Wiederwahl von Bleuel kann eine Austrittswelle auslösen – Beim Schriftsteller-Kongreß in Berlin knistert es hörbar

Von Bernd Berke

Berlin. Die Berliner „Rebellen“ im Verband Deutscher Schriftsteller (VS) haben den VS-Bundesvorsitzenden Hans-Peter Bleuel offenbar aus dem Tritt gebracht. Noch immer ist nicht klar, ob Bleuel auf dem Schriftsteller-Kongreß, der gestern in Berlin begann, wieder für dieses Amt kandidiert.

Bleuel gestern zur WR: „Ich warte erst die Aussprache über die Geschäftsberichte ab.“ Diese Aussprache aber findet, vor den mit Spannung erwarteten Vorstands-Neuwahlen, erst am heutigen Samstag statt. Schon zu Kongreß-Auftakt knisterte es hörbar. Bleuel schalt in seinem Geschäftsund Tätigkeitsbericht die „selbstgefälligen Untätigkeitsberichte“ mehrerer Vorstandskollegen und griff dabei vor allem den Ex-DDR-Autor Erich Loest an, der wiederum in seinem Bericht gegen Bleuel vom Leder zog.

Bleuel beschränkte sich ansonsten darauf, seine mühselige Kleinarbeit als „bescheidener Praktiker“ in tarifpolitischen Fragen herauszustreichen, nahm aber immerhin den Berliner VS-Landesbezirk gegen Vorwürfe aus der Sowjetunion in Schutz – freilich nicht ohne einige Seitenhiebe gegen dessen Vorsitzenden Hans-Christoph Buch. Dieser wiederum zitierte in einem kurzen Grußwort „zahlreiche Nachwuchsautoren“, die dem VS erst gar nicht mehr beitreten wollten und wünschte sich – einen sprachlich mißglückten Bleuel-Satz süffisant zitierend – einen „arbeitenderen Bundesvorstand“ als den jetzigen.

Der Kongreß birgt in der Tat reichlich Zündstoff. Auf einen quasi sportlichen Nenner gebracht hieße die Paarung also Berlin gegen Bayern (samt jeweiligen Gefolge in den anderen Landesverbänden). Doch das „Heimspiel“ der Berliner „Rebellen“ (im Rathaus Schöneberg) hat ernste Hintergründe. Sollte der Münchner VS-Vorsitzende Hans-Peter Bleuel tatsächlich kandidieren und mehr Delegiertenstimmen bekommen als die Berliner Gegenkandidatin Anna Jonas, droht wohl eine weitere Austrittswelle, droht vielleicht sogar die Spaltung der Organisation. Auch für den umgekehrten Fall stehen vermutlich langwierige Querelen ins Haus.

Bereitwillig auf offizielle DDR-Positionen eingelassen

Woher aber jetzt noch die dringend benötigten Kompromisse nehmen? Die Vorstands-Unsitte, sich aus taktisch friedenspolitischen Erwägungen allzu bereitwillig auf offizielle DDR-Positionen einzulassen, hat unter dem Ex-Vorsitzenden Bernt Engelmann hohe, unter Bleuel immerhin noch sichtbare Wellen geschlagen. In letzter Zeit haben die Berliner Opponenten um Hans Christoph Buch, Anna Jonas und Günter Grass einen weiteren Schauplatz der Auseinandersetzungen eröffnet. Es dreht sich dabei um die Frage, ob der VS nur rein gewerkschaftliche Interessenvertretung oder auch eine literarische Größe zu sein habe. Die Berliner, mehrheitlich Belletristen, sehen sich von, wie sie ihn abwertend nennen, dem „Sachbuchautor“ Bleuel samt Anhang nicht repräsentiert. Hans-Christoph Buch verstieg sich gar zu dem beinahe wendeverdächtigen Geraune von dichterischen „Genies“, die endlich wieder zu Ehren kommen müßten.

Kühlere Köpfe bewahrten im Vorfeld des Kongreßes Erich Loest, der gewerkschaftliche und literarische Arbeit gleichrangig behandelt sehen will, und F. C. Delius, der das vielzitierte Böll-Wort von der nötigen „Einigkeit der Einzelgänger“ aufgriff, die jedoch keine Parteigänger werden dürften. Gemeinsam für den Erhalt und Ausbau der Rechte zu sorgen, sich aber weder eine politische noch eine literarische Linie vorschreiben zu lassen – selbst diese Formel dürfte nicht unbedingt konsensfähig sein.