Exotik als schöne Kulisse, fern der Wirklichkeit: „Rembrandts Orient“ im Potsdamer Museum Barberini

Rembrandt Harmensz van Rijn: „David übergibt Goliaths Haupt dem König Saul“, 1627, Öl auf Eichenholz, 27,4 x 39,7 cm (© Kunstmuseum Basel, Vermächtnis Max Geldner, Basel)

Das Gesicht des alten Mannes ist weiß, der Bart gut getrimmt, die Augen leuchten voller Stolz. Wahrscheinlich sieht er selten die Sonne und atmet kaum je frische Luft, sondern treibt sich geschäftig in den Handelskontoren Amsterdams herum.

Gelegentlich schaut er im Atelier von Rembrandt vorbei, damit der Malerfürst ihn vortrefflich in Szene setzen kann, so wie er sich selbst gern sieht und in seinen Träumen gern wäre: ein orientalischer Despot oder fernöstlicher Mogul, dem die Untertanen zu Füßen liegen und die seinen herrlichen Turban und seinen kostbaren Seidenumhang bewundern.

Vielleicht ist der bärtige alte Mann tatsächlich einmal in den Orient und nach Fernost gereist, hat als Vertreter der Niederländischen Ostindien-Kompanie in Syrien oder Persien, Indien oder China Station gemacht und profitable Geschäfte eingefädelt, ein paar exotische Objekte und orientalische Teppiche, pazifische Muscheln oder japanische Schwerter mit nach Hause gebracht. Doch eines ist gewiss: Rembrandt Harmensz van Rijn (1606-1669) hat nie seine holländische Tiefebene verlassen, nie den Orient gesehen und nie unter mongolischem Himmel geschlafen.

Kolonialismus und Sklaverei völlig ausgeblendet

Ob Rembrandt den „Mann in orientalischem Kostüm“ oder die „Büste eines alten Mannes mit Turban“ malte, eine „Junge Inderin“ oder ein „Selbstbildnis in orientalischer Kleidung mit Pudel“ auf die Leinwand brachte: Was er auf seinen orientalisch anmutenden Bildern festhielt, ist pure Fantasie, einem eurozentristischen Weltbild geschuldet. Das Fremde ist nur Kulisse, das Kostüm nur ein Traum, das Exotische nur Projektion. Mit der Wirklichkeit hat das alles nichts zu tun.

Rembrandt Harmensz van Rijn: „Büste eines alten Mannes mit Turban“, um 1627/29, Öl auf Eichenholz, 26,7 x 20,3 cm (© The Kremer Collection)

Sklaverei und Gewalt, Ausbeutung, Kolonialismus, Handelskriege: Nichts davon ist zu sehen in der Ausstellung, die im Potsdamer Museum Barberini gezeigt wird und in ihrer Ausblendung des politisch-historischen Kontextes völlig aus der Zeit gefallen scheint. „Rembrandts Orient. Westöstliche Begegnung in der niederländischen Kunst des 17. Jahrhunderts“, lautet der Titel. Doch es begegnen sich hier nicht Kulturen auf Augenhöhe und die europäischen Wünsche treffen nicht auf orientalische Wirklichkeit. Stattdessen wird die Welt gesehen, wie sie nie war, die Realität verhüllt, die Ungleichheit verkleidet, die Macht verborgen.

Biblische Gestalten in Fantasie-Kostümen

Gezeigt werden 110 Exponate, darunter 33 Werke von Rembrandt, außerdem Gemälde von Ferdinand Bol, Jan Lievens, Jan Victors und vielen anderen. Perlen der niederländischen Malerei. Doch nirgendwo ein Hauch von Kritik oder Selbstbefragung. Die Künstler, die im Hafen von Amsterdam gelegentlich Menschen aus der Fremde erblickten, den Orient als Mode auffassten und sich in ihrem schicken Heim mit fernöstlichen Accessoires umgaben, verdienten gutes Geld damit, niederländische Kaufleute in orientalische Gewänder zu hüllen und sie darzustellen, als würden sie durch fernen Fantasie-Landschaften flanieren. Der Orient war eine geografische Fata-Morgana und erstreckte sich von Ägypten bis nach Japan.

