Virus der Ratlosigkeit: Diese und jene Frage über Corona hinweg

Natürlich kein Virus, sondern ein Nahrungsbild, das während einer Speisenzubereitung in der Küche entstanden ist. Und nein: Es ist auch wirklich kein Spiegelei. (Foto: Bernd Berke)

Für virologische Expertisen sind wir hier absolut nicht zuständig. (Ich höre schon Euer Loriotsches „Ach was…“). Auch steht uns selbstverständlich keine politische Entscheidung zu, es sei denn: als indirekte Teilhabe im Rahmen unserer demokratischen Rechte (manche unken auch schon: unserer verbliebenen Rechte). Es interessiert einen im Überlebensfalle freilich schon sehr, wie diese, unsere Gesellschaft „nach Corona“ aussehen könnte. Daher diese oder jene ratlose Frage.

1) Wird eine gewachsene Mehrheit künftig in verstärktem Maße immer gleich nach dem Staat rufen, der gefälligst alles regeln und möglichst auch bezahlen soll? Wie verträgt sich das mit dem Anspruch so vieler Gruppierungen, selbst möglichst immer weniger Steuern zu bezahlen? Der Staats soll’s haben und richten – aber woher und womit?

2) Wird sich dieser etwaige Impuls der Staatsfrömmigkeit von Land zu Land unterscheiden? Werden etwa die Bürger Frankreichs widerspenstiger sein als „wir“?

3) Sollten wir nicht heilfroh sein, dass es hier bei allem nötigen Reglement demokratisch zugeht und die Menschen nicht – wie in furchtbar vielen autokratischen Ländern der Welt – brutal in die Quarantäne geprügelt oder ins Jenseits geschossen werden?

4) Gibt es neben den vielen, vielen, die wirklich bedürftig sind und auf Unterstützung hoffen, auch solche, die vorher schon halb in der Krise waren und sich nun mit dem Anker von Staatshilfe retten wollen? Wird die Bedürftigkeit überprüft oder wird im Überschwang alles durchgewunken?

5) Und wie verhält es sich mit den Profiteuren, deren Geschäftsmodell haargenau zur gegenwärtigen Lage passt? Sollten sie nicht etwas abgeben?

6) Nebenfrage: Wie halten es eigentlich die sogenannten „Reichsbürger“ mit den diversen Rettungsschirmen und Hilfspaketen? Die Idioten nehmen doch sicherlich gern Knete vom Staat, den sie ansonsten nicht anerkennen, oder?

7) Wer glaubt wirklich, dass die Reichen, Begüterten, Betuchten und Wohlhabenden ihr Geld überwiegend in lebenswichtiges Produktivvermögen gesteckt haben, in Fabriken, Maschinen, Personal – und es nur in ganz bescheidenem Maße zur persönlichen Verwendung antasten?

8) Ist es nicht erstaunlich, dass nun etliche Leute bereit sind, vorübergehende Staatseingriffe in die Wirtschaft, wenn nicht gar Verstaatlichungen bestimmter Bereiche hinzunehmen, die solcherlei Ansinnen vor kurzer Zeit noch als Teufelswerk bezeichnet hätten?

9) Ist außer den lukrativ Beteiligten jemand dagegen, das in den letzten Jahren teilweise kaputtgesparte und neoliberal privatisierte Gesundheitswesen wieder weitgehend in öffentliche Regie zu übernehmen?

10) Werden dann die Angehörigen der Pflegeberufe (und einige andere Berufsgruppen) endlich angemessen bezahlt? Hat man denn nicht gesehen, dass das Virus auch die Klassenfrage neu aufgeworfen hat?

11) Wird dem Staat künftig generell mehr überantwortet oder aufgebürdet? Soll er uns im Gegenzug allweil gängeln dürfen?

12) Werden viele Menschen nach staatlicher Autorität geradezu lechzen, nach der harten Hand des Staates?

13) Wird zugleich der Asozialtypus des „Blockwarts“ (und des Denunzianten) wieder hervortreten und dumpf auftrumpfen, der es den Hedonisten mal so richtig zeigt?

14) Haben nun auch die Apokalyptiker Hochkonjunktur?

15) Löst der um sich selbst besorgte „Prepper“ den Hedonisten als Rollenmodell ab? Haben beide etwa insgeheim Gemeinsamkeiten? Was unterscheidet den Prepper vom gewöhnlichen Hamsterer?

16) Mag man die schicksalsergebene Wendung „In den Zeiten von Corona“ noch hören?

17) Wird, sofern Corona vorüber oder zumindest behandelbar ist, hierzulande alles rasend schnell nachdigitalisiert? Werden wir in dieser Hinsicht gar zu Litauen und Albanien aufschließen?

18) Wird die wild ins Kraut geschossene Globalisierung zum Teil zurückgedreht? Werden lebenswichtige Güter künftig wieder häufiger in Deutschland und Europa hergestellt – zu deutlich höheren Kosten als Preis der Versorgungssicherheit?

19) Wird es eine Wiederkehr der Nationalstaaten als Leitbild geben? Kann das zu ungeahnten Animositäten führen, die man längst überwunden glaubte?

20) Wird der angebliche Trend zu seriösen Medien von Dauer sein? Widerstehen die meisten Menschen nun der Versuchung zu unsinnigen Verschwörungstheorien? Lauern Populisten schon seit Wochen auf ihre Chance?

21) Soll man jetzt wirklich Masken tragen? Wie muss man sich beispielsweise Schulklassenfotos vorstellen, auf denen alle mit Masken versehen sind?

