Das Kind des Kunsthändlers – Gurlitt-Stück „Entartete Kunst“ als Berliner Gastspiel in Recklinghausen

Ein wirkliches Aha-Erlebnis: Auch wenn keine Ruhrfestspiele sind, wird im Recklinghäuser Festspielhaus Theater gespielt. Als Veranstalter fungiert dann die Stadt, und die Künstler kommen – manchmal – von weit her. Für Ronald Harwoods Schauspiel „Entartete Kunst“ kamen sie aus Berlin, vom Renaissance-Theater. Die Agentur Landgraf hat sie auf Tournee geschickt: Udo Samel, Boris Aljinovic, Anika Mauer und Ralph Morgenstern.

Im Großen Haus der Ruhrfestspiele in Recklinghausen war das Berliner Renaissance-Theater zu Gast (Foto: Ruhrfestspiele/Torsten Janfeld)

Ein Berg von Raubkunst

Wir erinnern uns: Als offiziell verkündet wurde, was der alte Herr Gurlitt in seiner Schwabinger Wohnung aufbewahrte, verfielen größere Teile der bundesdeutschen Journaille in lebensbedrohliche Schnappatmung. Ganz offenbar war hier ein Riesenkonvolut sogenannter Raubkunst aufgetaucht, das der Sohn eines notorischen Nazi-Kunsthändlers klandestin und illegal hütete. Und der Mann selber war ein Monstrum, wenn auch ein eher ungefährliches. Er zahlte keine Steuern und hatte keine Krankenversicherung.

Weder in der Sozialversicherung noch in der Steuerverwaltung zu existieren, das wurde Cornelius Gurlitt schließlich zum Verhängnis. Bei einer Zollkontrolle fiel er – durch legal mitgeführte – 9000 Euro und durch unbedachte Äußerungen über sein Finanzgebaren auf, was die Staatsanwalt zu einer Durchsuchung seiner Wohnung veranlaßte.

Gnadenlose Staatsanwaltschaft

Übermäßiges Feingefühl kann den Behörden bei ihrem Einsatz im Jahr 2012 nicht vorgeworfen werden. Sie taxierten Gurlitts Kunst mal eben so auf eine Milliarde Marktwert und schafften sie ins Depot. Im November 2013 wurde der behördliche Zugriff bekannt, ein Jahr später starb der alte Mann mit 82 Jahren, nachdem er zuvor noch den damals schon nicht unbeträchtlichen „unbedenklichen“ Teil der Kunstsammlung dem Kunstmuseum Bern vererbt hatte.

Mittlerweile ist unstrittig, daß die Staatsanwaltschaft mit unverhältnismäßiger Härte vorging und daß das Schlagwort von der riesigen Raubkunst-Sammlung kaum haltbar ist. Statt eine Milliarde Euro ist die Sammlung nach seriöseren Schätzungen nur noch einen zweistelligen Millionenbetrag wert (auch nicht wenig!), gerade einmal fünf von insgesamt 1500 Werken konnten bisher als eindeutig geraubt identifiziert und ihren rechtmäßigen Besitzern zurückgegeben werden.

Kunsthändler der Nazis

Natürlich ist die Provenienzforschung hier ein schwieriges Feld. Auch muß man befürchten, daß rechtmäßige Besitzer oder ihre Nachfahren in manchen Fällen Krieg und Holocaust nicht überlebt haben. Doch den größten Teil der Sammlung scheint Hildebrand Gurlitt, der erfolgreiche Vater Cornelius’, auf korrekte kaufmännische Weise zusammengetragen zu haben – jedenfalls so korrekt, wie es im Nationalsozialismus möglich war, wo man die besetzten Länder plünderte und den jüdischen Deutschen ihre Vermögen abpreßte, bevor sie im besseren Fall ausreisen durften oder in den Vernichtungslagern ermordet wurden.

Hildebrand Gurlitt hat sich die Verhältnisse bestens zunutze gemacht, wie es scheint, hat moderne, als „entartet“ verfemte Kunst im Auftrag der Nazis ins Ausland verkauft, hat in den besetzten Kriegsgebieten beschafft, was die braunen Bonzen gerne haben wollten, beispielsweise für Hitlers geplantes „Führermuseum“. In einer Zeit der Ungeheuerlichkeiten hat er sich bewegt wie ein Fisch im Wasser, und fast folgerichtig ging er nach dem Krieg aus seinem „Entnazifizierungsverfahren“ (was für ein Wort!) als unbelastet hervor.

Das wahrscheinlich wertvollste Bild in Gurlitts Sammlung stammt von Claude Monet (1840–1926): „Waterloo Bridge“ (1903, Öl auf Leinwand, doubliert 65×101,5 cm) (Foto: Bundeskunsthalle Bonn)

Lust am „Fuppen“

Der Hildebrand Gurlitt, dem wir in Ronald Harwoods Theaterstück begegnen, ist nurmehr verklärende Erinnerung seines Sohnes Cornelius. Udo Samel gibt ihn als ewiges Kind, dem die Bilder in der Wohnung seine Familie sind und das voller Hingabe mit seiner Modelleisenbahn spielt. Er bewundert seinen Vater, was bleibt ihm auch übrig, aber dessen Fußabdrücke sind für ihn viel zu groß.