Rembrandt Harmensz van Rijn: „Daniel und Kyros vor dem Götzenbild des Bel“, 1633, Öl auf Holz, 23,5 x 30,2 cm (© The Paul Getty Museum, Los Angeles)

Kein Problem bereitete es Rembrandt und seinen Schülern, biblische Motive („Die Steinigung des heiligen Stephanus“, „Das Festmahl der Ester“, „Juda und Tamar“) umzudeuten und die Beteiligten in orientalische Fantasie-Kostüme zu stecken. Oder, wie bei der „Taufe des Kämmerers“, die „schwarze Seele“ des demütig knienden dunkelhäutigen Mannes von einem „weißen Mann“ reinigen und bekehren zu lassen. Und auf dem „Markt von Batavia“ (wie ihn ein Kopist mit den Initialen J.F.F. sieht, der ein Bild von Andries Beckmann bearbeitet) tummelt sich buntes Volk unter Palmen. Fröhlich wird gehandelt, gewerkelt, getanzt. Unterdrückung der Einheimischen? Existiert nicht. Die Welt ist schön, die Geschichte ein Abenteuer.

Ab 22. Mai wieder geöffnet

„Rembrandts Orient“. Museum Barberini, Potsdam (wieder geöffnet ab Samstag, 22. Mai, Zeitfenster-Tickets ab 20. Mai erhältlich). Bis 27. Juni. Katalog (Prestel Verlag): im Museum 30 Euro, im Buchhandel 39 Euro.

Nähere Infos unter  0331/236 014 499 oder www.museum-barberini.de

info@museum-barberini.de

besucherservice@museum-barberini.de




Der wahre und der falsche Rembrandt: Heute vor 400 Jahren wurde der Maler geboren – Über Echtheit seiner Bilder wird gestritten

Von Bernd Berke

Rembrandt-Touristen bringen den Niederlanden in diesem Jahr ordentlich Umsatz. Allein Amsterdam rechnet mit gut 90 Millionen Euro Extra-Einnahmen durch etwa 430 000 zusätzliche Besucher. Der Maler selbst, der heute vor 400 Jahren geboren wurde, ist „natürlich“ verarmt gestorben. Das Klischee von der großen Ungerechtigkeit wäre also wieder mal erfüllt.

Eigentlich weiß man von Rembrandts Biographie nicht allzu viel. Doch gegen Ende seines Lebens hatte sich der damals schon berühmte Künstler derart verschuldet, dass eine Art Insolvenz-Liste über sein Restvermögen erstellt werden musste. Sie lässt einige Rückschlüsse auf den Lebensstil zu.

Experte Aernout Hagen vom Rembrandthuis hat die Misere des Mannes so erläutert: „Wenn er etwas sah, musste er es haben, notfalls auf Abzahlung.“ Folge des kostspieligen Hangs zu raren Schätzen aus Kunst und Natur: Er konnte sein 13 000 Gulden teures Haus nicht mehr abbezahlen, also wurde seine Habe verpfändet.

Dabei war die Auftragslage nicht übel. Rembrandt war ein gefragter Porträtist wohlhabender Leute, er galt in gewisser Weise sogar als ein „Star“ seines Metiers. Deshalb drängten auch viele Schüler in sein Atelier, obwohl ein halbes Jahr Unterricht bei ihm 50 Gulden kostete. Zum Vergleich: Das Durchschnittseinkommen betrug damals pro Jahr 300 Gulden.

Die Sache mit den Schülern bereitet heute arge Probleme. Denn viele Bilder, die man früher fraglos Rembrandt zugeschrieben hat, hat er wohl gar nicht selbst gemalt, sondern es waren Nacheiferer aus seiner Werkstatt. Sie rechneten es sich just zur Ehre an, wenn ihre Arbeiten den Seinen zum Verwechseln ähnlich sahen. Lernziel erreicht. Ritterschlag und Markenzeichen in einem: Rembrandt setzte dann seine Signatur hinzu, damit sich die Bilder besser verkaufen ließen.

Etwa 280 Gemälde sind wohl von seiner Hand – nach jetzigem Stand

So mussten Heerscharen von Kunsthistorikern den Bildern mit Röntgen- und Infrarot-Aufnahmen oder Stilkritik zuleibe rücken. Viele, viele Werke sind Rembrandt seither „abgesprochen“ worden. Etwa 280 Gemälde gelten als echt – bis zur Stunde.

