Rechtschreibreform: Blick zurück im Zorn

Hohenlimburg. Die Rechtschreibreform? Ist doch wohl eine weitgehend erledigte Sache. Man ereifert sich nicht mehr so sehr. Doch es herrscht keineswegs Zufriedenheit. Den in Hohenlimburg lebenden Professor Hermann Zabel lässt das Thema erst recht nicht los. Er hat sich über Jahrzehnte eingehend damit befasst. Die Reform ist ein Teil seines Lebenswerks.

Ab 1980 gehörte Zabel (Jahrgang 1935) der hochoffiziellen Kommission für Rechtschreibfragen an, die das umstrittene Reformpaket schnürte. Auch saß er im Internationalen Arbeitskreis für Orthographie. Seit fast einem Jahr gelten die Beschlüsse, verbindlich zumal in Schulen und Behörden. Ist also alles schön und gut? Lehnen sich wenigstens die Verfechter der Reform beruhigt zurück?

Gelehrtenstreit
ging oft unter
die Gürtellinie

Weit gefehlt. Es ist eher ein Blick zurück im Zorn: „Ich bin beim besten Willen nicht zufrieden”, sagt der bis zum Jahr 2000 an der Dortmunder Uni (heute TH) tätige Germanist Zabel. Weite Teile dessen, was man sich anfangs vorgenommen habe, seien entweder überhaupt nicht umgesetzt oder arg verwässert worden. Über den Daumen gepeilt: „Mit 33 Prozent unserer Vorschläge sind wir gescheitert.”

Ursprünglich, so erinnert sich der Professor, hatte man die gemäßigte Kleinschreibung angestrebt. Demnach hätte man nur noch Satzanfänge und Eigennamen mit Großbuchstaben schreiben müssen. „Die deutsche Orthographie ist weltweit die einzige, in der es Großschreibung gibt”, beklagt Zabel. Andere finden, dass gerade dies eine einzigartige Stärke des Deutschen sei. Lassen wir das.

Auch die Worttrennung am Zeilenende, sagt Zabel, sollte zunächst ungleich großzügiger gehandhabt werden, als dies nun der Fall sei. Und die Schreibung vieler Fremdwörter wäre laut Zabel vereinfacht worden – wenn es nur nach ihm und seinen Mitstreitern gegangen wäre.

Apropos Streit. Davon kann Hermann Zabel ein Lied singen: „Das ist ein ganz trübes Kapitel.” Die Auseinandersetzung um die Rechtschreibreform sei häufig unter die Gürtellinie gegangen. Manche Fachkollegen hätten üble Intrigen gesponnen, es sei zu schlimmen Feindseligkeiten und Beleidigungen gekommen. Verbales Hauen und Stechen im gelehrten Milieu? Ja, das gibt es offenkundig. „Das alles geht nicht spurlos an einem vorüber”, seufzt Zabel.

Er macht geltend, dass Konrad Duden höchstselbst zuerst Spezialisten wie Drucker und Setzer bediente, um das Jahr 1901 herum aber eigentlich schon wesentlich simplere Rechtschreibregeln im Sinn gehabt habe. „Er konnte sie nur nicht mehr verwirklichen.” Maßstab müssten jedenfalls auch heute die Menschen sein, die wenig schreiben. Ihnen müsse das Regelwerk einleuchten – und nicht etwa Schriftstellern. Letztere hätten alle Freiheiten, die alten Regeln für sich beizubehalten. Dies nehmen vor allem etablierte Autoren (wie etwa der leidenschaftliche Reformgegner Martin Walser) auch weidlich in Anspruch.

Seit die neuen Vorschriften in den Jahren 2004 und 2006 (ohne Zabels Zutun) stellenweise abermals verändert worden sind, herrscht auf manchen Feldern noch größere Verwirrung. So mancher hält sich nur noch an ganz persönlichen „Regeln”. Zabel kann sich nicht vorstellen, dass am jetzigen Stand so bald noch einmal gerüttelt wird. „Damit müssen wir für die nächsten Jahrzehnte leben.”

Ist der Professor denn selbst hundertprozentig firm auf diesem Gebiet? Zabels ehrliche Antwort: „Natürlich nicht. Auch ich muss öfter im Wörterbuch nachschlagen.”

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HINTERGRUND

Langwieriges Hin und Her

  • Die Rechtschreibreform gilt bundesweit und in den deutschsprachigen Nachbarländern seit dem 1. August 2006. Die einjährige Übergangsfrist endete am 1. August 2007.
  • Ein Gremium von rund 80 Germanisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz hatte die Reform seit 1980 vorbereitet. Zu diesem Kreis gehörte Prof. Hermann Zabel.
  • Der langjährige, immer wieder aufflammende Streit entzündete sich unter anderem daran, dass Reformgegner sich gegen eine nach ihrer Ansicht unnötige „Verordnung von oben” wehrten. Doch auch Detailfragen bis hin zur Schreibweise einzelner Wort sorgten für Unmut.
  • In einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Allensbach-Umfrage zum Zustand der deutschen Sprache befürworteten nur 9 Prozent die Rechtschreibreform. 55 Prozent sind ausdrücklich dagegen.



