trophäen galten. Heute stellen Kurzwellensender immer mehr Programme ein.

Warum ich das alles erzähle? Seit einiger Zeit habe ich ein Internet-Radio. Zigtausend Stationen aus allen denkbaren Weltecken empfängt man damit vollkommen rauschfrei; aber nicht nur ohne Rauschen, sondern eben auch ohne jeglichen Rausch.

Abgesehen von einer ersten Erprobungszeit, bleibt das Radio nun zu allermeist unbenutzt. Die Leidenschaft von ehedem ist dahin, weil die öde Perfektion schier unendlicher Möglichkeiten herrscht. Sofern man will, kann man Sender aufrufen, die z. B. den ganzen Tag nur Beatles-Songs spielen. Oder vermeintlich exotische Klänge jeder Tönung, die freilich in einen globalen Datenstrom einfließen, als wäre alles einerlei.

Ein Zurück zur Kurzwelle gibt es allerdings auch nicht mehr. Das Gefiepe tut man sich nicht mehr freiwillig an. Internet killed the radio.

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Postskriptum:

Während ich die vorherigen Zeilen schrieb, ahnte ich dunkel, dass ich dasselbe Themenfeld schon einmal beackert habe. Und siehe da, es ist etwas über fünf Jahre her. Teilweise gleichen sich die Formulierungen, waren sie seinerzeit nicht sogar satz- und streckenweise prägnanter?

Soso, da lässt also das Gedächtnis fürs eigene Tun und Lassen merklich nach. Oder ist es nicht eh so, dass man im Kern immer wieder über dasselbe schreibt, nämlich über den Kreislauf seiner kleinen Obsessionen und Antriebe? Oder über das Erlöschen der einen oder anderen Neigung. Immer wieder, aber immer ein bisschen anders. Man steigt ja wohl nicht zweimal in denselben Redefluss.




Radio-Legende: Als Carmen Thomas jede Woche mit dem Ü-Wagen aufkreuzte

Wer erinnert sich noch an diesen markanten Zeitpunkt der Radio-Geschichte? Es war vor beinahe 40 Jahren, am 5. Dezember 1974, als es erstmals hieß: „Hallo, verehrte Hörerinnen und Hörer. Hier meldet sich der Ü-Wagen, hier meldet sich Carmen Thomas.“

Zur Premiere der WDR-Sendung „Hallo Ü-Wagen“ wurde über Nikolausbräuche geredet – und darüber, ob man die Kinder über den Weihnachtsmann „belügen“ dürfe. Es waren halt die 70er Jahre, als manche meinten, alles in Frage stellen zu müssen.

Alle sollten mitreden dürfen

Carmen Thomas, die die Sendung bis 1994 moderierte, gehörte jedoch nicht zu den erbitterten Polit-Aufklärerinnen jener Jahre. Eher im Gegenteil. Bei ihr konnte alles zum Thema werden – und praktisch alle sollten mitreden dürfen. Mal angemessen ernst, mal leicht und locker.

Vom Live-Publikum umlagert: Carmen Thomas (links) in einer frühen Ausgabe von "Hallo Ü-Wagen". (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=XWH72RhFo8I)

Vom Live-Publikum umlagert: Carmen Thomas (links) in einer frühen Ausgabe von „Hallo Ü-Wagen“. (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=XWH72RhFo8I)

Carmen Thomas hielt die jeweiligen Experten stets dazu an, verständlich zu reden und möglichst jedes Fremdwort zu erklären, damit auch „ganz normale Menschen“ einbezogen wurden. Wie gesagt, es waren die 70er, und da musste es schon basisdemokratisch sein. Warum auch nicht? Viele Themen wurden erst dadurch richtig spannend, dass Menschen dabei waren und ernst genommen wurden, die sonst nirgendwo öffentlich zu Wort kamen. Velleicht fehlt uns eine solche Sendung heute…

Millionen hörten zu

Jeden Donnerstag machte Carmen Thomas mit dem Ü-Wagen „Violetta“ in einer anderen Stadt von Nordrhein-Westfalen Station. Durchweg folgte sie dabei den Themenwünschen der Hörer. In aller Regel passte die Örtlichkeit zum Gesprächsgegenstand. So stand man zum Beispiel an einem Obdachlosenasyl, als es um Nichtsesshafte ging. Die erste Liebe wurde beim Standesamt beredet, der Umgang mit Sterbenden am Friedhof.