Selbst der weltberühmte „Mann mit dem Goldhelm“ stammt höchstwahrscheinlich nicht von des Meisters eigener Hand. Früher waren die Menschen vielleicht vom großen Namen und vom schimmernden Gold geblendet, im Nachhinein fielen den Fachleuten handwerkliche Schwächen an dem Bild auf. Wenn man vom Rathaus kommt…

Rembrandts Gemälde, Zeichnungen und Radierungen wirken ungleich persönlicher und intimer und intimer als etwa die Werke eines Rubens. Tradierte Bildformeln, pathetisch auftrumpfende Gesten oder vordergründige Dramatik waren Rembrandt fremd. Auch die erdig-dunkle Farbpalette und das subtile Spiel mit Licht und Schatten gelten als typisch für seine Kunstauffassung. Das alles ist ja nicht falsch. Wie man sich trotzdem im Urheber irren kann, haben selbst Kenner schmerzlich erfahren müssen. Längst hat sich die Frage, wie es in Rembrandts Werkstatt zugegangen ist, als eigener Forschungszweig etabliert.

Wie in derlei Fällen üblich (Mozartkugeln etc.), gibt es jetzt auch wohlfeile oder kommerzielle Annäherungen an den Mythos Rembrandt. In Hollands Städten ist es Usus, „lebende Bilder“ nach seinen Gemälden zu stellen. Und heute soll im Amsterdamer Theater Carré ein Rembrandt-Musical herauskommen (Aufführungen bis Februar 2007). Dieser Produktion dürfte es kaum schaden, dass man wenig Konkretes aus dem Leben des Künstlers weiß. Da lässt sich’s trefflich spekulieren und kolportieren.

Rembrandt-Ausstellungen (Auswahl): 

Berlin, Kulturforum Potsdamer Platz: Ab 5. August „Rembrandt – ein Genie auf der Suche“ (bis 5. Nov.) / Kassel. Schloss Wilhelmshöhe: 34 Gemälde aus eigenen Sammlungen (noch bis 20. August) sowie Landschaftsbilder (bis17.Sept) / Amsterdam, Rijksmuseum: Alle Zeichnungen – Teil 1, 11. August bis 11. Oktober).

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LEBENSDATEN

Hochzeit, Todesfälle, Finanzruin

  • Rembrandt Harmenszoon van Rijn wird am 15. Juli 1606 in Leiden geboren.
  • Als er 14 ist, schreiben ihn die Eltern an der Uni ein. Er geht nicht hin, sondern wird Lehrling bei einem Historienmaler.
  • 1625 erstes Atelier.
  • 1631 Umzug nach Amsterdam.
  • 1634 Heirat mit Saskia von Uylenburgh. Drei Kinder aus dieser Ehe sterben jeweils kurz nach der Geburt.
  • 1642 Tod Saskias. Beziehung mit Kindermädchen Geertghe Dircx, die nach der Trennung ins Zuchthaus kommt – auf Rembrandts Betreiben hin.
  • 1649 Rembrandt lebt mit der Haushälterin Hendrickje Stoffels zusammen.
  • 1656 Finanzieller Ruin.
  • 1663 Tod Hendrickjes.
  • 1669 Rembrandt stirbt am 4. Oktober.
  • Hauptwerke: „Anatomiestunde des Dr. Nicolaes TuIp“ (1632), „Nachtwache“ (1642),„Die jüdische Braut“ (1667).

 




Die Suchmaschine bringt es an den Tag: Durch ein paar Mausklicks kulturelle Streitfragen klären

Von Bernd Berke

Ganz entspannt im Hier und Jetzt wollen wir mal ein paar uralte Kultur-Streitfragen klären. Internet-Suchmaschinen wie etwa Google machen’s möglich. Man gibt den Namen in die Suchmaske ein, und schon weiß man, wie oft er im Netz vorkommt.

Frage eins, von ergrauten Rockfans seit Jahrzehnten diskutiert: Wer ist bedeutender, die Beatles oder die Stones? Also, bitte sehr, kein Problem, das haben wir gleich: Die „Fab Four“ sind mit imponierenden 10,1 Millionen Internet-Fundstellen verzeichnet, die Rolling Stones gerade mal mit der Hälfte: 5,12 Millionen. Und das, obwohl die englische Wort-Kombination für „rollende Steine“ auch anderweitig vorkommen könnte, so vielleicht auf alpinistischen Seiten. Egal. Die Entscheidung ist gefallen.

Zusätzliche Labsal für Beatles-Anhänger: In der Einzelwertung liegt John Lennon (2,1 Mio.) auch noch deutlich vor Mick Jagger (535 000). Yeah, yeah, yeah!

Mozart liegt nur knapp vor Beethoven

Erheblich knapper wird es schon im Bereich der klassischen Musik. Mozart ist in den Weiten und Tiefen des Netzes 6,83 Millionen Mal zu finden, Beethoven kommt auf 5,68 Millionen. Pech. Da hat ihm – bei allem Respekt – auch sein „Ta-ta-ta-taaa“ nichts genützt.

