Dünen, Wellen, Windmühlen – Ausstellung im „Dortmunder U“ zeigt den niederländischen Aufbruch in die Moderne

Ferdinand Hart Nibbrig: „Auf den Dünen in Zandvoort", 1892 (Foto: Sammlung Singer Laren, Museum Ostwall)

Ferdinand Hart Nibbrig (1866-1915): „Auf den Dünen in Zandvoort“, 1892 (Foto: Sammlung Singer Laren, Museum Ostwall)

Da haben die beiden Holländer sicher recht: Die Freuden des Sommers genießen viele Deutsche, zumal aus dem Ruhrgebiet, sehr gerne in ihrem schönen Land, in den Dünen, am Strand und in den gemütlichen kleinen Städten. Diese sicherlich nicht ganz neue Erkenntnis hat Edwin Jacobs, (Noch-) Direktor des Dortmunder Kunst- und Kulturzentrums U, und Jan Rudolph de Lorm, Direktor des Museums Singer in Laren, auf die Idee gebracht, Kunst der Niederländischen Moderne sozusagen nach Urlaubsaspekten für eine Ausstellung auszuwählen. Es entstand „Ein Gefühl von Sommer…“, eine hübsche Bilderschau, die jetzt im Dortmunder U, im Museum Ostwall zu sehen ist.

Anton Mauve (1838-1888): Das neugeborene Lamm, um 1884 (Foto: Sammlung Singer Laren, Museum Ostwall)

Ein Deal

Nun ja; etwas nüchterner betrachtet verhält es sich wohl so: Die beiden Museen, eben Ostwall in Dortmund und Singer in Laren, zeigen im jeweils anderen Haus das Beste aus dem eigenen Bestand, ein Tauschgeschäft. Rund 70 Werke aus Dortmund sind derzeit in dem holländischen Museum zu sehen, 110 von dort nun hier. Hintergrund ist (auch) die derzeitige Schließung des Ostwall-Museums wegen (mal wieder) erforderlicher Umbauarbeiten, weshalb „Ein Gefühl von Sommer…“ im 6. Stock gezeigt wird, auf der Sonderausstellungsfläche.

Zeitlicher und thematischer Querschnitt

Sie hätten die von Regina Selter kuratierte Schau natürlich auch anders nennen können, denn präsentiert wird ein munterer zeitlicher und thematischer Querschnitt durch die niederländische Malerei der Jahrhundertwende, der man gut 40 Jahre einräumt. In Dortmund sind die Bilder auf 10 Kabinette verteilt, die Landschaften, Portraits, Modernes Leben usw. zum Schwerpunkt haben.

Es gab, erfahren wir, Vereinigungen wie die Bergener Schule oder den Kunstkreis De Ploeg, an Kunstrichtungen ist zwischen Impressionismus und Neuer Sachlichkeit alles vertreten, was zeitgleich auch in Deutschland wirkte. Die Namen der Künstler indes sind wohl nur wenigen Menschen in Deutschland geläufig, Piet Mondrian immerhin ist dabei, der seinerzeit aber noch durchaus verwechselbar arbeitete, oder Kees van Dongen. Doch mag das zu einem nicht geringen Maße an der nationalen Perspektive liegen, aus der heraus nicht nur in Deutschland die „eigenen“ Künstler bevorzugt werden.

Lou Loeber (1894-1983): Mühle, 1922 (Foto: Sammlung Singer Laren, Museum Ostwall)

Laren und die Künstlerkolonie

Gerade deshalb hat es jedoch seinen Reiz, einmal zu erfahren, wie sich das Kunstgeschehen vor etwa hundert Jahren jenseits der Grenze vollzog, die vielleicht auch damals schon ein bißchen weniger hoch als jene zu anderen Nachbarstaaten war. In Laren, jenem 12000-Seelen-Ort 30 Kilometer östlich von Amsterdam, Standort des Museums Singer Laren, existierte in jener Zeit eine bemerkenswerte Künstlerkolonie. Ihre Blütezeit erlebte sie zwischen den Jahren 1880 und 1920, und bemerkenswert ist zudem, daß sich das Schaffen der Künstlerinnen und Künstler in diesem Zeitraum erheblich modernisierte, sich von traditionellen „holländischen“ Malweisen und Genres zunehmend avantgardistischen Positionen zuwandte.