22) Um nach den hauptsächlichen Teilen einer Zeitung zu fragen: Werden wir hernach eine andere Politik, eine andere Wirtschaft, eine andere Kultur, einen anderen Sport und andere Gemeinden haben?

23) Wird sich das Verhältnis zu Migranten und Geflüchteten ändern? Werden die Religionen und Konfessionen anders miteinander umgehen?

24) Wird man den Klimawandel und die Folgen in einem anderen Licht sehen?

25) Wann wird es Impfstoffe und Medikamente geben?

26) Wann dürfen wir wieder dieses und jenes tun?

27) Ist es nicht jammerschade, dass wortmächtige Intellektuelle wie der heute (von der Neuen Zürcher Zeitung) vorübergehend irrtümlich totgesagte Hans Magnus Enzensberger sich nicht zum Themenkreis äußern?

P. S.: Immerhin hat sich im Monopol-Magazin und im Cicero Alexander Kluge zu Wort gemeldet.

 




„Mobbing gegen Dortmund“ – Oberbürgermeister Sierau regt sich mächtig über den letzten „Tatort“ auf

Gruppenbild beim Drehstart zur „Tatort"-Folge „Zorn": das neu formierte Dortmunder Ermittler-Team mit (v. li.) Martina Böhnisch (Anna SChudt), Peter Faber (Jörg Hartmann), Nora Dalay (Aylin Tezel) und Jan Pawlak (Rick Okon). (Bild: WDR/Thomas KOst)

Gruppenbild beim Drehstart zur „Tatort“-Folge „Zorn“: das Dortmunder Ermittler-Team mit (v. li.) Martina Böhnisch (Anna Schudt), Peter Faber (Jörg Hartmann), Nora Dalay (Aylin Tezel) und dem Neuzugang Jan Pawlak (Rick Okon). (Bild: WDR/Thomas Kost)

Heißa! Lustig und zünftig geht’s wieder zu in Dortmund. Alle Menschen tragen Lederhosen und tanzen zu gutturalen Jauchzern Schuhplattler. Ach nee, das war ja typisch München.

Hier in Dortmund stehen die Depravierten hingegen schon morgens schwankend und fluchend mit Bierpullen vor rostigen Zechen- und Stahlkulissen bzw. elendiglich verkommenen Häusern `rum und wissen gar nichts mit sich anzufangen, außer eben unentwegt zu saufen und gelegentlich lebensgefährliche Gewalt auszuüben. So jedenfalls konnte man den wirklich arg klischeelastigen ARD-„Tatort“ („Zorn“) vom vergangenen Sonntag verstehen. Falls es da überhaupt etwas zu „verstehen“ gab.

…und dann auch noch ein „Reichsbürger“

Es war vielleicht die bislang schwächste Dortmunder „Tatort“-Folge. Das allzeit konfliktreiche Trüppchen um Depri-Kommissar Faber musste sich diesmal durch eine ziemlich hanebüchene Kraut- und Rüben-Story wühlen. So anti-pittoresk wie in diesem Fall mag es in gewissen Gegenden Dortmunds gegen Mitte der 1980er zugegangen sein. In dieser vielerorts zusammengestoppelten Industriekulisse musste partout auch noch ein durchgeknallter „Reichsbürger“ untergebracht werden – auf dass die Sache so richtig vorgestrig „von heute“ sei und schön schaurig wirke.

Ein anderes Ding ist es freilich, sich darob so kriminal aufzuregen, dass man gleich einen Brief an den letztlich zuoberst zuständigen WDR-Intendanten Tom Buhrow schreibt. Darunter tut es ein Oberbürgermeister wie Ullrich Sierau (SPD) nicht, er wird sich doch nicht mit subalternen WDR-Fuzzis herumschlagen.

Soll etwa Gelsenkirchen einspringen?

Dortmunds OB, der realiter gerade dabei ist, städtische Ordnungskräfte mit Schlagstöcken aus- und aufzurüsten (eine recht umstrittene Maßnahme), hat sich einst gefreut, als der „Tatort“ in die Stadt kam. Jetzt aber ist ihm der Kragen geplatzt, er spricht von „Mobbing gegen Dortmund“ und findet sogar, wenn es so laufe, könne man auf die Dortmunder „Tatort“-Folgen gänzlich verzichten.

Ja, will Sierau denn etwa, dass die Krimireihe, die früher in Essen (Haferkamp alias Hansjörg Felmy) und Duisburg (Schimanski alias Götz George) nachhaltig Furore gemacht hat, reviermäßig nach Bochum oder gar Gelsenkirchen abwandert? Immer hübsch mit Schalke- statt mit BVB-Wimpeln und sonstigen lokalen Devotionalien garniert? Wie auch immer: Es empfiehlt sich wohl ein gelassener, souveräner Umgang mit der Materie. Am besten gar nicht mal ignorieren…

Auf die erwartbare Wischiwaschi-Reaktion von Tom Buhrow auf Sieraus Brief muss man derweil nicht allzu gespannt sein. Die Weichspül-Flüssigkeit steht sicherlich schon bereit.

Bemerkenswert übrigens, dass selbst die Geschichte vom Sonntag bei vielen Menschen weit außerhalb von Dortmund offenbar mal wieder bestens angekommen ist. Faber gilt als „Kult“. Und er hat ja auch nie versprochen, Stadtwerbung machen zu wollen.

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Eine erste Reaktion des WDR auf Sieraus Kritik findet sich hier.