Beim Klicken wachsen (je nach Neigung) das sportliche Vergnügen oder die Lust an der Lotterie (obwohl es hier keinen Jackpot gibt). Also schnell weiter mit zwei Malern: Rembrandt (2,05 Mio.) triumphiert über Michelangelo (1,88 Mio.). Ha! Picasso haben wir übrigens bewusst ausgelassen, denn da kriegen wir alle einschlägigen Parfümsorten oder Automodelle mit auf die Rechnung.

Und wie sieht es bei den großen Dichtern aus? Nun, hier heißt der Champion zweifellos Shakespeare: Schier unglaubliche 12,6 Millionen Nennungen entfallen auf seinen wahrlich berühmten Nachnamen. Dante (5,31 Millionen) und Goethe (3,81Mio.) wirken damit verglichen wie Newcomer.

Apropos neu, und hier wird’s erstaunlich: Bei den deutschen Schauspielern ist der Jungspund Daniel Brühl (236 000) dem Haudegen Götz George (246 000) bereits ganz dicht auf den Fernsen. Wie das wohl zustande kommt? Vielleicht hat die gar nicht so unfehlbare Suchmaschine ja den Stadtnamen Brühl (bei Köln) gelegentlich mitgezählt.mitgezählt, wenn denn auch irgend ein Herr namens Daniel auf der jeweiligen Homepage erscheint.

Wenn Thomas Mann gegen Brecht antritt

Auch kulturhistorische Konfrontationen lassen sich auf diese rabiate Weise nachbereiten. Bert Brecht und Thomas Mann mochten einander bekanntlich nie leiden. Den Ziffernsieg über den Edel-Proletarier trägt nun der großbürgerliche Mann davon: 4,82 Millionen (wobei vielleicht einige Zeitgenossen denselben, wohl nicht gar so seltenen Namen tragen).

Bertolt Brecht kommt unterdessen auf schlappe 640 000. Selbst wenn man die Lesart Bert Brecht (119 000) und die (oft verwendete, aber falsche!) Schreibweise Bertold Brecht (141 000) mitzählt, reicht es hinten und vorne nicht.

Muss man wirklich eigens betonen, dass dieses Verfahren völlig kulturfern, ja geradezu barbarisch ist? Und dass die genannten Zahlen schon heute nicht mehr genau stimmen, weil das Internet sich als höchst veränderlicher „Organismus“ erweist? Muss man nicht, oder? Schließlich entscheidet in kulturellen Fragen nicht allein die „Quote“.

Aber Spaß hat’s eben doch gemacht. Und nun schauen wir uns mal eben die 12,6 Millionen Shakespeare-Fundstellen genauer an. Tschüs denn, bis in ungefähr 500 Jahren…




Als Rembrandt aufblühte – Kasseler Ausstellung zum Frühwerk behandelt auch die leidige Echtheits-Frage

Von Bernd Berke

Kassel. Schönheit steigert Schönheit: Im herrlichen Ambiente von Schloss Wilhelmshöhe genießt man jetzt nicht nur den Blick über Stadt und Land, sondern drinnen zu allem Überfluss eine ebenso opulente wie detailfreudige Schau zum Frühwerk von Rembrandt (1606-1669).

Erstmals wird dieser Schaffensphase, als Rembrandt in seinen frühen 20ern lebte und als Genius gerade erst aufblühte, eine solch spezielle Schau zuteil. Zentral bleibt die Echtheitsfrage, es ist seit den Forschungen des Amsterdamer „Rembrandt Research Project“ ohnehin das Kardinalproblem. Da gab es manche „Abschreibung“ („Dies Bild stammt nicht von seiner eigenen Hand, sondern aus einer Werkstatt“), doch auch vorsichtige Wieder-Zuschreibungen. Ein Spannungsfeld.

87 Werke von Leihgebern is aller Welt, aber auch aus beneidenswertem Kasseler Eigenbesitz sind zu sehen. Damit keine unnötigen Zweifel aufkommen, werden Rembrandts gesicherte Schöpfungen vor blauem Grund, alle anderen auf braun getönten Wänden präsentiert. Für ein paar Werke müsste es allerdings bräunlich-blau sein…

Hinein ins volle Bilderleben: Im direkten Vergleich sieht man, wie sein Lehrmeister Pieter Lastman und Rembrandt selbst dasselbe Thema aufgefasst haben: „Die Taufe des Kämmerers“ (um 1612 Lastman, 1626 Rembrandt). Lastman war kein Stümper, er hat Rembrandt erste Wege gewiesen, doch der höchstbegabte Kraftkerl mochte wenig Rat annehmen.