Die ebenso großflächige wie kurzweilige Live-Sendung lief donnerstags von 9.20 bis 12 Uhr auf der populären Hörfunkwelle WDR 2 und hatte zu ihren besten Zeiten ein Millionenpublikum. Es war vermutlich die meistgehörte deutsche Radiosendung aller Zeiten. So mancher heftige Streit wurde da ausgefochten – und die Fachleute behielten beileibe nicht immer die Oberhand.

Als erste Frau eine Sportsendung moderiert

Das Themenspektrum der insgesamt rund 1500 (!) Sendungen umfasste buchstäblich Gott und die Welt. Da ging es um Arbeitslosigkeit, Brustkrebs oder Krankenpflege ebenso wie um den Orgasmus oder auch um Urin als ganz besonderen, segensreichen Saft – ein Thema, das Carmen Thomas später fast schon penetrant weiter verfolgte.

Mit dem Ü-Wagen wurde Carmen Thomas zur Pionierin des Mitmach-Radios, so wie sie zuvor (ab 3. Februar 1973) die erste Sportmoderatorin des deutschen Fernsehens war. Männliche Fußball-Betonköpfe verzeihen ihr bis heute nicht den läppischen Versprecher „Schalke 05“ (statt Schalke 04) im „Aktuellen Sportstudio“ (ZDF) von 21. Juli 1973. Die „Bild“-Zeitung hat einmal ihre Moderation schon vor Ausstrahlung der Sendung „verrissen“, so dass Carmen Thomas die blamable Ausgabe live in die Kamera halten konnte. Dafür hat sich das Boulevardblatt schäbig revanchiert.

Aus der Begabung gutes Geld gemacht

Zurück zum „Ü-Wagen“: Als Carmen Thomas die Sendung abgab, schoben die WDR-Gewaltigen sie auf die seltener gehörte Welle WDR 5 ab, noch dazu auf einen schlechteren Platz, samstags von 11.05 bis 13 Uhr. Da konnte sich die Thomas-Nachfolger Jan Seemann und Julitta Münch noch so sehr mühen – die Traumquoten von einst waren da nicht mehr zu holen. Am 18. Dezember 2010 kam die letzte reguläre Ausgabe ins Programm.

Mit Coaching (also vor allem Medientraining) hatte Carmen Thomas schon gegen Ende der 70er Jahre begonnen und dabei auch selbst jede Menge gelernt, wie sie heute sagt. Außerdem war’s ein weiteres „Standbein“ für alle Wechselfälle des Journalistinnen-Lebens.

Clever, wie sie nun einmal ist, hat sie aus ihrer Begabung zum Umgang mit Menschen später auch gutes Geld gemacht, indem sie 1998 in Engelskirchen eine Moderations-Akademie gründete. Hier berät sie auch Größen aus Politik und Wirtschaft über Möglichkeiten, ihre Wirkung zu steigern. Dies mag beim ersten Hinhören nicht mehr gar so basisdemokratisch klingen. Doch Carmen Thomas legt Wert auf die Feststellung, dass sie noch heute Menschen und Institutionen beratend zur Seite steht, wenn es eher der guten Sache als dem Konto nützt.

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Hier eine Liste aller „Ü-Wagen“-Themen von 1974 bis 1994 (bitte scrollen):
http://www.moderationsakademie.de/alle-themen-aus-20-jahre-hallo-u-wagen-mit-carmen-thomas/

Eine Reminiszenz an die „Ü-Wagen“-Sendung:

Ein Rückblick auf Carmen Thomas in den 70er Jahren:




Rauschen der Ferne

Man muss schon ein paar Jährchen verbracht haben, um es noch zu kennen – das Rauschen der weiten Entfernungen, die man mit einem herkömmlichen Weltempfänger-Radio mehr schlecht als recht überbrückte. Wie man gefiebert hat, ob heute wohl Korea oder Mexiko „hereinzukriegen“ wären…

