Randale für den Rapper

Dies vorangeschickt: Mit Rap habe ich so gut wie nichts im Sinn, noch weniger mit Gangsta-Rap. Das ist auch, aber nicht nur eine Generations- und Schichtenfrage. Ich mag nicht glauben, dass Musik zur Feier von Gewalt und Verbrechen erfunden wurde. Auch besinnungsloses Auskotzen ist nicht ihr Wesenskern.

Nun aber konkreter: Einer dieser Typen, die für eine leider ziemlich zahlreiche Anhängerschaft als Gangsta-Rapper posieren, nennt sich Kurdo. Sein äußerst schmales Textrepertoire kreist kraftwortreich um Phantasien wie („sinn“-gemäß) „Ich-bin-ein-richtiger-harter-Verbrecher-ihr-alle-seid-schwule-Weicheier-mit-Scheiß-Abitur“ sowie „Ich **ck deine Mutter, ich **ck deine Schwester“. Also richtig bodenloser Mist der weithin üblichen Art.

Zu einer Autogrammstunde dieses begnadigten, äh ich meine natürlich begnadeten Künstlers hatte ein Saturn-Markt im Dortmunder Vorort Eving eingeladen. Es erschienen rund 4000 (!) Fans und es kam zu heftigen Tumulten, die ein polizeiliches Großaufgebot erforderten. Leute, die bedeutend näher dran waren, sagen, dass die Polizei strategisch überfordert war.

Die Autogrammstunde fand schließlich nicht statt, sie soll aber angeblich nachgeholt werden. Warum eigentlich? Soll die wahrlich anderweitig schon mehr als genug geforderte Polizei abermals kostspielig und riskant eingreifen müssen, damit dieser längst zum Kommerz-Heini mutierte Ghetto-Brüller noch mehr Publicity bekommt? Gut denkbar, dass Kurdo und seine Spießgesellen jede Randale als willkommene Werbung bejubeln. Aus diesem Grund scheut man sich ja schon, ihn überhaupt zu erwähnen. Aber sei’s drum.

Anderntags musste dann auch in Hamburg die Polizei einschreiten, als Kurdo auftauchte. Und es waren beileibe nicht die ersten Vorfälle dieser Art. Schön wär’s, wenn man Kurdo, den Veranstaltern und/oder Managern die Kosten der Polizeieinsätze in Rechnung stellen könnte. Dann müsste er noch ein paar Verbrecher-Liedchen mehr singen.

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P.S.: Wenn wir schon beim Thema sind: Ja, ich bin auch dafür, die Bundesliga-Vereine an den Kosten für Polizeiaufgebote wenigstens zu beteiligen.




Klassische Lyrik im Rap-Sound

Es klingt wie ein simples Patentrezept: Wenn Kinder keine Gedichte mehr auf herkömmliche Art lernen wollen, dann sollen sie die Verse eben rappen. Mit dem rhythmischen Sprechgesang kehrt vielleicht die Freude an der Lyrik zurück.

Die Hoffnung mancher Eltern und Pädagogen hat einen Namen: „Junge Dichter und Denker” oder kurz „JDD” nennt sich die sechsköpfige Kindergruppe aus Buchholz (Nordheide/Niedersachsen). Die Mädchen und Jungen zwischen 11 und 15 Jahren haben kürzlich eine CD mit berühmten „klassischen” Gedichten herausgebracht – frisch und frech im Wechselgesang vorgetragen, mit vorwärts drängendem Beat unterlegt. Da klingen die Verse von alten „Haudegen” der Literaturgeschichte zuweilen so, als hätten diese gerade erst zur Feder gegriffen und mal eben ganz spontan unsterbliche Verse hingefetzt.

Laut neudeutscher Formulierung auf dem Plattencover haben folgende Leute die „Lyrics” (also: Texte) geliefert: Goethe, Schiller, Mörike, Heine und Fontane. Wow! Ihre Ohrwurm-Hits heißen beispielsweise „Erlkönig”, „Heidenröslein”, „Der Handschuh”, „John Maynard” und „Loreley”. Und das alles mit Kinderstimmen gerappt – man stelle sich vor.

Gewiss: Da klingt die eine oder andere Zeile auch schon mal putzig. Manchmal haben die Kontraste zwischen edler Wortwahl und lockerem Gesang ihren ganz eigenen Verfremdungs-Reiz. Aber nicht jede kostbare sprachliche Wendung lässt sich ins coole Rap-Schema zwängen.

Allerdings gibt es auch viele Passagen, die einen musikalischen Rhythmus bereits in sich tragen: Beispielsweise das „Walle! Walle! Manche Strecke . . .” aus Goethes „Zauberlehrling” und natürlich Fontanes „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland”. Beide Gedichte haben sich ja schon vor etlichen Jahren bei Achim Reichel als rock-tauglich erwiesen. Auch die zugespitzte Dramatik in den Balladen von Schiller und Fontane eignet sich für diese Darbietungsform.

Jede Gruppe braucht ihre Legende: Die ursprüngliche Idee zum ganzen JDD-Projekt soll die elfjährige Nicola gehabt haben. Sie musste für die Schule Mörikes „Er ist’s” („Frühling lässt sein blaues Band…) auswendig lernen, verspürte wenig Lust dazu – und auf einmal kam ihr der Rap in den Sinn: Die immergrünen Frühlings-Zeilen nahmen dabei zusätzlich Fahrt auf. Gemeinsam mit anderen feilte Nicola den Song nach und nach aus; dann kamen immer weitere Texte hinzu. Inzwischen können die Kinder eine Menge Gedichte auswendig. Na, wenn das nichts ist!

Jedenfalls traf es sich bestens, dass Nicolas Vater Addo Casper lange Musikmanager war und als Entdecker der „Fantastischen Vier” gilt. Er ließ seine Branchenkontakte spielen – und schon bald gab’s einen Plattenvertrag für Nicola und die anderen Kinder. Der Produzent Achim Oppermann sorgte sodann für den professionellen Zuschnitt. Es folgten Auftritte in diversen TV-Sendungen und jüngst in Til Schweigers Film „Keinohrhasen”. Das übliche PR-Programm also.

Bei all dem ahnt man, dass es sich um Nachwuchs aus so genannten „besseren Häusern” handelt, der ohnehin eher zum Lesen neigt. Ob das Gedichte-Rappen auch in sozialen Brennpunkten rasch weiterhilft, darf bezweifelt werden. Auch könnte man einwenden, dass hier sehr verschiedene Gedichte mehr oder weniger über einen musikalischen Kamm geschoren werden. Aber immerhin: Es ist ein Zugang zur Welt der Dichtung, den man nicht fahrlässig verschütten sollte.

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Info:

  • „Junge Dichter und Denker – JDD”. CD bei edelkids (ca. 16 Euro).
  • Die Gruppe besteht aus Nicola (11), Laura (11), Konstantin (12), Tim (12), Friederike (14) und Philipp (15).
  • Das Prinzip ist vielseitig anwendbar: Die sechs Kinder haben inzwischen sogar schon das Einmaleins gerappt, um Spaß an Mathe zu vermitteln.
  • Geplant sind gerappte Volkslieder. Ein Erfolgsrezept geht in Serie…