Tatsächlich zeigt sich schon hier, wie er den Lehrer an Originalität übertrumpft. Schon jetzt vermag Rembrandt etwa textile Stoffe überaus delikat wiederzugeben. Zudem fällt sein Blick für handelnde Charaktere auf, der untrügliche Sinn für den wahren Moment. Und Rembrandt baut das Motiv in einer für ihn typischen Vertikal-Konstruktion auf.

Vergleich mit dem Rivalen

Lehrreich sodann die Gegenüberstellung mit dem Rivalen Jan Lievens, der gleichfalls bei Lastman gelernt hatte und zeitweise mit Rembrandt eine Ateliergemeinschaft betrieb. Rembrandt bevorzugt deutlich kleinere Formate als der Kompagnon. Doch in diesem eng begrenzten Bildraum steigert er (z. B. mit „Die drei Sänger“, um 1625) den Ausdruck ins Phänomenale, während Lievens bei aller formalen Könnerschaft letztlich dem Genrebild verhaftet bleibt. Rembrandts Gemälde aber haben eine „Seele“. Sie folgen einer Dramaturgie, die sich in Bildern wie „Christus vertreibt die Geldwechsler aus dem Tempel“ (1626) zur Dramatik steigert.

Auch ein Rembrandt ist nicht vom Himmel gefallen. Technische Fehler schlichen sich zumal in seine ersten Radierungen ein, hier war ihm Lievens anfangs voraus.

Rembrandt hat übrigens nicht in einem Zuge durchgemalt, sondern die Palette immer wieder neu aufbereitet und ein Bild aus lauter „Inseln“ gefügt. Und er hat (was Röntgenaufnahmen beweisen) nachgebessert, so auch bei „Judas bringt die 30 Silberlinge zurück“ „(1629). Atemberaubend nun die subtilen Lichtreflexe. Mit „Der Apostel Paulus am Schreibtisch“ (1629/30) haben wir jenen Meister, den die Kunstgeschichten preisen.

Nicht allen Epochen hat sein Malstil zugesagt. Früher fanden viele feinmalerisch orientierte Zunftgenossen den Pinselstrich zu „grob“. Tatsächlich erscheinen manche Partien bei nahem Hinsehen fast schon impressionistisch getuscht und „verhuscht“, doch gerade diese Kunst der Andeutung öffnet weite Phantasie-Räume.

Rembrandt hat immer wieder mit beiden Malweisen experimentiert – mal fein, mal rau. Es gab (so die Kern-These der Ausstellung) keine lineare Entwicklung. Mithin dürften einige Werke nun doch als eigenhändig, die aufgrund irriger Stil-Theorien bezweifelt worden seien, etwa das in Kasseler Besitz befindliche Bildnis „Büste eines Greises mit goldener Kette“ (1632). Wer will da wetten?

Satte Schlussakkorde setzen Vergleiche zwischen Rembrandt und dessen Schüler Gérard Dou sowie anderen Künstlern aus dem Umkreis. Ein Bild („Prinz Rupert…“, um 1631) haben Rembrandt und Dou wohl gar gemeinsam geschaffen. Auch saßen dieselben Modelle verschiedenen Malern, was die Zuordnung weiter erschwert. Eine Wissenschaft für sich. Aber bestimmt keine trockene.

Der junge Rembrandt – Rätsel um seine Anfänge. Schloss Wilhelmshöhe, Kassel. Bis 27. Jan. 2002. Tägl. außer Mo 10-17, Do 10-18 Uhr. Eintritt 12 DM. Katalog 58 DM.




Sanftes Licht aus paradiesischen Gefilden – Amsterdamer Rijksmuseum präsentiert „Das Goldene Zeitalter“

Von Bernd Berke

Amsterdam. Wichtig ist nicht nur wie, sondern auch wo man lebt. Für einen Maler gilt dies wohl erst recht. Da gibt es beispielsweise diese Sache mit dem „Delfter Licht“, das sich unvergleichlich mild ausbreitet und alle Dinge in eigentümlich beruhigender Klarheit hervortreten lässt.