Cornelius Gurlitt hat studiert, wie später zu erfahren ist, Kunstgeschichte, aber das hat ihn nicht davor bewahrt, sein unbedeutendes Kinderleben nach dem Tod des Vaters endlos fortzuführen, das Erbe zu pflegen, zu „seiner Familie“ zu machen. Nur wenige Künstler bedeutender Eltern haben dieses Danach so zurückgezogen und exzentrisch gleichermaßen gelebt wie Cornelius Gurlitt; doch das schmerzende Gefühl der eigenen Bedeutungslosigkeit dürften viele von ihnen kennen, die Verletzlichkeit, die sie die Welt draußen meiden läßt.

Wer, wenn nicht Udo Samel, wüßte das herauszuspielen, der kleine dicke Mann mit seiner inneren Getriebenheit, die ihm die großen, schönen, reinen Gedanken ebenso einzugeben scheint wie sie die unvermittelt aufblitzenden kleinen Niederträchtigkeiten formt, die sexuellen Anspielungen, die peinlichen Tiraden über die allgegenwärtige, altersgeile Lust am „Fuppen“. Udo Samel zelebriert mit sparsamen Mitteln große Schauspielkunst; sein Cornelius Gurlitt ist ein tragischer Mensch auch ganz jenseits jeder Beutekunst-Diskussion.

Um den Hauptdarsteller Udo Samel herum inszeniert

Wie für Udo Samel geschrieben wirkt dieses inklusive Pause kaum zwei Stunden dauernde Stück. Auf jeden Fall hat Regisseur Torsten Fischer es in dieser Uraufführung um ihn herum inszeniert. Nur so, mit dieser armseligen, abgründigen Figur in ihrer strahlenden Mitte, funktioniert die Inszenierung. Die weiteren drei Mitwirkenden – Boris Aljinovic und Anika Mauer als hart vorgehende Vertreter der Staatsanwaltschaft, Ralph Morgenstern als halbseidener Kunsthändler Andras Weisz – sind zwar allesamt bemerkenswert gute Darsteller und weit mehr als nur Stichwortgeber, haben aber nur selten die Möglichkeit, mit ihrem Spiel nennenswert zum Fortgang des Stückes beizutragen.

Schrecklich viele leere Plätze

Darf man es verschweigen? Der große Saal im großen Haus war geradezu erschreckend leer. Vielleicht gab es zu wenig Werbung für diesen Theaterabend, auch ist er innerhalb des Monatsprogramms mit seiner Mischung aus Musik, Kindertheater und Comedy fast so etwas wie ein Fremdkörper. Gleichwohl schmerzt es, Udo Samel, der einst als Kaldewey in Botho Strauß’ gleichnamigem Stück an der Berliner Schaubühne unvergeßliche Auftritte hatte (für die man kaum Karten bekam), hier vor weitgehend leeren Reihen spielen zu sehen. Es sei dies, schreibt die Agentur, Samels erste Theatertournee, und bis 5. Dezember ist sie (laut Internet) terminiert. Da ist man gespannt, ob er sich in der Zukunft auf weitere Tournee-Abenteuer einlassen wird.

  • Weitere Termine (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): 2.12. Scharoun-Theater Wolfsburg, 3. 12. Festhalle Viersen
  • Zwei Ausstellungen zeigen aktuell Bilder aus der Sammlung von Cornelius Gurlitt:
  • „Bestandsaufnahme Gurlitt – Der NS-Kunstraub und die Folgen“, Bundeskunsthalle Bonn, bis 11. März 2018
  • „Bestandsaufnahme Gurlitt. Entartete Kunst – Beschlagnahmt und verkauft“, Kunstmuseum Bern, bis 4. März

 




Auf den Spuren gestohlener Kunstschätze – Besuch bei der Kölner Spezial-Ermittlerin Ulli Seegers

Von Bernd Berke

Köln. „Nein. nein, ich schleiehe nicht mit hochgeschlagenern Mantelkragen und Sonnenbrille durch finstere Ecken“, stellt die junge Frau klar. Doch abseits solcher Klischees gilt Ulli Seegers (35) als Deutschlands erfolgreichste Kunst-Detektivin. Sie hat schon manches wertvolle Stück wieder aufgespürt, darunter ein millionenschweres Cézanne-Bild.