Gouden Eeuw

A propos holländisch: Denkt man an holländische Malerei, so denkt man an die Kunst des Barock, an das „Gouden Eeuw“, das goldene Zeitalter, das für die Niederlande das 17 Jahrhundert war, als man zu den Weltmächten zählte, international Geschäfte machte, Wohlstand anhäufte und nicht zuletzt die Malerei einen unerhörten Aufschwung erfuhr. Und, die Holländer sind Kaufleute, natürlich auch der Kunsthandel. Holländische Malerei – Landschaften, Stilleben, Seestücke, Portraits usf. – wurde geschäftsmäßig bestellt und geliefert, die Maler jener Zeit, nennen wir als die berühmtesten nur Rembrandt und Rubens, führten Unternehmen mit zahlreichen Angestellten und verdienten klotzig.

Kees van Dongen (1877-1968): Der blaue Hut, 1937 (Foto: Sammlung Singer Laren, Museum Ostwall)

Fahrräder und Telegraphenmasten

An diese Tradition versuchten die Maler der frühen niederländischen Moderne durchaus anzuknüpfen, und die Nachfrage war, glaubt man den Kuratoren, so gut, daß die kleinen Messingschildchen auf den Bilderrahmen für den Export von vornherein in den Sprachen der Empfängerländer verfaßt wurden. Ähnlich wie 200 Jahre zuvor bestimmen Kühe, Weiden, Wolkenhimmel das Erscheinungsbild, auf den ersten Blick wähnt man sich in einem modernisierten 17. Jahrhundert.

Gewiß, manches hat sich geändert, die engen Harmonievorstellungen der Altvorderen werden erschüttert durch harte oder indifferente Lichtführung, engere Bildausschnitte und erste leise Abstraktionen, durch verfremdende Maltechniken wie beispielsweise den Pointillismus, vor allem aber auch durch gewiß nicht ironiefrei eingefügte Elemente der neuen Zeit, durch Fahrräder, Telegraphenmasten oder gar, Schreck laß nach, durch ein Fußballfeld im Hintergrund. Manche Maler ließen es einfach etwas lockerer angehen, hat man den Eindruck, Gelassenheit galt wahrscheinlich damals schon als holländische Nationaltugend.

Maler aus den USA

So. Was und wo Laren ist und warum es zwischen dem kleinen Nest (pardon) und der Westfalenmetropole Dortmund einen so fruchtbaren Kunstaustausch gibt, müßte jetzt klar sein. Bleibt zu erzählen, wer die Singers sind. Der Amerikaner William Henry Singer jr. und seine Frau Anna Singer-Brugh kamen 1902 nach Laren, sammelten die Kunst ihrer Zeit, zeigten sie in ihrer 1911 errichteten Villa De Wilde Zwanen, die Anna Singer 1956 zu einem Museum machte. Singer war selber Maler, überdies Sproß einer überaus reichen Pittsburger Industriellenfamilie. Die Entscheidung des Sammlerehepaares, nach Laren zu gehen, läßt die Bedeutung erahnen, die der Ort, den die holländische Kunst in jenen Jahren hatte.

Albert Neuhuys (1844-1914): Mädchen mit Blume, um 1910 (Foto: Sammlung Singer Laren, Museum Ostwall)

Liebermanns Strandurlaub

Übrigens war die niederländische Kunstszene keineswegs nur eine Parallelveranstaltung zur deutschen, man kannte und man schätzte sich. Max Liebermann, dessen Hollandbilder in Deutschland recht bekannt sind, verbrachte samt Familie neun Sommerurlaube an der holländischen Küste und pflegte, das ist belegt, engen Kontakt mit den dortigen Kollegen, Max Beckmann tat dies ebenso.

Erinnerungen an das alte Laren

Eine Besonderheit der Dortmunder Bilderschau sind übrigens wandgroße Schwarzweiß-Reproduktionen alter Fotografien von Laren und Umgebung. Oft stören solche Elemente ja eher, hier aber, in einer ansonsten streng geordneten Präsentation, ist ihre verortende Wirkung sinnvoll und angenehm. Darüber hinaus vermitteln auch sie „Ein Gefühl von Sommer…“, zumal dann, wenn sie in ihrem ersten Leben Urlaubspostkarten waren.