Wer weiß: Vielleicht wäre Jan Vermeer als Künstler ein ganz anderer geworden, hätte ihn nicht dieses Licht umhüllt und ihm die Welt vor Augen geführt. Er musste es „nur“ noch malen…

So ist denn in der famosen Amsterdamer Ausstellung „Der Glanz des Goldenen Jahrhunderts“ ein Kapitel eben jenem Delfter Phänomen gewidmet, dessen Wirkungen auch bei Künstlern wie Pieter de Hooch und Gabriel Metsu zu gewahren sind. Man schaue nur, wie sich dieses Licht, als fließe es aus paradiesischen Gefilden, in Vermeers Meisterwerk „Die Küchenmagd“ sanft über den Brotkorb ergießt. Man schaue und staune.

So wird es einem in dieser einmaligen Sonderschau zum 200jährigen Bestehen des Rijksmuseums öfter ergehen. Zu sehen sind aus aller Welt zusammengeführte Schätze des Goldenen Zeitalters der niederländischen Kunst, also aus dem 17 Jahrhundert.

In 23 sinnreich aufbereitete Abteilungen gliedert sich die Fülle der 200 prächtigen Exponate, darunter auch kostbare Alltagsgegenstände jener Ära wie etwa edles Mobiliar und funkelnde Trinkgefäße. Die relativ kurze Anreise nach Amsterdam lohnt sich aber vor allem wegen der meisterlichen Gemälde von Rembrandt, Frans Hals, Vermeer und anderen.

Abschied von der Harmlosigkeit

Gleich eingangs steht man vor zwei denkbar verschiedenen Darstellungen des Heiligen Sebastian. Während Joachim Wtewael anno 1600 den Märtyrer sogar im Moment des größten Schmerzes mit makellosem Leibe zeigt, erscheint er auf dem 1625 gemalten Bild von Henrik Ter Brugghen als Mensch aus Fleisch und Blut, den man mit Pfeilen übel zugerichtet hat. Lichtführung und Schattenwurf verleihen der Szene eine ungeheure Dramatik. Der Einfluss eines Caravaggio ist unverkennbar.

Es ist, als seien Strategien szenischer Dramatisierung an die Stelle religiöser Überhöhung getreten. Zur gekonnten Inszenierung zählt auch die Wahl des einzig richtigen Gipfel-Moments, beispielhaft zu sehen an Rembrandts „Raub der Europa“ (1632).

Hier also haben wir den Eintritt ins große Zeitalter der niederländischen Kunst, in dem sich nicht nur das Menschenbild ändert. Auch der allmähliche Übergang von idealisier- ten Phantasie-Landschaften zu realistischen Panoramen ist ein Thema der Ausstellung. Die Seestücke ergehen sich nicht mehr im unnatürlich lieblichen Spiel der Wellen, sondern schildern die volle, lebensbedrohliche Wucht der Meereswogen. Es sind Abschiede von der Harmlosigkeit.

Wirtschaftlich waren die Niederlande damals erstarkt. Wohl auch deshalb wurden sinnliche und weltliche Dinge, wurde die Aneignung der greifbaren Wirklichkeit zur größten Triebkraft der Künste. So raffiniert und täuschend echt wirken etwa manche Stillleben, dass man am liebsten in die Früchte hineinbeißen würde. Hier ist Genauigkeit eine Lust, dort ein Schock: Rembrandt gibt uns in „Die Anatomie des Dr. Tulp“ einen fast drastisch deutlichen Einblick ins Handwerk der Chirurgen – und eine Ahnung von der Vergänglichkeit allen Lebens.

Sinnlichkeit und Gier

So exakt die Abbilder erscheinen mögen, so tragen sie doch symbolische Fracht: Ein Hochzeitsporträt des Frans Hals (um 1622) lässt sich letztlich nur verstehen, wenn man weiß, welche Bedeutung die Pflanzen als Sinnbilder des Treuegelöbnisses haben.

Von berstender Sinnlichkeit, freilich auch von Gier künden die Genrebilder mit all den Huren, feuchtfröhlichen Zechern, Kupplerinnen und lüsternen Freiern. Doch es gibt auch die geläuterte Liebe: Welcher höhere Sinn und Edelmut waltet in Rembrandts Paarbildnis „Isaak und Rebekka“ („Die Judenbraut“, um 1665), dem Inbild lebenslanger Treue!

Amsterdam, Rijksmuseum (Stadhouderskade 42 / Tel. 0031/20 67 47 047). Bis 17. September. Tägl. 10-17 Uhr. Dt. Katalogbuch (Belser Verlag) 98 DM.