Schreibtischarbeit: Kunst-Ermittlerin Ulli Seegers. Auf ihrem PC-Bildschirm: ein gestohlenes Picasso-Gemälde. (Foto: Berke)

Schreibtischarbeit: Kunst-Ermittlerin Ulli Seegers. Auf ihrem PC-Bildschirm: ein gestohlenes Picasso-Gemälde. (Foto: Berke)

Einen Großteil ihrer Arbeit erledigt sie freilich am Schreibtisch: In Köln betreuen die promovierte Kunsthistorikerin und drei Mitarbeiter eine (streng vom Internet abgeschottete) Datenbank, in der über 160 000 weltweit gestohlene Werke verzeichnet sind, darunter allein weit über 600 Picasso-Bilder. Jeden Monat kommen rund 1000 neue Datensätze hinzu – mit steigender Tendenz.

Ulli Seegers, anfangs eher durch Zufall an diesen Job geraten, arbeitet für das „Art Loss Register“ (ALR / Kunstverlust-Register). Es wurde 1991 m London auf Betreiben der berühmten Auktionshäuser Sotheby’s und Christie’s gegründet. Die wollen natürlich nur „saubere“ Ware offerieren. 1999 kam die Filiale in Köln hinzu, zudem gibt es Niederlassungen in New York, Moskau und New Delhi. Auch Raubkunst aus der NS-Zeit wird in allen Büros erfasst, und es entsteht eine Datenbank über Fälschungen.

Studien sprechen von mindestens 5 Milliarden Dollar jährlichen Schäden durch Kunstkriminalität, von ideellen Werten zu schweigen. Zudem haben sich offenkundig Kunstraub, Drogen- und Waffenhandel vermischt. Kunst ist zur Ersatzwährung in mafiösen Kreisen geworden.

Diebe haben oft leichtes Spiel

Vor allem die großen Versicherungen und Versteigerer, aber auch bestohlene Privatleute nehmen gegen Gebühren und Erfolgsprämien (bis zu 15 Prozent des Schätzwertes für Wiederbeschaffung) das ALR in Anspruch. Die Aufklärungsquote bei Gemälden beträgt etwa 25 Prozent. Wenn irgendwo auf dem globalisierten Markt Werke zweifelhafter Herkunft auftauchen, stehen sie häufig im Kölner Register. Weitere Schritte sind dann Sache der Polizei, die gleichfalls eng mit dem ALR zusammenarbeitet.

Oft haben es Kunstdiebe sträflich leicht. „Manche unserer Museen sind Selbstbedienungsläden“, kritisiert Ulli Seegers: „Kostspielige Ausstellungs-Events haben oft Vorrang, an der Sicherheit wird gespart. Die Zustände sind in vielen Städten skandalös.“

Kunstdiebe lassen meist zwei bis drei Jahre verstreichen, bis Gras über ihre Tat gewachsen ist. Sie setzen auf Vergesslichkeit. Dann versuchen Hehler die Beute loszuwerden – und hier setzt Ulli Seegers an. Denn wer Kunst anbietet, muss dies irgendwie (halb)öffentlich kundtun. Seegers überprüft ohnehin regelmäßig Auktionskataloge und Galerie-Bestände auf Kunstmessen – zwecks Datenabgleich mit ihrem Register: „Man muss genau wissen, wie der Kunstmarkt funktioniert, wo die Grauzonen beginnen. Nach einer Weile kennt man einige Pappenheimer.“

Die Grauzonen des Marktes

Auch Kontakte ins Milieu ergeben sich, bei denen sogar der selbstbewussten Ulli Seegers mulmig zumute wird. Einmal diente sie als „Lockvogel“, sie gab sich als kaufinteressierte Sammlerin aus. Objekte der vermeintlichen Begierde waren (gestohlene) Bilder von Sigmar Polke. Mit dem kannte sich Ulli Seegers bestens aus, er war Thema ihrer Doktorarbeit. Beim Münchner Café-Treff mit dem mehr als dubiosen Anbieter saßen ringsum acht Polizisten in Zivil. Die Falle schnappte zu…

Weltbekannte Kunstwerke wie die vor einem Jahr in Oslo brutal geraubten Munch-Gemälde „Der Schrei“ und „Madonna“ kommen nicht auf den Markt. Hier geht es, wie Ulli Seegers vermutet, ums „Art Napping“, also um Lösegeldzahlung bei Rückgabe.

Von Rechts wegen dürfen etwa Versicherungen kein Lösegeld zahlen, es käme der Vertuschung einer Straftat gleich. Bei äußerst diskreten Verhandlungen werde hier jedoch zuweilen getrickst, sagt Seegers; beispielsweise, indem man „Finderlohn“ auslobt. Müssten Versicherer die fällige Diebstahlsprämie zahlen, käme es sie noch teurer zu stehen. Auch eine Grauzone?

Gibt es den steinreichen Kunst-Liebhaber, der Diebe beauftragt und sich heimlich an der illegalen Sammlung ergötzt? Ulli Seegers: „Eine Kino-Legende! Solchen Leuten bin ich noch nie begegnet.“ Noch ein Klischee zunichte!

• „Art Loss Register“, Köln, Obenmarspforten 7-11. Tel.: 0221/257 6996. Internet: www.artloss.com