„Mit Normen lässt sich Sprache nicht lenken“ – Gespräch mit Martin Walser, nicht nur über die Rechtschreibreform

Von Bernd Berke

Dortmund. Mit seinem Roman „Finks Krieg“ hat Martin Walser (69) tiefen Einblick ins Innenleben eines Ministerialbeamten gegeben, der im Zuge eines Regierungswechsels auf einen minderen Posten abgeschoben wird. Dieser Fink, einer wirklichen Person nachgebildet, aber literarisch zur Kenntlichkeit gebracht, wird zum angstgepeinigten Kämpfer für sein Recht. Walser stellte das bei Suhrkamp erschienene Buch jetzt mit einer Lesung im Dortmunder Harenberg City-Center vor. Dort traf ihn die Westfälische Rundschau zum Gespräch.

Sie haben die vor wenigen Tagen publizierte „Frankfurter Erklärung“ mitunterzeichnet, einen entschiedenen Protest vieler Autoren gegen die Rechtschreibreform. Kommt das nicht zu spät?

Martin Walser: Ich hatte immer mein Leid mit dem Duden und mußte mich immer gegen Lektoren durchsetzen, die unter Duden-Diktat meine Manuskripte korrigiert haben. Mit nachlassender Energie habe ich immer auf meinen Schreibungen beharrt.

Nennen Sie uns ein Beispiel?

Walser: Mein Paradebeispiel ist „eine Zeitlang“. Ich hab‘ stets „eine Zeit lang“ in zwei Wörtern geschrieben. Der Duden verlangt es in einem Wort, was ja völlig unsinnig ist. Es stimmt weder historisch noch rational. Nach der neuen Rechtschreibung dürfte ich’s auseinander schreiben. Das ist für mich ein Fortschritt. Nur: Es ist eine autoritär ausgestattete Reform. Sie behebt einige Idiotien und installiert dafür andere. „Rau“ ohne „h“, da möcht‘ ich mal wissen, wer sich das ausgedacht hat…

Und wieso erheben Sie erst jetzt Einspruch?

Walser: Nun, weil Friedrich Denk (Deutschlehrer und Literatur-Veranstalter in Weilheim, d. Red.), der die Sache angeregt hat, mich jetzt befragt hat. Ich selbst hätte gedacht: Na, schön. Das ist gut, das ist blödsinnig – und hätte es dabei belassen. Weil ich sowieso nicht praktiziere, was im Duden steht. Schauen Sie: In meinem Roman „Brandung“ steht die Wortfolge „zusammenstürzender Kristallpalast“. Das müßte ich in Zukunft auseinander schreiben: „zusammen stürzender“.

Eine Sinnverfälschung?

Walser: So ist es. Hoffentlich sehen die Leute nun, daß solche Sprachnormen relativ sind. Vielleicht bildet sich gerade dann ein bißchen mehr Freiheit gegenüber den Regeln. Denn Sprache ist doch Natur – und sie ist Geschichte. Beides läßt sich nicht mit Normen lenken. Ich schreibe ja mit der Hand, folge einem rein akustischen Diktat in meinem Kopf. Wenn ich das nachher lese: Das ist so unorthographisch, so grotesk. Wenn ich Ihnen das zeigen würde, würden Sie sagen: „Das ist ein Analphabet.“ V und F geht da durcheinander wie „Fogel und Visch“. Schreibend ist man eben nicht auf Duden-Niveau.

Mal abgesehen von der Rechtschreib-Debatte: Ansonsten hat sich – Stichwort: Deutsche Einheit, die Sie früh und vehement befürwortet haben – die Aufregung um Sie ein wenig gelegt.

Walser: Zum Glück. Aber ich krieg‘ immer noch genug ab. Ein Rezensent hat geschrieben, er höre in „Finks Krieg“, in der politischen Tendenz „Marschmusik“. Seit der Diskussion um die Einheit haben die mich in diese Richtung geschickt, diese Arschlöcher! Der Peter Glotz empfindet in meinem Roman „dumpf-deutsche Fieberphantasien“. Ein anderer hat sinngemäß geschrieben: „Der Walser hat sich vom linken Kämpfer zum CSU-Festredner der deutschen Einheit entwickelt.“ Und das in einer Buchbesprechung.

Worte, die sich in Sie hineinfressen?

Walser: Ja, ja, ja. Ich wandere geistig aus d i e s e r Art von Gesellschaft aus. Ich will damit nichts zu tun haben, mit diesen Einteilungen – links, rechts. Mein Hausspruch lautet: „Nichts ist ohne sein Gegenteil wahr.“ In mir hat mehr als eine Meinung Platz. Ich hab‘ in den 70er Jahren erfahren, wie die Konservativen mit mir umgegangen sind. Damals hieß es: „Du bist ein Kommunist.“ Jetzt weiß ich, wie die Linken mit Andersdenkenden umgehen. Es ist noch verletzender. Und ich meine nach wie vor: Das größte politische Glück, das die Deutschen in diesem Jahrhundert hatten, ist diese Einheit. Die Misere steht auf einem anderen Blatt, aber sie hat Aussicht auf Behebung. Die Misere vorher war aussichtslos.

Und „Finks Krieg“, ist das der Roman über unsere politische Klasse?

Walser: Für mich ist es der Roman über einen leidenden Menschen. Übrigens war die Vorarbeit sehr quälend. Ich habe zwei volle Jahre Material studiert. Furchtbar. Immer nur notieren ist entsetzlich. Ein unguter Zwang. Ich bin auch nicht ganz gesund geblieben dabei. Ich habe manchmal gedacht: Vielleicht hört es überhaupt nicht mehr auf, vielleicht wirst du nie Herr des Verfahrens, vielleicht bist du nie imstande, frei zu schreiben. Mein neues Projekt hat deswegen gar nichts mehr mit Quellen und Recherchen zu tun. Es wird ein Buch über meine Kindheit – so, wie sie mir heute vorkommen möchte.