Sehnsucht nach der Sinnlichkeit des Südens – Barocke Schätze aus Budapest in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Gute Beziehungen zu Osteuropa tragen Früchte, auch kulturelle. Vor Jahresfrist konnte das Wuppertaler Von der Heydt-Museum Bilderschätze aus Bukarest („Von Cranach bis Monet“) zeigen, jetzt prunkt man mit Barock-Gemälden aus dem Budapester Museum der Bildenden Künste.

Wiederum locken ganz große Namen: Rembrandt, Rubens, Van Dyck, Frans Hals. Doch auch von weniger bekannten Künstlern sieht man Erstaunliches.

Aus einem üppigen Budapester Fundus von rund 3000 Gemälden (vor langer Zeit von den Dynastien Esterházy und Habsburg zusammengetragen) hat man 80 kostbare Stücke auf die Reise geschickt. Ohne Konzept wäre es pure Willkür gewesen. Leitlinie der Auswahl: Aus den Bildern soll die brennende Italien-Sehnsucht „nordischer“ Barockmaler sprechen.

Italien war als Vorbild Pflicht

Tatsächlich war es (nicht nur) im 17. Jahrhundert für flämische, niederländische und deutsche Maler Pflicht, entweder in Italien gewesen zu sein oder sich wenigstens an den dortigen Künstlern zu orientieren. Ob sie sich die Anregungen des Südens kraftvoll anverwandelt haben oder ihnen nur aufgesessen sind, daran bemißt sich die Qualität. Die Schau enthält Porträts, Stilleben, pralle Genrebilder aus dem täglichen Volksleben und Landschaften. Etliche Szenen wird man nur mit genauen mythologischen oder biblischen Kenntnissen aufschlüsseln können. Auch wirkt diese oder jene Ideallandschaft für heutige Betrachter vielleicht gar zu idyllisch.

Doch die allermeisten Werke sind von einer aufblühenden Sinnlichkeit, die uns unmittelbar angeht. Nicht nur nebenbei: Antike Mythen und Altes Testament sind aus dem Blickwinkel der Kunst bis zum Bersten mit Erotik angefüllt. Da erweist gar ein Mädchen dem ins Gefängnis gesperrten Vater ihre Tochterliebe, indem sie ihm die entblößte Brust zum Saugen reicht.

Schwarz in vielen Schattierungen

Wer das „Männliche Bildnis“ des Frans Hals sieht, muß sogleich begreifen, warum gerade dieser Künstler berühmt werden mußte. Wenn einer es auf diese Weise vermag, nachtschwarze Töne in verschiedensten Schattierungen erstrahlen, ja geradezu diamantenhaft gleißen zu lassen, gehört er eben zu den Allergrößten seiner Zunft.

Überragende Meisterschaft verrät auch jener „Männliche Studienkopf“ von Peter Paul Rubens, eigentlich bloße Vorübung zu einem größeren Altarbild und doch in sich vollendet. Das zerklüftete Gesicht des Greises tritt in grandioser Lebendigkeit hervor. Und man versteht: Rubens war keinesfalls nur ein Mann der großmächtigen dramatischen Effekte, sondern einer, der auch das intime Detail leuchten lassen konnte.

Rembrandts „Traum des heiligen Joseph“ vergegenwärtigt den Moment, in dem der Engel Joseph zur Flucht nach Ägypten überredet. Das Bild ist, auch wegen einer Anstückelung, inzwischen so fragil geworden, daß es als einziges unter Glas gezeigt werden muß. Dennoch kann man lange darin schwelgen: in den ungeheuer feinen Abstufungen goldbrauner Farbklänge, in der unmittelbar eingängigen Bildkomposition…

Wollust des Farbwechsels

Die italienischen Vorbilder werden freilich bei den weniger prominenten Malern wie Salomon Adler, Johann König, Jacob de Heusch oder Jan Lievens oft deutlicher. Da flammt zum Beispiel eine drastische Genreszene wollüstig in „venezianischen“ Farben auf. da werden komplette Bildschemata von Raffael übernommen und mit anderen Figuren gefüllt, oder es legen sich die harten Schlagschatten nach Art eines Caravaggio auf die Gestalten.

Ja, wenn der Norden den Süden nicht hätte! Dann wären Bilder und Gemüter finsterer.

„Rembrandt, Rubens, Van Dyck… – Italiensehnsucht nordischer Barockmaler“. Von der Heydt-Museum. Wuppertal-EIberfeld (Turmhof 8). 30. Juli bis 24. September, Di-So 10-17 Uhr, Do 10-21 Uhr. Eintritt 15 DM, Katalog 38 DM.