Fürs heutige Empfinden hat das alles erbärmlich geklungen. Selbst mit den besten Empfangsgeräten war vieles Glückssache. Wie stolz war man, wenn man zwischen dem Grundrauschen und ebenso kurzwellentypischen Kratz- oder Fieptönen ein paar schüttere Sätze aus Südamerika zu hören bekam. Enthusiasten ließen sich dann eigens Bestätigungskarten als Trophäen von Stationen aus aller Welt schicken. Man befasste sich ernsthaft mit Phänomenen wie Sonnenflecken, die großen Einfluss auf die Qualität des Fernempfangs haben. Fachzeitschriften ohne jegliche Hochglanz-Attitüde verkündeten tabellarisch die allfälligen Frequenzwechsel, sofern bis Redaktionsschluss bekannt.

In den eisesstarren Zeiten der Ost-West-Propagandaschlachten war Radio Moskau eine vielsprachige Dominante und Radio Tirana blies vollends abstruse Ideologie-Partikel in den Äther. Sie überdeckten und störten oft ungleich interessantere Angebote.

Längst hat das Internet die Kurzwelle in weiten Teilen der Welt überflüssig gemacht. Zigtausend Sender von überall sind online glasklar zu empfangen. „Unübersichtlich“ ist gar kein Ausdruck für diese Vielfalt. Und die großen Kurzwellenstationen stellen seit Jahren reihenweise Programme ein.

Wo ist das verheißungsvolle Rauschen geblieben, das einst auch die Sehnsucht nach Ferne enthalten hat?

Gepriesen sei die Unvollkommenheit. Vielleicht gibt es ja irgendwo schon Internet-Radios, bei denen man solche Störgeräusche künstlich hinzufügen kann, so wie man digitale Fotos auf Schwarzweiß trimmt oder mit Sepiatönen versieht – damit’s noch einmal so schön heimelig wird.

P. S.: Ob im besagten Rauschen auch etwas mitschwingt, was beseelt Hörende an der analogen LP festhalten lässt?




Als die Radios noch Gesichter hatten – Im beschaulichen Bad Laasphe hat Hans Necker Deutschlands größte Gerätesammlung aufgebaut

Von Bernd Berke

Bad Laasphe. „Schreiben Sie nicht so viel über mich, es geht um die Sache“, bittet Hans Necker. Ganz sachlich also: Der 61-Jährige hat praktisch im Alleingang am südlichen Rande Westfalens das größte deutsche Radiomuseum eingerichtet.

Kaum zu glauben: Ungefähr 3500 verschiedene Röhren-Geräte verwahrt Necker heute – überwiegend aus der Vorkriegszeit und aus den 50er Jahren. Die Sammlung wäre jeder Metropole würdig. Für manche ist es pure Nostalgie, andere berauschen sich eher an der Technik.

Neckers Passion begann in seiner Düsseldorfer Kindheit. Wegen einer Sehschwäche verbrachte er fast jede freie Minute vor dem Hörfunkgerät. 1952 bekam er zur Einschulung von einer Tante sein erstes eigenes Radio – einen prachtvollen belgischen Empfänger, Baujahr 1938.

Grundstock aus dem Sperrmüll der 60er Jahre

Ein großer Grundstock seiner jetzigen Sammlung stammt aus dem Sperrmüll der 60er Jahre. Hans Necker: „Damals wollten die Leute alles Alte wegwerfen.“ Hinzu kamen eine umfangreiche Schenkung und etliche Gelegenheiten bei Sammlertreffs der „Radioten“, wie Necker Seinesgleichen nennt.

Schon seit langem hatte der gelernte Bürokaufmann die Südzipfel Westfalens im Urlaub besucht. Vor 17 Jahren zog es ihn dann endgültig ins beschauliche Bad Laasphe im Wittgensteiner Land. Die Radios brachte er mit.

Wohl kaum eine Ehefrau würde eine solche Leidenschaft klaglos dulden. Necker ist denn auch unverheiratet geblieben. Er hat alle Schätze penibel katalogisiert und beschriftet. Ganz so, als hätte er zeitig geahnt, dass solche Gerate wieder „salonfähig“ werden würden. Längst baut die Industrie im Zeichen des Retro-Designs historische Apparate nach – allenfalls ein matter Abglanz der Originale.