  • „Ein Gefühl von Sommer… – Niederländische Moderne aus der Sammlung Singer Laren“
  • Museum Ostwall im Dortmunder U, Leonie-Reygers-Terrasse
  • Bis 25. August. Geöffnet Di+Mi 11-18 Uhr, Do+Fr 11-20 Uhr, Sa+So 11-18 Uhr
  • Eintritt 9 EUR, Katalog 24,95 EUR
  • Tel. 0231 / 50 2 47 23
  • Anmeldungen und Buchungen: www.mo.bildung@stadtdo.de
  • museumostwall.dortmund.de



Rückkauf für Dortmund – ein lange verschollenes Gemälde und viele Geschichten

„Wir sind jetzt heiß geworden“, sagt Klaus Fehlemann mit leicht ironischem Beiklang. Wenn ein distinguierter Mensch wie Dortmunds ehemaliger Stadtdirektor sich so kräftig ausdrückt, dann muss wohl etwas besonders Erfreuliches, ja Herzwärmendes geschehen sein; etwas, das möglichst eine Fortsetzung finden sollte…

Heinrich Nauens Bild "Sonnenblumen mit welker Kresse" (1924) enthüllt: Stadtdirektor und Kulturdezernent Jörg Stüdemann mit der Provenienzforscherin Dr. Ulrike Gärtner und Klaus Fehlemann (re.), Vorsitzender der Freunde des Museums Ostwall. (Foto: Bernd Berke)

Heinrich Nauens Bild „Sonnenblumen mit welker Kresse“ (um 1924), enthüllt: Stadtdirektor und Kulturdezernent Jörg Stüdemann mit der Provenienzforscherin Dr. Ulrike Gärtner und Klaus Fehlemann (re.), dem Vorsitzenden der Freunde des Museums Ostwall. (Foto: Bernd Berke)

Fehlemann ist heute Vorsitzender des Vereins Freunde des Museums Ostwall, welches sich bekanntlich im Dortmunder „U“ befindet. Dem Freundeskreis ist es jetzt gelungen, ein lange verschollenes, doch staunenswert gut erhaltenes Bild für Dortmund zurückzukaufen: Bis 1937 hatte Heinrich Nauens Gemälde „Sonnenblumen mit welker Kresse“ (entstanden um 1924) zur Sammlung des damaligen Dortmunder Museums für Kunst und Kulturgeschichte am Ostwall gehört.

Unverhofft wieder auf dem Markt

Doch im August 1937 wurde das Stillleben des rheinischen Expressionisten Nauen (1880-1940) – wie so viele andere Kunstwerke in ganz Deutschland – von den Nazis im Rahmen einer schändlichen Maßnahme als „Entartete Kunst“ beschlagnahmt und aus dem Museum entfernt. Nach einem erfolglosen Verkaufsversuch im Auftrag des NS-Propagandaministeriums verlor sich die Spur des Bildes für viele Jahrzehnte. Irgendwann muss es in niederrheinischen Privatbesitz gelangt sein.

Just im November 2015, also etwas über 78 Jahre nach der Beschlagnahme, tauchte das Werk unverhofft wieder auf dem Kunstmarkt auf. Der wertvolle Hinweis aufs Angebot einer Düsseldorfer Kunsthandlung kam von einem aufmerksamen Nutzer der Internet-Seite www.alfredflechtheim.com.

Zweifelsfrei echt

Dann ging alles sehr rasch: Sehr zügig konnte die erfahrene Dortmunder Provenienzforscherin Dr. Ulrike Gärtner das Bild zweifelsfrei identifizieren und zuordnen. Eine Schwarzweißfoto von 1926 wies die Richtung, auf der Gemälde-Rückseite war die passende, allzeit unveränderte Inventarnummer zu finden, auch die Signatur und weitere Merkmale stimmten.

Flugs handelten daraufhin auch die Freunde des Museums, die das – auch von anderen Interessenten ins Auge gefasste – Bild binnen 98 Stunden für eine Summe erwarben, über die Stillschweigen vereinbart wurde. Sie liegt „im unteren fünfstelligen Bereich“.