Wenn Leselust sich mit der Lust am Bild vereint – Niederländische Malerei des Goldenen Zeitalters in der Frankfurter Schirn

Von Bernd Berke

Frankfurt. Die vier biblischen Evangelisten als „Literarisches Quartett“: Auf Jan van Bijlerts Gemälde beugen sie sich gemeinsam über ein Buch. Der Text bringt sie buchstäblich in Bewegung. Ihre Mienen sind gespannt. Das Geschriebene scheint eine lebhafte Debatte auszulösen. Ist das die vielbeschworene Leselust?

Ganz anders „Der Einsiedler“ des Adriaen van Ostade. Still in sich versunken sitzt der Greis da mit seinem Buch. Ein schwacher Schein aus dem Nirgendwo schimmert um sein Haupt – ein Geisteslicht in der Einsamkeit.

Bilder von Lesenden, entstanden im Goldenen Zeitalter der niederländischen Malkunst, versammelt jetzt eine herausragende Frankfurter Ausstellung mit dem nicht ganz zutreffenden Titel „Leselust“. Der Titel führt schon deshalb ein wenig in die Irre, weil eine ganze Abteilung den Vanitas-Darstellungen gewidmet ist, also der Vergänglichkeit des irdischen Lebens. Grundinventar auf diesen Bildern: ein Buch, ein Schädel. Beim Totenkopf ist eben auch die Leselust ans Ende gelangt.

Mal Gemeinschaft, mal Abgeschiedenheit

Die Schau zeigt, wie vielfältig Bücher (und Briefe) als sprechende Requisiten in der Malerei des 17. Jahrhunderts eingesetzt wurden. Einige Lehrmeister-Schüler-Szenen betonen den erzieherischen Aspekt, religiöse Bilder den der plötzlichen Erleuchtung. Bei Frans Hals‘ Porträts bekommen Bücher den Charakter von bürgerlichen Emblemen, Innungs-Zeichen, Statussymbolen.

Mal stiften die Bücher Gemeinschaft (wie bei den erwähnten Evangelisten), mal führen sie tief ins Alleinsein und an den Rand der Verschrobenheit (so etwa Quiringh van Brekelenkams „Lesender Eremit“), als sei Lesen ein bizarrer Zeitvertreib für darob halb erblindete alte Männer. Oder aber die wahre Lesewut mündet ins besessene Spezialistentum der Gelehrten. Und oft sorgt das Flackern des zum Lesen benötigten Kerzenlichtes für dramatische Effekte.

In den zahlreichen Szenen von Briefleser(inne)n geht es zumeist, wenn auch vorwiegend diskret dargeboten, um erotische Inhalte. Das Glühen der Wangen bei der Lektüre verrät es, und auch die sonstige Körpersprache ist beredt. Beim Liebesbrief erreicht wortwörtliche Lese-Lust ihren Gipfel.

Die Kunst der Augentäuschung

Die Ausstellung wartet mit einigen Spitzenstücken auf: „Das briefschreibende Mädchen“ von Vermeer van Delft, jene junge Frau im unnachahmlich sanften Licht und mit dem unvergeßlichen Blick, zählt gewiß dazu. Desgleichen Rembrandts „Alte lesende Frau“, die – von mattem Goldschimmer umglänzt – in ihrer Hinwendung nahezu körperlich eins wird mit ihrem Buch.

Doch man findet auch veritable Überraschungen. Irritierend zumal die Bilder von Cornelius Biltius, der vielfach „nur“ eine Art Pinnwand mit Briefen, Zetteln und anderen Klein-Utensilien zeigt. Diese Kunst der Augentäuschung mutet ebenso modern an wie Jan van der Heydens „Zimmerecke mit Raritäten“, deren Zusammenstellung schon eine fast postmoderne Kombinatorik zu verraten scheint.

Vollends verblüffend: Cornelius Norbertus Gijsbrcchts hat um 1670 (!) mit aufs Motiv zurechtgeschnittenen Bildformaten („Zwei Wandtaschen“) gearbeitet. So etwas galt dann fast dreihundert Jahre später (unter dem Begriff „shaped canvas“) als letzter Schrei…

„Leselust“. Niederländische Malerei des Goldenen Zeitalters. Schirn-Kunsthalle, Frankfurt (direkt am Römerberg). Bis 2. Januar 1994. Mo 14-18, Di-Fr 10-22, Sa/So 10-19 Uhr. Eintritt: Wochentags 9, Sonntags 6 DM. Katalog 49 DM.