Etwa um 1965 hat Necker die Grenzlinie gezogen: „Transistor-Radios – ach nee. Das wäre ein anderes Sammelgebiet.“ Schade, ich hätte gerne noch einmal eine Philips Evette von 1962 betrachtet. Mein erstes, damals zu Weihnachten heiß ersehntes Kofferradio. Doch hier findet sich ja weitaus Wertvolleres. Beim Gang durch schier endlose Regalreihen hält man häufig inne. Es ist wie mit alten Automobilen: Auch Radios hatten „damals“ Charakter, ja gleichsam Gesichter, und sie blickten aus „magischen Augen“ (so hießen leuchtende Empfangsanzeiger).

Kleinode wie die „Pfeifende Johanna“

Manche Geräte erstrahlen geradezu triumphal. Und auch die, die sich formal bescheidener geben, sind vielfach eine Augenweide. Einflüsse aus Kunst- und Kulturgeschichte sind unverkennbar. Einige Radios sind vom Jugendstil inspiriert, andere etwa vom Bauhaus. Notfalls mit „gutem Zureden“ funktionieren die allermeisten Geräte noch. Hans Necker hält alles selbst in Schuss.

Zu jedem Gerät weiß der Mann eine Geschichte zu erzählen, als wären es lauter gute Freunde. Auch in der Historie des Mediums kennt er sich aus. Jahre bevor am 29. Oktober 1923 der öffentliche Rundfunk in Deutschland begann, ging es los: „Um 1918 gab es in Frankreich einen Börsenfunk.“ Damit hat es also begonnen!

Alles scheint vorhanden: Detektoren, die man nur mit,Kopfhörer benutzen konnte; die in der NS-Zeit diktatorisch verordneten „Volksempfänger“ oder Kleinode wie die „Pfeifende Johanna“, ein 1934 von Telefunken gefertigtes, nicht richtig ausgereiftes Modell mit argen Tonproblemen. Man staunt über einen Boudoir-Spiegel, der sich als Radio für die elegante Dame erweist. Man bewundert Apparate mit kathedralenförmigem Gehäuse oder veritabler Breitwand-Senderskala. Ganz großes Hörkino!

DDR-Geräte gefällig? Es gibt dafür eine ganze Abteilung. Kuriosa von jederlei Art? Auch die werden gebührend gewürdigt. Die mitunter abenteuerlichen Entwicklungslinien einzelner Firmen wie etwa Braun („Schneewittchensarg“) oder Körting? Bitte sehr, reichlich dokumentiert. Einzelne Länder Europas? Na, klar. Als Laie denkt man, alles wäre komplett, aber einer wie Hans Necker sieht die Lücken: „Ich habe immer noch eine lange Wunschliste.“ Sein Appell an alle Entrümpler: „Bitte nichts voreilig in den Container werfen!“

Und die Zukunft? Die Stadt Bad Laasphe werde sich etwas einfallen lassen müssen, mahnt Necker. Seine Sorge: „Was wird aus der Sammlung, wenn ich nicht mehr bin?“

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INFOS

Eintrag im „Buch der Rekorde“

  • Radiomuseum Hans Necker. Bad Laasphe, Bahnhofstraße 33. Geöffnet März bis Okt. Di, Do, Sa, So 14.30 bis 17 und nach Vereinbarung (02752/97 98). Eintritt 2 Euro.
  • Untergebracht ist das Museum im ersten Stock eines früheren Gymnasiums, das man sich mit Schützen und einem Jugendtreff teilt. Die Stadt stellt die Räume, Hans Necker betreut seine Sammlung ehrenamtlich.
  • Von 3500 Geräten werden rund 1000 ständig gezeigt, der breite Rest befindet sich im Depot – es reicht für einen Eintrag im „Buch der Rekorde“.
  • Auch Grammophone (Edison-Walzenphonograph von 1897), Tonbandgeräte (mit Spezialitäten wie dem „Tefifon“), TV-Truhen, Lautsprecher, Antennen usw. zählen zur Sammlung.
  • Eine annähernd ebenbürtige Fülle gibt es bundesweit nur in Fürth.

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Nachtrag: Link zur Homepage des Museums, Stand Februar 2019:

http://www.internationales-radiomuseum.de/