Heinrich Nauen: "Sonnenblumen mit welker Kresse", um 1924 (Museum Ostwall/Foto: Sascha Fuis Photographie, Köln)

Heinrich Nauen: „Sonnenblumen mit welker Kresse“, um 1924 (Museum Ostwall/Foto: Sascha Fuis Photographie, Köln)

Man mag unter ethischen und rechtlichen Gesichtspunkten darüber sinnieren, warum für die Stadt ein Werk zurückgekauft werden muss, das ihr doch eigentlich gehört hat. In der Praxis geht es wohl nicht anders. Apropos Legalität: Die NS-Machthaber hatten die Beschlagnahmung der als „entartet“ verfemten Kunstwerke rein formaljuristisch durch ein Gesetz vorbereitet. Kaum zu glauben, was im Namen des (gebeugten) Rechts möglich war…

Alfred Flechtheims Verbindung zur Stadt

An das Bild knüpfen sich noch weitere Geschichten, beispielsweise diese: Es kam durch den damals wohl wichtigsten deutschen Kunsthändler nach Dortmund. Alfred Flechtheim betrieb avancierte Galerien in Düsseldorf und Berlin. Er war mit dem damaligen Dortmunder Museumsdirektor Prof. Braun befreundet, dem er auch manche Schenkung zukommen ließ.

Was wahrlich nicht allgemein bekannt ist: Sowohl Flechtheims Mutter als auch seine Frau stammten aus Dortmund. Da kann man geradezu in lokalen Zusammenhängen schwelgen: Ursprünglich Getreidehändler, hatte Flechtheim häufig an der Dortmunder Getreidebörse zu tun, der größten des Ruhrgebiets. Hier lernte er das Regionalgericht Pfefferpotthast schätzen. Auch zählte der Förderer des zeitweise weltmeisterlichen Boxers Max Schmeling Sportereignisse in der Dortmunder Westfalenhalle zu seinen liebsten Freizeitvergnügen.

Weitere Werke auf der Verlustliste

Zurück zu Heinrich Nauens farbkräftigem Bild, das sich bestens zum expressionistischen Schwerpunkt des Museums Ostwall und speziell zu vier bereits vorhandenen Nauen-Zeichnungen fügt. Dortmunds Stadtdirektor und Kulturdezernent Jörg Stüdemann sowie Regina Selter (kommissarische Leiterin) und Dr. Nicole Grothe (Sammlungsleiterin) vom Ostwall-Museum zeigten sich denn auch hoch erfreut übers vorweihnachtliche Bildergeschenk, das heute mit gemessener Feierlichkeit in der Restaurierungswerkstatt des Dortmunder „U“ enthüllt wurde. Medienleute mögen solche Momente. Irgendwie.

Thema erschöpft? Nein, immer noch nicht ganz: Schon lange zuvor sind drei Gemälde von Christian Rohlfs in die Stadt zurückgekehrt. Doch auf der Liste der 1937 beschlagnahmten und seither verschollenen Kunstwerke aus Dortmunder Besitz stehen noch weitere 7 Gemälde, 81 Grafiken, 25 Grafikmappen und eine Skulptur. Besagte Provenienzforscherin Dr. Ulrike Gärtner spürt übrigens nicht nur detektivisch den verschlungenen Wegen dieser Bilder nach, sondern versucht auch zu ermitteln, welche „Raubkunst“ die Stadt ihrerseits eventuell an rechtmäßige Besitzer bzw. deren Erben zurückgeben muss. Ein weites Feld.

So. Nun aber genug der vielfältigen Verzweigungen. Jetzt wollen Sie das Werk von Heinrich Nauen wahrscheinlich bald in Dortmund besichtigen, nicht wahr? Schade, aber das wird nicht gehen. Zuerst muss es restauriert und neu gerahmt werden. Es soll, so die bisherigen Pläne, erst nach der nächsten Umsortierung der Schausammlung zu sehen sein, so ungefähr im Frühjahr 2017. Vielleicht geht’s ja doch ein bisschen früher?

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Ein Hinweis zur genaueren (vergrößerten) Betrachtung des Gemälde-Fotos findet sich hier.